Mel Gray, James Midgley et al. (Hrsg.): The SAGE Handbook of Social Work
Rezensiert von Prof. Dr. Rainer Treptow, 17.04.2013

Mel Gray, James Midgley, Stephen A. Webb (Hrsg.): The SAGE Handbook of Social Work.
SAGE Publications, Ltd
(London) 2012.
783 Seiten.
ISBN 978-1-84920-751-5.
125,52 EUR.
95.00 Pound (Listenpreis) .
Vorbemerkung zum Kontext
Erstens: Die Herausforderung eines jeden Handbuchs dürfte darin liegen, für Studierende einen verständlichen Zugang zu grundlegenden Wissensbeständen des Fachs, für Praktiker erkennbar relevante Themen und Spannungen in ihren Handlungsfeldern und für Wissenschaftler einen angemessen differenzierten Überblick über Diskurslinien, Theorieentwicklungen und Empirie zu verschaffen, und zwar so, dass über den Tellerrand der jeweiligen Teilinteressen dieser drei Gruppen hinausgehende Verbindungsmöglichkeiten angeboten werden. Soll es auch noch der Zugang für die interessierte Öffentlichkeit erleichtern, so leuchtet die Schwierigkeit ein, diese verschiedenen Erwartungen für jedes Thema gleichermaßen zu erfüllen. Es sei vorweg gesagt, dass dies dem vorliegenden Band dennoch in weiten Teilen gelingt.
Zweitens: Eine Rezension eines Handbuchs hat die Aufgabe, nicht nur die Kontexte zu erwähnen, innerhalb derer es eine immer auch bündelnde und den Stand disziplinärer Diskurse fachlich markierende Aufgabe übernimmt; vielmehr gilt es, die innere Struktur, den Aufbau und die Begrenzungen zu thematisieren, die das auch für den täglichen Gebrauch vorgesehene Werk kennzeichnen. Das hier zu besprechende Handbuch bezieht sich in der Hauptsache auf den Kontext des angelsächsischen Sprachraums, die auch in den Beiträgen gesuchten Vergleiche und Verbindungen zu weiteren europäischen Diskursen über Soziale Arbeit sind zwar unübersehbar, aber auch wenn viele internationale Bezüge erkennbar sind, so handelt es sich doch eben nicht um ein wirklich „globales“ Handbuch der Sozialen Arbeit im umfassenden Sinn. Das ist insofern interessant, als vor dem Hintergrund einer an international vergleichender Sozialen Arbeit interessierten Betrachtungsweise erkennbar wird, dass so etwas wie eine alle Erdteile einbeziehende, umfassende Verständigung, sofern sie denn in Handbüchern ablesbar ist, noch in Ferne liegt und möglicherweise dies auch noch für längere Zeit bleibt. Vermutlich wäre dies ohnehin nur in einer vielbändigen Enzyklopädie zu leisten. Genau darauf aber verzichtet das Handbuchprojekt trotz seines internationalen Geltungsanspruchs in kluger Begrenzung.
Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Die Herausgeber Mel Gray, James Midgley und Stephen A. Webb haben ihren Wirkungskreis vor allem in Australien (Newcastle) und den USA (Berkeley), die meisten anderen der insgesamt fast 60 Autorinnen und Autoren arbeiten eben dort, aber auch in Kanada, im Vereinigten Königreich, einige wenige sind in afrikanischen Staaten tätig. Einzige Vertreter aus dem deutschen Sprachraum sind Thomas Ley (Bielefeld), Daniel Gredig und Peter Sommerfeld (beide Olten/Schweiz). Dies ist erwähnenswert, werden doch erst im Vergleich mit Handbüchern, die in den letzten Jahren zur Sozialen Arbeit im deutschen Sprachraum erschienen sind (Otto/Thiersch 2011; Thole 2011), entsprechende Unterschiede der jeweiligen Bezugsrahmen wie der Themenbearbeitung sichtbar, die trotz der vielen Ähnlichkeiten bemerkenswert bleiben. So ist nicht verwunderlich, dass manch trans- und nationalstaatliche oder regionale Differenzierungen zugunsten übergreifender Abstraktionen aus dem Blick geraten müssen, während zugleich manche exemplarische Veranschaulichung raumzeitlich eingegrenzt bleibt, jedenfalls in besondere Kontexte eingelagert sind, die für sich stehen. Dass manches kaum übertragbar, anderes wiederum sehr bekannt erscheint, macht klar, welche Diversität der wissenschaftlichen Bündelungen das internationale Feld charakterisiert.
Einleitung
In der Einleitung erläutern die Herausgeber Wesen und Rolle der Sozialen Arbeit in modernen Gesellschaften. Dabei greifen sie auf hierzulande wenig diskutierte Autoren zurück (Brand; Flexner; Abbott), um Soziale Arbeit als problemlösendes Handeln in ganzheitlichem Personenbezug in Unterstützungsnetzwerken der Familie, Nachbarschaft und Gemeinwesen zu begreifen. Dies geschehe in der Absicht, Lebenschancen und Fähigkeiten zur Bewältigung von Lebenserfahrungen zu erhöhen. Sie bestimmen vielmehr Soziale Arbeit entlang der Rationalitätstheorien Max Webers und z.T. auch Jürgen Habermas‘ als ein Geschehen, das einer doppelten Logik folge: der Logik der Regulierung (logic of regulation) und der Logik der Sicherung (logic of security). Beiden Logiken entsprechend, stehe sozialer Arbeit in einer ambivalenten, mitunter paradoxen Aufgabe, Rationalitätskriterien zu entsprechen, die sich auf die Herstellung von Ordnungserwartungen beziehen, dabei selbst eine Ausdrucksform von regulierendem Staat bildet, darin aber als unerlässlich für die Herstellung von Sicherheit, Unterstützung von Bewältigungsstrategien, sozialer Hilfe und Schutz erachtet werden müsse. Im Anschluss an Abbott weisen sie der Sozialen Arbeit die Funktion einer gesellschaftlichen Schutzfunktion (societal immunity function)zu. Sie erweise sich gegenüber Verletzbaren und Schutzbedürftigen als notwendig für die Bewältigung der Auswirkungen von Individua- lisierung, Wettbewerb, Ungleichheit, Unsicherheit, Entpolitisierung im Kontext von Solidarität und Rechtsansprüchen auf soziale Unterstützung. Sie sei somit Teil des gesellschaftlichen Regulierungszusammenhangs (governance) und sieht sich einer ständigen Herausforderung durch den Wandel wechselnder politischer Ideologien, der Wirtschaft, öffentliche Einstellungen und politischer Entscheidungen ausgesetzt. Das führe dazu, dass die Anstrengungen einer Abgrenzung von Aufgaben und Rollen der Sozialen Arbeit im Verhältnis zu anderen Professionen immer wieder in Schwierigkeiten gerieten. Zugleich würden aber Kooperationserwartungen an die sozialer Arbeit gestellt, deren Kernaufgaben durch den Eigensinn anderer Professionen immer wieder aufs Neue zu definieren sei. Mit dem Handbuch sollen jeweils trennscharfe Beiträge zur Orts-und Funktionsbestimmung der Sozialen Arbeit vorgestellt werden, wobei die Herausgeber betonen, dass sie ihre Wissensbestände vor allem aus den beiden Zentren, Europa und Nordamerika, heraus entwickeln, sehen sie doch hier die Entstehungsgründe der Sozialen Arbeit.
Aufbau
Das Handbuch ist in sieben Teile gegliedert. Ausführliche Daten zu den wissenschaftlichen Werdegängen der beteiligten Autoren und Autoren finden sich zu Beginn. Ein Index, der die Suche nach Schlagwörtern erleichtert, ist beigefügt.
Im Überblick umfasst der I. Teil grundbegrifflicher Klärungen, die mit Wohlfahrt, Sozialpolitik und Soziale Arbeit vorgenommen werden. Es folgt der II. Teil, der mit Perspektiven sozialer Arbeit überschrieben ist. In Teil III. wird über die Praxis sozialer Arbeit publiziert, Teil IV. ist eigens der normativen Seite Sozialer Arbeit, ihren Werten und ethischen Standards gewidmet, Teil V. umfasst Aspekte zur Forschung in der Sozialen Arbeit, während der VI. Teil weitere Kontexte Sozialer Arbeit und der Teil VII. zukünftige Herausforderungen Sozialen Arbeit behandelt. Damit liefert das Handbuch eine einfache und übersichtliche Gliederung, wenngleich sich über die angemessene Zuordnung von Kapiteln besonders im Vergleich zwischen zweitem und letztem Teil Nachdenklichkeit einstellen mag. Welche inhaltliche Substanz erwartet nun die Leser?
Soziale Arbeit, Sozialpolitik und Wohlfahrt (Teil I)
Der erste Teil befasst sich mit der Vergewisserung der grundlegenden menschlichen Bedürfnisse im Kontext des Verhältnisses von Individuum und soziale Entwicklung sowie den Standards der jeweilig entwickelten gesellschaftlichen Unterstützungsformen (David Gil, Waltham/USA). Der Wohlfahrtsstaat und die Theorie der Wohlfahrt werden zum Gegenstand des Beitrags von Mimi Abramowitz (New York/USA). Sie knüpft an den Aufstieg neoliberalistischer Strömungen vor allem in den Vereinigten Staaten an und setzt sich kritisch mit Krisentendenzen der kapitalistischen Gesellschaft, die den Bestand sozialer Dienste für Familien sowie effektive Hilfen gefährden, auseinander.
Robert Fairbanks (Chicago/USA) befasst sich mit der Frage, in welche Weise Soziale Arbeit zwischen der Logik der Sicherung und der Logik der Regulierung in den gesellschaftstheoretischen Kontext eines post-keynesianischen, post-wohlfahrtsstaatlichen Rahmens noch agieren kann. Wird sie in der Transformation einer fordistisch-keynesianischen in neo-liberale, neo-corporatistische und neo-kommunitaristische Rahmungen selbst einer veränderten Formierung unterzogen?
Dem Wandel der Sozialverwaltung in seiner Bedeutung für die Soziale Arbeit in direktem Kontakt zu Adressaten (frontline worker) gilt das Interesse von Sanford Schram (Bry Mawr/USA). Hier ist insbesondere die Frage des Schweigerechts und des Ermessensspielraums von Wichtigkeit, stehen diese doch unter Rechtfertigungsdruck gegenüber den Ansprüchen der Verwaltungsrationalität. Die Balance zwischen Diskretion und Weitergabe von Informationen wird angesichts eines als neoliberal-paternalistischen Regimes verstandenen Arbeitskontextes schwierig, Kontrolle und Diskretion bilden eine jeweils abzuwägende Herausforderung im Umgang mit Armutsproblemen.
Mary Daly (Belfast/Nordirland) wendet sich der Beziehung zwischen Geschlechter- verhältnissen und Wohlfahrtsinanspruchnahme in zeitgenössischen Gesellschaften zu. Sie problematisiert den Wohlfahrtsbegriff, insofern er die Spannung zwischen öffentlicher und individueller Aufgabenstellung zu verdecken drohe und die Geschlechterungleichheit in Bezug auf die Verteilung von Chancen, Selbstbestimmung und Verantwortung für Familie, Pflege und Chancengleichheit entthematisiere.
Im sechsten Kapitel schließlich befasst sich James Midgley (Berkeley/USA) mit dem Zusammenhang von Wohlfahrt und sozialer Entwicklung. Dabei werden die Kategorien und Ideen sozialen und humanen Kapitals in den Kontext der Wechselbeziehung zwischen ökonomischer Entwicklung und sozialer Wohlfahrt kritisch thematisiert. Soziale Entwicklung und Sozialpolitik werden als Beitrag zur zu Produktivitätssteigerung und als Investitionen für ökonomisches Wachstum verstanden, in der Absicht, die Fähigkeiten der Menschen in einer produktivitätsorientierten Wirtschaft zu steigern. Eine Reihe von Faktoren, die soziale Entwicklung vorantreiben werden betrachtet: das Anwachsen der Kosteneffizienz sozialer Dienstleistungen, die Stärkung der Investitionen in Humankapital, die Entwicklung individueller und öffentlicher Güter, die Steigerung wirtschaftlicher Beteiligung durch produktivitätsorientierte Personalpolitik, das Beseitigen von Grenzen für die Teilhabe am Markt und schließlich die Schaffung eines sozialen Klimas, das diese Entwicklungen positiv begleitet. Midgley argumentiert, dass erst durch die Ausdifferenzierung sozialer Rechte und die Stärkung sozialer Gerechtigkeit die Entwicklung des Sozialen insgesamt und eine neue Institutionalisierung politischer Alternativen zur heutigen Sozialpolitik vorangebracht werden könne.
Perspektiven Sozialer Arbeit (Teil II)
Dass mit dem zweiten Teil bereits Perspektiven der Sozialen Arbeit behandelt werden, erscheint angesichts der Tatsache, dass im letzten Kapitel noch einmal ein weiterer zukunftsbezogener Teil vorgesehen ist, etwas überraschend. Indessen handelt es sich hier um einen Überblick über zentrale Orientierungen, die aus der Fachlichkeit der Sozialen Arbeit selbst hervorgebracht worden sind und durch Sozialarbeiter kritisch in den Blick genommen werden. Die soziologische Vorstellungskraft (sociological imagination), die von C . Wright Mills als Schlüsselkonzept für die Verbindung von individuellen Erfahrungen und gesellschaftlichen Beziehungen angeführt wird, bildet den Ausgangspunkt für eine Reihe von Beiträgen aus dem Diskurszusammenhang sozialer Arbeit.
Pamela Trevithick (Buckinghamshire/UK) wendet sich – ausgehend von einem Verständnis sozialer Arbeit als hoch qualifiziertes Handeln, dass eine professionelle Ausbildung und entsprechender intellektueller Fähigkeiten erforderlich mache – drei grundlegenden Wissensformen zu. Dabei unterscheidet sie theoretisches, faktenbezogenes und praktisches Wissen.
Risiko- und Sicherheitsfaktoren bilden unterschiedliche Sphären der Lebensgestaltung unter ökologischer Perspektive- ein Thema, dem sich Gordon Jack (Newcastle/UK) annimmt. Dabei nimmt eine Kultur des Zuhörens, die die persönlichen Erfahrungen von Kindern und Erwachsenen ernst nimmt, einen zentralen Platz im theoretischen Verständnis sozialer Arbeit ein. Es komme darauf an, den Adressaten den Zugang zu Unterstützungsressourcen, besonders durch informelle soziale Netzwerke und durch Ausbau der Infrastruktur unterschiedlicher Gemeinschaftsformen zu eröffnen und zu sichern.
Im Sinne eines kritischen Überblicks über wirkungsvolle familienbezogene Interventions- formen widmet sich Jacqueline Corcoran (Richmond/USA) neueren Ergebnissen einer familienbezogenen Sozialen Arbeit. Lösungsorientierte Therapieansätze, systemisch angelegte Familienmodelle, verhaltensbezogene Familientherapie und Mehrfaktorenmodelle werden beschrieben und diskutiert. Therapeutisches Denken, das sich an Defizit-Befunden orientiert, ist Gegenstand kritischer Argumentation von Patrick Sullivan (Indianapolis/USA). Defizitorientiertes Denken baue für die Adressaten Barrieren auf, trage zur Individualisierung des Problems, zur Viktimisierung von Klienten und zur Pathologisierung ihrer Situation bei. Sullivan stellt demgegenüber eine historische Untersuchung zur Entwicklung eines an den Stärken von Adressaten orientierten Denkens und erläutert die Konsequenzen für verschiedene Praxisfelder, sowie für zukünftige Forschungsaufgaben in diesem Bereich.
Karen Healy (Brisbane/Australien) schließlich entwickelt eine Analyse dezidiert kritischer Perspektiven in der Sozialen Arbeit, in der Absicht, die strukturellen Ursachen sozialer Probleme zu untersuchen und die Folgen, in denen diese Menschen marginalisieren und unterdrücken. Sie fordert eine Transformation emanzipatorischer Konzepte sozialer Arbeit, um sie in Verbindung mit Konzepten sozialer Gerechtigkeit und einer Kritik an dominanten Strukturen des patriarchalen Kapitalismus, des Kolonialismus, des Rassismus u.a. zu aktualisieren. Hier geht es um die Problematisierung dominanter sozialer und ökonomischer Strukturen durch die Übernahme von Perspektiven, die sich auf Konflikt oder Veränderung beziehen, um die Fokussierung auf eine multifaktoriell und intersektional angelegte Analyse von „opression“, um eine Fokussierung der Dialektik der Interaktion zwischen Individuen und Strukturen auf der Makroebene, sowie auf Diskurse, die sich hinter Teilerklärungen und Interpretation sozialer Probleme und der Erfahrungen von Menschen verschanzen.
Praxis Sozialer Arbeit (Teil III)
In Teil III wird zunächst an die Definition der Praxis sozialer Arbeit erinnert, die 1981 vom US-amerikanischen Verband der Sozialarbeiter geleistet wurde: Stärkung der entwicklungs- bezogenen, problemlösungsbezogenen und bewältigungsbezogenen Fähigkeiten von Menschen, Voranbringen einer effektiven und menschengerechten Bereitstellung von Ressourcen und Dienstleistungen, Schaffung des Zugangs zu Systemen, die diese anbieten und Gelegenheiten schaffen, sie wahrzunehmen, sowie die Entwicklung einer fundierten Sozialpolitik. Das Feld der Praxis sozialer Arbeit wird in vier Bereiche unterschieden: direkte Intervention, Risikoabschätzung und Entscheidung, Anwaltschaftlichkeit und Gemeinwesen- arbeit.
Paula Doherty (Lancaster/UK) und Sue White (Birmingham/UK) geben einen Überblick über den aktuellen Stand des „Wissens für Praxis“ in der Sozialen Arbeit und Fragen nach den Konsequenzen für unterschiedliche Wissensformen für Praxis. Sie weisen auf die Ungewissheiten und Kontingenten von Praxis hin, in der Absicht, Sozialarbeitern den rechten Gebrauch formalen Wissens nahe zulegen, um diese Ungewissheit zu reduzieren. Mit Ungewissheit respektvoll umzugehen ist dabei eine Haltung, die sowohl Theorie als auch populäres Wissen einbezieht, um in der Lage zu sein, vorschnelle und übereilte Urteile zu vermeiden, die zwar Gewissheitsbeschaffung versprechen, aber substantiell problematisch sein können.
Risikomanagement ist das zentrale Stichwort des Beitrags von Eileen Munro (London/UK). Sie zeigt, dass der Umgang mit Risiken zu einer Hauptaufgabe sozialer Arbeit geworden ist, und zwar sowohl im Blick auf die Leistungsempfänger, die geschädigt werden als auch auf diejenigen, die Schädigungen anderer betreiben. Munro spricht sich für eine Stärkung der Fähigkeit für Risikoabschätzung ein und sieht darin eine wichtige Zukunftsherausforderung für die Praxis sozialer Arbeit.
Marleen Cooper und Joan Lesser (Holyoke/USA) wenden sich der Beziehung zwischen einer integrierenden Psychotherapie und sozialer Arbeit zu. In diesem Verhältnis gehe es um die Steigerung der intrapsychischen, intrapersonellen und sozialpolitischen Funktionsfähigkeit von Individuen und um eine Orientierung an der Ganzheitlichkeit, indem affektive, kognitive, verhaltensbezogene und physiologische Bereiche eines Individuums miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dies wird an zwei ausführlich beschriebenen Fallbeispielen erläutert.
Im Zusammenhang mit kurzzeitigen Interventionen und der Bearbeitung von Traumaerfahrungen wendet sich Barry Cournoyer (Indianapolis/USA) Beispielen aus der Praxis zu, indem er evidenzbasierte Interventionen für Klienten, die extreme Stresserlebnisse wie Naturkatastrophen, Gewalthandlungen, lebensbedrohende Krankheiten und andere elementare Krisen zu bewältigen haben, beschreibt. Ihn interessieren die Unterschiede zwischen denjenigen, die sich relativ rasch von ihren Erlebnissen erholen, und anderen, die zum Teil lebenslange Leidenserfahrungen bewältigen müssen.
Dass alle Soziale Arbeit politisch sei, ist das Statement von Karen Haynes (San Marcos/USA), das ihrem Beitrag über den wachsenden Bedarf an sozialer Arbeit und ihrer adäquaten Umsetzung als sozialpolitisches Handeln zugrunde liegt. Als zentrale Aufgabe praktischer sozialer Arbeit untersucht sie Anwaltschaftlichkeit (advocacy), die die Organisation der Mittel zur Unterstützung und Stärkung von Klienten, die Professionalisierung und andere Elemente einer Unterstützungspraxis verbindet. Sie plädiert für die Einmischung sozialer Arbeit im Sinne einer Veränderungsagentur im politischen Prozess, die Anwaltschaftlichkeit als Element der Gemeinwesensorientierung versteht.
Das Stichwort Gemeinwesenarbeit aufgreifend ist schließlich Keith Popple (London/UK), der an die destruktiven Folgen eines neoliberalen Individualismus erinnert, unter dessen Einfluss das der Sinn für Gemeinwesen und Gemeinsinn gelitten habe. Demgegenüber habe eine Aktualisierung der Gemeinwesenarbeit kritisch auf strukturelle Ungleichheiten und Probleme gegenwärtiger Sozialverwaltung aufmerksam zu machen und sich leidenschaftlich für diejenigen einzusetzen, die von Profit und Macht ausgeschlossen sind.
Werte und Ethik Sozialer Arbeit (Teil VI)
Teil vier befasst sich mit dem komplexen Zusammenhang von Werten und Ethik in der Sozialen Arbeit. Anspruch dieses Teils ist es, zu zeigen dass die Bindung an ethische Haltungen zu den maßgeblichen Stärken sozialer Arbeit als Profession ist und sie am meisten von anderen unterscheidet, möglicherweise sogar ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Durch die einzelnen Kapitel hindurch sei zu erkennen, dass Soziale Arbeit an der Auffassung festhält, die Gesellschaft sei ein Vehikel der Transformation privater Schwierigkeiten in öffentliche Angelegenheiten, aber nur, wenn Gemeinsinn, Solidarität und Gerechtigkeit zentrale Werte bilden. In einer Gesellschaft, in der der unmittelbare Nutzen materieller selbst Interessen die Norm bildet, sei die Bindung an Ethik wichtiger, als die Menschen oft wahrnähmen. So verstanden sei Soziale Arbeit eine wertgeleitete Handlungsform, die im Namen dieser gesellschaftlichen Grundelemente agiere.
Dementsprechend beginnt Frederic Reamer (Providence/USA) mit einem allgemeinen Überblick zur Bedeutung und Entstehung ethischer Standards und Selbstverpflichtungen (codes of ethics). Er arbeitet die wichtigsten Entwicklungslinien, Stärken und Grenzen aber auch die politischen und ideologischen Implikationen dieser Entwicklung heraus, um schließlich zukünftige Trends zwischen legalen, steuerungsabhängigen und ethischen Aufgaben zu antizipieren.
Durchaus im Sinne eines praktischen Anwendungsinteresses ist der Beitrag von Donna McAuliffe (Brisbane/Australien) zu verstehen, die sich mit ethisch begründeter Entscheidungsfindung befasst. Als moralische Unternehmung wird sozialer Arbeit von grundlegenden Werten geleitet, die in den Rahmenbedingungen sozialer Gerechtigkeit, der Menschenrechte und antirepressiven Strömungen angesiedelt ist. Entscheidungen sozialer Arbeit haben moralische Konsequenzen, die Fragen über Rechte und Verpflichtungen aufwerfen. Sie untersucht die Thematisierung der Relation von Ethik und Entscheidung in der Fachliteratur, auch unter dem Aspekt der Effektivität ethischer Optionen und Ergebnisse.
Das Selbstverständnis einer anti- repressiven Sozialarbeit im Umgang mit Armen, Diskriminierten, Marginalisierten und wegen ihrer Rasse, Sexualität, Klasse, Religion, Kultur und sexuellen Präferenzen Benachteiligten bildet den Gegenstand der Arbeit von Lena Dominelli (Durham/UK). Sie plädiert für eine konsequente Befolgung antirepressiver Grundsätze, um soziale Ungleichheit zu verringern.
Vor dem Hintergrund der feministischen Forderung nach der Politisierung des Persönlichen und Privaten setzen sich Brid Featherstone (Milton Kanes/UK) und Kate Morris (Nottingham/UK) mit neueren Beiträgen aus der feministischen Psychologie und ihrer Relevanz für Moraltheorie, für Politische Wissenschaften und Sozialpolitik auseinander. „Care“- zwischen Macht und Diversität – gerät als moralische und politische Praxis in den Mittelpunkt ihres Beitrags. Kritisch merken sie an, dass es Sinn mache, den verführerischen Impulsen einer Ethik zu widerstehen, die viel verspricht, aber wenig von den zentralen Anforderungen aufnimmt, die Soziale Arbeit zu bewältigen hat.
Im Sinne einer Zwischenbilanz diskutieren Purnima Sundar (Ottawa/Kanada), John Sylvestre (Ottawa/Kanada)und Amandeep Bassi (Ottawa/Kanada) die Ergebnisse einer diversitäts-bewussten Sozialen Arbeit. Im Bezugsrahmen einer Philosophie des Multikulturalismus betrachten sie die Spannung zwischen den an nationalen Identitäten und Mehrheitsnormen orientierten Gesellschaften und solchen, die Multikulturalismus als offizielle Leitidee unterstützen. Sie wollen zeigen, in welcher Weise unterschiedliche Bevölkerungsgruppen sich über die Zeit hinweg haben durchsetzen können, inwieweit dieses die ideologischen Veränderungen in Bezug auf Diversität wider spiegele und erweiterten Einfluss auf Politik und Praxis gewonnen habe.
Abschließend problematisiert Richard Hugman (Sydney/Australien) die als Selbstverständlichkeit kaum mehr hinterfragte Idee der Menschenrechte als selbstevidente normative Grundlage, obwohl diese ein komplexes und in ein stark in Anspruch genommenes, zum Teil gefährdetes Feld der Wirklichkeit darstelle. Er untersucht den Aspekt der Komplexität der Menschenrechte und die Idee der sozialen Gerechtigkeit, das Zusammenspiel und die Spannungen zwischen beiden und einige der Herausforderungen, die für die Praxisorientierungen sozialer Arbeit von Wichtigkeit sind. Im knappen historischen Rückblick arbeitet er die Linien dieser Diskussion heraus und stellt ihre Bedeutung für die Themenstellungen und Methoden der Sozialen Arbeit vor. Auch er betont die unverzichtbare und zentrale Bedeutung der Orientierung an den Menschenrechten, um normative Frage in einer diversen und komplexen Welt verstehen und praktisch beantworten zu können.
Forschung der Sozialen Arbeit (Teil V)
Teil fünf widmet sich ganz der durch Verwissenschaftlichung und Internationalisierung des wissenschaftlichen Austauschs bestimmten Forschungslage sozialer Arbeit. Dabei sind quantitative und qualitative Forschungsmethoden je unterschiedlich vertreten und ausgearbeitet, aber in ihrer Bedeutung keineswegs gegeneinander ausspielbar, beide haben ihren thematisch begründeten Ort. Herausgestellt wird die Notwendigkeit, dass Sozialarbeiter in der Lage sind, ihr Handeln auch durch die Kenntnisnahme von Forschung zu gestalten. Angesichts der Dynamik in diesem Gebiet sei es daher notwendig, einen Überblick über unterschiedliche Ansätze und Perspektiven zu geben.
Diese Aufgabe übernehmen zunächst Daniel Gredig (Olten/Schweiz), Ian Shaw (York/UK)und Peter Sommerfeld (Olten/Schweiz) in ihrem Beitrag, der als Vermessung der Forschungs-landschaft verstanden werden soll. Sie kritisieren eine häufig zu beobachtende Forschungsabstinenz in der Praxis sozialer Arbeit, sprechen sich für eine Verstärkung der Forschungskapazitäten in diesem Sektor aus und fragen nach der Sichtbarmachung von Wissensformen in systematischen Rahmenkonzepten.
Evidenzbasierte Praxis in Medizin und ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit, aber auch die damit verbundenen erkenntnistheoretischen Probleme sind Gegenstand des Beitrags von Bruce Thyer (Tallahassee/USA). Besonders interessiert ist er an der Rolle von „Cochrane and Campbell Collaborations“, eines über 100 Länder umfassenden Netzwerks, das Datenbestände aus dem Bereich des Gesundheitswesens sammelt (vgl.: http://www.cochrane.org/about-us/campbell-collaboration). Der Autor fragt nach Nutzungs- und Verbindungsmöglichkeiten zu Sozialen Arbeit und überlegt, in welcher Weise sozialer Arbeit an diesem umfassenden Datenbestand partizipieren könnte.
Inwieweit Forschung, die Platzierung derselben und die damit entsprechenden Herausforderungen für die Soziale Arbeit und ihre Handlungsformen relevant sind, untersucht Brian Taylor (Sussex/UK). Er untersucht die Beziehung, genauer die Hierarchie zwischen evidenzbasierten und statistisch kontrollierten Interventionen im Blick auf Effektivität und stellt Überlegungen über experimentelles und quasi-experimentelles Forschen vor. Außerdem zeichnet er die Herausforderungen für Handlungsforschung nach, wobei ethische, rechtliche und verfahrensbezogene Fragen mit der Beteiligung der Adressaten an den Interventionen erläutert werden.
Evidenzbasierte Forschung ist das auch im Beitrag von Donald Forrester (Bedfordshire/UK) zentrale Stichwort. Als Grundlage für eine evidenzbasierte Praxis kritisiert e die Diskrepanz zwischen Evaluation und Handlungen. Unterschiedliche Standards, die durch multiprofessionelle Teams sichtbar werden, spielen eine erhebliche Rolle bei der Frage, welche Kriterien für Evaluation der Intervention sozialer Arbeit gelten sollen.
Im Anschluss daran wird dem Aufstieg und der Bedeutung qualitative Forschungsmethoden innerhalb und außerhalb der Sozialen Arbeit ein besonderes Kapitel gewidmet, das von Deborah Padgett (New York/USA) kenntnisreich ausgestaltet ist. Ausgehend von den US-amerikanischen Pionierin der Chicago-Schule, Jane Addams, greift sie auf verschiedene philosophische Traditionen, ethnographische und phänomenologische Zugänge zurück, um von hier aus die Verbindung qualitativer Arbeit mit ethischen Anforderungen zu erläutern. Indessen bleibt eine Vielzahl von ungelösten Aufgaben, die den Status qualitativer Forschung der Sozialen Arbeit betreffen: die gründliche Aufarbeitung von Literatur um die Problem Bestimmung zu schärfen, die Rolle der Hypothesenbildung, die Kodierung und die Entwicklung thematischer Stränge usw. Die Autorin spricht sich für eine zukünftige Form multimethodischer Forschung aus, die Nation und Sprachraum ergreifend aber auch interdisziplinär zu bewältigen sei.
Im Sinne einer teilhabeorientierten Handlungsforschung fordert sodann Mark Baldwin (Bath/UK) eine zugleich unterstützende und emanzipierende Forschungslogik. Er diskutiert die wissenslogische Fundierung dieses Ansatzes, und fragt, inwieweit die Praxis einer derartigen Partizipationsorientierung nicht immer schon selbst Forschung generiere.
Abschließend setzt sich Elaine Sharland (Sussex/USA) mit der Frage der Verbindung zwischen multidisziplinären Elementen in der Forschung auseinander. Dabei wird das bereits oben erwähnte umfassende Forschungsnetzwerk (Cochrane and Campbells) Bezugspunkt für die Frage nach Transparenz, qualitativen Zugängen und der Synthese zwischen Forschungsergebnissen. Durchaus skeptisch wendet sie gegen den Enthusiasmus für systematische Einbeziehung der evidenzbasierten Forschung die Notwendigkeit einer kritischen Distanz ein. Dies geschieht in einer Reihe von Argumenten, die sich aus einer Kritik an positivistischen Denkmodellen speisen, zugleich an die Komplexität sozialer Handlungsformen und Bedingungen in den Strukturen des Adressaten erinnern, die allzu einfache Effektivitäts-Erwartungen enttäuschen muss. Statt zu fragen, was kann systematische Nachprüfung mit sozialer Arbeit anfangen, sei vielmehr zu fragen, welchen Nutzen Soziale Arbeit von systematischer Nachprüfung haben könne.
Soziale Arbeit im Kontext (Teil VI)
Dass sich der sechste Teil mit der Sozialen Arbeit im „Kontext“ befasst, ist einer terminologischen Eingrenzung geschuldet. Mit dem Begriff sozialer Kontext wird der Bezugsrahmen sozialer Beziehungen in einer gegebenen räumlichen oder zeitlichen Situation bezeichnet, in dem etwas erzeugt wird und auf einen Zwecke oder ein Programm hinweist. Solche Kontexte sind weit gefasst und dynamisch, sie schließen die Vielfalt sozialer Settings und Institutionen ein, wobei die politischen und sozialen Dienstleistungsressourcen rechtlichen Rahmenbedingungen und Dienstleistungserwartungen in einem besonderen Zusammenspiel zu sehen sind. Insgesamt handelt es sich um unterschiedliche Handlungsfelder, die mit dem Verhältnis zwischen Kind und Familie, psychischer Gesundheit und der Arbeit mit älteren und behinderten Menschen, mit Migranten und Flüchtlingen, mit Alkohol und Drogenabhängigen sowie mit Jugendlichen und dem Justizsystem umrissen werden.
Stan Houston (Belfast/Nordirland) gibt einen Überblick über Soziale Arbeit mit Kindern und Familien, indem er die Herausforderungen zeitgenössischer sozialer Arbeit im Hinblick auf Kinderschutz und Prävention vorstellt, dabei die Qualitätssicherung von Sorge betont und an einer Verbesserung der Lebenschancen für Kinder und junge Leute interessiert ist. Am Beispiel angelsächsischer Präventionsprogramme (Sure Start) wird die Rolle der Kommune bei der Verringerung von Benachteiligung in den ärmsten in Bezirken herausgearbeitet. Auch hier spielen Risikoeinschätzung und Ressourcenmanagement auf einem lokalen Level eine zentrale Rolle.
Aktuelle Herausforderungen im Blick auf psychische Gesundheit sind Thema des Beitrags von Barbara Fawcett (Sydney/Australien). Sie argumentiert, dass die Unterscheidung zwischen medizinischen und sozialen Modellen, die die Soziale Arbeit beeinflusst, schädliche Effekte hervorbringen, weil sie Spannungen an den Grenzen zwischen unterschiedlichen Dienstleistungsanbietern erzeugen. Der Autorin macht Vorschläge zur Überwindung einiger dieser inneren Spannungen und entwickelt ein Konzept für die Versorgung mit Dienstleistungen in einem multiprofessionellen Teamkontext.
Soziale Arbeit mit alten Menschen bildet den Kontext von Nancy Hooyman (Washington/USA). Die rasch ansteigende Zahl älterer Menschen zeichnet sich durch eine heterogene Zusammensetzung hinsichtlich Gesundheit und ökonomischen Status, Geschlecht, Rasse, sexueller Orientierung aus, aber auch familiale und individuelle Lebensarrangements unterscheiden sie von anderen Altersgruppen. Obwohl es einer Reihe von Verletzbarkeiten und Beeinträchtigungen in diesem Alter gebe, seien die meisten Älteren aber in Relation gesehen widerstandsfähig und zwar auch angesichts chronischer Erkrankungen. Die Autorin gibt einen Überblick über diese Diversität, und beleuchtet kritisch Strategien für ein gelingenderes Älterwerden.
Für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung zeigt Romel Mackelprang (Cheney/Washington) Kontextbedingungen auf, die auf die Chancen zur Platzierung professioneller sozialer Arbeit und einer nutzerfreundlichen Dienstleistungskultur orientiert sind. Sozialarbeiter übernehmen die Aufgabe, als Schlüsselpersonen für den Zugang zu sozialen Dienstleistungen zu fungieren, für Menschenrechte einzutreten und anwaltschaftlich Ressourcen für Menschen mit Behinderung und ihre Familien zu eröffnen.
Doreen Elliot (Arlington/USA) und Uma Segal (St. Lois/USA) untersuchen die Herausforderungen der heutigen Sozialen Arbeit im Umgang mit Immigranten und Flüchtlingen. Sie betonen die Wechselbeziehung zwischen Zivilgesellschaft und Sozialpolitik, die den Fokus für die Spannung zwischen dem Mandat für Flüchtlinge und Immigranten und ihren Ansprüchen auf einen legalen Zugang zu ihrer Lebenswelt. Die problematische Rolle sozialer Arbeit wird als Spannung zwischen traditionellen Werten sozialer Arbeit und politischen Prioritätensetzungen kritisch thematisiert. Sie wenden sich gegen das gewollte Schüren von Fremdenfeindlichkeit und eine politisch gesteuerte Strategie der Verarmung.
In einem breiten Literaturüberblick präsentiert Holly Matto (Fairfax/USA) eine interdisziplinäre Zusammenstellung der wichtigsten Behandlungsformen die gegenwärtig in den USA und darüber hinaus für Alkohol-und Drogenabhängige Verwendung finden. Sie identifiziert Faktoren, die auf der Makroebene gesundheitspolitischer Programme folgenreich sind.
Für den Kontext der Jugenddelinquenz und der Strafverfolgung steht der Beitrag von Nicola Carr (Belfast/Nordirland). Sie will zeigen, dass es klare empirische Belege dafür gebe, dass die bloße Etablierung von Strafgesetzen und ihre Verschärfung nur zum Teil das Ausmaß von Personendelikten erklärt und argumentiert, dass aus sozialarbeiterischer Sicht der Prävention das Hauptaugenmerk gebühren müsste.
Last, but not least steuert Steven Walker (London/UK) einen Beitrag bei, der die Wichtigkeit familienunterstützende Maßnahmen und Dienstleistungen herausarbeitet, und dies mit der Risikoeinschätzung und entsprechenden Interventionen durch Soziale Arbeit verbindet. Er zeichnet die Herausforderungen nach, die an Soziale Arbeit in ihrer fundamentalen Rolle der Familie Unterstützung in einem erweiterten wirtschaftlichen Kontext eines schwindenden öffentlichen Sektors mit gestiegenen Erwartungen an den Kinderschutz gestellt werden. Eine reichhaltige Darstellung unorthodoxe, multikultureller Methoden und Modelle für Familien Unterstützung schließt dieses Kapitel des erfahrenen Praktikers.
Zukünftige Herausforderungen für Soziale Arbeit (Teil VII)
Der letzte und abschließende Teil des Handbuchs befasst sich mit zukünftigen Herausforderungen für die Soziale Arbeit. Ausgehend von einer pessimistischen Sichtweise einer wachsenden Gleichgültigkeit – „we don't care“ – , einer zunehmenden Hoffnungslosigkeit und Passivität in der Zukunft der Spätmoderne habe sich die Soziale Arbeit mit einem schwierigen Gegenwind auseinander zusetzen. Hoch qualifizierte Analyse und Forschung, also weiterhin Verwissenschaftlichung und Professionalisierung, seien ein Gegenmittel, um diesen belastenden Faktoren entgegenzuwirken. Die Fragen, die sich stellen, kreisen um die Zukunft der Professionalisierung, etwa um die Frage, ob die Zugänge Nutzung sozialer Dienste über den klinischen und evidenzbasierten Ansatz auch entsprechende finanzielle Unterstützung erfahren.
- Welchen Beitrag leistet die Organisation der Dienstleistungsnutzer im Hinblick auf Art und Qualität der Leistungserbringung?
- Was ist für den interprofessionellen Ansatz sozialer Arbeit zu erwarten und welche Folgen wird dies für Abgrenzung und Konkurrenz haben?
Solche Themen zielen auf die Nachhaltigkeit sozialer Arbeit und auf das Problem, ob die Profession sich selbst erhalten kann.
- Welche Perspektiven ergeben sich durch die Möglichkeiten virtueller Bearbeitung sozialer Dienstleistungs- ansprüche?
- Welche Erwartungen entstehen für eine transnationale sozialer Arbeit, die ihren Auftrag an Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit orientieren möchte?
- Gibt es einen Verschwinden oder eine Vorwärtsbewegung der Sozialen Arbeit hinsichtlich einer übergreifenden politischen Agenda?
Paul Michael Garrett (Galway/Irland) wendet sich gegen einen Rückfall, genauer einen Rückschlag durch ökonomische und soziale Einbrüche. Er untersucht die Veränderungen und die heutige Rolle sozialer Arbeit. Diese sei charakterisiert durch den Wandel von Arbeit und Organisationsstrukturen, durch den zunehmenden Gebrauch elektronischer Medien, dem Anwachsen von Kontrollpraktiken und einer zunehmenden Verschiebung sozialer Probleme in den privaten Sektor. Darauf zu einem Bündnis der verschiedenen Gruppen sozialer Arbeit auf, um Widerstand gegenüber inzwischen diskreditiert neoliberalen Lösung Vorschlägen leisten zu können.
Die Rolle professionelle Ausbildung in sozialer Arbeit bildet das Thema von David Stoesz (Richmond/USA) und Howard Karger (St.Lucia/Australien). Sie legen einen Entwurf vor, der den kritischen Ansatz einer professionellen Ausbildung vor allem durch wissenschaftliche Qualifizierung realisieren möchte. Damit soll der Indoktrinierung, dem Mangel an Reflexionsfähigkeit und einer oberflächlichen Wissensaneignung entgegengewirkt werden. Dies gilt auch für eine zu gering eingelöste Internationalität sozialer Arbeit und ihrer Ausbildung.
Mit der „Achilles-Ferse“ in den Partnerbeziehungen sozialer Dienstleistungseinrichtung befasst sich Imogen Taylor (Sussex/UK). Ein Trend der Zukunft sei es, das Potenzial für ganzheitlich integrierte Dienste effektiv zu gestalten, dabei trifft dies auf professionelle Zurückhaltung, die Identität, Status, Schweigerecht und Verantwortlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Interdisziplinarität ins Spiel bringen. Taylor schlägt einen Bezugsrahmen für integrierte Dienstleistungen des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialarbeitssystem vor, um die Hindernisse und Widerstände für diesen Wandel zu überwinden.
Thomas Ley (Bielefeld/BRD)widmet sich den heutigen Tendenzen der elektronischen Informations-, Kontroll- und Datenverarbeitung in der Sozialen Arbeit. Er gibt der Sorge Ausdruck, dass bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte im Zeitalter elektronischer Datenvereinfachung und Übersimplifizierung komplexer Probleme durch vorgestanzte Kategoriensysteme in Dropdownmenüs erheblich beeinträchtigt werden.
Für den Wandel des Blicks auf Empfänger sozialer Dienstleistungen in der Sozialpolitik, die als unzuverlässig, unehrlich und verdächtig immer wieder in Zweifel gezogen werden, befasst sich der Beitrag von Peter Beresford (London/UK). Dabei habe sich der Fokus von der Veränderung des Verhaltens von Menschen durch stringente Kontrolle verändert. Trotz der Rhetorik der Teilhabe und der Stärkung stellt er eine minimale Beteiligung der Nutzer von sozialen Dienstleistungen bei der Reform des Wohlfahrtsstaates fest. Er kritisiert die politischen Parteien, populistisch mit Ängsten und Vorurteilen umzugehen, und eben keine Gelegenheit zu geben ihre eigene Stimme zur Geltung kommen zu lassen. Die Wahlfreiheit durch soziale Dienstleistungen sei keineswegs so garantiert, wie die Rhetorik der Partizipation dieser öffentlichen Diskursen suggeriere.
Im Blick auf internationale sozialer Arbeit wendet sich Narda Razack (York/Kanada) den Beziehungen zwischen dem Lokalen und dem Globalen zu, beschreibt die Ungleichheiten zwischen Nord und Süd und sieht die Herausforderungen in der Überwindung noch immer wirkender Kolonisierungspraktiken bei westlicher Dominanz. Am Beispiel afrikanischer Länder wird die Rolle sozialer Arbeit in der Entwicklung Zusammenarbeit thematisiert, dabei die Herausforderung im Blick auf eine zunehmend zusammenwachsende internationale sozialer Arbeit betonen. Diese Problematiken werden im Beitrag von Kwaku Osei-Hwedie (Accra/Ghana) und Morena Rankopo (Gabarone/Botswana) vertiefend untersucht.
In dem abschließenden Kapitel fragt Ian Ferguson (Stirling/Scotland), warum Soziale Arbeit in ihrer inneren politischen Verfasstheit gerade durch Praktiken der sie umgebenden Dehumanisierung immer wieder neu belebt und neu erfunden wurde. Für ihn ist das Fazit, dass Sozialarbeiter die politische Natur ihrer Profession erkennen und öffentlich sichtbar machen, gerade auch dann, wenn der Wind ihr entgegen weht.
Fazit des Rezensenten
Insgesamt handelt es sich um ein Werk, das die oben genannten Kriterien für unterschiedliche Nutzergruppen in vielerlei Hinsicht erfüllt. Als Lehrbuch wird das Handbuch schwer verzichtbar sein, wenn es darum geht, sich ein Bild über neuere Befunde zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Internationalität sozialer Arbeit zu machen. Darin bildet das Handbuch ein Stück Zeitdiagnose. Ein anhaltender Zug der Praxisorientierung verbindet sich mit einem gut lesbaren Duktus der meisten Beiträge, Ansprüche an intensiv durchgearbeitete Theoriearbeit, wie sie zum Teil aus europäischen Diskursen heraus in Anlehnung an Klassiker – auch der amerikanischen Sozialphilosophie wie Rawls oder Walzer - geführt werden, werden hier unterschiedlich intensiv verfolgt. Die Suche nach einer Rezeption der nicht-angelsächsischen Literatur zur Sozialen Arbeit wird eher selten belohnt. Sichtbar wird ein gewachsener Einfluss evidenzbasierten Denkens und Forschens, aber ebenso die Kontinuität kritischen Denkens – in einer Mischung aus Realismus, Pragmatismus und Hoffnung auf Nachhaltigkeit des modernen Projekts sozialer Arbeit.
Rezension von
Prof. Dr. Rainer Treptow
Universität Tübingen, Institut für Erziehungswissenschaft
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