Albert Scherr: Diskriminierung
Rezensiert von Prof. Dr. rer. pol. Gülcan Akkaya, 04.06.2013
Albert Scherr: Diskriminierung.
Centaurus Verlag & Media KG
(Freiburg) 2012.
61 Seiten.
ISBN 978-3-86226-129-1.
D: 5,80 EUR,
A: 5,80 EUR,
CH: 7,00 sFr.
Reihe: Centaurus pocket apps - 14.
Thema
Der Autor thematisiert die Erscheinungsformen und die Ursachen von Diskriminierungen. Trotz des Grundsatzes, dass niemand aufgrund der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung, der Religionszugehörigkeit, als Migrant/in, aufgrund der politischen Überzeugung oder einer Behinderung benachteiligt werden darf, zeigen sich in der Praxis Widerstände und Schwierigkeiten. Umso wichtiger ist es, sich mit den Ursachen der Diskriminierungen zu befassen. In seiner Publikation stellt der Autor Überlegungen an, die als Grundlage für Praktiken und Strategien gegen Diskriminierung bedeutsam sind.
Autor
Prof. Dr. habil. Albert Scherr lehrt und forscht am Institut für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. In zahlreichen Buchveröffentlichungen, Forschungsberichten und in Fachbeiträgen hat der Autor sich mit den unterschiedlichen Aspekten der Diskriminierung befasst. Prof. Dr. Albert Scherr ist Mitglied des Herausgebergremiums der Zeitschrift „Soziale Arbeit“ und Redaktionsbeirat der Zeitschrift „Sozial Extra“. Zudem engagiert er sich als Vorstandsmitglied im Komitee für Grundrechte und Demokratie sowie als Vertrauensdozent der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Aufbau und Inhalt
Die vorliegende Publikation "Diskriminierung" thematisiert das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Diskriminierung entsteht durch Unterscheidungen, die Differenzen in Ungleichheiten verwandeln, so zum Beispiel zwischen Einheimischen und Zugewanderten, religiösen und ethnischen Gruppen, Frauen und Männern, Menschen mit Behinderungen und Nicht-Behinderten, Heterosexuellen und Homosexuellen usw. Diese Unterschiede werden behauptet und ermöglichen und rechtfertigen so Benachteiligungen. Diskriminierung markiert die Grenze zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten, zwischen Normalität und unerwünschter Abweichung.
Die Publikation diskutiert folgende Aspekte.
- Einleitende Beobachtungen
- Alle verschieden, alle gleich?
- Was heißt Diskriminierung?
- Zugehörigkeitskonflikte und Positionskämpfe
- Vorurteile als Bestandteil sozialer Konflikte
- Die selbsterfüllende Prophezeiung
- Rassenkonstruktionen und andere Konstruktionen
- Diskriminierung aufgrund guter Absichten
- Diskriminierung der Strukturen und Organisationen
- Fortschritte und Ausblendungen
- Und die Armut in den reichen Nationen?
- Perspektiven
Der Autor veranschaulicht in einleitenden Beobachtungen anhand seiner und anderer Studien Diskriminierungen, Ressentiments und Vorurteile an konkreten Beispielen.
Der Anspruch "Alle verschieden alle gleich?“ ist von zentraler Bedeutung für moderne Gesellschaften, um ein Zusammenleben freier und gleicher BürgerInnen zu ermöglichen. Gleiche Rechte und gleiche Chancen sollen in modernen Gesellschaften für alle Menschen gewährleistet sein. Anhand von rechtlichen Grundlagen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, des deutschen Grundgesetzes sowie des deutschen Gleichbehandlungsgesetzes und der Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union diskutiert der Autor das Diskriminierungsverbot. Auch im europäischen und deutschen Recht wird ein Maßstab gesetzt, der zu kritischen Betrachtungen der gesellschaftlichen Realität herausfordert.
Darauf aufbauend definiert der Autor den Begriff der Diskriminierung. Diskriminierung basiert auf der gesellschaftlichen Verwendung kategorialer Unterscheidungen, mit denen soziale Gruppen und Personen gekennzeichnet werden und die zur Rechtfertigung gesellschaftlicher, ökonomischer, politischer, rechtlicher und kultureller Benachteiligung dienen. Den diskriminierten Personen wird der Status des gleichwertigen und gleichberichtigten Gesellschaftsmitglieds abgesprochen. Ihnen werden die grundlegenden Menschenrechte vorenthalten. Diskriminierung dient der Begründung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Ungleichheiten sowie der Aufrechterhaltung von Normalitätsvorstellungen.
Anhand von Zugehörigkeitskonflikten und Positionskämpfen unterscheidet der Autor zwei Prozesse der Diskriminierung. Bei der Regulierung von Zugehörigkeit stelle sich die Frage, wer als legitimes Mitglied eines sozialen Zusammenhanges, des Nationalstaates oder einer Organisation gelten kann. Die Zugangsbeschränkungen erzeugen Diskriminierung. In Zusammenhang mit Konflikten stelle sich die Frage, welche soziale Position einer Gruppe in der Gesellschaft zugestanden wird und ob sie berechtigt ist, auch privilegierte Positionen einzunehmen. Dadurch wird Diskriminierung Bestandteil von Positionskämpfen.
Bezugnehmend auf die Studie von Norbert Elias und John L. Scotson (1965), die aufgezeigt haben, dass Vorurteile Bestandteil sozialer Konflikte sind, diskutiert der Autor Vorurteile in Anlehnung an den amerikanischen Soziologen Robert K. Merton (1949), der die Wirkungsweise von Vorurteilen als „selbsterfüllende Prophezeiung" beschreibt.
Am Begriff Rassismus verdeutlicht der Autor, dass die Konstruktionen von Rassenunterschieden selbst Bestandteil von Rassismus sind. Diese Kategorien und Unterscheidungen sind zu hinterfragen. Der Autor zeigt auf, dass Vorurteile Folge gesellschaftlicher Strukturen und Ideologien sind.
Daran anknüpfend beschreibt der Autor die strukturelle bzw. institutionelle Diskriminierung. Diskriminierung ist nicht nur eine Folge individueller Einstellungen und Handlungen. Auch gesellschaftliche, ökonomische, politische und rechtliche Strukturen können zur Verfestigung von Benachteiligungen führen. Diskriminierende Zugangsbeschränkungen werden in Betrieben, Schulen, Verwaltungen und Organisationen praktiziert.
Abschließend zieht der Autor Schlussfolgerungen aus den Erfolgen und Misserfolgen der Auseinandersetzungen um unterschiedliche Formen der Diskriminierung. Die Überwindung unterschiedlicher Ausprägungen von Diskriminierung werde inzwischen in der Europäischen Union wie auch in Deutschland als politische Aufgabe und rechtliche Herausforderung anerkannt. Dies sei zweifellos ein Fortschritt. Dennoch seien die Ausblendungen des staatlich-politischen und rechtlichen Antidiskriminierungsdiskurses nicht zu übersehen. Neben der rechtlichen Bekämpfung der Diskriminierung sind zivilgesellschaftliche Initiativen, Projekte, Aktionen, politische Maßnahmen und Lernprozesse in Institutionen, in der öffentlichen Verwaltung und in Bildungseinrichtungen von zentraler Bedeutung. Unabdingbar sei zudem eine gerechte Gestaltung gesellschaftlicher Institutionen, die allen Menschen angemessene Teilhabechancen ermöglicht.
Diskussion
Der Autor zeigt auf anschauliche Weise die unterschiedlichen Formen der Diskriminierung und Maßnahmen zu deren Bekämpfung auf. Anhand von konkreten Beispielen veranschaulicht er die Erscheinungsformen und Ursachen der Diskriminierung. Der Autor greift ein breites Spektrum unterschiedlicher Bereiche von Diskriminierung auf. Die vorliegende Publikation gibt einen guten Einstieg in die Thematik der Diskriminierung und kann als eine allgemeine Einführung in die verschiedenen Formen der Diskriminierung in Bildungseinrichtungen, in der Lehre und in Institutionen genutzt werden. Der Text ist in einer verständlichen Sprache verfasst, die auch für interessierte Laien problemlos nachvollziehbar ist. Der Autor behandelt die Thematik sehr kompakt auf 58 Seiten. Es gelingt ihm, ein komplexes Thema verständlich darzustellen.
Fazit
Der Autor thematisiert die unterschiedlichen Formen der Diskriminierung: ethnische Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und von Armut betroffene Personen. Er resümiert, dass es in vielen Fällen nicht einfach sei, zwischen den Folgen sozialer Ungleichheit und Formen von Diskriminierung zu unterscheiden. Die Überwindung von Diskriminierung und der Abbau sozialer Ungerechtigkeiten sind daher einander notwendig ergänzende und ineinander verschränkte Aufgaben.
Rezension von
Prof. Dr. rer. pol. Gülcan Akkaya
M.A. Social Work and Human Rights, Diplom-Sozialarbeiterin, Dozentin & Projektleiterin an der Hochschule Luzern-Soziale Arbeit
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Es gibt 5 Rezensionen von Gülcan Akkaya.
Zitiervorschlag
Gülcan Akkaya. Rezension vom 04.06.2013 zu:
Albert Scherr: Diskriminierung. Centaurus Verlag & Media KG
(Freiburg) 2012.
ISBN 978-3-86226-129-1.
Reihe: Centaurus pocket apps - 14.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13650.php, Datum des Zugriffs 09.09.2024.
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