Helmut Kreidenweis: Lehrbuch Sozialinformatik
Rezensiert von Prof. Dr. Richard Reindl, 30.11.2012
Helmut Kreidenweis: Lehrbuch Sozialinformatik.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2012.
230 Seiten.
ISBN 978-3-8252-3781-3.
D: 19,99 EUR,
A: 20,60 EUR,
CH: 28,90 sFr.
Reihe: Studienkurs Management in der Sozialwirtschaft. UTB.
Thema
Kaum eine Tätigkeit in der Sozialen Arbeit kommt ohne informationstechnologische Unterstützung aus, sei es in der Planung, Organisation und Dokumentation von Hilfen, in der Steuerung und Finanzierung von Einrichtungen und Diensten oder im unmittelbaren Klientenkontakt, wie in der Onlineberatung oder in informationstechnologischen Assistenzsystemen. Die Bandbreite der IT-Unterstützung in der Sozialen Arbeit steht allerdings in einer etwas konträren Relation zu ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung, ablesbar auch daran, dass dieses Lehrbuch nach wie vor das einzige im deutschsprachigen Raum darstellt.
Wenn auch der Begriff Sozialinformatik jünger ist als sein Gegenstand, so kennzeichnet er eine seit etwa 2000 sich formierende Disziplin im Schnittpunkt von Sozialer Arbeit, Sozialwirtschaft und Informatik. Als eine angewandte Informatik beschäftigt sich die Sozialinformatik mit dem „Produktionsfaktor Information im System sozialer Dienstleistungen“ (Wendt 2000: 20).
Ziel des Lehrbuchs ist es, in den aktuellen Wissensbestand dieser noch jungen Disziplin einzuführen – ein äußerst drängendes und notwendiges Unterfangen angesichts der Tatsache, dass erst rund ein Fünftel der Studiengänge für Soziale Arbeit in Deutschland sozialinformatische Lehrinhalte anbieten.
Autor
Helmut Kreidenweis, Dipl.-Sozialpädagoge (FH), Dipl.-Pädagoge (Univ.), seit 2006 Professor für Sozialinformatik an der Kath. Universität Eichstätt, davor (2002 – 2005) an der HS Neubrandenburg ist Mitbegründer und Mitorganisator der ConSozial sowie Gründer und Vorstand des Fachverbandes Informationstechnologie in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung – Finsoz e.V. Er war mehr als fünf Jahre bei einem großen Anbieter von Sozialsoftware tätig und ist seit 1998 Inhaber der Beratungsfirma KI Consult mit dem Schwerpunkt IT-Beratung für soziale Organisationen.
Entstehungshintergrund
Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um die zweite Auflage des Lehrbuchs Sozialinformatik, das in der Reihe „Studienkurs Management in der Sozialwirtschaft“ erstmals 2004 erschienen ist. Der schnelle Wandel in der Informationstechnologie und insb. der Erkenntniszuwachs in der Sozialinformatik selbst waren Gründe, dieses Lehrbuch neu im Nomos-Verlag aufzulegen.
Aufbau
Das Lehrbuch ist in folgende sieben Kapitel gegliedert:
- Einführung in die Sozialinformatik
- Grundlagen der Informatik
- Informationstechnologie in sozialen Organisationen
- IT-Nutzung in der Sozialen Arbeit
- Informations- und Geschäftsprozessmanagement
- IT-Management in sozialen Organisationen
- Datenschutz und IT-Sicherheit
Es schließt mit einem Anhang, der relevante Internetquellen zu den Kapiteln des Buches enthält sowie die Lösungen zu den Arbeitsaufgaben am Ende jedes Kapitels.
Inhalt
Das erste Kapitel definiert Begriff und Gegenstand von Sozialinformatik und begründet die (inter-)disziplinäre Verortung im Spannungsfeld von Sozialer Arbeit und Sozialwirtschaft, Angewandter Informatik und Fachinformatiken. Dabei nimmt die Sozialinformatik die institutionelle Ebene, das IT-Management in sozialen Organisationen in seinen Bezügen zum Sozialmanagement und zur Handlungspraxis Sozialer Arbeit ebenso in den Blick wie die Adressaten-Ebene, die informationstechnologische Unterstützung in ihrer Lebenswelt und ihrer Kommunikation. Ein weites Feld, das hier aufgespannt wird, umfasst es doch Bereiche wie das IT-gestützte Controlling und die Steuerung von Organisationen ebenso wie Anwendungen zur Hilfeplanung, zur Informationsbeschaffung (lebenslagenorientierte Auskunftsportale) und zur Leistungsplanung wie -abrechnung, aber auch die Nutzung für Kernprozesse Sozialer Arbeit wie Online-Beratung, Partizipation und Selbsthilfe-Förderung. Weiterhin gehören dazu auch der Bereich der Assistenztechnologien für Adressaten wie die „Reflexion des Zusammenhangs von technologischer Entwicklung, Informations- und Wissensgesellschaft sowie daraus resultierender gesellschaftlicher Problemlagen und Aufgabenstellungen“ (s. 23). Analog dieses offenen Gegenstandsbereichs ist ein systematischer und in sich geschlossener Theorie- und Methodendiskurs in der Sozialinformatik noch nicht erkennbar. Nutzbringend hierfür wird vom Autor beispielhaft auf den Theorieansatz sozio-technischer Systeme verwiesen, der die gegenseitige Verflechtung und wechselseitige Beeinflussung von technischen (Hard- und Software) und sozialen (Anwender) Systemen fokussiert statt einem einlinigen Technik- bzw. Sozial-Determinismus zu folgen. Damit geraten auch diejenigen Wirkungen informationstechnologischer Anwendungen in den Blick, die als Nebeneffekte im fachlichen, organisatorischen und gesellschaftlichen Kontext auftreten und einer kritischen Reflexion bedürfen.
Eine Einführung in die Grundlagen der Informatik bietet das zweite Kapitel. Es beschreibt in prägnanter Form die Grundlagen der Informationsverarbeitung in Computern (Daten und ihre Codierung, Algorithmen und Programme, Schichtenmodell), den Aufbau von Computer- und Netzwerk-Architekturen inklusive Internet und Intranet sowie Datenbank- und Software-Architekturen. Neben dem grundlegenden Aufbau und der Klassifizierung von Datenbanken behandelt dieses Kapitel auch verschiedene Softwarearchitektur-Konzepte. Gerade deren Darstellung unter dem Gesichtspunkt der Auswahlentscheidung für soziale Organisationen macht dieses Teilkapitel interessant für Fach- und Führungskräfte in der Sozialen Arbeit. Ein Blick in die mögliche Zukunft der Informatik rundet dieses Kapitel ab.
Das dritte Kapitel beinhaltet den Stand der Informationstechnologie in sozialen Organisationen. Rückblickend werden Entwicklungslinien des IT-Einsatzes nachgezeichnet und der aktuelle Stand dokumentiert. Die hohe IT-Durchdringung in der Sozialwirtschaft (etwa eine halbe Million IT-Arbeitsplätze) lässt sich dann weiter ausdifferenzieren hinsichtlich Betriebssysteme, Standardsoftware, betriebswirtschaftliche und branchenspezifische Software zur Stammdatenverwaltung, Leistungsabrechnung, Dienstplanung und Statistik. Der Blick in die Zukunft des IT-Einsatzes im Management sozialer Organisationen stellt Trends vor, die z. T. in anderen Branchen weiter fortgeschritten sind und tendenziell stärker integrative Perspektiven einnehmen: Der prognostizierten informationstechnologischen Unterstützung und Abbildung der gesamten Wertschöpfungskette stehen die in der Sozialwirtschaft häufig noch vorfindbaren Insellösungen entgegen, bei denen oftmals die Logik der Datenverarbeitung dominiert statt die des organisationalen Workflows (s. 81 f.). Eine vollintegrative Lösung, die für alle Arbeitsabläufe eine einheitliche Softwarelösung bereitstellt, gehört nach wie vor in der Sozialwirtschaft zu den Realutopien. Weitere aktuelle informationstechnologische Trends, wie das Cloud Computing werden vorgestellt und hinsichtlich ihres potentiellen Nutzwerts für Soziale Organisationen beschrieben. Dies gilt auch in Bezug auf das sog. Mobile Computing, das seine Einsatztauglichkeit in der ambulanten Pflege bereits unter Beweis gestellt hat. Interessant wird die Perspektive dann bei den Ambient Assisted Living – Systemen, deren Bedeutung angesichts des anrückenden Fachkräftemangels in Zukunft sicher zunehmen wird und deren Verknüpfung mit sozialen Dienstleistungen eine künftig äußerst spannende Aufgabe werden wird.
Damit ist die Verknüpfung von IT-Systemen und den Kernprozessen Sozialer Arbeit angesprochen, denen sich das vierte Kapitel unter der Überschrift IT-Nutzung in der Sozialen Arbeit widmet. Nach einer grundsätzlichen Klärung der Besonderheiten und der Standardisierungsprobleme sozialpädagogischer Dienstleistungen werden Formen der IT-Nutzung für Kernprozesse Sozialer Arbeit vorgestellt. Im Wesentlichen handelt es sich um drei Bereiche der Nutzung: Software zur Planung und Dokumentation von Hilfen, soziale Beratung im Internet und internetgestützte Informationssysteme (Adressaten- bzw. Fachkräfteportale).
Die beiden nächsten Kapitel des Lehrbuchs lenken den Blick wieder auf den Beitrag der IT für das Management von Sozialen Organisationen. In Kapitel 5 geht es um das Informations- und Geschäftsprozessmanagement, also um die Frage, wie der Einsatz von IT methodisch gestaltet und für die Organisation wertschöpfend eingesetzt werden kann. Von der grundlegenden Unterscheidung von Daten, Informationen und Wissen ausgehend wird Information als Produktionsfaktor in sozialen Organisationen beschrieben. Eine genaue Analyse von Geschäfts- und Arbeitsprozessen – dargestellt anhand verschiedener Analysetechniken - ist erforderlich, wenn diese IT-gestützt zielgerichteter und effizienter gestaltet werden sollen (S. 125 ff.). Eine Übersicht über die verschiedenen Arten von IT-Anwendungen für das Informationsmanagement rundet dieses Kapitel ab.
Eines der Highlights dieses Lehrbuchs ist das sechste Kapitel, das sich mit dem IT-Management in sozialen Organisationen beschäftigt. Die folgenden 60 Seiten bündeln das Praxiswissen zum IT-Management in sozialen Organisationen. Das Spektrum beginnt rückblickend bei den Entwicklungsstufen des IT-Managements, greift die IT-Strategieentwicklung auf und beschäftigt sich darauf aufbauend mit der sinnvollen Organisation der IT in Diensten und Einrichtungen der Sozialen Arbeit. Die Einführung in das IT-Projektmanagement ist den zentralen Aufgaben des IT-Managements vorgeschaltet, insbesondere der Systemauswahl, der Systemeinführung und des laufenden Services. Besondere Sorgfalt wird auf die Beschreibung der einzelnen Schritte der Systemauswahl gelegt (u. a. Pflichtenheft, Ausschreibung, Marktanalyse, Wirtschaftlichkeitsprüfung), liegt an der aufgabenadäquaten Festlegung doch einer der entscheidenden Wertschöpfungsbeiträge der IT in sozialen Organisationen (S. 167 ff.). Ebenso detailliert erfolgt die Abhandlung zur Systemeinführung als wesentlicher Erfolgsfaktor eines Software-Projekts. Dabei spielen vor allem die Systemadministration, die Anpassung des Programms an die speziellen Anforderungen der Organisation (Customizing) und die Qualifizierung der Mitarbeiter/innen eine wichtige Rolle. Das im laufenden Betrieb entscheidende IT Servicemanagement (S. 198 ff.) setzt den Schlusspunkt unter dieses sehr praxisorientierte und mit vielen Schaubildern aufgelockerte Kapitel, das sich auch als Leitfaden für IT-Führungskräfte lesen lässt.
Das letzte Kapitel schließlich beschäftigt sich mit dem Datenschutz und der IT-Sicherheit. Ausgehend von Fallbeispielen werden rechtliche Grundlagen des Datenschutzes vorgestellt und in ihrer Auswirkung auf die Gestaltung und den Umgang mit der IT beleuchtet. Die dafür notwendigen organisatorischen und technischen Maßnahmen werden unter den Begriff der IT-Sicherheit subsumiert. Allerdings, so der Autor, geht der Begriff der IT-Sicherheit weit über die bloße technische Regelung des Datenschutzes hinaus. Er umfasst auch Sicherung der Systemverfügbarkeit, die Abwehr von Gefahren für Computersysteme und Daten sowie die Sicherung der Datenkonsistenz. Welche Schritte für ein IT-Sicherheitskonzept erforderlich sind, werden abschließend in diesem Kapitel beschrieben.
Diskussion
Das Lehrbuch bietet einen guten Einblick in den Wissensbestand in der Sozialinformatik. Der im ersten Kapitel erzeugte Spannungsbogen einer weit gefassten Sozialinformatik wird dabei systematisch abgearbeitet. Zu wünschen wäre dem Buch vielleicht ein zusätzliches Kapitel, das die über die einzelnen Kapitel verstreuten kritischen Aspekte der IT-Nutzung bündelt und den Zusammenhang von informationstechnologischer Entwicklung, ihren Nutzungsweisen und daraus resultierenden gesellschaftlichen Problemlagen systematisch reflektiert, ein Wunsch vielleicht für eine der nachfolgenden Auflagen.
Das vorliegende Buch ist im guten Sinne ein Lehrbuch. Es ist verständlich geschrieben, klar gegliedert und mit vielen Grafiken und Tabellen aufgelockert. Technische Begriffe werden fundiert erklärt. Vor allem die durchgängige Praxisorientierung in allen Teilbereichen der Sozialinformatik qualifiziert dieses Buch für den Einsatz in der Lehre. Dazu tragen auch die Aufgaben am Ende jeden Kapitels bei, die einerseits der Lernzielkontrolle dienen, aber auch zum eigenständigen Nachdenken und Vertiefen anregen.
Aber nicht nur zu Lehrzwecken ist dieses Buch bestens geeignet. Es bedient auch alle Fach- und Führungskräfte in der Sozialen Arbeit und Sozialwirtschaft mit dem Wissen, das sie für Entscheidungen im IT-Bereich ihres Aufgabengebiets benötigen. Da die einzelnen Kapitel des Buches in sich weitgehend abgeschlossen sind, kann es auch für einzelne Fragestellungen und Problematiken bestens als Nachschlagewerk genutzt werden.
Fazit
Das Lehrbuch Sozialinformatik ist Studierenden wie Lehrenden in diesem Fachgebiet bestens zu empfehlen. Es gehört ebenfalls zur Standardlektüre von Fachkräften in der Sozialen Arbeit und in der Sozialwirtschaft, die sich mit dem IT-Einsatz in ihren Arbeitsfeldern beschäftigen.
Rezension von
Prof. Dr. Richard Reindl
Dipl.-Päd., Dipl.-Theol., Professur für Soziale Arbeit an der TH Nürnberg, Akad. Leitung des Instituts für E-Beratung
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Es gibt 2 Rezensionen von Richard Reindl.
Zitiervorschlag
Richard Reindl. Rezension vom 30.11.2012 zu:
Helmut Kreidenweis: Lehrbuch Sozialinformatik. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2012.
ISBN 978-3-8252-3781-3.
Reihe: Studienkurs Management in der Sozialwirtschaft. UTB.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13753.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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