Rudy Simone: Aspergirls [...] Frauen und Mädchen mit Asperger
Rudy Simone: Aspergirls. Die Welt der Frauen und Mädchen mit Asperger. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2012. 280 Seiten. ISBN 978-3-407-85946-4. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,90 sFr.
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Thema
Das Buch „Aspergirl“ ist eine Sammlung von Erfahrungen von Aspergerfrauen, die durch umfassende Informationen zum Thema Autismus ergänzt werden. „Simone hat es hervorragend verstanden, die Worte der anderen Betroffenen mit ihren eigenen Gedanken zu verquicken und das Ganze mit praktischen Tipps abzurunden, die dazu beitragen sollen, das Leben zu bereichern und zu genießen.“ (Vorwort Willey a.a.O. S. 11)
Autorin
Die Autorin ist selbst Asperger Autistin. Sie lebt als Schriftstellerin und Jazz-Sängerin in San Francisco. Sie hält Vorträge zum Thema Asperger. Ihr Buch „Aspergirls“ wurde vielfach übersetzt.
Die Diagnose Asperger erhielt Rudy Simone spät, erst als Asperger bei ihrer Tochter festgestellt wurde. Sie schreibt über eigene Erfahrungen und fügt Erinnerungen und Interviews anderer Frauen bei. „Aspergirl“ ist nach Aussage von Liane Holliday Willey, Gründerin der Asperger Gesellschaft Michigan, das weltweit erste Buch dieser Art.
Aufbau
Auf 287 Seiten in insgesamt 23 Kapiteln befasst sich die Autorin Simone mit dem Asperger Syndrom. Im Anhang befinden sich eine Liste der Merkmale bei Mädchen/Frauen mit Asperger-Syndrom und eine Zusammenfassung der wichtigsten Unterschiede zwischen betroffenen Frauen und Männern. Neben den eigenen Erfahrungen zitiert Simone andere Frauen mit Asperger, um verschiedene Blickwinkel und Strategien des Handelns darzustellen. Jedes Kapitel endet mit „Tipps an Aspergirls“ und „Tipps an Eltern“.
Das Buch widmet sich Themen aus den Lebensbereichen von der Schulzeit, Pubertät, Berufsausbildung/Studium bis hin zu Partnerschaft, Ehe, Muttersein und dem Älterwerden von Frauen mit Asperger-Syndrom:
- Vorstellungsvermögen, autodidaktisches Lesen, Inselbegabungen und ungewöhnliche Interessen
- Warum intelligente Mädchen manchmal die Schule hassen
- Sensorische Überlastung
- Autostimulation, und was wir tun, wenn wir glücklich sind
- Von Scham- und internalisierten Schuldgefühlen
- Geschlechterrollen und Identität
- Pubertät und Mutismus
- Anziehungskraft, Dating, Sex und Beziehungen
- Freundschaften und Sozialkontakte
- Ausbildung
- Beruf und Karriere
- Ehe und Lebensgemeinschaft
- Kinder
- Ritual und Routine, logisches Denken, Sprache wörtlich nehmen, Unverblümtheit, Empathie und Missverständnisse
- Diagnose, Fehldiagnose und medikamentöse Behandlung
- Depressive Zusammenbrüche, posttraumatische Belastungsstörung und Medikamente
- Wutausbrüche
- Brücken hinter sich abbrechen
- Magenprobleme und Autismus
- Älter werden
- Asperger-Syndrom: Behinderung oder besondere Gabe? Und noch ein paar Tipps von Aspergirl zu Aspergirl
- Geben Sie Ihrem Aspergirl fünf Geheimwaffen mit auf den Weg: Glaube, Akzeptanz, Liebe, Zuneigung und Unterstützung
- Gedanken und Tipps von Eltern
Inhalt
Die zahlreichen Kapitelüberschriften geben eine umfassende Übersicht über die Themen, die Frauen mit Asperger beschäftigen. Jedes Kapitel ist dreigeteilt: im ersten Teil wird das Thema an sich umrissen und zentrale Fragen angesprochen, die mit Zitaten Betroffener ergänzt werden, im zweiten Teil richtet sich die Autorin direkt an das „Aspergirl“ und im letzten Teil spricht die Autorin die Eltern der Aspergirls an, um ihnen Wege aufzuzeigen, was sie für ihre Tochter tun können bzw. nicht tun sollten.
Diese unterschiedlichen Perspektiven finden auch im Sprachstil ihren Niederschlag: im erklärenden Teil informierend, in den „Tipps für Aspergirls“ und der Ansprache an die Eltern direkt und persönlich, mit auflockernder Wirkung.
Menschen, die anders sind werden permanent mit einer gedachten Norm verglichen. So ergeht es auch Betroffenen mit Autismus. Diese Orientierung an der Norm ist einseitig und wenig hilfreich. Hilfreich ist, autistisches Denken zu verstehen, einige Schritte in den „Schuhen des anderen“ zu gehen und mit seinen Augen auf das Leben zu blicken. Menschen mit autistischen Denkstrategien kommen zu anderen Schlussfolgerungen und Reaktionen als so genannte neurotypische Menschen. Kategorien, wie „besser“ oder „schlechter“, „richtig“ oder „falsch“, bzw. „normal“ und „unnormal“ haben ausgedient. Vielmehr geht es darum, anzuerkennen, dass es sich um eine andere Art handelt Dinge wahrzunehmen, zu verarbeiten und in Handlung und Reaktionsweisen auszudrücken.
Viele Menschen mit Autismus berichten davon, dass sie Opfer von Mobbing und anderen Repressalien geworden sind. Die meisten können sich nicht adäquat wehren. Sie sind auf ein wachsames Umfeld angewiesen, dass Stärken erkennt und fördert. Ein Milieu, in dem permanent Schwächen in den Vordergrund gestellt werden hat einen negativen Einfluss auf Gesundheit und Zufriedenheit.
Diskussion
Noch heute wird in der Fachwelt davon ausgegangen, dass nur wenige Frauen von Asperger betroffen sind. Simone widerspricht dieser Meinung. Fakt ist, dass Autismus bei Frauen seltener erkannt wird. Stattdessen werden andere Krankheitsbilder diagnostiziert wie Neurosen, Schizophrenie, Angst-, Zwangs- und Persönlichkeitsstörungen, soziale Phobien, Störungen des Sozialverhaltens mit der Folge jahrelanger Falschbehandlung und dem damit verbundenem Leiden z.B. durch die Verschreibung von Medikamenten.
Ein Ausweg bietet der Kontakt und enge Austausch mit anderen Betroffenen. Er hilft Probleme, die im Umfeld liegen, zu erkennen und Strategien zu entwickeln um ein individuell passendes zufriedenes und erfülltes Leben zu führen
Simone formuliert drei Hoffnungen, die sie mit diesem Buch verknüpft (S. 18):
- Betroffene sollten sich weniger stigmatisiert fühlen und von den Kompensationsstrategien anderer Mädchen und Frauen lernen.
- Das Buch soll Hilfe bei der Bekämpfung von Depressionen bieten.
- Ärzte und Berater sollen derart mit Wissen versorgt werden, dass es ihnen gelingt, adäquate Hilfsangebote zu entwickeln.
Fazit
Ein Buch über das Aspergersyndrom bei Frauen hat bisher gefehlt – diese Lücke ist nun geschlossen!
Was mir sehr gut gefallen hat sind die eingestreuten Zitate betroffener Frauen. Sie nehmen einen großen Teil des Buches ein und machen die Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Themen nachvollziehbar und lebensnah. Es ist der Autorin gelungen, einen umfassenden und informativen Überblick über relevante Fragen, Probleme und Herausforderungen Betroffener zu geben.
Ich kann das Buch uneingeschränkt für Fachleute, Angehörige sowie Betroffene empfehlen. Sachverhalte sind klar und verständlich aufbereitet, die eingefügten Erfahrungen von Asperfrauen verleihen den Texten eine unverwechselbare persönliche Note.
Das Titelbild steht als Symbol für die Inhalte des Buches: es zeigt eine Frau, die sich mit ausgebreiteten Armen dem Leben öffnet. Es unterstreicht die Botschaft des Buches: stehe zu dir selber und nimm die eigene Einzigartigkeit als Geschenk an.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
Homepage www.abc-autismus.de
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Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 10.12.2012 zu: Rudy Simone: Aspergirls. Die Welt der Frauen und Mädchen mit Asperger. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2012. ISBN 978-3-407-85946-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13926.php, Datum des Zugriffs 14.04.2021.
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