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Herward Sieberg: Elisabeth von Heyking. Ein romanhaftes Leben

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 20.09.2012

Cover Herward Sieberg: Elisabeth von Heyking. Ein romanhaftes Leben ISBN 978-3-487-14774-1

Herward Sieberg: Elisabeth von Heyking. Ein romanhaftes Leben. Georg Olms-Verlag (Hildesheim) 2012. 628 Seiten. ISBN 978-3-487-14774-1. D: 49,80 EUR, A: 51,20 EUR.

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Wacher Geist – waches Leben: Die Suche nach dem Platz an der Sonne

„Auch sie wird vergessen werden, wie alles einmal vergessen wird…“, – diese wehmütige Ansicht über das Vergängliche im Leben durchbricht Herward Sieberg mit der ersten umfassenden Biographie über eine einstmals berühmte Schriftstellerin.

Elisabeth von Heyking wurde am 10. Dezember 1861 in Karlsruhe als älteste Tochter des preußischen Gesandten im Großherzogtum Baden, Albert Graf von Flemming und seiner Frau Armgart,geboren. Politisch und gesellschaftlich durch die Bismarckzeit geprägt, sollte die Enkelin von Bettine und Achim von Arnim eine wache Beobachterin der konfliktreichen Entwicklungen in Deutschland, Europa und der Welt werden. In zweiter Ehe war sie mit dem Diplomaten Edmund von Heyking verheiratet, einem Baltendeutschen, der die preußische Staatsangehörigkeit angenommen hatte. An seiner Seite verbrachte sie fast zwei Jahrzehnte in Übersee. Als aufmerksame und geistig emanzipierte Frau führte sie Tagebuch über ihre Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse in ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Ab 1900 veröffentlichte sie Artikel, Novellen und auch mehrere Romane. Schlagartig berühmt wurde sie 1903 mit ihrem Buch „Briefe, die ihn nicht erreichten“, das bald auch in mehreren Fremdsprachen erschien. Im Jahr 1908 erbte sie das Flemmingsche Schloss Crossen an der Weißen Elster, in der Nähe von Zeitz. Dort führte sie das Leben einer geachteten Schriftstellerin, die von zahlreichen Künstlern, Wissenschaftlern und befreundeten Diplomaten besucht wurde. Zu Anfang des Ersten Weltkriegs starb ihr Mann, und gegen Kriegsende verlor sie ihre beiden Söhne. Danach wurde es still um die Schriftstellerin, die am 4. Januar 1925 im Alter von 63 Jahren starb.

Entstehungshintergrund und Autor

Die privilegierte Stellung, die Elisabeth von Heyking aufgrund ihrer Abstammung und Heirat einnahm, könnte vermuten lassen, dass eine Biographie über ihr Leben und Wirken die typischen Entwicklungen und Imponderabilien der Adelsschicht nachzeichnet und der Brechtschen Frage – „Wer baute das siebentorige Theben“ – wenig Raum gibt; doch dem Historiker und Politikwissenschaftler Herward Sieberg gelingt es, die im Untertitel des Buches signalisierte Kennzeichnung – „Ein romanhaftes Leben“ – spannend zu füllen und zu zeigen, wie sich Elisabeth von Heyking in ihren Erzählungen und Romanen von eigenen vorgefertigten Einstellungen distanziert und – entgegen den völkischen Trends von damals – Empathie und Verständnis für „das Fremde“ entwickelt. So schreibt sie ihr Buch „Tschun“ (1914) „nicht mehr aus der Sicht einer Europäerin, sondern aus der Perspektive eines jungen Chinesen“. Herward Sieberg ist es in mehrjähriger Arbeit gelungen, zahlreiche, scheinbar verloren gegangene Quellen ausfindig zu machen, zum Sprechen zu bringen und in die Zeitgeschichte einzubetten. So ist mehr entstanden als (nur) die Biographie einer bemerkenswerten, heute beinahe in Vergessenheit geratenen Persönlichkeit. Die Kombination von historischer und politischer Betrachtung ist es, die sowohl eine Familiengeschichte derer von Arnim-Brentano spiegelt, als auch eine Reflexion über eine konfliktreiche Epoche zu Tage fördert.

Aufbau und Inhalt

Herward Sieberg gliedert die Biographie in vier Teile.

Im ersten Teil werden hauptsächlich Elisabeths Eltern – Graf Albert und Gräfin Armgart von Flemming – vorgestellt. Wir erfahren einiges über den Schlossherrn von Buckow (Märkische Schweiz) und seine Vorfahren, mehr aber über Armgart (geb. von Arnim), die als Kind – zusammen mit ihrer Schwester Maximiliane – mehrere Jahre in Frankfurt / Main im Haus des reichen Onkels Georg Brentano erzogen wurde. Später führte Armgart in Berlin den Haushalt ihrer berühmten Mutter Bettine von Arnim. Die Atmosphäre dieses „offenen Hauses“ am Nordrand des Berliner Tiergartens, besonders im spannenden Revolutionsjahr 1848, die Besuche und Begegnungen mit Künstlern, Schriftstellern und Politikern, Armgarts vielfach gerühmte Gesangs- und Malkunst werden anschaulich geschildert. Erst nach dem Tod ihrer Mutter heiratet Armgart mit 39 Jahren Graf Albert von Flemming. Der Umzug aus Berlin an die preußische Gesandtschaft nach Karlsruhe mit Sommersitz in Baden-Baden brachte eine gewisse Beruhigung in ihr Leben, getrübt allerdings durch Auswirkungen des Preußisch-Österreichischen Kriegs (1866) und des Deutsch-Französischen Kriegs (1870/71). Am 10. Dezember 1861 wurde Tochter Elisabeth geboren; deren Kosenamen – von „Lisalorchen“, „Lisi“ bis zu „Mummedei“ – zeugen von liebevoller Aufnahme in den Familien- und Gesellschaftskreis. 1864 folgte Schwester Irene („Didiwipp“), die spätere Dichterin Forbes-Mosse. Vater Albert glänzte nicht nur auf diplomatischem Parkett, sondern auch als Cellist. Die Festlichkeiten, Begegnungen und kulturellen Vorlieben im Haus Flemming prägten die Entwicklung Elisabeths und förderten ihre erzählerische und schriftstellerische Begabung.

Der zweite Teil ist mit „Tragische Verkettung“ überschrieben. Erkrankung und früher Tod der Mutter (1880) und vier Jahre später auch des Vaters lasten schwer auf Elisabeth. Trotz ungünstiger Voraussetzungen heiratet sie im Sommer 1881 den jungen Stephan zu Putlitz, der als Privatdozent an der Berliner Universität lehrt und als „aufsteigender Stern der deutschen Nationalökonomie“ gilt. Die Ehe entwickelt sich unglücklich und kann auch nicht durch die Geburt von Töchterchen Stephanie gekittet werden. Als ihr Mann im Sommer 1883 einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Halle / Saale erhält, spitzt sich die Situation zu. Elisabeth fürchtet den Umzug in die „öde Provinz“. Auch hat sie inzwischen eine kaum unterdrückte Zuneigung zu Edmund v. Heyking gefasst, und darum will sie sich von Stephan zu Putlitz scheiden lassen. Schiere Verzweiflung treibt ihren Mann im Juli 1883 zu einem gescheiterten Selbstmordversuch und kurz darauf zur Selbsttötung durch Erschießen. Stephans Verwandte behaupten nun öffentlich, Elisabeth habe ihren Mann „in den Tod getrieben“. Die „Putlitz-Affäre“ beginnt und ruft in der öffentlichen, offiziösen Meinung ein unversöhnliches Für und Wider hervor. Im Sommer 1884 heiratet Elisabeth ihren Edmund von Heyking, mit dem sie für längerer Zeit nach Italien übersiedelt. Mit den bisherigen Schwiegereltern folgt eine zermürbende Auseinandersetzung um das Sorge- und Erziehungsrecht von Tochter Stephanie. Ein Rechtsstreit, der in Berlin und Karlsruhe durch alle Instanzen geht, endet im Dezember 1885 mit einem endgültigen Urteil zugunsten von Elisabeth: Familie Putlitz wird zur Herausgabe von Tochter Stephanie gezwungen. Ein halbes Jahr zuvor hat Elisabeth in Florenz ihren Sohn Albert geboren.

Der dritte Teil thematisiert die zwei Jahrzehnte der Heykings im diplomatischen Dienst in Übersee: Es beginnt mit New York (1885/1886), gefolgt vom abgeschiedenen Valparaiso in Chile, wo Elisabeth ihre Tagebuchaufzeichnungen beginnt. Als Edmund v. Heyking in ein südamerikanisches Bergbauprojekt das überwiegende Vermögen seiner Frau investiert und wenig später verliert, bedeutet dies einen herben finanziellen Verlust. Trübe Karriereaussichten führen zeitweilig zu Überlegungen, aus dem diplomatischen Dienst auszuscheiden und eine Professur an einer Universität anzustreben. Erst eine lobende Erwähnung aus dem Berliner Auswärtigen Amt bringt neue Aufstiegshoffnung. Ein längerer Heimaturlaub beendet Heykings schwierige Lebensbedingungen in Valparaiso und führt die Familie nach Italien, ins Baltikum und nach Deutschland. Nach bangem Warten erfolgt Edmund v. Heykings Ernennung zum neuen deutschen Generalkonsul in Kalkutta, der damaligen Hauptstadt von Britisch-Indien. Da der britische Vizekönig jeweils während der heißen Jahreszeit in der Himalaja-Stadt Simla (Shimla) residiert, folgen ihm auch Heykings dorthin. Hier entwickeln sie ein freundschaftliches Verhältnis zu führenden Vertretern der britischen Kolonialmacht. Verschiedentlich dürfen Heykings den Vizekönig bei interessanten Inspektionsreisen begleiten. Um sich mit ihrem indischen Personal verständigen zu können, lernt Elisabeth etwas Hindi. Am 17. November 1891 hat sie in Simla ihren zweiten Sohn Günther geboren, den sie ihr „Himalaya Baby“ nennt. Als Heykings nach drei Jahren ihre Heimreise in Richtung Europa antreten, notiert Elisabeth: „Es war doch die schönste Zeit meines Leben im lieben Indien, in dem wir so viel Freundliches erfahren und so viele Freunde zurücklassen“. In der Urlaubszeit von April 1893 bis Februar 1894 war wieder Bangen angesagt ob der weiteren Verwendung Heykings im Auswärtigen Dienst. Dann kommt plötzlich die Ernennung zum Generalkonsul in Kairo. Bei der Abreise dorthin verspüren Heykings eine Mischung aus Erwartung, Stolz und Zuversicht. Die Tätigkeit des deutschen Generalkonsuls in Kairo wird positiv dadurch beeinflusst, dass er zum ägyptischen Khediven Abbas II., der gewissermaßen in dem diktatorischen Macht- und Ränkespiel der britischen Kolonialmacht als geduldeter Monarch eingesetzt ist, ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen kann. Dies bringt ihn aber zwangsläufig in Konflikt mit dem britischen Kolonialvertreter Lord Cromer und führt bei Heykings bald zu heftiger Abneigung gegen alles Britische. Als Edmund v. Heyking Ende Dezember 1895 von Kairo abberufen wird, glaubt man in der Presse, dass Lord Cromer auch dabei seine Hände im Spiel gehabt hat. Nach einigem Hin und Her folgt Heykings Ernennung zum Gesandten in Peking. Auf Wunsch von Kaiser Wilhelm II. soll er dort zusammen mit Admiral Tirpitz, dem Chef des Ostasien-Geschwaders, eine energische neue deutsche China-Politik einleiten, die unverblümt auf den Erwerb eines Marinestützpunktes abzielt. Die Widrigkeiten, die sie auf ihrem Weg bis in Chinas Hauptstadt erdulden müssen, ein ungewohntes Klima, generell schlechte Wohn- und Lebensbedingungen in Peking sowie insgesamt ungünstigen private Verhältnisse und Unsicherheiten bei der Karriereplanung zeigen nun bei Edmund und Elisabeth v. Heyking deutlich Wirkung. Als sich die deutsche Marine im November 1897 handstreichartig der Kiautschou-Bucht in der Provinz Schantung (Shandong) bemächtigt, muss der Gesandte von der chinesischen Regierung erreichen, diesen Gewaltakt vertraglich zu „legalisieren“. Er führt die Verhandlungen ganz im Stil des damals herrschenden imperialistischen Zeitgeistes. Am 6. März 1898 willigt Peking tatsächlich in den Kiautschou-Vertrag, der das betreffende Gebiet an Deutschland abtritt und zwar offiziell als „Pacht auf 99 Jahre“ ( vgl.: Susanne Kuß, Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10329.php ). Elisabeth und Edmund von Heyking rechnen nun mit hohen Auszeichnungen aus Berlin. Als diese jedoch gänzlich ausblieben und die deutsche Marine alle „Verdienste um Kiautschou“ für sich reklamiert, reagieren sie tief verletzt. Ihre eigene Enttäuschung führt sie fortan zu einer kritischen Haltung gegenüber dem deutschen Imperialismus.

Der vierte und letzte Teil der Biographie heißt „Die Schriftstellerin“. 1899 bekommen Heykings Urlaub bewilligt, und gleichzeitig wird ihre Versetzung auf den Gesandtenposten in Mexiko verfügt. Sie versuchen alles, um diesen „glanzlosen Posten“ nicht antreten zu müssen, bleiben aber erfolglos. Ihre Ankunft in Ciudad de México bestätigt alle Befürchtungen: „Tatsächlich war Mexiko ein geschundenes, ausgebeutetes und zerrissenes Land, das im 19. Jahrhundert Befreiungs- und Bürgerkriege, Bandenunwesen, blutigen Parteienhader, etliche Staatsstreiche, mehrere Regierungswechsel, ausländische Interventionen und den Verlust seines halben Staatsgebietes an die benachbarten USA zu verkraften hatte“. Doch vorerst bleibt Mexiko zweitrangig im Denken der Heykings; sie beschäftigen sich hauptsächlich mit beunruhigenden Nachrichten aus China über eine gewaltige fremdenfeindliche Aufstandsbewegung ( vgl.: Hubert Mainzer / Herward Sieberg, Hrsg., Der Boxerkrieg in China 1900 – 1901. Tagebuchaufzeichnungen des späteren Hildesheimer Polizeioffiziers Gustav Paul, Hildesheim, 2001). Angesichts „unerträglicher Zustände in Mexiko“ rücken plötzlich die Pekinger Jahre in ein positives Licht. Viel Zeit, Muße und auch Langeweile führen dazu, dass sich Elisabeth schriftstellerisch betätigt. Es entsteht ihr „chinesisches Briefbuch“. Diese „Briefe an einen Freund in China“ tragen unverkennbar autobiographische Züge „eine(r) sehr unglückliche(n) Frau“. Ihr Buch, das zum Beststeller-Erfolg wird, handelt von ihren „Phantasiekindern“. Es sind, wie sie sich privat ausdrückt, „Erinnerungen und Ansichten über China, Erlebnisse in Neu-York, einige Betrachtungen über amerikanische Zustände u. schließlich ein bissel was Deutsches“. Beim Schreiben kann sie ganz bei sich sein und die Widrigkeiten des Lebens vergessen, „es ist das, was mich über Wasser hält“. Mit weiteren Erzählungen greift sie auch politische Zustände in Mexiko auf, etwa in ihrer Novelle „Unter blühenden Mangobäumen“, die vom Schicksal Kaiser Maximilians und dessen belgischer Ehefrau Charlotte handelt. Da sie nicht länger an eine weiterführende Karriere ihres Mannes glaubt, versucht Elisabeth v. Heyking beim Schreiben alle „Miseren und Kränkungen“ zu vergessen. Gleichwohl hoffen beide auf einen europäischen Posten, und dazu soll es im Mai 1904 tatsächlich kommen: Die Gesandtschaft in Belgrad. Der Aufenthalt dort scheint Elisabeth wie in einem „Vorort von Berlin“. Doch schon bald folgt Heykings letzte Versetzung, und zwar auf den „angenehmen Posten“ als preußischer Gesandter in Hamburg. Elisabeth schreibt dies dem Wohlwollen von Reichskanzler Bülow zu, der sie inzwischen als berühmte Schriftstellerin schätzt. Getrübt wird der Aufenthalt in Hamburg durch verschiedene Erkrankungen. Während eines Kuraufenthaltes im böhmischen Karlsbad erleidet Edmund v. Heyking einen Nervenzusammenbruch, und bald diagnostiziert man bei ihm Depression und paranoide Verfolgungsideen. Elisabeth ist grenzenlos verzweifelt. Erst viele Monate später bessert sich der Zustand ihres Mannes, und am Ende wird er auch wieder gesund. Aus heutiger Sicht dürfte er an einer Hirnhautentzündung mit sehr langer Inkubation erkrankt sein. Mitten in ihrer Lebenskrise erbt Elisabeth im Jahr 1908 den Stammsitz der Grafen Flemming in Crossen. Als man dorthin gezogen ist, findet Elisabeth endlich Muße und Motivation zu weiteren Buchprojekten. Zuerst entsteht das zweibändige Werk „Ille mihi“ (1912), das stark autobiographisch gefärbt ist und verschiedene Tabubrüche enthält, etwa gegenüber dem Berliner Auswärtigen Amt oder gegenüber Elisabeths adligen Standesgenossen. 1914, kurz vor Kriegsausbruch, folgt der Roman „Tschun. Eine Geschichte aus dem Vorfrühling Chinas“.

Diskussion

Die verdienstvollen und bemerkenswerten Recherchearbeiten Herward Siebergs für die Biographie Elisabeth v. Heykings werden gekrönt durch das Auffinden und Analysieren des Kriegstagebuchs von Elisabeths Sohn Günther von Heyking, der seit Oktober 1917 in Flandern verschollen ist. Das Tagebuch befand sich im Besitz einer französischen Familie und wurde von dieser für die wissenschaftliche Auswertung zur Verfügung gestellt (nun: Bundesarchiv – Militärarchiv / Freiburg). Es kann als ein einmaliges, historisches Dokument der Schilderung und Bewertung des Stellungskrieges an der Westfront betrachtet werden.

Längere Zeit lebte Elisabeth nach dem Tod ihres Mannes und ihrer beiden Söhne (Alfred fiel kurz vor Kriegsende) bloß noch ihrem Kummer. Gegenüber einer Freundin klagte sie: „Ich bin so allein, beraubt von den drei Menschen die mir Glück bedeuteten u. mein ganzes Leben füllten…“. Doch dann bringt ihr erneutes Schreiben eine gewisse Zufriedenheit und Gelassenheit. Es entstehen noch die Bücher „Liebe, Diplomatie und Holzhäuser. Eine Balkanphantasie“ (1919), „Das vollkommene Glück“ (1920) und der Novellenband „Weberin Schuld“ (1921). Am 4. Januar 1925 stirbt Elisabeth v. Heyking in Berlin an den Folgen eines Schlaganfalls.

Als „Nachklang“ wertet Herward Sieberg das Leben und Wirken von Elisabeth von Heyking als das einer Frau, die in der Tradition ihrer berühmten Vorfahren (u.a. ihrer Großmutter Bettine von Arnim), „die Welt der Diplomatie in ihren Romanen und Novellen erschlossen (hat)…, als kritische Zeitzeugin einer Epochenwende und als kluge politische Beobachterin in der Nähe von Mächtigen“ lebte. Im Anhang bringt der Autor einige ausgewählte „Leseproben“: Einen Brief aus Peking, eine kurze Novelle, ein knappes Gedicht sowie ein Dokument aus dem Turmknopf der evangelischen Kirche zu Crossen. Die Liste von Veröffentlichungen der Elisabeth von Heyking ist eine wichtige Bestandsaufnahme und erleichtert die Beschäftigung mit dieser bemerkenswerten Frau. Insgesamt fast 2000 Anmerkungen am Schluss des Buches machen deutlich, welche biographische, literarische und zeitdiagnostische Leistung Herward Sieberg mit der Lebensbeschreibung von Elisabeth von Heyking vollbringt.

Fazit

Mit der ersten Biographie über Elisabeth von Heyking, die eingebunden ist in die individuellen, historischen und politischen Zusammenhänge und Zeitläufe, legt der Historiker und Politikwissenschaftler Herward Sieberg eine Arbeit vor, die das aufnimmt, was Biographieforschung heute bedeuten muss, nämlich die Herausarbeitung von Welt(an)sichten und ihre Wirkungen auf Selbst(an)sichten ( vgl. dazu: Thorsten Fuchs, Bildung und Biographie, Eine Reformulierung der bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11821.php). Er schließt damit eine Lücke, die nicht nur für Literaturbetrachtung und -analyse wichtig ist, sondern auch für die heutige Auseinandersetzung darüber, „wie wir geworden sind, was wir sind“.

Die verlegerische Gestaltung der erzählenden Biographie durch den Hildesheimer Olms-Verlag und die zahlreichen, zum größten Teil aus Privatbesitz stammenden Illustrationen machen das Buch zu einer einzigartigen, bibliographischen und wissenschaftlichen Arbeit, und zwar nicht nur für Historiker und Politikwissenschaftler, sondern auch an der Geschichte und den Zeitläuften interessierten Leserinnen und Lesern.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1689 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245