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Christoph Butterwegge, Gerd Bosbach et al. (Hrsg.): Armut im Alter

Rezensiert von Prof. Kurt Witterstätter, 23.11.2012

Cover Christoph Butterwegge, Gerd Bosbach et al. (Hrsg.): Armut im Alter ISBN 978-3-593-39752-8

Christoph Butterwegge, Gerd Bosbach, Matthias W. Birkwald (Hrsg.): Armut im Alter. Probleme und Perspektiven der sozialen Sicherung. Campus Verlag (Frankfurt) 2012. 394 Seiten. ISBN 978-3-593-39752-8. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 28,90 sFr.

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Thema

Grundsicherung im Alter, Zuschussrente, Lebensleistungslohn – die Alterssicherung Deutschlands ist in der Diskussion, weil immer mehr wahrnehmbar wird, dass die gesellschaftliche Teilhabe nennenswerter Anteile der Altenpopulation einkommensgefährdet ist: Weil das Renteneintrittsalter mit 67 Jahren für nicht bis zu diesem Datum Arbeitende Abschläge mit sich bringt. Weil die mäßigen jährlichen Renten-Anhebungen nicht die Kaufkraftverluste und schon gar nicht die Energiekostenzuwächse ausgleichen. Und weil verschämte Arme, die an der Supermarktkasse ihre Geldstücke zweimal herum drehen oder gleich zur Tafel gehen, immer sichtbarer werden. Eine Bestandsaufnahme der Forderungen und Vorschläge zur Eindämmung der „Armut im Alter“ legen unter diesem Titel bei Campus Christoph Butterwegge, Gerd Bosbach und Matthias W. Birkwald vor. An dem in fünf Abschnitte gegliederten Sammelband von 21 Beiträgen haben 29 Autorinnen und Autoren geschrieben.

Herausgeber

Professor Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und gilt als einer der derzeit profiliertesten Armutsforscher. Professor Dr. Gerd Bosbach ist als Lehrender für Statistik sowie Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Fachhochschule Koblenz tätig. Diplom-Sozialwissenschaftler Matthias W. Birkwald ist als Bundestagsabgeordneter für DIE LINKE rentenpolitischer Sprecher von deren Bundestagsfraktion.

Inhalte allgemein

Der Sammelband „Armut im Alter“ listet auf 394 Seiten systematisch Ursachen, Erscheinungsformen und Abhilfsmöglichkeiten zur Altersarmut auf. Forderungen nach Abkehr von der kommenden, starren Altersgrenze 67, Höherwertung rentenmindernder oder rentenausschließender Lebenszeiten, eine Rückkehr zu adäquat entlohnten Arbeitsverhältnissen bis zur Grundrente für alle und eine Einbeziehung aller Erwerbstätigen und Einkunftsarten in die Gesetzliche Rentenversicherung geben ein vielstimmiges Konzert der Reformvorschläge.

Inhalte im Einzelnen

Im ersten Abschnitt zum Auf und Ab der Alterssicherung im Sozialstaat werden die Implementierung der Rentenversicherung, ihr Ausbau zur Lebensstandardsicherung 1957 und die Relativierung ihrer vollumfänglichen Sicherungsfunktion von 1998 an mit Teilprivatisierung beschrieben.

Der zweite Abschnitt Ursachen, Erscheinungsformen und Folgen der Altersarmut geht den Risiken der Sicherung im Alter durch die Gesetzliche Rentenversicherung aufsitzend auf erodierenden Arbeitsmärkten, mit dem niedrigen Rentenwert Ost und mit teils randständigen Positionen von Frauen in der Arbeitswelt nach.

Der dritte Abschnitt Demografischer Wandel wirft die Frage auf, was am drohenden demografischen Überhang alter Menschen mit steigendem Altenquotienten Realität und was Konstrukt der Versicherungswirtschaft und Finanzbranche mit dem Ziel einer lukrativen Teilprivatisierung der Alterssicherung ist.

Im vierten Abschnitt Zivilgesellschaftliche Positionen werden Vorschläge zur Eindämmung der Altersarmut vorgetragen: Zureichend-stetige Löhne im Arbeitsleben mit Mindestlohn und gleicher Entlohnung von Leih- und Stamm-Mitarbeitenden, Rücknahme der verschiedentlich installierten Dämpfungsfaktoren, obligatorische Betriebsrenten und eine allgemeine Bürger-(Renten-)Versicherung.

Der fünfte Abschnitt Vorschläge aus Parteien bringt Konzepte zum Abbau von drohender Altersarmut von SPD, Grünen und der Partei DIE LINKE. Eine Übersicht über Altersarmut in Europa beschließt die Darlegungen.

Diskussion

Der Band „Armut im Alter“ führt diskussionsfreudig in einen Markt der Möglichkeiten zur Besserung der Einkommenslage deprivierter alter Menschen. Viele seiner Autorinnen und Autoren sind von der Ahnung durchdrungen, dass wir uns in der Rentensystematik im Übergang befinden vom äquivalenz- und vorleistungs-orientierten Modell zu einem bedarfs-orientierten Modell mit möglichst breiter „Bürger“-Versichertenschaft. Allein, der Teufel steckt im Detail. Was geschieht mit den wohl erworbenen Rechten der Sonderversicherten-Gruppen? Wie ist die gleichzeitige Finanzierung zu stemmen mit Bedienung der alten Rechte-Inhaber und mit Anwartschafts-Aufbau der neu in die Rentenversicherung stoßenden Gruppen?

Da bleiben die Beiträge des Bandes doch recht vage. Seine Autorinnen und Autoren flüchten da gerne in Euphemismen wie „gute Arbeit“ und „gute Löhne“ für eine „gute Rente“. Schon die Vorstellungen zu den finanziell belastenden Auswirkungen der demografischen Veränderungen laufen auseinander: Winfried Schmähl räumt sie ein (Seite 48), Ernst Kistler und Falko Trischler verneinen sie (Seite 163). Dabei geht es nicht darum, die demografische Entwicklung zu negieren oder sie als Teufelszeug der Finanz- und Versicherungsbranche zu brandmarken, sondern sie sozial zu gestalten.

Viele Positionen des Bandes geben sich angesichts des komplexen Wirkungsgefüges der Alterssicherung zu eindimensional. Wirken da doch sehr viele Variablen zusammen: Künftige Arbeitsproduktivität, Zugangsalter beim Renteneintritt, Zuzug jüngerer MigrantInnen, Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes, Konjunktur- und Wachstumslage der Volkswirtschaft, Gewichtung der drei Säulen (Gesetzliche, Betriebliche und Private Vorsorge), Ausgleiche für beitragslose bzw. beitragsgeminderte Zeiten, politische Fixierung von Grundsicherungshöhen.

Einige hoffnungsfrohe Vorschläge laufen so ins Leere, weil sie zu ausschließlich etwa auf die bessere Gesundheit der künftig Alten gemäß dem Kompressionstheorem setzen (ohne die diese Theorie relativierende Medikalisierungsthese zu diskutieren); oder die das künftige Wirtschaftswachstum gänzlich zur Rentenfinanzierung konsumieren möchten (ohne Investitionsbedarfe zu berücksichtigen); oder die Wachstum für die Rentenzahlungen aus einer noch stärkeren Frauen-Erwerbsbeteiligung generieren möchten (wobei an vielen Stellen des Buches in der Frauenarbeit gerade eine große Problemursache für Altersarmut gesehen wird).

So bleibt der Band „Armut im Alter“ eher ein Sammelwerk rudimentärer Einzelvorstellungen denn ein Wegweiser aus einem Guss. Seine vielfach mit Zahlen, Formeln und probalistischen Annahmen operierenden Aufsätze sind nicht immer leicht lesbar und teilweise nur noch von Fachleuten verstehbar. Der Band bringt eine Zusammenstellung im Einzelnen interessanter und diskussionswürdiger Vorstellungen eher für Experten und politische Akteure, weniger für die breite Öffentlichkeit. Außerdem verstellen Ausflüge in Bereiche wie Alter und Gesundheit, zu den Tafeln und in die Gender-Situation den Blick auf das eigentliche Thema. Besonders lesenswert ist Diana Wehlaus Aufsatz über die politisch-lobbyistische Verflechtung der Finanzbranche und der Versicherungswirtschaft mit der Politik von 1998 an (Seite 204 ff.).

Fazit

Ein heterogener, in sich nicht immer stimmiger Sammelband zur Armut im Alter lässt seine Leserschaft etwas ratlos damit zurück, was von den von seinen 29 AutorInnen zusammen getragenen Vorschlägen zur Optimierung der Gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands politisch umsetzbar sein mag und was nicht. Die breite Palette an Konzepten hat zumindest die Weisheit für sich, dass sich ohne Hinausdenken über das Faktische nichts zum Besseren ändern kann.

Rezension von
Prof. Kurt Witterstätter
Dipl.-Sozialwirt, lehrte bis zur Emeritierung 2004 Soziologie, Sozialpolitik und Gerontologie an der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen - Hochschule für Sozial- und Gesundheitswesen; er betreute zwischenzeitlich den Master-Weiterbildungsstudiengang Sozialgerontologie der EFH Ludwigshafen
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Zitiervorschlag
Kurt Witterstätter. Rezension vom 23.11.2012 zu: Christoph Butterwegge, Gerd Bosbach, Matthias W. Birkwald (Hrsg.): Armut im Alter. Probleme und Perspektiven der sozialen Sicherung. Campus Verlag (Frankfurt) 2012. ISBN 978-3-593-39752-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14008.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.


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