Bernd Oberhoff: Übertragung und Gegenübertragung in der Supervision
Rezensiert von Dr. Birgit Szczyrba, 31.12.2001

Bernd Oberhoff: Übertragung und Gegenübertragung in der Supervision. Daedalus-Verlag (Münster) 2000. 4. Auflage. 208 Seiten. ISBN 978-3-89126-129-3. 19,50 EUR.
Einführung
Supervision ist ein mittlerweile stark etabliertes Format der Beziehungsarbeit, das der Qualitätssicherung in professionellen Handlungsfeldern der Sozialarbeit, Schule, Theologie u.a.m. dient. Oberhoff widmet sich hier der Übertragungsanalyse als Kern der Psychoanalyse im Rahmen von Supervision. Er möchte ein Gespür dafür vermitteln, wie man diesen "bis heute rätselhaften" unbewussten Kommunikationsprozessen von Übertragung und Gegenübertragung begegnen kann, besonders da sie "von flüchtiger Konsistenz" sind und "sich einem erkennenden Zugriff immer wieder entziehen" (Klappentext).
Aufbau und Inhalte
Oberhoff stellt sich diesem "rätselhaften" Problem, indem er zunächst in Teil 1 theoretisch die Übertragung als intrapsychisches Beziehungserleben und die Übertragungsanalyse in der Supervision behandelt. Er nähert sich historisch über die Teufelsaustreibung in ihrem Wandel zur Erinnerungsarbeit, schildert dann die Nutzung der Übertragung als Konstruktion einer neuen Sinnperspektive mit der Chance auf biographisches Verstehen und damit verbundene Entfaltungsmöglichkeiten der SupervisandInnen. Teil 2 befasst sich mit dem Phänomen der Übertragung als interaktionelle Inszenierung. Hier kommt die Gegenübertragung ins Spiel, die zum einen als neurotische Reaktion des Analytikers, zum andern als hilfreiches diagnostisches Instrument dargestellt wird. Übertragungen im "Hier und Jetzt" der Supervision kommen ins Visier, der Umgang damit wird mit Praxisbeispielen unterlegt. Schließlich kommen Vater und Mutter hinzu. "Gute Mütter" und "abgegrenzte Väter" sind nach Oberhoff Rollen, über die SupervisorInnen in ihrem Rollenrepertoire verfügen müssen. Das Beherrschen dieser Rollen gehört dem Autor zufolge zur Beziehungskompetenz der SupervisorInnen.
Mit dem empathischen Verstehen nähert sich der Supervisor der problematischen Praxissituation, die den Supervisanden beschäftigt. Erweist sich ein Zusammenhang mit einer Szene, die verborgen und unbewusst, doch von handlungsprägender Bedeutung ist, wendet der Supervisor seine Fähigkeit des szenischen Verstehens an. Er versteht die Szene, die sich in die aktuelle Situation schiebt und dort unangemessene Reaktionen bewirkt. Die Ursachen für eine solche unbewusste Szene sind meist andere Szenen: solche mit Konflikten behaftete aus der lebensgeschichtlichen Vergangenheit. Hier stellt sich beim Supervisor das biografische Verstehen ein, das ihn zu Interventionen anregt, die eine Modifizierung des problematischen Beziehungsgeschehens im Leben des Supervisanden und eine Vermeidung unangemessener Übertragungen ermöglichen. Das professionelle Leben kann dann - bisher durch Übertragungen erschwert - gereinigt weiter gehen.
Fazit
Die Verbundenheit des Autors zur Psychoanalyse liegt so deutlich auf der Hand, dass während der Lektüre eine große Selbstverständlichkeit hinsichtlich der therapeutischen Nähe eine Supervisionssettings entsteht. Der psychoanalytische Diskurs zur Übertragung ist jedoch nicht der einzige: Sozial- oder auch ErziehungswissenschaftlerInnen verwenden den Begriff Übertragung eher als "Transfer von einsozialisierten oder bewusst gelernten Denk- und Verhaltensmustern (habits) in neue Situationen, um in ihnen handeln zu können" (Buer: Lehrbuch der Supervision 1999:291). Die Übertragung von Mustern gilt hier als normal und notwendig. Erst wenn Verhaltensmuster eine Situation in unangemessener Weise beeinflussen, also nicht zu ihr passen, entstehen Probleme. Nun gilt es, die durch die unangemessene Übertragung von Mustern entstandene Situation zu verlassen, sie auszuhalten oder zu verändern. Versteht der Supervisor eine solche Übertragung als Rollenangebot - ausgelöst durch eine unbewusste Reinszenierung des Supervisanden - lässt sich beispielsweise mittels psychodramatischer Arrangements und Techniken (s. auch Buer 1999) die Szene nach erleben und reflektieren. Voraussetzung ist ein Verständnis des Supervisionsgeschehens als Lernprozess für alle Beteiligten. Therapeutische Anhaftungen des Modells der Übertragung/Gegenübertragung sind also nicht unvermeidbar. Im sozialwissenschaftlichen Sinne verwendet besteht auch nicht die Gefahr, bei Wahrnehmung eben solcher Phänomene therapeutisch handeln zu müssen. Dies steht einem Supervisor (vgl. dazu die gegenteilige Meinung von Oberhoff auf Seite 91) nicht zu, will man die sauberen Grenzen der jeweiligen Formate Supervision und Therapie nicht verwischen und damit den Kontrakt mit dem Klienten verletzen. Oberhoff räumt ein, dass eine therapeutische Zielsetzung für eine Supervision nicht angemessen ist und "nicht interessiert" (S. 90), gleichzeitig postuliert er eine "spezifische Kompetenz...die man allgemein als therapeutisch bezeichnet" als unerlässlich für die "genuin supervisorische Arbeit" (s. 91). Was denn nun?
Zur Klärung sei noch einmal auf Ferdinand Buer verwiesen, der mit seinem Lehrbuch der Supervision (siehe Rezension bei socialnet) die Dialektik von Format und Verfahren in der Beziehungsarbeit eingeführt hat und eine hilfreiche Klärung bietet: Die Psychoanalyse und die hier zentrale Übertragungsanalyse sind Verfahren. Psychotherapie und Supervision genauso wie Bildungsarbeit sind Formate, in denen es um unterschiedliche Anliegen innerhalb unterschiedlicher Kontrakte geht. Natürlich kann in einem dieser Formate die Übertragungsanalyse verwendet werden. Ein Supervisand ist jedoch kein Patient. Daher wird er andere Übertragungsphänomene entwickeln als ein Patient. Bei psychischen Störungen, die im Rahmen von Übertragungsprozessen innerhalb des Formates Supervision zutage treten, hat ein Supervisor – auch ein psychoanalytisch ausgebildeter – selbstverständlich die professionelle Pflicht, dies zu erkennen und angemessene andere Formate zu empfehlen. Die "Rätselhaftigkeit" der Übertragungsphänomene lässt sich also ein wenig damit enträtseln, sich auf saubere formatgebundene Arbeit zu beschränken und Überforderungen innerhalb des Formates zu erkennen.
Oberhoff entwickelt hier moderne Handlungsmodelle für die Supervision, schränkt aber damit gleichzeitig die Bedeutung der Übertragungsanalyse ein. Er zeigt damit eigentlich, dass eine rein psychoanalytische Herangehensweise in der Supervision nicht sehr fruchtbar ist. Auch hier scheint wie in anderen Formaten der Beziehungsarbeit eine interdisziplinäre Orientierung angebracht.
Das Buch enthält ein Verzeichnis der wichtigsten psychoanalytischen Literatur zum Thema sowie ein Personen- und Sachregister.
Fazit
Die Lektüre ist interessant für Fachleute der Supervision, des Coachings und Trainings, die sich nicht nur mit Übertragungsphänomenen beschäftigen, sondern die sich für die Anschlussfähigkeit von verschiedenen Verfahren der Beziehungsarbeit im Rahmen von Supervision interessieren, und zu diesem Zweck die "Schule" der Übertragungsanalyse in der Supervision kennen lernen wollen.
Zum Autor
Dr. phil. Bernd Oberhoff, Dipl.-Psychologe, ist Pionier der Supervisionsausbildung in Deutschland, Gruppenanalytiker und Supervisor sowie Privatdozent an der Universität Gesamthochschule Kassel.
Rezension von
Dr. Birgit Szczyrba
Sozial-und Erziehungswissenschaftlerin, Psychodrama-Leiterin (DFP/DAGG), Leiterin der Hochschuldidaktik in der Qualitätsoffensive Exzellente Lehre der Technische Hochschule Köln, Sprecherin des Netzwerks Wissenschaftscoaching
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