Frerich Frerichs, Kai Leichsenring et al.: Qualität sozialer Dienste in Deutschland und Österreich
Rezensiert von Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp, 28.09.2004

Frerich Frerichs, Kai Leichsenring, Gerhard Naegele, Monika Reichert, Michael Stadler-Vida: Qualität sozialer Dienste in Deutschland und Österreich.
Lit Verlag
(Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2003.
257 Seiten.
ISBN 978-3-8258-7191-8.
19,90 EUR.
Reihe: Dortmunder Beiträge zur Sozial- und Gesellschaftspolitik, Band 49.
Das Thema
Auf dem Hintergrund der Änderung der wirtschaftlichen Lage und der daraus resultierenden Änderung gesetzlicher Vorgaben für soziale Dienst hat die Qualitätsdiskussion in den Sozialen Diensten in den letzten Jahren vermehrt die Frage nach Herstellung, Sicherstellung und Messung von Qualität in den Vordergrund gestellt. Soziale Dienst werden zunehmend marktorientiert organisiert. Kundenorientierung, Wahlfreiheit und Mitbestimmung bei der Gestaltung dieser Dienste erlangen stärkeres Gewicht. Die direkte Übertragung von Qualitätssicherungskonzepten aus dem Bereich der Wirtschaft ist dabei längst an seine Grenzen gelangt, weil sie die Eigenarten Sozialer Einrichtungen nicht berücksichtigen. Dazu gehört unter anderem, dass soziale Dienste meist nur im Zusammenspiel verschiedener Dienstleistungserbringer und unterschiedlicher Institutionen zu organisieren sind. Damit verbunden sind Kooperations- und Koordinationsaufgaben, die durch herkömmliche Zertifizierungsverfahren allein nicht zu lösen sind.
Soziale Dienste sind Bestandteile sozialstaatlicher Sicherung und damit nach Kriterien sozialer Gerechtigkeit und gleicher Zugangsmöglichkeiten zu beurteilen. Nachdem persönliche soziale Dienste nicht mehr ausschließlich durch staatliche oder freie Träger mit einem einheitlichen Angebot, sondern von unterschiedlichen Anbietern angeboten werden (Privatisierung) ergeben sich Fragen nach der Vergleichbarkeit für die Finanzierer wie für die Abnehmer der Leistungen.
Schließlich gab es auch in den sozialen Diensten schon immer eindeutige Qualitätsmaßstäbe (Berufsethos, Professionalität, Fachlichkeit) für die Arbeit, die aber eher im Hintergrund eine Rolle spielten als dass sie, wie im Rahmen der aktuellen Qualitätsdebatte gefordert, als sichtbare Qualitätsstandards im Vordergrund standen. Alle daran beteiligten Akteure dürften deshalb herausgefordert sein, "Qualitätsmaßstäbe und Qualitätssicherungssysteme zu entwickeln, welche die Eigenheiten sozialer Dienste ernst nehmen, indem sie einerseits die Bedarfs- und Bedürfnislagen der KlientInnen und andererseits die besonderen Belastungsfaktoren der Beschäftigen berücksichtigen" (S. 13). Wie geht man in der Praxis mit diesen Forderungen um? - Was geschieht in dieser Hinsicht konkret bei den Anbietern Sozialer Dienste?
Die Autoren und Autorinnen
Auf diesem Hintergrund entstand der vorliegende Band 49 der "Dortmunder Beiträge zur Sozial- und Gesellschaftspolitik", herausgegeben von Prof. Dr. Gerhard Naegele vom Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund und Dr. Gerd Peter vom Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund. Zwei Autorenteams beschäftigen sich mit der Situation der Sozialen Dienst in Deutschland (Frerichs, Leichsenring, Naegele) und in Österreich (Reichert, Stadler-Vida).
Aufbau und Inhalt
Für jedes Land werden dargestellt
- die veränderten politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen sozialer Dienste, die für die neue Angebotsformen grundlegend sind
- die Versorgungsbedarfe und Versorgungsstrukturen für drei ausgewählte Klientengruppen nämlich
- für ältere hilfe- und pflegebedürftige Menschen
- für jugendliche Langzeitarbeitslos und
- für Menschen mit geistiger Behinderung
Anschließend werden für jede dieser Klientengruppen 3 Praxisbeispiele für integrierte soziale Dienste vorgestellt, deren Beschreibungen auf dem Hintergrund von Interviews und der Sichtung von Dokumentationsmaterial entstanden sind. Zwei ausgewählte Angebote werden als ausführlichere Fallstudien dargestellt und unter den Stichworten Qualität der Dienste, Qualität der Arbeitsbedingungen, Beziehungen zu den Akteuren (Koordination von Zusammenarbeit) ausgewertet.
Daraus werden Schlussfolgerungen gezogen und Empfehlungen für die Qualität der Dienstleistungen (Kundenorientierung), die Qualität der Arbeitsbedingungen und die Anforderungen an die Vernetzung und Koordination im sozialen Hilfesystem gezogen.
Ergebnisse und Diskussion
Die vorgestellten Praxisbeispiele machen deutlich, wie unterschiedlich Angebote Sozialer Dienste organisiert sind, wie verschiedenartig sie - je nach ihrer eigenen Organisationsform und ihren Entstehungsbedingungen- Angebote definieren, durchführen und die unterschiedlichsten Mitarbeiter einsetzen. Dabei ist besonders interessant zu erfahren, wie in den Einrichtungen die Zusammenarbeit zwischen professionellen Mitarbeitern und Mitarbeitern aus anderen Bereichen organisiert wird. Die Kombination von Beschäftigungsmaßnahmen, Arbeitsförderungsmaßnahmen und Sozialen Diensten ist sicherlich eine wichtige Frage der Zukunft, aber viele hegen Befürchtungen, dass diese die Qualität der Dienste mindert. Hier wird deutlich, dass viele Formen der Zusammenarbeit möglich sind, die allerdings jede Einrichtung auf ihrem speziellen Hintergrund kreativ gefunden hat. Man könnte sagen: es fällt wohltuend auf, dass professionelle und nichtprofessionelle MitarbeiterInnen sich nicht voneinander abgrenzen müssen, dass Dienste nicht eindeutig spezialisiert sein müssen, dass viele Formen sozialer Angebote, die von den Kunden benötigt werden, im konkreten Fall erst entwickelt werden(müssen und können) und dass dies oft nur durch eine verstärkte Zusammenarbeit von Akteuren in der jeweiligen "Sozialen Szene" erfolgen kann, indem in Form von Case Management die erforderlichen Teilangebote für den Kunden/Klienten verfügbar gemacht werden.
So werden neue Soziale Dienstleistungen kreiert, die beschreibbar (im Sinne von Qualität) sind und die dann auch auf ihre Umsetzbarkeit und Finanzierbarkeit hin geprüft werden können. Spätestens hier taucht dann die Frage nach den Arbeitsbedingungen der MitarbeiterInnen auf. Will man ein gutes Produkt abliefern, benötigt man zufriedene MitarbeiterInnen. Es geht also einerseits um die Frage, wie persönliche Interessen der MitarbeiterInnen mit den Aufgaben der Sozialen Dienste vereinbar sind / bzw. gemacht werden können (hoher Frauenanteil , verschiedenste Teilzeitarbeitsverhältnisse) und andererseits um Fragen, wie dem burnout-Syndrom vorgebeugt werden und wie die MitarbeiterInnen in den Stand versetzt werden, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse auf dem aktuellen Stand zu halten. Das alles hat Auswirkungen auf die Kosten der Dienste, die deshalb eine andere Verhandlungsposition gegenüber den Geldgebern erforderlich macht, die nicht nur den Preis in den Vordergrund stellt.
An den verschiedenen Beispielen wird deutlich, wie unterschiedlich sich diese Probleme im konkreten Fall gestalten und welche Lösungen möglich sind.
Als Ergebnis werden Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Arbeit formuliert,
- mit Fragen der Integration bzw. Koordination sozialer Dienste,
- mit der Mitarbeiterbeteiligung bei Planung und Entwicklung entsprechender Dienste ,
- mit den unterschiedlichen und Mehrfachqualifikationen von MitarbeiterInnen und
- mit der Verknüpfung von Diensten und der kooperativen Erbringung von Leistungen und ihren Konsequenzen für ein optimiertes Angebot.
Will man damit positiv umgehen, setzt das bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten bei den Leitungspersonen solcher Dienste voraus. Den professionellen sozialen Fachkräften fehlt in der Regel das wirtschaftlich Know-how, das im Rahmen ihrer Ausbildung bisher eine geringere Rolle spielte, den (hier und da ) eingesetzten professionellen wirtschaftlichen Fachkräften geht häufig das Verständnis für die Eigenart der sozialen Dienste, die nur bedingt mit wirtschaftlichen Unternehmungen vergleichbar sind, ab. Wenn man also unter aktuellen Gesichtspunkten über den Einsatz von "Ein-Euro-Jobs" als Fachkräfteersatz im sozialen Bereich räsoniert und die Qualität Sozialer Dienste schwinden sieht, dann taucht die Frage nach dem "Sozialmanager" auf, der sowohl die wirtschaftlichen wie die sozialen Aspekte der Angebotssituation berücksichtigen kann, der grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten für die Mitarbeiterführung mitbringt und daraus Konsequenzen für neue Organisationsformen Sozialer Dienste und die jeweils zu aktualisierenden Angebote ziehen kann. Dabei geht es nicht um die Spitzenpositionen in Großorganisationen, sondern um die Leitungspositionen in den vielen kleinen und mittelgroßen Sozialen Diensten und um die mittleren Ebenen in Sozialorganisationen, für die neu und anders qualifiziertes Personal benötigt wird. Hier sind sicherlich die Fachhochschulen mit ihren neu zu gestaltenden Studiengängen gefragt.
Zielgruppe und Fazit
Das Buch ist empfehlenswert für alle, die in den angesprochen Arbeitsbereichen tätig sind, findet man hier doch viele Ideen, die jeweils vor Ort gefunden wurden und die "kreativ kopiert" werden könnten. Interessant scheint mir dabei vor allem die Kombination von Maßnahmen, die nach "konventioneller sozialer Denkart" getrennt sind: es ist durchaus möglich, über den eigenen Schatten zu springen. Und: hier kann man vielleicht fündig werden bei der Suche nach "Synergie-Effekten" in der Sozialen Arbeit.
Rezension von
Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp
Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Sozialarbeit
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