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Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit

Rezensiert von Prof. Dr. Friedhelm Vahsen, 27.11.2012

Cover Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit ISBN 978-3-8275-0019-9

Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht. Siedler Verlag (München) 2012. 450 Seiten. ISBN 978-3-8275-0019-9. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.

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Autor und Thema

Joseph E. Stiglitz ist Professor an der Columbia University, USA. Stiglitz ist Ökonom und erhielt 2001 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zusammen mit George A. Akerlof und Michael Spence für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten. Außerdem war er Chefvolkswirt der Weltbank und hat zusammen mit A. Sen und J. P. Fitoussi Untersuchungen zu aussagekräftigen Kerngrößen des gesellschaftlichen Wohlergehens über das BIP hinaus verfasst. Stiglitz plädiert für eine grundlegende Änderung der Finanz- und Wirtschaftspolitik und der staatlichen Politik. Mit diesem Buch, so schreibt er in einer persönlichen Bemerkung, kehre er zu einem Thema zurück, das ihn vor fünfzig Jahren veranlasst hätte Wirtschaftswissenschaften zu studieren und das Studium der Physik und die Eleganz mathematischer Theorien gegen das einzutauschen, was ihm am Herzen lag, sich mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen der damaligen Zeit auseinanderzusetzen. So war damals schon der Hauptgegenstand seiner Doktorarbeit im Massachusetts Institute of Technology (MIT) das Thema Ungleichheit.

Nun erkennt der Autor eine weltweite Krise, die Ungleichheit wachse, sie behindere Wachstum und schränkt Chancengleichheit massiv ein. Die Schere zwischen arm und reich gehe weiter auseinander, auch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ändere nichts, im „Gegenteil, Politik und Wirtschaft scheinen selbst in der Krise immer einseitiger den Interessen der Superreichen zu folgen, während es vielen Menschen immer schlechter geht“ – so der Klappentext.

Die „Ungleichheit ist Ursache und Folge des Versagens des politischen Systems; sie trägt zur Instabilität unseres Wirtschaftssystems bei, die ihrerseits dazu beiträgt, dass die Ungleichheit zunimmt“ (S.11). Allerdings bleibt er nicht bei der Diagnose stehen, er will auch „konzertierte politische Maßnahmen“ aufzeigen, durch die wir aus diesem „Teufelskreis (…) wieder ausbrechen können“ (ebd.).

Das Buch versteht sich als populärwissenschaftliches, deshalb verweist der Autor auf die hier vorgenommenen Verallgemeinerungen und fehlenden Einschränkungen und Fußnoten wie sie in einem streng wissenschaftlichen Werk vonnöten wären.

Er verweist aber ausdrücklich auf weitere Publikationen zum Thema Politik und Ungleichheit, u.a. von Jacob.S.Hacker und Paul Pierson beide Politikwissenschaftler und auch auf Lawrence Lessig und Larry Bartels (siehe S.26f.) und ihre Bücher.

Ihm geht es cum grano salis darum, die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft zu beleuchten und zu verdeutlichen, dass die wachsende Ungleichheit auch der Wirtschaft schadet. Doch die Konsequenz könne nicht sein, dass der Staat sich nur aus der Wirtschaft heraushalten müsse, damit im freien Spiel der Marktkräfte sich alles regulieren würde. Sein erklärtes Ziel: „ Dieses Buch ist wie etliche seiner Vorgänger ein Versuch, die Dinge richtigzustellen“ (S.28).

Aufbau

In zehn Kapiteln führt Stiglitz seine Thesen aus: Er konzentriert sich – auch wenn er die Krisendiagnose weltweit für zutreffen hält – dabei auf die Vereinigten Staaten und einige andere fortgeschrittene Industrieländer.

In seinem umfangreichen Vorwort entwickelt Stiglitz seine zentralen Thesen. Er geht speziell auf Amerika ein und umgrenzt die Ursachen zunehmender Ungleichheit durch ein Wirtschaftssystem, das wenig stabil sei, wenig effizient und wenig wachstumsfähig. Die Regierungen trage wenig dazu bei die Märkte zu zügeln, sondern befördere mehr oder weniger Sonderinteressen. Die Menschen empfänden zunehmend die Ungerechtigkeit, so z.B. die unterschiedlichen Bildungschancen verschiedener sozialer Schichten. So habe sich der amerikanische Traum der Chancengleichheit, der Aufstiegschancen zunehmend als Mythos entlarvt. Sich vom Tellerwäscher zum Millionär hochzuarbeiten, dies sei für amerikanischer Bürger schwieriger als die in anderen Industrieländer.

Für den Bankencrash wurde kaum jemand haftbar gemacht, nur einige Wenige seien wegen Insiderhandels verurteilt worden, „die Banker sind praktisch alle freigesprochen worden“ und daraus folgt, „wenn niemand zur Rechenschaft gezogen wird, wenn niemand für die Ereignisse verantwortlich gemacht werden kann dann bedeutet dies, dass das Problem im ökonomischen und politischen System begründet liegt“ (S. 16f.).

Amerika sei noch stärker nach Klassen strukturiert als das alte Europa und die Spaltung und Interessenkonflikte seien größer als dort. Zwar würden 99% an der traditionellen Überzeugung festhalten, dass alle zur Mittelschicht gehörten, doch jetzt sei es das obere eine Prozent das Reichtümer anhäufe, die Mehrheit der Amerikaner habe vom Wirtschaftswachstum schlicht nicht profitiert. Über Gerechtigkeit und Gleichheit hinaus gäbe es noch einen weiteren Grundwert in der Gesellschaft der erodiere, dies sei der Sinn für Fairplay. So lasse sich ein Großteil dessen, was zum Crash bei den Hypothekendarlehen passiert sei „ nur mit dem Ausdruck < moralische Verkommenheit< beschreiben (S.18). Der Kapitalismus produziere nicht das, was er versprochen habe, sondern das, was er nicht versprochen habe, „Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit und, was am wichtigsten ist, eine Werteverfall bis zu dem Punkt, an dem alles einfach hingenommen wird und niemand mehr verantwortlich ist“ (S.19).

Doch auch das politische System habe genauso versagt. Hohe Jugendarbeitslosigkeit weltweit sei ein Beispiel, das politische System verstärke das Marktversagen noch. Es würden Manager in hohe Regierungsämter berufen, die in der Krise im Finanzsektor das Heft in der Hand hielten.

So würde der Durchschnittsbürger nicht vor der Macht der Begüterten geschützt, sondern Gesetze und Rechtsvorschriften würden so gestaltet, dass sich „die Reichen auf Kosten der übrigen Gesellschaft weiter bereichern“(S.21) könnten.

Eine zentrale These des Buches lautet folglich: „Auch wenn grundlegende ökonomische Kräfte im Spiel sein mögen – die Politik hat den Markt so gestaltet, dass die Reichen auf Kosten der Übrigen begünstigt werden“(S.21).

Im ersten Kapitel arbeitet Stiglitz heraus, dass es dem obersten einen Prozent (ein ungefährer Wert – wie er feststellt) blendend geht, den meisten Amerikanern aber immer schlechter.

Die „Erholungsgewinne nach der Rezession seien überwiegend den reichsten Amerikanern zugeflossen, gleichzeitig habe sich in den letzten dreißig Jahren die Spaltung vertieft, das Einkommen in der Unterschicht sei zurückgegangen. Diese Ungleichverteilungen entspreche der Instabilität vor der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Der Arbeitsmarkt hätte kaum ausreichende Sicherheitsnetze, die Arbeitslosenversicherung – auf sechs Monate begrenzt – sei nicht in der Lage, Arbeitslose angemessen finanziell zu unterstützen.

Sinkender Lebensstandard für viele und ökonomische Ungleichheit seien die Folge der jetzigen „Großen Rezession“, steigende Armut in den Städten und bei älteren Menschen die Konsequenz.

Die Armutsfalle mit ihrer Spirale von sinkenden Bildungschancen, Chancenungleichheit bereits vor der Schule in den Lebensverhältnissen sowie Ernährung und Kontakt zu Umweltschadstoffen und Kriminalität mache deutlich, wie schwer es sei der Armut zu entfliehen. Die jetzige Armut sei im Verhältnis zu anderen Industrieländern ungewöhnlich hoch.

Im zweiten Kapitel geht der Autor auf das Rent-Seeking und die Entstehung sozialer Ungleichheit ein. Stiglitz arbeitet heraus, dass ein Großteil der heute bestehenden Ungleichheit die Folge der staatlichen Politik sei, nicht maßgeblich auf die Marktkräfte zurückgehen würde.

Im Begriff des Rent-Seeking spiegle sich das Problem. Der Staat gewähre den Menschen an der Spitze der Einkommenspyramide nicht nur übermäßig viel Macht nicht nur die Umverteilung zu beeinflussen, sondern auch die Spielregeln dazu zu gestalten. Rent-Seeking „bedeutet, dass die Begünstigten Einkommen nicht als Belohnung für die Schaffung von Wohlstand erhalten, sondern (...), dass sie sich eine größeren Teil jenes Vermögens aneignen, das auch ohne ihr Zutun geschaffen worden wäre“(S.65). Dabei geht es u.a. um verdeckte und offene staatliche Transferzahlungen, um Gesetze, die den Wettbewerb auf Märkten einschränken, um Monopolgewinne, Preise über Marktpreis, Aneignung von Staatsvermögen und Gewinne bei der Rohstoffgewinnung und dem Rohstoffhandel.

Das dritte Kapitel geht auf die Bedeutung und Wirkung der Marktkräfte ein unter dem Aspekt „Märkte und Ungleichheit“. Die Politik gestalte die Marktkräfte und diese seien – entgegen klassischer ökonomischer Lehre – nicht selbstgestaltend und unabhängig. Aber nicht nur der Staat, sondern gesellschaftliche Normen und Institutionen würden auf den Markt einwirken, wobei die Politik bisweilen als Verstärker dieser Normen wirke, was sich z.B. bei der Frage einer angemessenen Vergütung zeige. Ferner beeinflusse die Politik auch die Zielrichtung von Innovationen, die Prioritätensetzung so zum Bespiel den sparsameren Umgang mit Ressourcen. Die Finanzmarkliberalisierung in einer globalisierten Welt führe zu einer ungehinderten Mobilität von Kapital. Aus Angst, das Finanzdienstleister ihr Kapital in andere Länder transferieren würden, lieferten sich die Länder „ einen Wettstreit um das am wenigsten regulierte Finanzsystem“ (S.98). Die Folgen der Finanzkrisen würden vor allem die Arbeitnehmer un die mittelständigen Unternehmer tragen, die Krisen gingen „mit hoher Arbeitslosigkeit einher, die die Löhne drückt, so dass die Arbeiter doppelt in Mitleidenschaft gezogen werden“ (S.99).

Doch auch die Veränderung der gesellschaftlichen Normen sei ein wesentlicher Faktor der Verstärkung von Ungleichheit. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad würde sinken, die Drohung mir Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Ausland ließe die Macht der Gewerkschaften erodieren.

Hinzu trete eine ökonomische Diskriminierung bestimmter Gruppen in der Gesellschaft, Frauen, Afroamerikaner und Latinos, deren Löhne signifikant niedriger seien als die von weißen Männern. Dies würde nur z.T. durch das erreichte (Aus-)Bildungsniveau erklärt. In einem Exkurs setzt sich der Autor mit der Frage der Notwendigkeit von Ungleichheit auseinander. Ist das hohe Maß an Ungleichheit notwendig, damit die Menschen Anreize haben, sich anstrengen? Seine These, er plädiere nicht für völlige Gleichheit, er erkenne an, dass dadurch Anreize geschwächt würden, aber, es gehe um ein „geringeres Niveau der Ungleichheit“(S.120).

Seine zentrale These in diesem Kapitel lautet, „ dass Ungleichheit (...) kein Naturgesetz, nicht abstrakten Marktgesetzen geschuldet ist.“ Sie geht „in sehr hohem Maße auf politische Entscheidungen zurück welche die technische Entwicklung und die Märkte ebenso prägen wie die Gesellschaft als solche“ (S.124).

In den nächsten Kapiteln diskutiert der Autor im Grund die bisher formulierten Thesen weiter und untermauert sie mit Belegen, hier geht es vor allem auch darum, wie die Ungleichheit die Demokratie (Kapitel fünf) und den Rechtsstaat (Kapitel sieben) gefährdet bzw. auflöst. Dabei gerät auch die Politik der Zentralbank in den Fokus seiner Betrachtung: im Kapitel neun thematisiert er die Rolle der Zentralbank als makroökonomische Politik „von dem einen Prozent für das eine Prozent“.

Im abschließenden Kapitel nähert sich der Autor einer grundsätzlich notwendigen, veränderten Perspektive und Handlungsalternativen an und zeigt auf: „Eine andere Gesellschaft ist möglich“. Seine Formel: „ Wir müssen „den Wettbewerb stärken und weniger Ausbeutung zulassen, sowie ihre Exzesse zügeln“ (S.345). Hinzu käme die Notwendigkeit höherer Investitionen in unsere Gesellschaft, in Bildung, Technologie und Infrastruktur und eine bessere Absicherung der einfachen Bürger. Es ginge darum, die brachliegenden Fähigkeiten zu fördern, um soziale Gerechtigkeit und dies wäre in eine Wirtschaftsreform zu integrieren, die Fairness und Chancengerechtigkeit fördere. Also müsse das oben angeführte Rent-Seeking eingegrenzt werden, durch Eindämmung der überzogenen Risikobereitschaft der Finanzinstitute, um der Instabilität entgegen zu treten.

Es gehe um strengere Wettbewerbsgesetze, um die Macht der Monopole einzugrenzen, aber auch um die Verbesserung der Corporate Governance, um das Abzweigen von Gewinnen der Betriebe für Topmanager einzuschränken. Angemahnt wird eine Steuerreform, die eine Progression bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer bewirken würde und last not least, ein effizientes Erbschaftssteuersystem, um der Entstehung neuer Oligarchien vorzubeugen.

Es gehe aber auch um Hilfen für die übrigen 99 Prozent, der Zugang zum Bildungssystem müsse erleichtert werden, es gehe um eine Krankenversicherung für alle, um die Stärkung der Sozialversicherungssysteme mit dem Ziel einer Fiskalpolitik, die Vollbeschäftigung bewirken würde:

Also Geldpolitik im Dienste der Vollbeschäftigung, Beseitigung der Ungleichgewichte in der Handelsbilanz, Aktive Arbeitsmarktpolitik, Aushandeln eines „neuen“ Gesellschaftsvertrages, der kollektives Handeln von Arbeitnehmern und Bürgern unterstützt. Ferner gehe es um die Beseitigung der angesprochenen ethnischen und geschlechtsspezifischen Diskriminierung und um die Förderung eines nachhaltigen, verteilungsgerechten Wachstums auf der Basis öffentlicher Investitionen.

Das Leiden des größten Teils der Bevölkerung liege auf dem Arbeits- und Immobilienmarkt. Dazu müssten grundlegende politische Reformen durchgeführt werden, dies betreffe auch das Eindämmen des Spielraums für Wahlkampfgelder, die in das Unermessliche gestiegen sind.

Stiglitz sieht trotz allem einen Hoffnungsschimmer, dies könne durch die zunehmende Mobilisierung der 99 Prozent geschehen, aber auch das eine Prozent könnte erkennen, „dass das, was in den Vereinigten Staaten geschehen ist, nicht unseren Werten entspricht“( S.369). Also erkennen, es gehe um das Gemeinwohl aller. So entwickelt er zwei Szenarien: In fünfzig Jahren nimmt die soziale Spaltung zu, „das andere Szenario ist das einer Gesellschaft, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich kleiner geworden ist, in der das Gefühl vorherrscht, das alle dasselbe Schicksal teilen, in der es ein gemeinsames Bemühen um Chancengleichheit und Fairness gibt( S.371).

Diskussion

Auch wenn das Buch sich überwiegend auf die USA bezieht, so werden hier doch Probleme erörtert, die auch uns betreffen. Gibt es eine zunehmende Kluft von Arm und Reich, löst sich der soziale Kitt zunehmend auf? Armut und Ausgrenzung ist auch in Deutschland ein Thema, Armut von Alleinerziehenden, aber auch Altersarmut verstärkt sich: „Armut wird Grau“ schrieb Ch. Butterwegge in der Süddeutschen Zeitung (SZ v. 12.11.12).

Doch trotz aller Brüche, Ausgrenzungen und Verwerfungen sieht der Autor Möglichkeiten zur Beseitigung ethnischer, geschlechtsspezifischer und sozialer Ungleichheit. Trotz allen Pessimismuses skizziert er Veränderungsmöglichkeiten. Ob diese allerdings in Realität umgesetzt werden, dies bleibt offen.

Insgesamt ein engagiertes, gut zu lesendes Buch, das den Finger in die Wunde der ausufernden, als postindustrielle apostrophierten Industriegesellschaft legt, die aber, wenn auch in veränderter Gestalt, durchaus existent ist.

Dieses Buch kann man uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen, nicht nur im Seminar, sondern insbesondere auch allen im politischen Bereich Handelnden – egal welcher Couleur - und nicht zuletzt den Diskutanten in beliebigen Talk-Runden in Funk und Fernsehen einschließlich den bemühten Moderatorinnen und Moderatoren. Wenn sich in Talk-Shows die Eingeladen, Prinzipien der angemessenen Steuer – und Fiskalpolitik dogmatisch und apodiktisch im Sinne ihrer jeweiligen parteipolitischen Überzeugungen an den Kopf werfen, wie gerade bei M. Illner geschehen, dann sei dieses Buch zur Reflexion und zur Überprüfung des eigenen Standpunktes dringend empfohlen.

Sicherlich ist auch dieses Werk kein dezidiertes „Kochbuch“ zur Verringerung gesellschaftlicher, ökonomischer und sozialer Ungleichheit, doch umgrenzt es den Handlungsrahmen einer offensiven Wirtschaftspolitik auch im gesamten europäischen Raum, die Ungleichheit minimiert.

Kritisch wäre anzumerken, dass die Lebenslage vom Menschen sich nicht nur im Verhältnis von einem Prozent-zu 99 Prozent abspielt. Soziale Milieus haben sich erheblich differenziert und deren Lebenschancen sind nicht nur holzschnittartig zu erfassen. Soziale Ungleichheit verläuft entlang sich zunehmend differenzierender Lebensverhältnisse: Alleinerziehende, Alleinerziehende mit Migrationshintergrund, Kinder und ältere Menschen sind genauso betroffen wie es Unterschiede der Lebenslage in der Stadt- und auf dem Lande, aber auch der Region insgesamt gibt.

Wenn S. darauf aufmerksam macht, dass Ökonomen in den letzten Jahren dem nicht genügend Beachtung geschenkt hätten, (vgl. S.375), so gilt das für die Sozialwissenschaften insgesamt nicht. Der Capability Approach (Vgl. die Rezensionen dazu) nähert sich der Untersuchung von Chancen und Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung an, die Armutsforschung, so z.B. der oben zitierte Ch. Butterwegge und die Armutsberichte liefern detaillierte Untersuchungen. Doch auch die Lebenslage innerhalb der 99 Prozent ist wesentlich differenzierter zu betrachten, dies gilt auch für Amerika. Der Rezensent war im Sommer mehrere Wochen in den USA und die Lebenswirklichkeit unterschiedlicher Schichten ist nicht nur dichotomisch zu erfassen. Auch die Religionszugehörigkeit spielt eine wichtige Rolle, wovon ich mich beim Besuch einer Universität der Mormonen eindrucksvoll überzeugen konnte. Nicht zuletzt ist die Analyse sehr stark auf Amerika konzentriert und die Kritik trifft nicht immer ebenso auf alle industrialisierten Länder zu. Die Sicherungssysteme sind doch teilweise sehr unterschiedlich, wenn man z.B. Skandinavien, Deutschland und Amerika betrachtet.

Fazit

Insgesamt eine prägnante Auseinandersetzung mit grundlegenden Ursachen von Ungleichheit, die jedoch eher (makro-)ökonomisch orientiert ist, denn in die einzelnen Lebenslagen eindringt. Dies schmälert nicht den Verdienst dieses Werkes, enthebt aber nicht detaillierterer Betrachtungen der Ursachen, Perpetuierung und der Chancen zur Verringerung von (sozialer) Ungleichheit.

Rezension von
Prof. Dr. Friedhelm Vahsen
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Es gibt 56 Rezensionen von Friedhelm Vahsen.

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ISSN 2190-9245