Christiane Schiersmann, Heinz-Ulrich Thiel (Hrsg.): Beratung als Förderung von Selbstorganisationsprozessen
Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers, 13.02.2013

Christiane Schiersmann, Heinz-Ulrich Thiel (Hrsg.): Beratung als Förderung von Selbstorganisationsprozessen. Empirische Studien zur Beratung von Personen und Organisationen auf der Basis der Synergetik.
Vandenhoeck & Ruprecht
(Göttingen) 2012.
341 Seiten.
ISBN 978-3-525-40353-2.
D: 31,95 EUR,
A: 32,90 EUR,
CH: 43,90 sFr.
Reihe: Interdisziplinäre Beratungsforschung - Band 5.
Thema
Die AutorInnen beschreiben die Entwicklung und Nutzung der Synergetik als metatheoretischer Perspektive für die Beratung von Personen und Organisationen
Herausgeberin und Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Christiane Schiersmann ist Professorin für Weiterbildung und Beratung am Institut für Bildungswissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Heinz-Ulrich Thiel, Dr., Organisationsentwickler und Supervisor – ist Dozent an der Universität Heidelberg im Masterstudiengang „Berufs-und organisationsbezogene Beratungswissenschaft“
In dem Band sind Beiträge von neun Autorinnen und Autoren versammelt, die sowohl Erfahrungen in verschiedenen Praxisfeldern von (berufsbezogener) Beratung und Psychotherapie sammelten, wie auch akademische Forschungskompetenz repräsentieren.
Entstehungshintergrund
Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung von Beratungskonzepten werden grundsätzliche konzeptionelle Überlegungen zur Nutzung des Begriffs der Synergetik vorgestellt. Diesen folgen weitere zur Forschungsmethodik und Darstellungen erster Studien zur Umsetzung. „Da die in dieser Publikation zusammengestellten Arbeiten zwar im Rahmen eines gemeinsamen Diskurses an der Universität Heidelberg entstanden, dann aber doch individuell verfasst worden sind, lassen sich an manchen Stellen Redundanzen nicht ganz vermeiden.“ (S.12)
Aufbau und Inhalt
Nach der Einleitung von C.Schiersmann und H.U.Thiel folgt von den gleichen Autoren das Kapitel: Beratung als Förderung von Selbstorganisationsprozessen- eine Theorie jenseits von „Schulen" und „Formaten“. Inhalte dieses Kapitels sind Beratungsverständnis und Beratungstheorie in Abgrenzung zur Psychotherapie, allgemeine Wirkprinzipien und Formate von Beratung. Darauf folgt eine grundsätzliche Darstellung der Theorie der Selbstorganisation(Synergetik) und daraus folgende „generische Prinzipien“ zur Förderung der Selbstorganisation. Phasenorientierte Prozessmodelle werden auf ihre Nutzungsmöglichkeit überprüft, auch wenn die Vertreter der Synergetik diesen kritisch gegenüberstehen. Der Beitrag endet mit Überlegungen zum Prozessmanagement und möglichen Forschungsstrategien.
„Monitoring und Evidenzbasierung von Beratungsprozessen“ – G.Schiepek u. Heiko Eckert. Nach einem kurzen Exkurs zur Psychotherapieforschung , in der sich die Überwindung der „Schulen“ bereits seit mehreren Jahrzehnten abzeichnet, wird Beratung als Synergetisches Prozessmanagement konzeptionell entwickelt und Verfahren zur Prozesserfassung ( z.B. synergetisches Navigationssystem, SNS ) vorgestellt . Es folgen Überlegungen zum Prozessmonitoring und zur Evidenzbasierten Beratung. Das Kapitel schließt mit einer Darstellung der Funktionalitäten des SNS und einem praktischen Beispiel seiner Nutzbarkeit.
„Analyse (in)direkter Effekt von Coaching anhand der generischen Prinzipien – eine empirische Fallstudie“ – Johanna Hein. Nach einer kurzen Einführung zum Thema Coaching und Synergie wird die Untersuchung vorgestellt. Neben Überlegungen zur Sicherung der Qualität ist vor allem bedeutsam, dass zwischen den direkten (auf den Coachee) und indirekten (auf die Bezugspersonen) Wirkungen unterschieden wird. Teils allgemein, teils fallbezogen wird die Bedeutung und Wirkung der generischen Prinzipien sowohl für den direkten Prozess wie auch auf die systemisch bedeutsamen Kontaktpersonen untersucht.
„Systemkompetenz – eine empirische Studie zur Kompetenzentwicklung von Beratern“ – Marco Paukert. In enger Anlehnung an den seit den neunziger Jahren bedeutsamen Kompetenzbegriff wird „Systemkompetenz“ in ihrer Bedeutung für Berater und Beratung dargestellt. Nach einer Konzentration auf zentrale Kompetenzbereiche (Wissen, Systemmodellierung, generische Prinzipien etc.) wird der Kompetenzzuwachs in diesem Bereich empirisch untersucht, wobei einige Ergebnisse nur wenig überraschend ausfallen. („… dass erfahrene Berater längere Gespräche führen konnten als unerfahrene Berater“ – S.189) Der Artikel endet mit Überlegungen zur Gestaltung von Beratertrainings.
„Outplacement-Beratung: Analyse der Bedingungen für die berufliche Neuorientierung auf der Basis der Theorie der Selbstorganisation“ – Marin Biehaule. Untersucht werden zunächst mögliche Analogien zwischen Synergetik und dem Instrument „Transfergesellschaft“. Nach der Darstellung der erforschten Organisation und einer Darstellung des Standes der Forschung werden die generischen Prinzipien erläutert und die Items des Fragebogens vorgestellt. Im letzten Teil des Beitrags werden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt, diskutiert und Impulse für praktische Maßnahmen abgeleitet, wobei die Nutzung der Untersuchungsergebnisse die Basis bildet.
„Selbstorganisation fördernde Wirkprinzipien und Erfolgsfaktoren in der Organisationsentwicklung- zwei Fallstudien im Vergleich“ – Heinz-Ulrich Thiel, Christiane Schiersmann. Nach einer kurzen Darstellung des Forschungsstandes im Bereich Organisationsentwicklung und Beratung werden sowohl die generischen Prinzipien wie auch prozessorientierte Überlegungen zur Struktur der Organisationsentwicklung vorgestellt – auch wenn dies nach Meinung der Autoren einen gewissen Widerspruch darstellt.(vgl.S.239-241) Es folgt eine Darstellung der Fallstudien, von denen sich eine auf den Non-Profit- und eine auf den gewerblichen Bereich bezieht. Untersuchungsinstrumente sind in beiden Fällen u.a. auf die generischen Prinzipien bezogene Fragebögen und Systemmodellierungen (ein Tool zur Visualisierung komplexer Wirkungszusammenhänge). Die Analyse von Erfolg und Misserfolg in beiden Fällen bezieht sich sowohl auf die Nutzbarkeit der generischen Prinzipien wie auch die Verwendung konkreter methodischer Tools.
„Das transnationale Politiknetzwerk für die Verbesserung lebensgleitender Beratung ELGPN“ – Peter Weber. Untersuchungsgegenstand ist das europäische ELGPN-Netzwerk, das im Jahre 2008 gegründet wurde und eingebettet ist in das EU Arbeitsprogramm „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“. Das Netzwerk thematisiert die wachsende Bedeutung von Beratung im Kontext von Bildung, Beruf und Beschäftigung. Der Beitrag untersucht zunächst die Bedeutung des Begriffs der Synergetik als metatheoretische Annahme für die Entwicklung des Netzwerks und untersucht dann typische Ordnungsübergänge und Muster der Entwicklung. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Begriffe „Strukturen“, „Aktivitäten“ und „Wissen“ des Netzwerks, die als zentrale Einflussfaktoren erste Ergebnisse ermöglichen, deren Umsetzung in den Nationalstaaten wiederum Ziel der Aktivitäten ist. Bei der Analyse förderlicher Faktoren wird besonders hervorgehoben, dass nicht nur Struktur- und Prozessfaktoren sondern auch Einflussfaktoren aus der Umgebung des Systems und wissensbezogene Faktoren von großer Relevanz sind.
Diskussion
In der derzeitigen Diskussion von Beratung dominieren psychologisch fundierte Konzepte die Diskussion und die Ausbildungsrealität. Der Band liefert hier eine kurze, vorzügliche Darstellung der Entwicklung. Daneben gibt es Versuche, Beratung als pädagogische Beratung verstärkt zu begründen und zu etablieren. Mit dem Begriff der Synergetik wird ein aus der Systemtheorie abgeleiteter Begriff in die Diskussion eingeführt, der in der Tat ein hohes Potenzial besitzt, metatheoretische Perspektiven der Systemtheorie zu nutzen. In erfreulich unkonventioneller Weise thematisieren die verschiedenen Beiträge dieses Vorhaben und beschreiben erste Versuche, Arbeitsfelder und konkrete Projekte zu beschreiben und zu erforschen. Damit wird aber auch klar, dass sich hier primär um einen Beitrag handelt, der das Forschungsinteresse zur Nutzung dieses Begriffes thematisiert. Abgesehen von qualitativ höchst unterschiedlichen Nutzungen des Begriffs in konkreten Projekten, deren Arbeitsergebnisse sich dann zuweilen in sehr allgemein gehaltenen und wenig überraschenden Aussagen erschöpfen, kann die grundsätzliche Nützlichkeit des Begriffes für das Verständnis von Beratung m.E. nur bestätigt werden.
Für Praktiker der Beratung, egal ob sie sich in der Beratung von Einzelpersonen und Gruppen oder in der Institutions- und Organisationsberatung engagieren, ist bei den Praxisbeispielen allerdings sehr schnell deutlich, dass sich die konkreten Interventionen auch in dem beschriebenen Beispielen sehr schnell in bereits bekannten Mustern bewegen, die metatheoretische Orientierung am Begriff der Synergetik keinesfalls Konsequenzen auf der Ebene des konkreten Handelns nach sich zieht. Dies schränkt das Interesse für die Nutzung des Begriffs keinesfalls ein, führt aber zu deutlichen Konsequenzen hinsichtlich der Frage, wer sich für dieses Buch interessiert. Dies werden in erster Linie Personen sein, die vom Forschungsinteresse im Bereich Beratung geleitet werden, weniger Praktiker der Beratung, vor allem dann nicht, wenn sie sich konkrete Erweiterungen ihres Interventionsrepertoires beziehungsweise Ergänzungen ihrer „Tool Box“ vorstellen. Für die Ausbildung in Beratung könnte dagegen die Diskussion des Begriffs durchaus interessant sein.
Fazit
Ein Buch für Forschungsinteressierte in der Beratung, die nicht nur an systemtheoretisch fundierten Interventionen, sondern auch an einer metatheoretisch orientierten Nutzung des Begriffs der Synergetik interessiert sind. Für Praktiker interessant sind allenfalls die Perspektivenwechsel auf möglicherweise bereits bekannte Arbeitsfelder.
Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers
Systemischer Familientherapeut, Ausbilder der GwG (GF, SV), Supervisor DGSv
Lehrer für besondere Aufgaben (Theorien und Methoden der Sozialarbeit) i.R.
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