Ulrike Jureit: Das Ordnen von Räumen
Ulrike Jureit: Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburger Edition (Hamburg) 2012. 445 Seiten. ISBN 978-3-86854-248-6. D: 38,00 EUR, A: 39,00 EUR, CH: 52,90 sFr.
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Thema
Die Raumbedingtheit oder Raumbezogenheit sozialer Verhältnisse und sozialen Verhaltens ist mittlerweile ein Topos in den Sozial- und Kulturwissenschaften geworden. Die konstruktivistische Sicht auf den Raum als sozial gedeuteter Zusammenhang, in dem Menschen sich Räume in dem Maße aneignen, wie sie dort Interessen realisieren und entfalten können oder Bedürfnisse befriedigen können gilt allenthalben als „gestandenes Wissen“.
Mit der Entstehung von Flächenstaaten wird die Ordnung von Räumen als Territorien zu einem konstitutiven Merkmal des Staates als eines politisch definierten Territoriums mit Grenzen nach außen und einer inneren Strukturierung. Und dazu gehört auch die Frage, wie man nicht nur sein Territorium als Staat sichern kann, sondern möglichst auch erweitern kann. Diese Debatte um den Raum hat spätestens mit dem Begriff der Erweiterung des Lebensraums im Osten als einem zentralen Ziel nationalsozialistischer Raumpolitik ihre Bedeutung erhalten und wird bis heute mit der nationalsozialistischen Expansionspolitik verbunden.
Autorin
Dr. Ulrike Jureit ist Historikerin und Wissenschaftlerin am Hamburger Institut für Sozialforschung.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in sieben größere Kapitel:
- I. „Raumbilder sind Träume der Gesellschaft“ Zur Organisation des Nebeneinanders
- II. Ordnungen des Raumes: Nationalstaat und Modernisierung
- III. Entdeckung des kolonialen Raumes
- IV. Lebensraum: Bewegungsgesetze und Bodenhaftung
- V. Vom Territorium zum Deutschen Raum
- VI. Großraum: Ordnungen nach Rasse und Raum
- VII. Fazit: Das Ordnen von Räumen
Inhalt
Im ersten Kapitel
setzt sich die Autorin mit dem Raumverständnis auseinander, das
inzwischen zum Bestandteil der sozialwissenschaftlichen Forschung
gehört und den „spatial turn“ in den Sozialwissenschaften
eingeleitet hat. Dabei werden die klassischen Protagonisten der
Raumdiskussion des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts herangezogen, die vor allem die soziologische und
philosophische Raumdiskussion bestimmt haben. Die vor allem von
Malthus bestimmte Debatte um das Verhältnis von Raum und
Bevölkerung spielt dabei eine zentrale Rolle wie auch Foucaults
Bio- und Raumpolitik. Die konstruktivistische Debatte um den Raum,
die vor allem in der letzten Zeit von der Sozialgeographie (Benno
Werlen) angestoßen wurde hat zwar ihren Ursprung bereits in der
Frühen Neuzeit, hat aber Ende des 19. Jahrhunderts mit dem
Geographen Friedrich Ratzel eine neue Perspektive erfahren:
der politische Raum ist nicht nur eine Lebensform, sondern ist eine
Kategorie des Lebens selbst.
Die Autorin setzt sich dann
ausführlich mit den Territorialitätsvorstellungen in Deutschland im
19. und 20. Jahrhundert auseinander, auch mit der Kolonialpolitik.
Sie stellt dabei fest, dass sich bereits im 19. Jahrhundert
Wahrnehmungsmuster des beengten Territoriums breitmachen, die ihre
Grundlage in der zunehmenden Urbanisierung und Verstädterung im Zuge
der Industrialisierung haben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
fokussiert die Debatte um die „natürlichen Daseinsgrundlagen“
(Ratzel), um sich dann Ende der 20er Jahre des vorigen
Jahrhunderts in der Diskussion um das „Volk ohne Raum“
(Hans Grimm) zuzuspitzen. Im Nationalsozialismus wird dann
dieses Buch zur Grundlage einer Raumordnungspolitik, deren Ziel die
rassische Homogenisierung des Deutschen Raums war.
Dies
zeichnet U. Jureit genau nach und belegt es mit historischen
Quellen und der dazu gehörenden Literatur.
Im zweiten
Kapitel geht es um die Ordnungen des Raumes im Zuge der
Nationalstaatsbildung und der Modernisierung. Dabei spielt die
Kartographie eine zentrale Rolle, zumal es notwendig wird, Gebiete
darstellen zu können und sie bietet eine Grundlage für das
Verständnis, wem was gehört. Als historisches Beispiel gilt der
Autorin Melchior Lorichs, der eine Elbkarte entwickelte.
Die Modernisierung kann vielleicht auch im Wandel der politischen Raumvorstellungen nachgezeichnet werden, die sich vom Ort zum Territorium (35) vollzieht. Der Wandel von personaler Herrschaft zum „Anstaltstaat“ (Max Weber) macht diesen Prozess ebenfalls deutlich. U. Jureit bezieht auch sich auf veränderte Reisebedingungen und -darstellungen im 17. Jahrhundert und zitiert eine Studie zur venezianischen Staatsbildung.
In der
Frühen Neuzeit kommt es zu Praktiken der Vermessung und
territorialen Markierung des Herrschaftsgebietes als Grundlage für
die Entwicklung des institutionellen Flächenstaats, der auch um eine
„Policey“ bemüht war, die sich auf die Sicherung des
Gemeinen Besten bezieht. So geht es z. B. nach J. H. G. von Justi
darum, die innerliche Verfassung des Staates so einzurichten, dass
die Wohlfahrt der einzelnen Familien mit dem allgemeinen Besten
übereinstimme.
Diese Veränderungen des Verständnisses
vom Raum im Zuge der Entstehung von Flächenstaaten zwischen dem 16.
und 18. Jahrhundert werden von der Autorin ausführlich beschrieben
und begründet.
Mit der verstärkten Urbanisierung kommt
es zu einer Verdichtung im Raum und gleichzeitig wird Raumschwund zu
einem Thema. Dazu kamen die technischen Errungenschaften von
Eisenbahn und Schifffahrt, die nicht nur zu einer Beschleunigung
beitrugen, sondern auch zu einem „Zusammenrücken“ von
entfernten Orten.
Die Entwicklung von
Nationalstaaten, insbesondere die Entstehung des deutschen
Nationalstaats führt zu einer Fokussierung allen Verständnisses vom
Staat auf die Nation. Dem folgte auch die Geschichtsschreibung. Dies
begründet U. Jureit in ihrem dritten Kapitel.
Und Kolonialisierung war auch „Missionierung“ im Sinne
eines derartigen Nationalverständnisses. So kann U. Jureit in
der ausführlichen Beschreibung der Kolonialisierung zusammengefasst
interpretiert werden. Es ging um die Übertragung des europäischen
Territorialprinzips in eine Welt, die dieses Prinzip noch nicht
kannte. Dabei wurde das europäische Staatsmodell nur reduziert
übertragen, zumal die in Europa geltenden Freiheits- und
Individualrechte der bürgerlichen Gesellschaft in den Kolonien nicht
realisiert wurden.
Weiter beschreibt
die Autorin ausführlich, facettenreich und detailliert Praktiken
kolonialer Grenzziehungen als Versuch das europäische
Territorialprinzip in den kolonialen Besitz zu übertragen.
Kapitel IV
setzt sich mit dem Begriff Lebensraum auseinander.
Zunächst geht es um
die Biologisierung des Raumes. Da wird auch eine Großstadtkritik
deutlich, die in der Urbanisierung und Industrialisierung und der
damit verbundene Verdichtung und Verengung von Bewegungsräumen das
Grundübel der Moderne sieht. Kolonialisierung als Auflockerung der
Verdichtung?
Biologisierung wird auch in Anlehnung an
Ratzel verstanden als Biologisierung des Staates. Der Staat
als Organismus? Der Staat als Verhältnis des lebendigen Volkes mit
dem starren Boden (Ratzel)? Die Autorin setzt sich kritisch
mit diesem Verständnis auseinander und führt dazu noch andere
Protagonisten an, die das damalige Ratzel„sche Verständnis
mit Studien unterstützen.
Es geht dann um den Kampf um
Raum. U. Jureit erläutert auch an Darwins Theorie,
welches Verständnis des Kampfes um Raum gemeint ist und mit dem sich
andere Zeitgenossen teilweise bestätigend, teilweise kritisch
auseinandersetzen.
Der Begriff des Lebensraums – so U.
Jureit – ist zunächst kein sozial- oder
bevölkerungswissenschaftlicher Begriff; er kommt eher aus der
Botanik, wo es um den „Lebensraum der Sumpfdotterblume, der
Wachholderdrossel oder Riesenschildkröte“ geht (148). Für
Ratzel allerdings ist Wanderung die Grundbedingung jeden
Lebens – Wanderung über den Lebensraum hinaus – also
kolonialisierend. So wird Kampf ums Dasein Kampf um Raum. Und so wird
die Biologisierung politischen Handelns zur Legitimationsgrundlage
imperialer Expansionspolitik; gleichzeitig werden wissenschaftliche
Legitimationsdiskurse mit derartigen Argumenten untermauert.
Vom Territorium zum
Deutschen Reich – das Kapitel V setzt sich mit der Raumpolitik
Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg auseinander. So genannte
„Räume des Übergangs“ wie die deutsche Herrschaft in Ober
Ost wurden mit der Vorstellung verbunden, vor allem nach Ost- und
Südosteuropa zu expandieren. Der Erste Weltkrieg sollte Instrument
und Gelegenheit sein, dieses Konzept zu realisieren. U. Jureit
setzt sich mit dieser Expansionspolitik auseinander.
Ober
Ost – das waren die Gebiete Kurland, Litauen und Bialystok-Grodno,
die militärisch annektiert wurden und wo – so die Autorin – ein aus
kolonialen Grundüberzeugungen, autoritärem Herrschaftsvorstellungen
und situativer Improvisationspragmatik (163) bestehendes Regime
errichtet wurde. Es ging auch um Kulturmission, die Annektierung
wurde wie die Kolonialisierung in Afrika als legitim erachtet. Und es
ging um die Kultivierung der Landwirtschaft und um die Hebung des
Landes durch die Verbesserung infrastruktureller Bedingungen. Mit der
Schaffung solcher Strukturen wuchs der Grad der Legitimation der
Annektierung. Auch dies wird von der Autorin ausführlich und
gründlich beschrieben und an historischen Quellen nachgewiesen.
In ähnlicher Weise werden die Praktiken internationaler
Grenzziehung in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg beschrieben
und mit dem Begriff der völkischen Grundrechtsarten unterlegt. Der
Krieg war verloren, das deutsche Herrschaftssystem scheitere 1918 -
es folgte ein „politischer, ökonomischer, gesellschaftlicher
und auch ideologischer Bankrott“ (179). Es folgte eine räumliche
Neuordnung in Europa als Folge des verlorenen Kriegs, die kenntnis-
und facettenreich beschrieben wird und in ihren Verzweigungen und
Verästelungen analysiert wird. Vor allem folgte eine neue Sicht auf
den leeren Raum im Osten und man musste sich nicht nur mit
Gebietsverlusten abfinden, sondern auch mit der veränderten
Situation als Kriegsverlierer. Dies wird am Beispiel von
Oberschlesien ausführlich erörtert.
Im Weiteren geht es
um Volk ohne Raum, um die „Besichtigung eines klaustrophobischen
Lebensgefühls“ wie U. Jureit dies ausdrückt. Der
dominierende Raumdiskurs beschäftigte sich u. a. mit der Frage einer
„Wissenschaft von der politischen Lebensform im natürlichen
Lebensraum“ (Haushofer). Haushofer war wohl eine
zentrale Figur in dieser Debatte, schreibt die Autorin und hat mit
seiner Zeitschrift für Geopolitik die Diskussion bestimmt. Die
ökonomischen Strukturbedingungen am Ende der 1920er Jahre haben
diese Diskussion mit befördert. Binnenwanderung, Landflucht und
Massenarbeitslosigkeit haben immer wieder den Diskurs angefacht, der
sich um Volk und Raum drehte.
Die rezensionsartige sehr
kritische Auseinandersetzung U. Jureits mit dem Roman von Hans
Grimm: „Volk ohne Raum“ fördert eine ideologische
Auseinandersetzung im Kleid eines Romans zutage. Dieses Buch stand in
vielen Bücherschränken der älteren Generation und auch in der
Familie des Rezensenten stand es. Er hat es als Oberprimaner
unkritisch gelesen, gut gefunden, sich dann nicht mehr damit
beschäftigt; und jetzt nach dem kritischen Blick von U. Jureit
auf diesen Roman wird ihm alles sehr viel klarer. Es ist eine
Auseinandersetzung der Agrar- mit der Industriegesellschaft im Milieu
eines Bauernsohnes aus dem Weserbergland, der angesichts der
Veränderung zu einer anderen Gesellschaft die natürliche Ordnung
seines Milieus bedroht sieht. U. Jureit gelingt dabei eine
wunderbare Analyse dieses Romans im Kontext ihrer
Argumentationsketten ihres gesamten Buches. Der Roman wurde dann ja
auch zur Grundlage einer Raumpolitik des Nationalsozialismus, was U.
Jureit an Hand verschiedener Äußerungen und Feststellungen
Adolf Hitlers in seinen Schriften und Reden nachweist.
Im Kapitel VI
geht es der Autorin um die Ordnungen nach Rasse und Raum, um den
Begriff des Lebensraums als rassische Ordnung. Es ging um ein
rassisch homogenes Territorium und um eine Bodenpolitik, die auf die
territoriale Erweiterung eines rassisch homogenen Staates abzielt. Es
ging nach 1933 um ein innenpolitisches Projekt der Neuordnung der
Gesellschaft nach rassischen Grundsätzen. U. Jureit belegt
diese Politik mit einer Reihe von Gesetzesinitiativen und Programmen
der Nationalsozialisten, die auf die Neubildung des deutschen
Bauerntums und auf die Aufartung des deutschen Blutes“ u. ä. m.
abzielten. Z. B. wurde der Gemeinschaftsgedanke zusammen gebracht mit
einer hierarchischen Ordnung innerhalb der Gemeinschaften und der
Gemeinschaften zu anderen.
Die Autorin setzt
sich auch mit den Protagonisten einer nationalsozialistischen
Raumordnungspolitik auseinander, die „wissenschaftliche“
Argumente lieferten für die Siedlungs- und Raumplanung. Der Begriff
des Lebensraums wurde so allmählich an ein rassenbiologisches
Neuordnungsprogramm gekoppelt und wurde abgelöst von seinem
ursprünglichen geographischen und geopolitischen
Bedeutungsgehalt.
Die Autorin beschäftigt sich dann mit
der räumlichen Betrachtung des Hitler-Stalin-Paktes. Bei diesem Pakt
ging es zunächst um Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, weniger um
den Raum oder um territoriale Ansprüche. Beide Seiten waren aber
bestrebt, die dazu gewonnenen Territorien in den Staat einzuverleiben
und sich staatrechtlich an den Deutschland oder die Sowjetunion zu
binden. Dabei hat die sowjetische Seite eine Homogenisierung
Ostpolens nach Klassengrundsätzen im Auge, während Deutschland eine
völkisch-rassische Ordnungspolitik bei der Eingliederung der
Ostgebiete betrieb. Dies führte dann auch u. a. zu einer Vertreibung
von Juden und Polen aus den annektierten Gebieten Westpolens und zu
anderen Prozessen, die die Autorin ausführlich beschreibt.
Des Weiteren setzt sich U. Jureit kritisch mit Carl
Schmitt auseinander, der das Ende der Staatlichkeit oder der
Verfasstheit vom Staat verkündete, weil andere völkerrechtliche
Prinzipien Geltung erhielten. „Unsere Grenze ist das Blut“
signalisiert diese Veränderungen. Der Staatsbegriff wird durch den
Volksbegriff ersetzt. Der Einfluss Schmitts auf diese Debatte
- so die Autorin – darf dabei nicht unterschätzt werden. Sein
Einfluss auf die Staatsrechtslehre war beträchtlich und U. Jureit
schildert an Hand einiger Beispiele, wie auch die Jurisprudenz durch
die Ideen Schmitts beeinflusst wurde.
In ihrem Fazit
(Kapitel VII) setzt sich die Autorin noch einmal mit dem
„Ordnen von Räumen“ auseinander.
Das Ordnen von
Räumen gewinnt mit dem Aufstieg der Raumplanung den Charakter einer
Herrschaftsstrategie; die territorialen Ordnungsvorstellungen wurden
allerdings während der nationalsozialistischen Herrschaft immer
wieder revidiert und verändert. Ziel blieb aber eine rassisch
orientiere Raumordungspolitik mit der Folge der Vertreibung,
Vernichtung und Umsiedlung der unerwünschten Rassen. Das – so U.
Jureit – ist der Unterschied zur kolonialen Politik. Gleichwohl
ist festzustellen, dass der Boden für eine Territorialisierungs- und
Raumpolitik bereits in den 1920er Jahren bereitet wurde. Territoriale
Ordnungsvorstellungen erschöpfen sich nicht nur in
Staatsbildungsprozessen, vielmehr wird das Ordnen von Räumen als
symbolische, aber auch machtpolitische Aneignungspraxis verstanden.
Auch dass im 19. und 20. Jahrhundert Raumkonzepte nicht nur als
nationalstaatliche Konzepte begriffen werden können, verweist auf
die Komplexität von Raumkonzepten und des Verständnisses des Raums
als Kategorie. Vor allem aber lassen sich wissenschaftliche
Raumordnungskonzepte nicht mit den Praktiken räumlichen Ordnens
verklammern (390). In der Auseinandersetzung mit der
nationalsozialistischen Raumordnungspolitik stellt sich heraus, dass
die rassische Homogenisierung von Räumen koloniale und imperiale
Strategien der Sicherung von Herrschaft auf den kritischen Prüfstand
stellt. Grundsätzlich sagt U. Jureit bedienten sich die
nationalsozialistischen Wahrnehmungs- und Herrschaftsmuster einer
kolonialen Rhetorik, die dann in den Begriff der Fremdherrschaft
einfließen; die Besetzung fremden Landes hat Struktur- und
Handlungsfolgen, die dann schließlich im Begriff der Fremdherrschaft
und ihrer Sicherung ihren Fokus haben.
Die gescheiterte
Expansions- und Raumpolitik des NS-Regimes, die am Ende zur
Vernichtung der Fremden führte, und die nicht einlösbare Formel vom
Lebensraum als den Versuch einer totalen Neuordnung zu einem
völkisch-rassisch homogenen Raums ließ nur noch eine Wahl: der
Übergang zum systematischen Massenmord.
Das Buch endet mit einer sehr ausführlichen Literaturliste und einem Anhang. Außerdem liegt ein Heft bei, das historische Karten und Abbildungen enthält, auf die auch im Text anschaulich hingewiesen wird.
Diskussion
Das Buch ist ein dichtes, facettenreiches und mit unzähligen Quellen versehenes Werk, das in der Komplexität der Argumentationsstränge und vielfältigen Detailanalysen kaum zu überbieten ist. Die vertiefenden Anmerkungen könnten ein eigenes Quellenkompendium sein. Kann eine hier vorgelegte Rezension diese Komplexität überhaupt vermitteln?
U. Jureit ist es gelungen, eine Diskussion um die Ordnung von Räumen in Gang zu setzen, die eigentlich in die historische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus – und seinen Folgen bis heute? – gehört. U. Jureit schafft es aber, die historische Debatte aufzubrechen, um sie mit den sozial- und kulturwissenschaftlichen Raumdebatten zu verbinden. Dadurch entsteht ein Raum- und Ordnungsverständnis, dass sich nicht nur auf Territorialität und ihre historische Entwicklung bezieht, sondern auf ein Verständnis, das die Dialektik vom Raum und den in ihm handelnden Akteuren in den Blick nimmt.
Die ausführlichen Beschreibungen und Analysen und die intensive Beschäftigung mit den Quellen macht dieses Buch zusammen mit den dazugehörenden Argumentationslinien zu einem herausragenden Werk, das nicht nur vermittelt, was die nationalsozialistische Raumordnungspolitik ausgemacht hat, sondern was bereits früher angelegt und diskutiert wurde und was den Boden bereitet hat für das, was dann nationalsozialistische Raumpolitik wurde.
Fazit
Ein Buch, das sich alle die aneignen sollten, die sich nicht nur mit dem Raumbegriff beschäftigen, sondern auch kritisch danach fragen, was die Raumpolitik des Nationalsozialismus ausgemacht hat und was sich nicht wiederholen sollte!
Rezension von
Prof. Dr. Detlef Baum
Professor em.
Arbeits- u. Praxisschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit, Soziale Stadt, Armut in der Stadt
Forschungsgebiete: Stadtsoziologie, Stadt- und Gemeindeforschung, soziale Probleme und soziale Ungleichheit in der Stadt
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Zitiervorschlag
Detlef Baum. Rezension vom 27.11.2012 zu: Ulrike Jureit: Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburger Edition (Hamburg) 2012. ISBN 978-3-86854-248-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13583.php, Datum des Zugriffs 18.04.2021.
Urheberrecht
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