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Susanne Helene Becker (Hrsg.): 99 neue Lesetipps

Rezensiert von Dorothea Dohms, 10.12.2012

Cover Susanne Helene  Becker (Hrsg.): 99 neue Lesetipps ISBN 978-3-7800-1093-3

Susanne Helene Becker (Hrsg.): 99 neue Lesetipps. Bücher für Grundschulkinder. Klett-Kallmeyer (Hannover) 2012. 336 Seiten. ISBN 978-3-7800-1093-3. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.

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Herausgeberin

Susanne Helene Becker schloss ihr Studium der Germanistik, Pädagogik, Philosophie und Ethnologie an den Universitäten Bonn und Köln mit dem Dr. phil. ab. Die Lehrerin, Literaturwissenschaftlerin, Herausgeberin und Autorin engagiert sich neben der Deutschdidaktik vor allem für die Kinder- und Jugendliteratur. Sie ist Mitglied der Jury des Gustav-Heinemann-Preises, des Arbeitskreises für Jugendliteratur, der Jury für die Kranichsteiner Jugendliteraturstipendien und Vorsitzende der Kritikerjury des Deutschen Jugendliteraturpreises 2009-2012. Ihrem besonderen Engagement für die Deutschdidaktik wurde sie gerecht als Herausgeberin von „Deutsch. Unterrichtspraxis für die Klassen 5 bis 10„(2004) und „Grundschule Deutsch„(2010). Von 1998 bis 2002 war sie Projektleiterin der Arbeitsstelle für Leseforschung, Kinder- und Jugendmedien der Universität Köln, arbeitete als Professorin an der PH Schwäbisch Gmünd (2002-2005) und der Universität Bremen (2008-2009).

Aufbau

Der Hauptteil des Buches ist den Vorstellungen von neuen Büchern für Grundschulkinder gewidmet, unterteilt in die Kategorien

  • „Bilderbücher“,
  • „Sachbücher“,
  • „Kinderromane und -erzählungen“ und
  • „Gedichte, Lieder und Sprachspiele“.

Die zweispaltigen Seiten führen den Leser über die mit einem Cover-Foto geschmückten bibliographischen Angaben zu den Piktogrammen als Signale für das Lese- u. Vorleseniveau, zu Schlüsselwörtern und Gattungsbegriffen. Der anschließenden inhaltlichen Darstellung („Darum geht es in diesem Buch“) folgen, aufgelockert durch zahlreiche Illustrationen, die Bewertung („Das macht das Buch besonders“) und die Hinweise auf weiterführende Formen der Lesekommunikation („So arbeiten Sie mit diesem Buch“). Die letzte Spalte schließt ab mit einem Kästchen, in dem sich weiterführende Literaturtipps und, so vorhanden, Internetadressen befinden.

Der zweite Teil des Buches („Wissenswertes rund ums Lesen“) ist den methodisch-didaktischen Themen gewidmet. Hier verdient das dritte Unterkapitel besondere Beachtung, da es sich eng an die im Hauptteil angeführten Hilfen („So arbeiten Sie mit dem Buch“) anlehnt. Umfangreiche Register („Wissenswertes rund um die Bücher“) beschließen die Schrift.

Zu Teil 1

Zwei, in ihren jeweiligen Kategorien als „Favoriten“ hervorgehobene Titel seien hier beispielhaft vorgestellt:

Lauren Child: Charlie und Lola – Das ist aber total mein Buch! Fischer Schatzinsel 2007 (Bilderbuch). Die Piktogramme signalisieren: Das Vorleseniveau ist das einer einfachen Geschichte ab dem 1. Schuljahr. Das Leseniveau ist etwas höher angesetzt, nämlich für Kinder, die „beginnen, selbständig zu lesen“. Der Titel wird empfohlen „zur Anschaffung für Klassen- oder Schulbibliotheken“ und eingestuft als ausgezeichnetes Vorlesebuch. Es folgen Gattung („Buch im Buch“) und Schlüsselwörter („Lieblingsbücher“, „Büchereibesuch“, „Geschwister“, „Identifikation“). Wie in fast allen Fällen schließt sich eine lebendige und kurzweilige Inhaltsangabe an: Es geht in diesem Charlie-und-Lola-Bilderbuch (inzwischen gibt es eine ganze Reihe von ihnen!) um die eigenwillige kleine Lola und ihren drei Jahre älteren Bruder Charlie, den besten großen Bruder, den man sich wünschen kann. Lola hat sich aus der Bücherei schon mehrfach ein Käfer-Buch ausgeliehen und will es nun, da es ihr so ausnehmend gut gefällt, bei einem erneuten Bibliotheksbesuch, gleich wieder ausleihen. Empört sieht sie, dass ein anderes Mädchen das von ihr so geliebte Buch zur Ausleihe trägt. Um Lola zu trösten, übernimmt nun der beste Bruder von allen „quasi die Rolle der Bibliothekarin für seine kleine Schwester“. Er preist die Vielfalt der angebotenen Bücher, erklärt, dass es außer dem Käfer-Buch auch noch Detektiv-, Abenteuer- oder Sachbücher, z. B. über Vulkane und Berge gibt, sowie Lexika und Pop-up-Bücher. Mit Engelsgeduld versucht er außerdem herauszubekommen, wie wohl Lolas Vorstellung von einem „perfekten Buch“ aussehen mag. Sein Fazit: „Du willst also ein Buch mit vielen bunten Bildern, eine Geschichte mit nicht zu vielen Buchstaben und [mit] Tieren, die dich zum Lachen bringen.“ Und tatsächlich schafft er es mit viel Geduld (wohl beispielhaft für manch eine Bibliothekarin), seine kleine Schwester für ein anderes Buch zu begeistern. Der Titel: „Geparden und Schimpansen“.
Was nun macht dieses Bilderbuch so besonders? Während einer Zugfahrt durch Dänemark hat die englische Künstlerin ein Mädchen beobachtet, das später zur Vorlage ihrer Lola-Figur wurde, „neugierig, mit ganz eigenen Vorstellungen und gesegnet mit dem besten Bruder der Welt“. Und so entstanden über die Jahre hinweg jene „intensive[n] Szenen, immer mit Humor und sehr viel Geduld aus Charlies Sicht erzählt“. Mit Hilfe der Collagetechnik, bei der Fotos, Muster und Zeichnungen kombiniert wurden mit einem Text, der sich „perfekt in die Bildkomposition“ einfügt (manchmal in Schlangenlinien, manchmal in Sprechblasen und dabei überwiegend dem Sprachduktus Lolas angepasst), erreicht die Autorin mit ihren humorvollen Geschichten nicht nur in diesem Bilderbuch ein „hohes Identifikationspotential“.
Und so könnte dann, über das reine Lesen bzw. Vorlesen hinaus, noch mit dem Buch gearbeitet werden: Als Bilderbuchkino mit Hilfe von Scanner oder Farbfolien oder in einer Vorlesestunde mit verteilten Rollen (Erzähler, Lola, Charlie). Wichtig auch die folgenden Anregungen zu bild- und textorientierten Aufgaben und Projekten: etwa eine Liste jener Fremdwörter erstellen, die Kinder noch nicht verstehen, so „wie Lola nicht weiß, was ein Lexikon ist“, oder Berichte und Fragen zu den Lieblingsbüchern der Kinder, oder das „Buch im Buch“ als Anlass für einen Bibliotheksbesuch. Auch lädt die Collagetechnik ein zum „Malen mit der Schere (Henri Matisse)“ und zu „allerersten Erfahrungen mit der Papieringenieurskunst“. Den Abschluss dieser Buchempfehlung bilden ergänzende Lesetipps, Unterrichtsmaterial und der Hinweis auf digitale Medien (in diesem Fall die DVD-Sammelbox „Charlie und Lola“) sowie 5 Internetadressen für Kinder und zwei weitere Lesetipps zum Thema „Buch und Bücherei“.

Der zweite „Favorit“ in seiner Kategorie ist ein Sachbuch: Alexandra Maxeiner (Text) und Anke Kuhl (Ill.): Alles Familie! Klett Kinderbuch 2012. Wie schon gewohnt, begegnen wir auch bei diesem, mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 ausgezeichneten Sachbuch vorab den bekannten Piktogrammen (Vorleseniveau: einfach, optimal; Leseniveau: für Kinder, die selbständig und gut alleine lesen können), der Zuordnung zur Gattung „Erzählendes Sachbuch“ und den Schlüsselwörtern („Familie“, „Zusammenleben“, „Kindheit“, „Eltern“, „Geschwister“, „Homosexualität“, „Adoption“, „Multikulturelles“). Der Titel wird zudem als besonders geeignet „für den Schulanfang in einer neuen Klasse“ eingestuft.
In diesem „Sachbilderbuch über Familienformen in Gegenwart und Vergangenheit, in Deutschland und anderswo“ geht es um die vielen verschiedenen Formen von Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen, die oft „kunterbunt durcheinandergehen können“. So entsteht ein „Panorama“ von Patchwork-, Groß- und Kleinfamilien, Einzelkind- und Geschwisterdasein, binationalen Familien, Heim-, Waisen- und Adoptionskindern u. v. m. Fazit: Jede Familienkonstellation ist einzigartig, hat ihren „charakteristischen Geruch“.
Das Team Maxeiner/Kuhl – so die Bewertung – hat das Thema in seiner ganzen Vielfalt schreibend und malend mit „ethnologisch geschultem Blick“ ausgeschöpft. Informationsgehalt und ästhetischer Genuss verbinden sich mit Aufklärung und Sinnlichkeit. Dabei lässt das Buch, das vor allem durch seine „knappe und präzise Sprache“ beeindruckt, ebenso wenig einen Sinn für feinen Humor vermissen, wie den Tenor von Wertfreiheit. Nur selten beziehen die Autorinnen Stellung (etwa beim Thema „Prügelstrafe), ansonsten „darf jede Familie sein, wie sie will“.
Da dies kein Buch ist, das man unbedingt in einem Zug durchlesen muss, eignet es sich besonders gut zum gemeinsamen Lesen. Man kann es einfach irgendwo aufschlagen und sich am vorgefundenen Text „festlesen“. Fotos von zu Hause, Berichte aus den jeweiligen Herkunftsfamilien, lustige Geschichten aus dem eigenen Familienalltag können das Lesen/Vorlesen zusätzlich bereichern. Anhand des Fragenkatalogs am Ende des Buches können zudem die Kinder ein Portrait der eigenen Familie, eine Art Wörterbuch von familientypischen Aussprüchen und einen Familienstammbaum erstellen, bei dem Eltern und Großeltern gerne helfen dürfen.
Zum Schluss auch hier wieder Hinweise auf weiterführende Literatur und Webadressen sowie Literaturtipps für Bücher ähnlicher Thematik, darunter eines, das in der Kategorie „Bilderbücher“ ebenfalls besonders empfohlen wird: Martin Baltscheit: Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor.

Zu Teil 2

Der zweite Teil dieses informativen Buches beschäftigt sich in drei Kapiteln – und in enger Verbindung mit den zuvor empfohlenen Buchtiteln – mit der Leseförderung und Lesesozialisation und dem Zusammenwirken von Lesen und kindlicher Persönlichkeitsentwicklung (Kap. 1).

Im 2. Kapitel stehen konkrete Tipps und Hilfen zu Aktionen und Projekten zur Leseförderung für Unterricht und Elternarbeit im Mittelpunkt (z. B. Elternabende, Bücherkisten, Lesenächte, Lesepaten, Schulbibliotheken u. a.)

Das 3., umfangreichste Kapitel ist eine Fundgrube von Methoden der Lesekommunikation, von denen der Leser viele bereits zuvor in der Rubrik „So arbeiten sie mit dem Buch“ kennen gelernt hat (hier einige Schlagwörter: Exkursionen, Ideensammlungen, Assoziogramme, Wörternetze, Bilderbuchgespräche und -kino, Lesepass oder -raupe, eine Adjektivlandkarte oder eine „Bildbegehung“, Visualisierung von Informationen, Interviews, Quiz, Steckbrief/Portrait, Talkrunde u. v. m.) Und nicht zuletzt wird der Bewertung der kindlichen Leseleistung breiten Raum gegeben, denn Kinder „wollen Rückmeldungen… haben – und das nicht nur für Diktate, sondern auch für eine selbsterfundene Geschichte, ein Bild… oder eine szenische Darstellung“, kurz: für ihre kreativen Leistungen. Auch hierzu fehlt es nicht an einer Liste von Kriterien, die sich orientiert an den Zielen der Leseförderung, „wie sie in fast allen Bildungsplänen aufgeführt… werden“.

Dieses letzte Kapitel schließt zudem mit einem derart ausführlichen Anhang, dass der Leser, unter welchem Stichwort auch immer er suchen mag, in jedem Fall fündig wird: Ob Schlüsselwörter, Titel im Überblick (mit Leseniveau), Autoren, Illustratoren und Übersetzer mit ihren Kurzbiographien, noch einmal ein methodischer Überblick, Adressen und Links zu dem Themen der Leseförderung und zu guter Letzt auch noch die Vorstellung der Herausgeberin und Autorinnen – kein Wunsch des Lesers bleibt offen.

Fazit

In vorbildlich übersichtlicher Aufmachung präsentiert sich dem Leser dieses Buch, dem breitestes Interesse zu wünschen ist nicht nur bei Eltern, Lehrern und Erziehern. Darüber hinaus ist es mit seiner so lebendig wie oftmals fast liebevoll vorgestellten Lektüreauswahl, die durch ihr breitgefächertes Themenspektrum vor allem für die kleinsten Leser kaum einen Wunsch offen lässt, zu einer Art Wundertüte geraten für alle großen und kleinen Lesefans – und zu einer Schatzkiste für all jene, die es noch werden wollen.

Rezension von
Dorothea Dohms
Ortsverbandssprecherin der Grünen im Stadtrat von Niederkassel

Es gibt 41 Rezensionen von Dorothea Dohms.

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ISSN 2190-9245