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Silke B. Gahleitner, Hans Günther Homfeldt (Hrsg.): Kinder und Jugendliche mit speziellem Versorgungsbedarf

Rezensiert von Anna Lena Rademaker, 05.12.2012

Cover Silke B. Gahleitner, Hans Günther Homfeldt (Hrsg.): Kinder und Jugendliche mit speziellem Versorgungsbedarf ISBN 978-3-7799-2263-6

Silke B. Gahleitner, Hans Günther Homfeldt (Hrsg.): Kinder und Jugendliche mit speziellem Versorgungsbedarf. Beispiele und Lösungswege für Kooperation der sozialen Dienste. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2012. 290 Seiten. ISBN 978-3-7799-2263-6. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR.
Reihe: Studien und Praxishilfen zum Kinderschutz.

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Thema

Eine Betrachtung sowie Anregung zur Weiterentwicklung von Aufgaben Sozialer Arbeit mit Kindern- und Jugendlichen mit speziellem Versorgungsbedarf, in unterschiedlichen Handlungs- und Interventionsfeldern sozialer Dienste.

AutorIn oder HerausgeberIn

Gahleitner, Silke, Prof. Dr.: Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin und für Integrative Therapie und Psychosoziale Interventionen an der Donau-Universität Krems; Sprecherin der Sektion Klinische Sozialarbeit. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Psychosoziale Diagnostik, Beratung und Therapie, Psychosoziale Traumaarbeit, Kinder- und Jugendhilfe, qualitative Forschungsmethoden.

Homfeldt, Hans Günther, Prof. em. Dr. phil.: Universität Trier, Abteilung Sozialpädagogik/Sozialarbeit. Arbeitsschwerpunkte: Soziale Arbeit und Gesundheit; Internationale Soziale Arbeit; Lebensalter und Soziale Arbeit; aktuelle Fragestellungen zur Sozialen Arbeit in Profession und Disziplin.

Entstehungshintergrund

Der vorliegende Band entstand im Rahmen der Reihe „Studien und Praxishilfen zum Kinderschutz“. Beleuchtet werden belastende biologische oder biografische Ausgangsbedingungen von Kindern und Jugendlichen, bezüglich sich daraus ergebender Bedarfslagen. Dabei stehen die Kooperationsstrukturen beteiligter Akteure und deren Fall(bearbeitungs)verständnis, unter besonderer Berücksichtigung administrativer und fachlicher Voraussetzungen, im Fokus.

Aufbau

Nach einleitenden Bemerkungen der HerausgeberInnen werden die verschiedenen Phänomene zur Bearbeitung multiproblematischer Ausgangslagen von Kindern und Jugendlichen, anhand unterschiedlicher Praxisbeispiele beleuchtet, um die komplexen Anforderungen an die Bearbeitung von Problemlagen von Kindern und Jugendlichen mit speziellem Versorgungsbedarf einzufangen und darzustellen. Die behandelten Beispiele spiegeln einen Querschnitt typischer Fallverläufe, beginnend im Feld Früher Hilfen über die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen, sozialen oder biologisch belasteten Ausgangslagen, zu Ausblicken auf sozialpädagogische sowie -staatliche Anforderungen, wieder. Abschließend diskutieren die HerausgeberInnen die zwei zentralen Themenfelder: Interdisziplinäre Kooperationen und Agency-, Biografie- und Gemeinwesenorientierung.

Inhalt

Hans Günther Homfeldt und Silke B. Gahleitner führen den Leser über eine Bestandsaufnahme aktueller Diskussionen um die gesundheitliche Lage von Kindern- und Jugendlichen thematisch in den rezensierten Band ein.
Studien zur Kinder- und Jugendgesundheit zeigen zweierlei Entwicklungen: einerseits bessere Entfaltungschancen und Individualisierungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche und andererseits eine schlechtere Gesundheitslage, insbesondere sozioökonomisch benachteiligter Gesellschaftsgruppen.

Heute bedeute Aufwachsen die eigene Lebensplanung aktiv zu gestalten und Einfluss auf sie zu nehmen. Nicht alle Menschen seien jedoch in der Lage diesen Anforderungen hinreichend gerecht zu werden, da sich Entwicklungschancen ungleich verteilen. Kinder und Jugendliche mit speziellem Versorgungsbedarf stellen daher eine besonders gefährdete Risikogruppe dar.

Beispielsweise konnte trotz vieler Bemühungen eine angestrebte „Große Lösung“, zum Zwecke der Integration aller Kinder und Jugendlichen in die Gesetzgebung des SGB VIII nicht erzielt werden. Geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche fallen noch immer unter die Gesetzgebung des SGB XII, wobei seelisch behinderte Kinder und Jugendliche über Maßnahmen des Jugendamtes als Rehabilitationsträger gefasst werden („Kleine Lösung“). Seelische Behinderungen sind jedoch nur schwer zu anderen Formen der Behinderung abzugrenzen, welches in der Praxis immer wieder zu entscheidenden Zuordnungsproblemen zu den Gesetzen sowie Diensten führt.

Gestiegene Hilfebedarfe, insbesondere mehrfachbelasteter Kinder- und Jugendlicher, machen, so die HerausgeberInnen einen zunehmenden Kooperationsanspruch an beteiligte Dienste des Sozial- und Gesundheitswesens unumgänglich. Multiprofessionelle Bearbeitung anhand adäquater Interventionsformen zur Beeinflussung psychosozialer Beeinträchtigungen, unter Bezugnahme sozial bedingter Ungleichheiten, stellen hohe Ansprüche an Akteure, deren Bewältigung noch immer an Kooperationsschwierigkeiten und betriebswirtschaftlichen Gründen zu scheitern scheinen.

Der stark fallorientierte Sammelband stellt Praxisbeispiele aus typischen Feldern der Sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit speziellem Versorgungsbedarf vor. Ziel einzelner Beiträge ist es, durch ihre Bezüge zu typischen oder exemplarischen Fallverläufen, ein großes Spektrum relevanter Themen bezüglich der interessierenden AdressatInnengruppe herzustellen. Im Fokus der Beiträge steht das Aufzeigen von Lösungswegen zur Kooperation sozialer Dienste unter Beachtung einer konsequenten Ausrichtung von Interventionen an Bedarfen der jeweiligen Zielgruppe:

  • Ute Ziegenhain zeigt in ihrem Beitrag über „Frühe Hilfen“ Perspektiven für systematische, verbindliche und interdisziplinäre Kooperationen zur effektiven Begegnung von Kindeswohlgefährdungen innerhalb der Frühen Hilfen auf.
  • Luise Behringer und Susanne Dillitzer diskutieren, unter Berücksichtigung der Komplexität kindlicher Entwicklung im Spannungsfeld pädagogischer und medizinischer Leistungen der „Frühförderung“, den Bedarf einer soliden Regelfinanzierung.
  • Ute Thyen orientiert sich insbesondere an Anforderungen von „Kindern und Jugendlichen mit chronischen Gesundheitsstörungen“ und ihren Familien, um Entwicklungsprozesse der Krankheitsverläufe und Familiendynamiken im Zusammenhang zu verstehen.
  • Ausgehend von der Annahme, Verwirklichungschancen von ‚Kindern und Jugendlichen mit psychisch und suchtkranken Eltern′ bräuchen eine adäquate Unterstützung, widmen sich Margret Dörr und Andreas Schrappe einer subjektiven Perspektive der Eltern bezüglich biopsychosozialer Unterstützungsleistungen im Kontext familiärer Beziehungsdynamiken, der Elternwahrnehmung sowie ihren Ängsten.
  • Norbert Beck diskutiert in seinem Beitrag Bedarfsentwicklungen und sozialrechtliche Rahmenbedingungen zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen in ‚therapeutischen Gruppen? mit Fokus auf identifizierte Kooperationsherausforderungen an die Schnittstelle: Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder und Jugendhilfe.
  • Marc Schmidt, Martin Schröder und Nils Jenkel sehen eine teilstandarisierte Eingangsdiagnostik bei „Traumatisierten Kindern zwischen Psychotherapie und stationärer Jugendhilfe“, als zwingende Voraussetzung unter der Berücksichtigung besonderer pädagogischer und psychotherapeutischer Bedarfe, insbesondere mit Blick auf Kooperationsstrukturen. Sie verdeutlichen am Beispiel von EQUALS wie Ressourcenorientierung und Partizipation junger Menschen umgesetzt werden kann.
  • Hans Günther Homfeldt und Caroline Schmitt erarbeiten in ihrem Beitrag über „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ einen bedarfsorientierten, an Akteuren ausgerichteten Ansatz transnationaler Kooperation. Im besonderen nehmen sie Fluchtgründe, die Rekonstruktion von Fluchtetappen und Kontakte zu Institutionen in Deutschland ohne elterliche Bezugspersonen in den Blick.
  • Ausgehend von einem Wechselverhältnis von Bildung und Lebensbewältigung junger Menschen, fordert Karlheinz Thimm in seinem Aufsatz über „Schulabsentismus“ kooperative Hilfekonzepte, insbesondere für AdressatInnen aus benachteiligten Lebensverhältnissen.
  • Am Beispiel von Baden-Wüttemberg behandelt Jörg M. Fegert in seinem Beitrag verschiedene Diskussionsstränge zur „Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit (drohender) Behinderung“ unter Anmahnung einer inhaltlichen und ethischen Auseinandersetzung mit der Grundidee der ‚Großen Lösung‘.
  • Anknüpfend an den Beitrag von Jörg M. Fegert zeigen Roland Fehrenbacher und Christiane Bopp kritische Entwicklungen zu einer Angebotsstruktur, die kaum Berührungen zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung aufweist. Als Herausforderung benennen sie die Etablierung einer bestmöglichen Förderung aller Kinder, ob mit oder ohne Behinderung, wohnortnah und inklusiv zu gestalten.
  • Reinhard Wiesner zeigt, anhand der Systemlogik der Kinder- und Jugendhilfe mit Schnittstellen zum Gesundheitswesen und der Rehabilitation in seinem Beitrag über „Rechtliche Perspektiven zu den Kooperationsnotwendigkeiten der sozialen Dienste“, verfahrensrechtliche Instrumente, die zu einer Abmilderung von Differenzierungen beteiligter Institutionen führen können, auf.

Die abschließende Rahmung leisten zwei Aufsätze. Unter dem Titel „Kooperationsprozesse“ widmen sich die HerausgeberInnen und Jörg M. Fegert dem Aufzeigen von Kooperationsbedarfen, Kooperationshindernissen und Kooperationswegen bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit speziellen Versorgungsbedarf. Dies ergänzen Hans Günther Homfeldt und Silke B. Gahleitner durch einen Beitrag über „Agency – Biografie – Gemeinwesen: eine gemeinsame Basis für Kooperation“.

Diskussion

Mit Blick auf die AdressatInnengruppe der Kinder und Jugendlichen mit speziellem Versorgungsbedarf geben Gahleitner und Homfeld einen übergreifenden Einblick auf diese Thematik.

Sie orientieren sich dabei durchgängig an Fall- und Praxisbeispielen, die sie in den abschließenden Beiträgen theoretisch und wissenschaftlich vertiefen. In diesen verweisen sie zunächst, gemeinsam mit Jörg M. Fegert darauf, dass Soziale Arbeit nicht als ‚Single-Player‘ sondern als Koordinator und Mitgestalter funktionierender Kooperationsnetzwerke agiere. Sie postulieren Entwicklungen zu einer Verantwortungsgemeinschaft und weisen kritisch auf eindimensional ausgerichtete Hilfen hin. Zu einem multidimensionalen Umgang mit entsprechenden Problemen durch soziale Systeme gehöre eine multidimensionale Diagnostik und Interventionsplanung. Als Lösungsmöglichkeiten schlagen sie

  • interprofessionelle Zusammenarbeit,
  • gemeinsame Forschungsstudien, unter Berücksichtigung unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen beteiligter Disziplinen, über praktizierte Kooperationsmodelle,
  • strukturelle Verankerungen von Kooperationen und
  • die Überwindung des Dilemmas gemeinsamer Finanzierungsmodelle zwischen dem Sozial- und Gesundheitswesen vor.

Anschließend konstatieren die HerausgeberInnen in ihrem Beitrag zur Agency-, Biografie- und Gemeinwesenorientierung, dass Wissen über akteursspezifische Biografien das Verständnis für die persönliche Lebenslage und Lebenswelt fördern könne. Kompetenzen und Ressourcen werden sichtbar und zeigen mögliche Anknüpfungspunkte für interprofessionelle Hilfen. Um Betroffenen als Entscheidungsträgern ein stärkeres Gewicht zukommen zu lassen sollten bspw. ihre Sichtweisen substantiell ernst genommen sowie ein wissenschaftlicher und professioneller Entwicklungsprozess angestoßen werden.

Zusammenfassend sei gesagt, dass die Form des Sammelbandes besonders hervorzuheben ist. Einzelne Beiträge bleiben nicht isoliert voneinander stehen, sondern vertiefen, in den einzelnen Aufsätzen beteiligter AutorInnen, die zentralen Themen der Kooperation unter besonderer Betrachtung individueller Akteursperspektiven. Gahleitner und Homfeldt gelingt es damit einen universellen Blick für Perspektiven der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit speziellem Versorgungsbedarf zu eröffnen und diesen im Diskurs der Sozialen Arbeit einzubetten.

Fazit

Der vorliegende Band richtet sich an PraktikerInnen und WissenschaftlerInnen die im Schnittfeld sozialer und gesundheitlicher Dienste tätig sind. Er postuliert einerseits eine professionelle Auseinandersetzung und Beleuchtung besonderer Bedarfe von Kindern und Jugendlichen mit speziellem Versorgungsbedarf und deren Entwicklungsmöglichkeiten in der Praxis, zeigt andererseits aber auch Anknüpfungspunkte für erkenntnisschaffende Forschung auf.

Rezension von
Anna Lena Rademaker
M.A.
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Es gibt 1 Rezension von Anna Lena Rademaker.

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Zitiervorschlag
Anna Lena Rademaker. Rezension vom 05.12.2012 zu: Silke B. Gahleitner, Hans Günther Homfeldt (Hrsg.): Kinder und Jugendliche mit speziellem Versorgungsbedarf. Beispiele und Lösungswege für Kooperation der sozialen Dienste. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2012. ISBN 978-3-7799-2263-6. Reihe: Studien und Praxishilfen zum Kinderschutz. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13892.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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