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Tom Levold, Michael Wirsching: Systemische Therapie und Beratung

Rezensiert von Prof. i.R. Dr. Peter Bünder, 26.01.2015

Cover Tom Levold, Michael Wirsching: Systemische Therapie und Beratung ISBN 978-3-89670-577-8

Tom Levold, Michael Wirsching: Systemische Therapie und Beratung. Das große Lehrbuch. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2014. 653 Seiten. ISBN 978-3-89670-577-8. 84,00 EUR.

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Thema

Das Lehrbuch bietet Fachkräften aus unterschiedlichen Professionen eine umfassende Einführung in die theoretischen und praktischen Grundlagen der systemischen Therapie und Beratung.

Herausgeber

Tom Levold ist Dipl.-Sozialwissenschaftler, Lehrender Supervisor und Lehrender Coach (SG). Seit 1989 in freier Praxis als Systemischer Therapeut, Supervisor, Coach und Organisationsberater. Dr. med. Michael Wirsching ist Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Freiburg.

Aufbau

Nach einem Vorwort der beiden Herausgeber gliedert sich das Buch in sechs Teile sowie in einen umfangreichen Anhang mit Literaturverzeichnis, Autorenverzeichnis sowie Sach- und Personenregister.

Teil 1: Grundlagen systemischer Therapie und Beratung

  • Einführung: Levold, Kriz.
  • Berufliche Zugänge: Kriz, Tretter, Ritscher, Levold, Reich, Emlein, Wright.
  • Systemische Epistemologie: Levold, Ludewig, Deissler, Kronbichler, Wolf, G. Schmidt, Schiepek, Kriz, Retzlaff.
  • Dynamik sozialer Systeme: Ciompi, Kirchenhofer, Eck + Clement, Reich, Levold, Grabbe, Fraenkel.
  • Metaphern und therapeutischer Dialog: Buchholz.

Teil 2: Systemische Praxis

  • Einführung: Levold.
  • Allgemeine Grundlagen: Schwing (4 x), Wirsching.
  • Settings: J. + K. Hinsch, Hanswille, Asen, Ahlers, Wilms, Wirsching.
  • Methoden: Levold, A. v. Schlippe, Kellermann + Roedel, Kleve, Caby + Caby, Schindler, F. Caby, Hawellek, G. Schmidt, Hain, Schweitzer, Weinhold + v. Schlippe, Retzlaff.
  • Zusammenarbeit im Hilfesystem: Levold, Kleve, Früchtel + Budde, Foertsch.

Teil 3: Arbeit mit speziellen Problemkonstellationen

  • Einführung: Levold.
  • Von Entwicklungsproblemen bei Säuglingen bis zur Therapie und Beratung im Alter: Eickhorst, Brächter, Liechti, A.v. Schlippe, Levold, Ahlers, Ahlers, Hildenbrand, Vogt, Klein, Liechti, Blum-Maurice + Pfitzner, Ruf, Geigges, Tsirigotis, Lauterbach, Kleuter, Hanswille, Wagner, Friedrich-Hett.

Teil 4: Kontexte

  • Einführung: Levold.
  • Praxisfelder: Weihe-Scheid, Hargens + B. Hansen-Magnusson + E. Hansen-Magnusson, Loth, Bräutigam + Müller, Eickhorst, Jansen, Ritscher, Kröger + Altmeyer, Borst, Klein, Rotthaus, Rosenauer.
  • Kulturelle Kontexte: Oestereich + Hegemann.

Teil 5: Ethik, Lehre, Forschung

  • Einführung: Levold.
  • Ethik und Recht: Rotthaus.
  • Aus- und Weiterbildung: Levold + Osthoff.
  • Forschung: Hildenbrand, Schiepek, Schweitzer + Ochs.

Teil 6: Schluss

  • Perspektive und Ausblick: Levold + Wirsching.

Ausgewählte Inhalte

In den drei großen Teilbereichen – Teil 1: Einführung und Theorie, Teile 2 – 4: Praxis und Teil 5: Ausbildung und Forschung – sind jeweils einige Beiträge zu finden, auf die besonders hingewiesen werden kann.

In Teil 1 können zum einen die beiden Beiträge von Jürgen Kriz zu „Medikalisierung versus psychosoziale Perspektive“ (S. 20 ff.) und „Beruflicher Zugang: Psychologie“ (S. 24 ff.) hervorgehoben werden, da hier das enorme Spannungsfeld zwischen den Bemühungen der systemischen Bewegung um gesellschaftliche Anerkennung (Stichwort: „Kassenzulassung“) einerseits und den Spielregeln des von Linearität geprägten dominanten Gesundheitssystem andererseits anschaulich verdeutlicht werden. Spannend liest sich ebenfalls der Beitrag von Tom Levold zum „Radikalen Konstruktivismus“ (S. 58 ff.). Er verdeutlicht, dass es den Konstruktivismus gar nicht gibt, sondern nur verschiedene Spielarten, die im besten Fall über einen kleinsten gemeinsamen Nenner verfügen, nämlich die Ablehnung der Vorstellung einer objektiven Abbildung von Realität zugunsten einer subjekt-gebundenen Beobachtungsperspektive. Nicht so sehr im Mainstream, aber herausfordernd ist ein weiterer Beitrag von Jürgen Kriz zur „Personenzentrierten Systemtheorie“ (S. 86), da hier der Sinndimension im menschlichen Handeln eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Als letzten Beitrag in diesem Teil sei auf den Beitrag von Michael B. Buchholz zu „Metaphern und der therapeutische Dialog“ (S. 121 ff.) hingewiesen, der die therapieschulen-übergreifende Bedeutung der Verwendung von Metaphern in Therapie und Beratung behandelt.

In den Praxisteilen 2 bis 4 kann zuerst auf die vier grundlegenden Beiträge von Rainer Schwing (S. 151 ff.) hingewiesen werden, die einen sehr fundierten Einstieg in die Materie bieten. Einen speziellen Zugang zu größeren Systemen bieten die Beiträge „Multifamilientherapie“ von Eia Asen (S. 198 ff.) sowie „Familienrat / Family Group Conference“ von Frank Früchtel und Wolfgang Budde (S. 291 ff.). Sehr zu empfehlen ist außerdem die Lektüre von „Kulturelle Kontexte – Kulturen und Milieus“ von Cornelia Oestereich und Thomas Hegemann (S. 474 ff.), die hier Kultursensibilität als Querschnittsaufgabe systemischer Therapie verstehen und beschreiben.

In Teil 5 kann auf den Beitrag von Wilhelm Rotthaus zu „Ethik und Recht“ (S. 494 ff.) hingewiesen werden, der die Grundlinien einer systemischen Ethik und deren Konsequenzen für die systemische Praxis thematisiert.

Diskussion

Das Buch wurde von den Herausgebern als „Großes Lehrbuch“ konzipiert. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben hier 76 Autorinnen und Autoren auf 594 Seiten dargelegt, wie sie Systemische Therapie und Beratung verstehen und erklären. Herausgestellt wird die charakteristische Besonderheit von Systemischer Therapie und Beratung, die „in der konsequenten Einnahme einer interaktionellen Perspektive sowohl im Verstehen als auch in der Bearbeitung körperlicher, psychischer und sozialer Probleme, Störungen und Konflikte“ liegen (S. 10). Anzuerkennen ist die Haltung der Herausgeber, wonach dieses Lehrbuch nicht postuliert, „was gilt oder gelten soll, sondern (...) den Anspruch (hat), die Vielfalt systemischen Denkens zugänglich zu machen“ (S. 11). Demgemäß richtet sich dieses Lehrbuch auch nicht vordringlich an bereits systemisch ausgebildete Fachkräfte, sondern soll Professionellen der unterschiedlichen Berufsgruppen eine fundierte Einführung bieten.

Erfreulich ist an diesem Lehrbuch, dass viele Aspekte systemischen Denkens und Handelns sehr kritisch bzw. selbstkritisch behandelt werden. Klar wird ausgesprochen, dass die Systemtheorie und Kybernetik „in der gegenwärtigen akademischen Welt kaum eine Rolle spielen“ (S. 16). Aufgezeigt wird speziell in Teil 1, dass „der systemische Ansatz keine einheitliche, inhaltlich konsistente Arbeitsphilosophie darstellt, sondern eine Vielzahl von Konzepten und theoretischen Modellen umfasst, die untereinander mehr oder weniger anschlussfähig sind, aber gemeinsame Grundorientierungen und -haltungen aufweisen“ (S. 13).

Die Teile 2 bis 4 sind der Praxis systemischer Therapie und Beratung gewidmet und geben einen sehr guten Überblick zu vielen praktischen Fragen, speziellen Problemkonstellationen und unterschiedlichen Kontexten, in denen der Ansatz zur Anwendung kommt. Die einzelnen Beiträge der 76 Autorinnen und Autoren, von denen allgemein zu sagen ist, dass sie in der systemischen Welt mehr oder weniger „Rang und Namen“ haben, sind unterschiedlich lang. Die Spanne reicht von drei Seiten bis zu 21 Seiten. Für alle Beiträge gilt, dass für die an einer Vertiefung interessierten Leser/innen eine 61 Seiten umfassende Literaturliste angeführt ist, in der fast alles zu finden ist, was in den letzten Jahrzehnten an systemischen Arbeiten veröffentlich wurde. Die Stärke dieses Lehrbuchs besteht also darin, einen sehr umfassenden und reflektierten Überblick über die Dimensionen systemischer Therapie und Beratung zu bieten. So kann dieses Buch als grundlegende Einführung im Allgemeinen wie auch als Nachschlagewerk bei speziellen Fragestellungen genutzt werden. Ein sehr ausführliches Sach- und Personenregister leisten gute Dienste, um konkrete Begriffe oder bestimmte Personen schnell zu finden. Anzumerken bleibt noch, dass fast alle Beiträge in einer verständlichen Sprache verfasst sind, so dass die Erfassung komplexer Inhalte nicht unnötig erschwert wird.

Bei der Frage, ob auch etwas zu kritisieren oder nur zu kurz gekommen ist, kann folgendes angeführt werden. Im Rahmen der „Arbeit mit Problemkonstellationen“ hätte man gut ohne größere Informationsverluste auf die „Mitfahrt“ bei der populären, aber meist platten „Burnout-Welle“ (S. 392 ff.) verzichten können, da hier der Informationswert – gemessen an der vorliegenden Literatur – ziemlich bescheiden daher kommt. Zum zweiten kann auf eine kleine Lücke im Bereich des Methodischen hingewiesen werden. Unter den Stichworten „Video und Videofeedback“ (S. 252 ff. / 303 ff.) wird sehr wenig über die fachliche Nutzung von Video im Rahmen systemischer Therapie und Beratung vermittelt. Stattdessen werden – inhaltlich sehr verkürzt – Anleihen bei der Marte-Meo-Methode bzw. der Entwicklungspsychologischen Beratung genommen, die sich originär nicht als systemische Methoden verstehen, wohl aber systemische Ansätze bereichern können. Es wäre daher zu wünschen gewesen, wenn die erwiesenen Stärken von Videonutzung in systemischer Therapie und Beratung inhaltlich mehr herausgestellt worden wären.

Zielgruppen

Das Buch richtet sich allgemein an Personen, die sich intensiver mit den Möglichkeiten und Chancen systemischer Therapie und Beratung beschäftigen wollen. Dies schließt auch Studierende unterschiedlicher Studiengänge sowie Teilnehmer/innen von systemischen Weiterbildungen ein.

Fazit

Es ist ein sehr lesenswertes Buch, welches durch viele Personen verständlich und engagiert geschrieben ist. Es wird deutlich, dass hier Fachleute geschrieben haben, die Wissen und Erfahrungen in systemischer Therapie und Beratung vorweisen können.

Es sollte in jeder human- oder sozialwissenschaftlichen Fachbibliothek nicht nur als Präsenz- sondern auch als Lehrbuch zur Ausleihe bereitstehen, damit auch Menschen davon profitieren können, die den relativ hohen Anschaffungspreis nicht aufbringen können.

Rezension von
Prof. i.R. Dr. Peter Bünder
Vormals Hochschule - University of Applied Sciences - Düsseldorf, Lehrgebiet Erziehungswissenschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
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Es gibt 89 Rezensionen von Peter Bünder.

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Zitiervorschlag
Peter Bünder. Rezension vom 26.01.2015 zu: Tom Levold, Michael Wirsching: Systemische Therapie und Beratung. Das große Lehrbuch. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2014. ISBN 978-3-89670-577-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14036.php, Datum des Zugriffs 07.12.2024.


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