Miriam Haagen, Birgit Möller: Sterben und Tod im Familienleben
Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 24.09.2013

Miriam Haagen, Birgit Möller: Sterben und Tod im Familienleben. Beratung und Therapie von Angehörigen von Sterbenskranken.
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2013.
ISBN 978-3-8017-2268-5.
Praxis der Paar- und Familientherapie ; Bd. 7.
Thema
Ein Todesfall bzw. das Sterben eines Familienmitglieds ist stets mit großen Belastungen für die Beteiligten verbunden, führt nicht selten zu heftigen Irritationen des familiären Gleichgewichtes und zu Traumatisierungen. Zwar sind diese Tatsachen inzwischen hinlänglich bekannt, die Angehörigen werden jedoch bis heute kaum systematisch mit einbezogen in den Abschiedsprozess und leiden oft lange unter daraus resultierenden Folgen. Hier setzt der vorliegende Band von Miriam Haagen und Birgit Möller an zum einen mit der Vermittlung von Hintergrundwissen zu Verlust- und Trauererfahrungen, zur Psychodynamik und zur Gestaltung von Abschiedssituationen in Familien. Ausgehend von eigenen therapeutischen Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Trauerprozessen wird hier auch die Perspektive der Selbstreflexion mit einbezogen.
Autorinnen
- Miriam Haagen ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Psychotherapeutin, arbeitet in eigener Praxis in Hamburg. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte betreffen u.a. tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sowie Kinder körperlich kranker Eltern.
- Birgit Möller ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin, arbeitet an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte betreffen Kinder und Jugendliche mit Problemen der geschlechtlichen Entwicklungen sowie die Begleitung von Kindern krebskranker Eltern.
Aufbau
Der Band umfasst gut 150 Textseiten, vier Schwerpunktbereiche und ist in fünf Kapitel aufgeteilt.
Inhalt
In ihrer Einführung begründen die Autorinnen ihre thematische Schwerpunktsetzung im Band zum einen mit der Hinwendung unterschiedlicher Berufsgruppen zur Begleitung von trauernden und traumatisierten Familien und zum anderen mit der zunehmenden Bereitschaft von Betroffenen bei der Suche nach therapeutischer Unterstützung. Die Sehnsucht nach einem guten Abschied mit intensivierten Kontakten ist gut verstehbar und ist gleichzeitig ein Risiko bezüglich der damit verbundenen Belastungen.
Verlusterfahrungen bei Erwachsenen stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Hier stellen die Autorinnen aktuelle Forschungsergebnisse vor zu bedeutsamen Facetten des Themas wie Trauermodelle, Trauerforschung, jeweils mit Blick auf familiäre Verlusterfahrungen bei Erwachsenen wie Partnerverlust oder Verlust eines Kindes.
Im dritten Kapitel geht es um Verlusterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen. Mit der Vorstellung von entwicklungspsychologischen Grundlagen und altersabhängigen Reaktionen auf Verlust bzw. Tod zeigen die Autorinnen große einschlägige Kompetenzen anhand von Fallverläufen auf. Die Varianten und die Intensität kindlicher Trauerprozesse verdeutlichen in besonderer Weise die wichtige Aufgabe hilfreicher Begleitpersonen.
Familienorientiertes Arbeiten am Lebensende ist ein zentrales Anliegen dieses Buches, das im vierten Kapitel inhaltlich näher ausgeführt wird. Anhand von Beispielen aus palliativen Situationen verdeutlichen die Autorinnen ihre Ansätze für die Einbeziehung von Angehörigen in medizinische Praxisfelder. Hier wird besonderes Augenmerk gelegt auf kommunikationsbezogene Elemente, auf Rituale und abschiedsbezogene Themen sowie auf spezifische Aspekte wie verwitwete Väter und Mütter, verwaiste Eltern oder weiterlebende Geschwister sowie neue Partner. Die den Fallszenen vorangestellten Kurz-Überschriften sind treffend und vermitteln Einblicke in ein breites Spektrum von Erfahrungen.
Mit dem fünften Kapitel nehmen die Autorinnen einen Perspektivenwechsel vor und widmen sich Erfahrungen, Erlebnisse[n] und Empfindungen des Therapeuten im Umgang mit Schwerstkranken und Trauernden. Dieses Kapitel beschreibt und reflektiert die emotionalen Prozesse der Profis und die Notwendigkeit der interdisziplinären Kommunikation unter Einbeziehung der Selbstfürsorge.
Zielgruppen
Dieser Band richtet sich vor allem an therapeutisch tätige Berufsgruppen, die mit Sterbenden und ihren Angehörigen in Kontakt kommen. Thematisch geeignet ist er prinzipiell auch darüber hinaus für einen interprofessionellen Zugang.
Diskussion
Mit diesem Band machen die Autorinnen aufmerksam auf die Belastungen der gesamten Familie bei schweren Krankheits- und Trauerprozessen sowie bei Traumatisierungen und zeigen gezielt Möglichkeiten für therapeutische Zugänge zur Bewältigung auf. Allerdings ist die medizinisch-therapeutisch dominierte Ausrichtung des Bandes unübersehbar. In Würdigung dieser therapeutischen Arbeit gibt es gleichwohl weitere Berufsgruppen und auch Ehrenamtliche, die in der Begleitung von Betroffenen und ihren Angehörigen wichtige Funktionen übernehmen. Kritisch anzumerken und unverständlich angesichts von zwei Autorinnen ist die männliche Sprachregelung („Der Therapeut“). Weiterhin fehlt es dem Buch fehlt an einer positiven interprofessionellen Grundhaltung, wie sie beispielhaft durch die international anerkannte Arbeit von Cicely Saunders eingeführt wurde und die auch aus der Definition der WHO von Palliative Care hervorgeht.
Fazit
Insgesamt ist es ein kompaktes Buch mit einer guten Mischung theoriebezogener Bausteine aus Entwicklungspsychologie, Trauer- und Verlustforschung und Sequenzen aus Praxissituationen. Die wissenschaftlichen Vertiefungen sind geschickt kombiniert mit gut lesbaren Beispielen aus der Praxis der Autorinnen, mit nachvollziehbaren Einblicken in Gesprächs- und Beratungssituationen und Anregungen zur professionellen Reflexion. Kritisch anzumerken ist, dass sich das Buch ausschließlich an therapeutische Berufsgruppen der Medizin, Psychologie bzw. Psychotherapie richtet. Gerade in palliativen Situationen haben Pflegefachkräfte die häufigsten Gesprächskontakte mit den Betroffenen, dieser Hinweis fehlt vollständig. Beratung, Gespräche und Begleitungen sind interprofessionelle Aufgaben und nicht exklusive einzelner Berufsgruppen.
Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
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