André Christian Wolf, Annette Zimmer: Lokale Engagementförderung
Rezensiert von Dr. Armin König, 01.10.2012
André Christian Wolf, Annette Zimmer: Lokale Engagementförderung. Kritik und Perspektiven.
Springer VS
(Wiesbaden) 2012.
182 Seiten.
ISBN 978-3-531-18585-9.
D: 24,95 EUR,
A: 25,70 EUR,
CH: 31,50 sFr.
Reihe: Bürgergesellschaft und Demokratie - Band 38.
Thema
Die Bundesregierung hat im Oktober 2010 erstmals eine nationale Engagementstrategie beschlossen. Vorausgegangen war ein Programm unter der Überschrift "Miteinander - Füreinander", das „darauf abzielte, die Rahmenbedingungen für Eigeninitiative zu verbessern und die Wertschätzung Bürgerschaftlichen Engagements in der Öffentlichkeit zu erhöhen“. (5) Im Rahmen dieses Programm lief das Forschungsprojekt "Ausbau, Umbau, Rückbau? – Bestandsaufnahme, Evaluation und Weiterentwicklung der Infrastruktur lokaler Engagementpolitik". Bearbeitet wurde es vom Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms Universität Münster und dem Zentrum für Nonprofit-Management.
Herausgeberin und Herausgeber
Dr. Annette Zimmerist Professorin für vergleichende Politikwissenschaft und Sozialpolitik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster. Sie ist eine der führenden Engagement-Forscherinnen Deutschlands.
Dr. André Christian Wolfarbeitet als Projektmanager bei der Regionale 2016 Agentur GmbH in Velen.
Aufbau und Inhalt
Im ersten Kapitel werden das Forschungsinteresse und die Anlage und Zielsetzung der Untersuchung beschrieben. Festgestellt wird, dass die Förderung bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe. So sollen Freiwilligen-Agenturen und Mehrgenerationenhäuser, Seniorenbüros und Bürgerstiftungen aktive Einwohnerinnen und Einwohner beraten, informieren und qualifizieren. Als weitere Einrichtungen kommen Stadtteilbüros, Lokale Bündnisse für Familien und Selbsthilfekontaktstellen hinzu. Ergänzt werden diese durch eine Vielzahl fördernder kommunaler Einrichtungen. Wie die Autoren feststellen, gibt es derzeit in Deutschlands auf lokaler Ebene mehr als 2000 Einrichtungen, Agenturen und Anlaufstellen. An der Förderung freiwilligen Bürgerengagements herrscht also kein Mangel. Allerdings stellen Zimmer und Wolf auch fest, dass die Strukturen lokaler Engagementförderung zunehmend unübersichtlich werden. Es geht in der Untersuchung auch um die Frage, welche Einrichtungen „sinnvoll und effektiv miteinander zu vernetzen“ (11) sind.
Im zweiten Kapitel wird der Zusammenhang zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Engagementförderung in Deutschland referiert. Sie hat „eine lange Tradition der Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft“ (15) und kann bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Dargestellt werden an Hand von Literaturrecherchen das politische Engagement und das soziale Engagement in Ländern und Kommunen. „Hierfür wurden Entstehung, Aufgaben und aktuelle Herausforderungen der jeweiligen Einrichtungen unter die Lupe genommen und Thesen zur Zukunft der engagementfördernden Infrastruktur generiert.“ (14) Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „die Infrastruktureinrichtungen jeweils vor einem bestimmten Zeit- und Problemkontext entstanden sind und insofern in ihren Zielsetzungen und Adressatengruppen auch jeweils zeitspezifische Diskurse reflektieren“. (39)
Das dritte Kapitel liefert einen Überblick über unterschiedliche Typen der Engagementförderung. Sie werden detailliert beschrieben von der Entstehung und Entwicklung bis zu aktuellen Herausforderungen.
Im vierten Kapitel berichten Zimmer und Wolf über Erfahrungen, die die sechs Modellkommunen Syke, Ettlingen, Rheine, Jena, Halle und Frankfurt am Main mit Infrastruktureinrichtungen und lokalen Anlaufstellen zum bürgerschaftlichen Engagement gemacht haben. Auf diese Weise werden Theorie und Praxis in der Studie schlüssig miteinander verbunden.
Brisant ist das fünfte Kapitel „Resümee und Folgerungen“ (165) zur Weiterentwicklung der Engagementförderung vor Ort. Kritisch fragen die Autoren, ob die jeweiligen Infrastruktureinrichtungen noch zeitgemäß sind oder nicht. Außerdem wird die Frage der Nachhaltigkeit thematisiert. Dabei geht es um die zunehmend wichtige Frage, ob die jeweilige Einrichtung in Zeiten knapper Kassen auch ohne finanzielle Subventionen noch lebensfähig ist. Besonderes Augenmerk gilt Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen, Bürgerstiftungen, Lokalen Bündnissen für Familien, Mehrgenerationenhäusern, Stadtteilbüros und kommunalen Stabsstellen für Bürgerengagement. Zimmer und Wolf merken kritisch an, dass es eine hohe Abhängigkeit von öffentlicher Unterstützung und deshalb auch „Angst vor dem Rotstift angesichts der finanziellen Engpässe der Kommunen“ (100) gibt. Ebenfalls kritisch wird gesehen, „dass die Aufgabe der Sicherung der Einrichtungen ausschließlich den Kommunen zugeschrieben wird“ (105), während „der Bund sich um Modellprogramme, die Steuergesetzgebung und die Bereitstellung eines Rahmens zur Abstimmung der Gebietskörperschaften kümmern will.“ (105)
Mutig sind die Thesen von Zimmer und Wolf zur Zukunft der Einrichtungen unter der Überschrift „Wie weiter?“ Die Rolle der Freiwilligen-Agenturen als Trendsetter, Moderatoren und Vernetzungsstellen soll gestärkt werden. Dagegen werden Seniorenbüros als wenig zukunftsfähig eingeschätzt. Sowohl die sehr spezifische Lebensalters-Zielgruppe als auch das generelle Wirken in der bisherigen Form werden infrage gestellt. Deshalb schlagen Zimmer und Wolf für Seniorenbüros „Um- und Rückbau statt Sanierung“ (107) vor. Die Potenziale sollten von anderen Bürger-Einrichtungen übernommen werden. Selbsthilfekontaktstellen werden dagegen als „Musterschüler der Engagementförderung“ angesehen. Ihre Finanzierung stehe „auf einigermaßen sicheren Füßen“ (108). Sie verfügten meist über eigene Räumlichkeiten und würden von der Verwaltungen und anderen Akteuren im Rahmen des Bürgerengagements akzeptiert. Vorgeschlagen wird, „Eigenständigkeit, Image und Vernetzung zu optimieren“ (108) und weitere engagementfördernde Institutionen unter ihrem Dach zu integrieren. Die noch relativ jungen Bürgerstiftungen sollten in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden. Sie könnten aber zu einem „Motor für die Vernetzung von Akteuren vor Ort“ (108) werden. Außerdem sei ihre Fundraisingfunktion auszubauen. Voraussetzung sei, dass sie nicht als Honoratiorenclub aktiv seien, sondern personell breiter aufgestellt würden.
Durchaus kritisch stehen die Autoren zu lokalen Bündnissen für Familien. Davon gibt es in Deutschland über 630. Zu den Akteuren gehören Kommunalpolitik und Verwaltung, lokale Wirtschaft, freie Träger und Einrichtungen, Initiative und Gruppen sowie lokale Institutionen. Durch „freiwilliges Engagement werden Ressourcen für eine neu gestaltete, konkrete Familienpolitik vor Ort gewonnen“ (75), stellen die Autoren fest. Allerdings werden auch Probleme gesehen. Die lokalen Bündnisse für Familien seien "eher Vermittler als Impuls gebende Akteure." Wolf und Zimmer schlagen deshalb vor, lokale Bündnisse für Familien "entweder auslaufen zu lassen oder an einen anderen Akteur anzudocken, dessen Profil und Professionalität innerhalb der Engagementlandschaft klarer und gesicherter ist." (169) Dagegen werden Mehrgenerationenhäuser deutlich positiver bewertet. Sie sollten als „multifunktionales Dach weiter ausgebaut werden." (169) Ebenfalls positiv werden Stadtteilbüros gesehen. Ihre Milieusozialarbeit wird besonders gewürdigt. Dies könne durch andere Einrichtungen in dieser Form nicht geleistet werden. Da sie als sozialer Kitt wirkten, solle der Bestand gesichert werden. Multifunktional sehen die Verantwortung dafür nicht nur bei den Kommunen, sondern auch bei "andere[n] Akteure[n] der engagementfördernden Infrastruktur." (169) Schließlich werden kommunale Stabsstellen für Bürgerengagement als Institutionen der Engagementförderung dargestellt. Sie sollen vernetzen, koordinieren, kooperieren und Governance-Arrangements ermöglichen. Als positiv wird die herausgehobene politische Funktion in der Kommune und der Verwaltung gesehen, als negativ die „große Abhängigkeit von politischen Machtstrukturen“ (93). Zimmer und Wolf zeichnen ein sehr heterogenes Bild dieser Stabsstellen. Sie plädieren dafür, die Servicefunktion dieser Stabsstellen künftig systematisch zu nutzen: „Sie müssen wohl nach innen, das heißt verwaltungsintern, agieren, als auch nach außen. Die Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und die enge Zusammenarbeit mit ebendiesen können die Stabsstellen zu einem wichtigen, auch mächtigen Akteur in der lokalen Engagementförderung werden lassen“ (94), erläutern Zimmer und Wolf. Diese Stabsstellen sollten „nachhaltig etabliert werden“ (169),. Dabei komme es entscheidend auf die Unterstützung durch Bürgermeister und Dezernenten an. Ziel sei eine ressortübergreifende Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements und eine angemessene Ausstattung der entsprechenden Institutionen.
Diskussion und Fazit
„Lokale Engagementförderung – Kritik und Perspektiven“ liefert wichtige Informationen zur aktuellen Situation bürgerschaftlichen Engagements in deutschen Kommunen. Erfreulich klar analysieren Annette Zimmer und André Christian Wolf Stärken und Schwächen der Institutionen. Sie geben klare Empfehlungen, welche Einrichtungen gefördert und gestärkt werden sollen und in welchen Fällen es sinnvoller ist, Institutionen auslaufen zu lassen. Ein empfehlenswertes Buch für Politik und Verwaltungen, die regelmäßig mit Engagementförderung befasst sind.
Rezension von
Dr. Armin König
Bürgermeister der Gemeinde Illingen, Verwaltungswissenschaftler. Dozent an der Fachhochschule für Verwaltung des Saarlandes (FHSV).
Es gibt 24 Rezensionen von Armin König.
Zitiervorschlag
Armin König. Rezension vom 01.10.2012 zu:
André Christian Wolf, Annette Zimmer: Lokale Engagementförderung. Kritik und Perspektiven. Springer VS
(Wiesbaden) 2012.
ISBN 978-3-531-18585-9.
Reihe: Bürgergesellschaft und Demokratie - Band 38.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13686.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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