Forum Rauchfrei (Hrsg.): Politik im Griff der Tabakindustrie
Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 24.07.2012
Forum Rauchfrei (Hrsg.): Politik im Griff der Tabakindustrie.
Eigenverlag
2012.
130 Seiten.
Redaktion: Claudia Schinkoreit, Johannes Spatz, Paul Kubaty, Volker Roth.
Thema
Rauchen und Passivrauchen, darüber sind sich Experten weitgehend einig, gefährden die Gesundheit. Rauchen ist laut Weltgesundheitsorganisation dabei zugleich die wichtigste vermeidbare Einzelursache von Krankheit und Tod. Als Ursache der Tabakepidemie wird an erster Stelle das Verhalten der Tabakindustrie gesehen, deren Strategien zur Durchsetzung ihrer Interessen im Mittelpunkt der vorliegenden Veröffentlichung stehen.
Herausgeber und AutorInnen
„Politik im Griff der Tabakindustrie“ wird vom „Forum Rauchfrei“ (www.forum-rauchfrei.de) herausgegeben. Die im Mai 2000 in Berlin auf Initiative von Dr. Andreas Mappes (ehemals Deutsches Herzzentrum Berlin) und Johannes Spatz (ehemals Bezirksamt Hohenschönhausen) gegründete Vereinigung, deren Mitglieder beziehungsweise AutorInnen sich ehrenamtlich engagieren und beruflich zu einem großen Teil im Gesundheits-, Sozial- oder Bildungsbereich verwurzelt sind oder waren, setzt sich für notwendige Verbesserungen der bestehenden Nichtraucherschutzgesetzgebung und die konsequente Einhaltung sinnvoller Maßnahmen in diesem Bereich ein. Die kritische Auseinandersetzung mit Tabakkonzernen, ihrer Werbe- und Verkaufsstrategie sowie ihrer Einflussnahme auf die Politik gehört zu den Schwerpunkten ihres Handelns. Das „Forum Rauchfrei“ will das rauchfreie Leben zur Selbstverständlichkeit der Gesellschaft machen. Gefordert wird daher ein gesellschaftliches Umdenken in dieser Frage, wobei ein absolutes Rauchverbot an allen Arbeitsplätzen und der Schutz von Kindern und Jugendlichen oberste Priorität haben.
Entstehungshintergrund
Im Rahmen seiner Arbeit legte das „Forum Rauchfrei“ in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe von Publikationen vor, zuletzt 2010 in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin die Schrift „Machenschaften der Tabakindustrie“ (vgl. die Besprechung des Rezensenten unter www.socialnet.de/rezensionen/9648.php). Mit der vorliegenden Publikation setzt die Vereinigung ihr Engagement für ein rauchfreies Leben in der Gesellschaft weiter fort.
Aufbau
Nach der Einleitung (S. 7) enthält die im DIN-A-4-Format veröffentlichte Schrift – unterteilt in vier Kapitel und einen Anhang – die folgenden Beiträge:
1. Beeinflussung der Politik
- Lothar Binding: Weihnachten bei Reemtsma – Zynismus pur (S. 11-14)
- Sonja von Eichborn, Dinah Stratenwerth: Panik in den Chefetagen – Die Klagen der Tabakindustrie gegen Uruguay, Australien und Namibia (S. 15-22)
- Johannes Spatz: Die Tabakindustrie im Kanzleramt (S. 23-30)
- Wolfgang Behrens: Parteispenden – selbstlos oder bestechend? (S. 31-34)
- Dieter Eichinger: Die Körber-Stiftung – Partner für Politik und Tabakindustrie (S. 35-40)
- Johannes Spatz: Kampfansage an die Tabakindustrie – Bericht über den 15. Weltkongress Tabak und Gesundheit (S. 41-44)
2. Beeinflussung von Wissenschaft
- Lisa Paus: Käuflichkeit ist kein Standortfaktor (S. 47-50)
- Friedrich J. Wiebel, Thomas Kyriss: Staatlicher Experte am Hofe der Tabakindustrie (S. 51-58)
- Patrick Kast: Kooperation zwischen Chemikern und der Tabakindustrie (S. 59-62)
- Wolfgang Hien: Arbeitsmediziner auf der Seite der Tabakindustrie (S. 63-68)
3. Ethik und Interessenkonflikte
- David Klemperer: Tabakindustrie, Public Health und Interessenkonflikte (S. 71-76)
- Joseph Kuhn: „Denialism“: Motive und Strategien der Leugnung wissenschaftlicher Evidenz zum Passivrauchen (S. 77-84)
- Wilfried Meyer: Die Revolution im Rauchersalon – der Fall Jonitz (S. 85-94)
4. Marketing
- Johannes Spatz: Kontrolle des Tabakwerbeverbots ohne Konsequenzen (S. 97-108)
- Rainer Herrmann: Zigarettenautomaten in Reichweite von Jugendlichen (S. 109-115
Anhang
- Hinweise zu den Autorinnen und Autoren (S. 117)
- Vertrauliches Strategiepapier des Verbandes der Cigarettenindustrie (S. 118-120)
- Produktion von Zigaretten in Deutschland (S. 121)
- Der Zigarettenmarkt (S. 122)
- Fabriken des Todes (S. 123-125)
- Ethik.Kodex: Gegen Sponsoring durch Tabakindustrie (S. 126)
- Liste der Unterzeichner des Ethik-Kodex (S. 127-128)
- Publikationen aus Berlin (S. 129).
Inhalt
Unter der Überschrift „Politik im Griff der Tabakindustrie“ zeigen die hier versammelten Beiträge eindrucksvoll auf, mit welchen Strategien – darunter Vereinnahmung, Unterwanderung, Zweifel, Leugnung und blanke Aggression – die Tabakindustrie ihre Ziele verfolgt. Um die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken, nahm diese in der Vergangenheit immer wieder auch Wissenschaftler und Ärzte in ihren Dienst. Dass es dazu eine Kontinuität im 21. Jahrhundert gibt, dokumentieren mehrere Beiträge. Dort, wo sich die Tabakkonzerne mit subversiven Methoden nicht mehr durchsetzen können, erfolgt die Konfrontation vor Gericht. Dabei ist die Tabakindustrie finanziell so mächtig, dass sie ganzen Regierungen den Krieg erklären und gegen sie prozessieren kann. Deutlich lässt sich dies etwa in Uruguay, Australien und Namibia beobachten, wo die weltumspannenden Tabakkonzerne auf juristischem Weg versuchen, Gesetze zu verhindern, mit denen die jeweiligen Regierungen die Bevölkerung vor den Gefahren des Rauchens schützen will.
Da die Politik die entscheidende Rolle spielt, wenn es um Gesetze zur Begrenzung und Zurückdrängung des Tabakkonsums geht, steht sie im Mittelpunkt der Lobbyarbeit der Tabakkonzerne. Wie hierzu aufgezeigt wird, werden Politiker nicht nur mit Weihnachtsgrüßen der Konzerne umworben, sie erhalten vielmehr auch Parteispenden, Einladungen zu „parlamentarischen Abenden“ und vieles mehr. Besonders gefährlich wird dabei die Kontaktaufnahme der Konzerne mit Parlamentariern und Regierungsvertretern nach Ansicht der AutorInnen dann, wenn sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit abläuft.
Im Vergleich zu anderen EU-Staaten ist die Tabakkontrolle in Deutschland ins Hintertreffen geraten, weil die Politik sich seit vielen Jahren „im Griff der Tabakkonzerne“ befindet. Nach Ansicht der AutorInnen braucht Deutschland deshalb dringend eine sogenannte „Endgame-Diskussion“, also eine Auseinandersetzung darüber, wie wir es auch in Deutschland schaffen können, die Zahl der Raucher nahe null zu bringen.
Ergänzt wird die Darstellung durch gut ein Dutzend Plakate (in Farbe), die im Rahmen eines Wettbewerbs zum Thema Rauchen entstanden, den das Forum Rauchfrei 2009 veranstaltete.
Diskussion
Experten sind sich darüber einig: Tabakkonsum geht mit enormen individuellen und gesellschaftlichen Kosten einher. So sterben allein in Deutschland nach Angaben in dem jüngst erschienenen „Jahrbuch Sucht 2011“, das von der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren e.V. (DHS) in Hamm herausgegeben wird, jedes Jahr zwischen 110.000 und 140.000 Menschen an den Folgen des Rauchens; zusätzlich wird von etwa 3.300 Todesfällen durch Passivrauchen ausgegangen. Die volkswirtschaftlichen Kosten des Tabakrauchens belaufen sich demnach auf bis zu 21 Milliarden Euro pro Jahr, weshalb der Tabakprävention und Tabakkontrollpolitik eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung zukommt.
Die vom Forum Rauchfrei e.V. vorgelegte Schrift „Politik im Griff der Tabakindustrie“, die beim Herausgeber kostenlos bestellt werden kann (Forum Rauchfrei, Müllenhoffstraße 17, 10967 Berlin; aktionszentrum@forum-rauchfrei.de) beziehungsweise als Download unter www.forum-rauchfrei.de/files/20120525_broschuere-pressekonferenz.pdf zur Verfügung steht, zeigt eindrucksvoll die Machenschaften der Tabakindustrie, um ihre Interessen auf die unterschiedlichste Weise durchzusetzen.
„Politik im Griff der Tabakindustrie“ verdient Beachtung und sollte sowohl in Lehre und Forschung als auch in der Praxis verschiedener Studiengänge, insbesondere von all jenen wahrgenommen werden, die sich um die Eindämmung des Tabakkonsums und den Nichtraucherschutz kümmern oder an Projekten der Tabakprävention und Tabakkontrollpolitik beteiligt sind. Die Veröffentlichung, deren Kenntnis für eine ausgewogene Auseinandersetzung mit dem Thema unbedingt notwendig ist, kann darüber hinaus sehr sinnvoll zu verschiedenen Themen der Gesundheitserziehung im Unterricht eingesetzt werden.
Fazit
Wer sich ernsthaft mit der politischen Dimension des Rauchens beschäftigen möchte, kommt an den Erkenntnissen der vorliegenden Schrift nicht vorbei.
Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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Es gibt 191 Rezensionen von Hubert Kolling.
Zitiervorschlag
Hubert Kolling. Rezension vom 24.07.2012 zu:
Forum Rauchfrei (Hrsg.): Politik im Griff der Tabakindustrie. Eigenverlag
() 2012.
Redaktion: Claudia Schinkoreit, Johannes Spatz, Paul Kubaty, Volker Roth.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13723.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
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