Elena Yundina, Susanne Stüber et al. (Hrsg.): Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissenschaft
Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 11.04.2013
Elena Yundina, Susanne Stüber, Matthias Hollweg, Cornelis Stadtland (Hrsg.): Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissenschaft. Festschrift zum Geburtstag von Norbert Nedopil. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Berlin) 2012. 359 Seiten. ISBN 978-3-941468-86-3. D: 59,95 EUR, A: 51,45 EUR, CH: 60,00 sFr.
Thema
Die Festschrift erscheint zum 65. Geburtstag des international bekannten und prägenden Forensischen Psychiaters Norbert Nedopil. Der Psychologe und Mediziner leitete über 20 Jahre die Abteilung für Forensische Psychiatrie an der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und wirkt vor allem in den Bereichen der Qualitätssicherung und -verbesserung psychiatrischer Begutachtung, Kriminalprognose, Risikoeinschätzung und – management bei psychisch kranken Straftätern. Nedopil gilt als Vertreter einer wissenschaftlich fundierten, interdisziplinären und international vernetzten Forensischen Psychiatrie. Diese Position greifen die Herausgeber auf, indem sie Einzelbeiträge der unterschiedlichen Disziplinen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, den Niederlanden und Japan ausgewählt haben, um den Jubilar zu ehren.
Herausgeber und Autoren
Die Herausgeber arbeiteten größtenteils über Jahre hinweg eng mit dem durch diese Festschrift geehrten Norbert Nedopil in der Abteilung für Forensische Psychiatrie der LMU München zusammen. Die Einzelbeiträge stammen von renommierten Vertretern aus Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie und Rechtwissenschaften.
Aufbau
Die Festschrift beinhaltet Beiträge zu übergeordneten Fragestellungen (Gefährlichkeit und Prognose, genetische Untersuchungen, Kommunikation zwischen Psychiatern und Juristen), einzelnen Tätergruppen (Amok, Massaker und Terror, Stalking, Affekt- und Impulstaten, jugendliche Straftäter), verschiedenen Patientengruppen (ADHS bei Erwachsenen, schizophrene Erkrankungen), rechtlichen Aspekten (Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung, die Umsetzung der Reform des schweizerischen Maßnahmenrechts) und praktischen Behandlungsfragen (Standards der Gefängnispsychiatrie, Sozialtherapeutische Anstalt, forensisch-ambulante Behandlung), welche ohne Untergliederung, dem Namensalphabet der Autoren folgend in 28 Kapiteln präsentiert werden.
Die Darstellung der Inhalte geschieht in dieser Rezension nicht der Reihenfolge der Einzelbeiträge folgend, sondern als Versuch, thematische Blöcke zu bilden.
Übergeordnete Fragestellungen
Der Eröffnungsbeitrag „Psychiatrie, Gefährlichkeit und Prognose“ des Strafrechtlers Hans-Jörg Albrecht greift das Arbeits- und Forschungsgebiet des Jubilars Nedopil auf, die Vorhersage (erneuten) strafrechtlichen Verhaltens in Kriminologie und Psychiatrie. Dazu werden grundsätzliche Fragestellungen, Aufgabenschwerpunkte und die Frage nach der Gültigkeit prognostischer Aussagen anhand einzelner Validitätsstudien erörtert. In einem Ausblick fordert der Autor verstärkte Forschungsbemühungen die dazu beitragen sollen, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Prognoseaussagen zu erhöhen.
Der Fragestellung psychiatrischer Prognosen widmet sich ein weiterer Beitrag. Der Schweizer Forensiker Volker Dittmann, langjähriger fachlicher Weggefährte Norbert Nedopils, verweist auf die Grenzen forensisch-psychiatrischer Prognoseaussagen, die auch vor dem Hintergrund differenzierter und evidenzbasierter Prognoseinstrumente an der Hürde wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung scheitern müssen. Er definiert Wissenschaft als immer eingeschränkte Erkenntnis, die in ständiger Weiterentwicklung lediglich den aktuellen Stand des Wissens abbilden kann und diese Unsicherheit auch zu kommunizieren hat, wenn sie denn seriös auftreten möchte.
Schnittstellen zwischen forensischer Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie benennt der Schweizer Forensische Psychiater Elmar Habermeyer. Er beschränkt sich auf die Identifikation der unterschiedlichen berufspolitischen Entwicklung in den beiden Arbeitsbereichen und auf den Aspekt gewalttätiger Patienten, die sowohl in der Allgemeinpsychiatrie, als auch in der Forensischen Psychiatrie eine besondere Rolle spielen. Habermeyer hinterfragt hier vorsichtig einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Anstieg gewalttätiger schizophrener Patienten im Maßregelvollzug und besonderen Behandlungsumständen in der Allgemeinpsychiatrie, wozu der Autor eine Zusammenfassung einer 2010 selbst durchgeführten Studie zur allgemeinpsychiatrischen Vorbehandlung dieser Patientengruppe formuliert. Habermeyer plädiert abschließend für einen engen fachlichen Austausch zwischen den beiden Behandlungsbereichen, wobei die Allgemeinpsychiatrie von forensisch fundierten Präventionsansätzen profitieren könnte.
Dem Problem der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen, hier zwischen Psychiatern und Juristen widmet sich der frühere Richter am BGH Axel Boetticher. Der Beitrag greift die aktuelle Debatte um hoch rückfallgefährdete Gewaltstraftäter, die Diskussion um das „Therapieunterbringungsgesetzt“ und die damit verbundene Frage nach dem richtigen Ort der Unterbringung und Behandlung „psychisch gestörter“ (nicht: psychisch kranker) Straftäter auf. Dazu setzt sich der Autor mit dem in Deutschland historisch belasteten Begriff der Psychopathie auseinander und formuliert auf Grundlage der sich aus dem Störungsbild ergebenden Einschränkungen einen Behandlungsansatz, der zwischen Strafvollzug (Sicherungsverwahrung) und Psychiatrie angesiedelt sein sollte. Als institutionellen Rahmen fordert der Autor die Wiedereinführung der Sozialtherapeutischen Anstalt, die bis 1984 als Maßregel der Besserung und Sicherung im Strafgesetzbuch mit § 65 enthalten war, aus -nicht zuletzt- finanziellen Gründen gestrichen worden war.
Der Kommunikation zwischen Juristen und Psychiatern sind zwei weitere Beiträge gewidmet: der Psychiater Clemens Cording beleuchtet die Einschränkung der Geschäftsfähigkeit bei bestehender Wahnsymptomatik und erlaubt einen differenzierten Einblick auf das Verhältnis psychiatrischer Aspekte (z. B. psychotische Symptome) und juristischer Fragestellungen. Der japanische Strafrechtler Hisao Katoh (der als Stipendiat mehrere Jahre in Deutschland studiert hat) geht auf Rollenkonflikte in der Praktizierung des Schuldprinzips ein und formuliert auf Grundlage eines Vergleichs der Rechtssituation in Deutschland und Japan Reformvorschläge in Bezug auf die Behandlung von Straftätern im japanischen Strafvollzug.
Zwei Beiträge beleuchten neurowissenschaftliche Aspekte in der Forensischen Psychiatrie. Jürgen L. Müller beschreibt die Möglichkeiten, Chancen und Risiken der bildgebenden Verfahren, die auch in der Forensischen Psychiatrie an Bedeutung gewonnen haben. Der Artikel basiert auf der umfangreichen Veröffentlichung Müllers zu diesem Thema (siehe Rezension: www.socialnet.de/rezensionen/8991.php) und gibt einen knappen Überblick. Wolfgang Retz beschreibt genetische Bedingungen psychischer Störungen und referiert dazu den aktuellen Stand neurobiologischer Forschung.
Tätergruppen
Dem noch jungen strafrechtlichen Problem, erst 2007 als Tatbestand in das StGB aufgenommenen Tatbestand des Stalking gilt ein Beitrag des Psychiaters Harald Dreßing. Der Autor erfasst den internationalen Kenntnisstand (Epidemiologie, Behandlung von Opfern und Tätern) zu diesem Delikt und stellt Überlegungen zur Beurteilung der forensischen Relevanz des Deliktverhaltens bei Stalkern an. Dazu referiert Dreßing die Weiterentwicklung eines von ihm bereits 2007 veröffentlichten multiaxialen Klassifikationsschemas von Stalking, das die Ebenen Psychopathologie, Beziehungsaspekte zwischen Stalker und Opfer, sowie die Motivationsebene für das Stalking erfasst.
Ein weiterer Beitrag befasst sich mit einer speziellen Deliktgruppe: „Entführung und erpresserischer Menschenraub“. Rudolf Egg, Leiter der kriminologischen Zentralstelle Niedersachsen geht auf diese selten vorkommenden Delikte ein. Egg gibt zunächst einen Überblick zu „einigen spektakulären Entführungsfällen“ von 1932 bis 2010 und stellt dann Überlegungen zur psychowissenschaftlichen Begutachtung an. Aufgrund des hohen Planungsgrades des Delikts finden sich hier kaum Fälle ausgeprägt eingeschränkter Steuerungsfähigkeit oder Einsichtsfähigkeit. Aussagen zur Rückfalleinschätzung gestalten sich, angesichts des geringen Kenntnisstandes der forensischen Psychiatrie, auf Grundlage der geringen Fallzahlen ebenfalls schwierig. Auch wenn Egg es nicht so pointiert formuliert: die Tätergruppe stellt wohl einen bislang eher wenig relevanten Bereich der Forensischen Psychiatrie dar.
Auf die ebenfalls selten vorkommenden Deliktgruppe „Amok, Massaker, Terror“ geht der Österreichische Psychiater Reinhard Haller ein. Der Autor verweist auf den eher Motiv erklärenden Beitrag der Forensischen Psychiatrie und stellt eine Typologie der drei Delikttypen, sowie einige spektakuläre international bekannt gewordene Fälle vor.
Mit der Gruppe der Affekt- und Impulstaten beschäftigt sich der Psychiater Andreas Marneros. Der Text basiert zum Großteil auf der umfangreichen Publikation des Autors aus dem Jahr 2007, definiert die Merkmale Affekt und Impuls, deren mögliche Relevanz in Bezug auf die Schuldminderung und definiert die Unterschiede zwischen den beiden Subgruppen Affekt und Impuls, z. B. das Vorliegen einer spezifischen Vorgeschichte der Tat, die sich aus einer relevanten Täter-Opfer-Beziehung ableiten lässt.
Ausgehend von einem Fallbeispiel geht Nahlah Saimeh, Leiterin der größten Maßregelvollzugseinrichtung in Deutschland in Eickelborn-Lippstadt, auf die ebenfalls seltene Deliktgruppe sexuell motivierter Straftaten an hoch betagten Frauen ein (Graophilie). Der Beitrag benennt diagnostische Leitideen und gibt einen Überblick zum Deliktfeld anhand statistischer Überblicke und internationaler Forschungsergebnisse.
Patientengruppen
Auf die Bedeutung neurokognitiver Funktionsstörungen bei schizophrenen Erkrankungen geht Margot Albus in ihrem Beitrag ein. Die Autorin beschreibt in Bezugnahme auf internationale Forschungsergebnisse typische Verläufe kognitiver Defizite des Krankheitsbildes, die oftmals in der Kindheit beginnen und geht insbesondere auf das klinische Erscheinungsbild, aber auch auf darauf begründete Probleme in der sozialen Funktionsfähigkeit ein.
Mit dem Gefährlichkeitspotential schizophrener Patienten befassen sich Thomas Stompe und Hans Schanda. Die Autoren referieren den gegenwärtigen Kenntnisstand und berichten über eine selbst durchgeführte Studie, welche unterschiedliche Einflussfaktoren zur Entstehung delinquenten Verhaltens bei dieser Patientengruppe beitragen.
Die besonderen Merkmale jugendlicher Sexualstraftäter beschreibt die Rechtspsychologin Sabine Nowara anhand einer selbst für das Land Nordrhein-Westfalen durchgeführten Projektstudie mit einem Schwerpunkt eines niederschwelligen Angebots für diese Tätergruppe. Der Artikel führt in diagnostische und behandlungspraktische Aspekte ein und diskutiert die Wirksamkeit derartiger Interventionsstrategien anhand der im Projekt erhobenen Katamnesedaten.
Auf die Bedeutung der adulten Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) geht Michael Rösler ein. Die zentrale psychopathologische Symptomatik umfasst insbesondere Aufmerksamkeitsstörung und Impulsivität, womit zwei Faktoren für deliktisches Verhalten verankert sind. Der Artikel liefert aktuelles Datenmaterial zur Prävalenz des Störungssyndroms, zur Diagnostik, zur forensischen Relevanz in der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortung und veranschaulicht die Ausführungen abschließend in einem Fallbeispiel.
Behandlungspraxis
Katrin Höffler, Juniorprofessorin für Kriminologie an der Universität Tübingen beschäftigt sich mit sozialtherapeutischen Behandlungsstrategien im Strafvollzug. Die Autorin umreist das Konzept der Sozialtherapeutischen Anstalt in seinen historischen aber auch aktuellen Bezügen und plädiert für die Reaktivierung der Maßregel „Sozialtherapeutische Anstalt“, wie sie bis 1984 in § 65 StGB formuliert war. Dadurch, so Höffler, könnte auch zur umfassenden und frühzeitigen Behandlung von Straftätern im Strafvollzug beigetragen werden und auch präventiv einer späteren Sicherungsverwahrung entgegengewirkt werden.
Die Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Strafgefangenen ist im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöht. In diesem Zusammenhang ist es verwunderlich, dass bislang keine Standards für die Gefängnispsychiatrie formuliert wurden. Der Berliner Psychiater Norbert Konrad geht in seinem Beitrag auf dieses Versäumnis ein, referiert zunächst aktuelle Forschungsbefunde und umreist dann einen konzeptionellen Rahmen zur Versorgung psychisch kranker Strafgefangener, der sich an allgemeinen Versorgungsgrundsätzen orientiert.
In die grundsätzlichen Aspekte der Behandlung von psychisch kranken Straftätern, die psychiatrische Kriminaltherapie, führt ein Text von Müller-Isberner, Eucker und Schubert ein. Die Autoren definieren zunächst einige konzeptionelle Bausteine kriminaltherapeutischer Behandlung, etwa die Identifikation und Steuerung vorhandener Risikomerkmale des Täters (Risikomanagement), oder die Förderung von Ressourcen, welche als protektive Faktoren zur Stabilisierung des Täters beitragen können. Im zweiten Teil ihres Beitrags gehen die Autoren auf therapeutisch schlecht, bzw. nicht erreichbare Patientengruppen ein und beschreiben, welche Gestaltungsmöglichkeiten zur langfristigen Betreuung hier vorliegen.
Die Standards medikamentöser Behandlung psychischer Erkrankungen empfehlen die Verordnung eines Medikaments (Monotherapie). In der Praxis haben sich allerdings Routinen entwickelt, die auf Kombinationsbehandlungen mit zwei oder mehr Psychopharmaka setzen um z. B. schwer beeinflussbare Symptombilder erreichen zu können. Max Schmauß und Thomas Messer beschreiben solche Therapiestrategien bei Schizophrenie und Depression und diskutieren kritisch Vor- und Nachteile solcher Interventionen.
Die ambulante (Nach)behandlung therapeutisch schwer erreichbarer Patienten durch forensische Ambulanzen ist das Thema eines Beitrags des Leiters des Maßregelvollzugs in München-Haar, Herbert Steinböck. Er beschreibt mögliche Interventionsstrategien und fordert grundsätzliche eine kritische Haltung der ambulant tätigen Institutionen in Bezug auf die im Rahmen der Führungsaufsicht ausgesprochenen Weisungen zur ambulanten Therapie bzw. Nachsorge bei schwer erreichbaren, nicht motivierten, rückfallgefährdeten Patienten.
Ausgehend von drei Fallbeispielen führen Michael Soyka, Wolfgang Eisenmenger und Herbert Steinböck in die psychiatrische Begutachtung zur freiwilligen Kastration bei Sexualstraftätern ein. Diese Interventionsoption ist generell nur auf Antrag des Betreffenden möglich und findet in der modernen Forensischen Psychiatrie so gut wie keine Anwendung mehr, wodurch besondere Anforderungen an den begutachtenden Psychiater gestellt werden, der mögliche psychopathologische Hintergründe, die zu einem solchen „freiwilligen Antrag“ geführt haben zu benennen hat.
Rechtliche Aspekte
Mit den Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2011 zur Regelung der Sicherungsverwahrung und den darin enthaltenen Vorgaben zur Ausgestaltung der Behandlungsmöglichkeiten für gefährliche Straftäter setzt sich der früher an der LMU München lehrende Strafrechlter Heinz Schöch auseinander. Er skizziert die Grundlagen des in Folge des BVG-Beschlusses geschaffenen Therapieunterbringungsgesetzes (THUG) vom Dezember 2012 und setzt sich kritisch mit dem in diesem Gesetz formulierten Begriff der „psychischen Störung“ auseinander, welcher zwar eine auffällige Struktur von gefährlichen Straftätern definiert, jedoch keine krankheitswertigen Merkmale erfasst, gleichwohl als Grundlage für ein besonderes Therapieangebot gelten soll.
Der an der Universität Erlangen lehrende Strafrechter Franz Streng beschäftigt sich in seinem Beitrag „Punitivität und Dekulpation“ mit den Hintergründen der unterschiedlich häufigen Anwendung des § 21 StGB bei schweren Delikten in den letzten 50 Jahren. Die Anerkennung von Einschränkungen der Schuldfähigkeit durch die Gerichte hängt auch, so der Autor, von aktuellen Rechtsdiskussionen und -reformprozessen, aber auch vom Wandel in der Strafhaltung der Bevölkerung ab.
Im Spannungsfeld zwischen juristischer Bewertung und aussagepsychologischer Beurteilung liegt die Einschätzung von Geständnissen und Geständniswiderrufen in Strafprozessen. Renate Volbert und Max Steller geben einen Überblick zum Bedingungsgefüge des Aussageverhaltens in Strafverfahren und führen in die aussagepsychologischen Grundlagen der Begutachtung ein.
Die Beiträge zu rechtlichen Aspekten in der Forensischen Psychiatrie beschäftigen sich abschließend mit Mordmerkmalen des § 211 StGB bei Fällen sexuell motivierter Tötungsdelikte (Raik Werner) und der Umsetzung der Gesetzesreform im Schweizerischen Maßnahmenrecht (Hans Wiprächtiger und Marianne Heer).
Zielgruppe
Studierende und Praktiker im Feld der Forensischen Psychiatrie, die sich einen aktuellen Überblick verschaffen wollen und dabei Wert auf unterschiedliche disziplinäre Perspektiven legen.
Diskussion
Wissenschaftliche Festschriften verfolgen das Ziel Einzelpersonen, meist am Ende ihrer aktiven Schaffensphase, zu würdigen. Sie geben einen Einblick in das geleistete Werk und versuchen die Bedeutung der wissenschaftlichen Leistung zu benennen. Das leistet auch die Festschrift für den Münchner Forensischen Psychiater Norbert Nedopil, dessen umfassendes Wirken an vielen Stellen dieser Publikation aufgegriffen und gewürdigt, manchmal in Beschreibungen direkter Begegnungen aufgegriffen wird. Dies erfüllt den Zweck einer Rückschau und persönlichen Würdigung. Daneben können Festschriften aber auch den Querschnitt der Fachdisziplin, aktuelle Fragestellungen, Probleme und zukunftsweisende Überlegungen beinhalten. Auch das liegt mit dieser Publikation vor. Der Band beinhaltet fachlich anspruchsvolle Beiträge zu Einzelfragen der Forensischen Psychiatrie, erfasst theoretischen Grundlagen und praktische Erwägungen. Die Beiträge sind fast durchgehend durch forschungsbasierte Belege begründet, wodurch auch ein Einblick in den Forschungsstand des Fachs gegeben wird. Auffallend ist jedoch, dass in dieser Festschrift kein Raum gefunden wurde um die vielfältigen ethischen Fragestellungen innerhalb der Forensischen Psychiatrie, oder auch ihr Verhältnis zur Gesellschaft, ihrer Funktion aufzugreifen. Der Anspruch die Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissenschaft zu skizzieren wird nicht vollständig erfüllt, da sich die Herausgeber auf die dominanten Disziplinen Psychiatrie, Psychologie, Rechtswissenschaften und Kriminologie beschränken und so z. B. die Stimmen aus Pflege(wissenschaften) und Forensischer Sozialarbeit fehlen.
Schließlich fällt noch ein formaler Aspekt ins Auge: Eine thematische Untergliederung des Bandes hätte dem Anliegen der Herausgeber, einen Überblick über den aktuellen Zustand des Faches und der anstehenden Fragen zu geben gut getan. Dem Leser bleiben die Alternativen der alphabetischen Reihenfolge der Autoren zu folgen, oder im Querlesen selbst thematische Schwerpunkte zu setzen.
Es ist schwer in einer Festschrift, die zuerst der Ehrung eines Jubilars gewidmet ist, substanziell Neues zu formulieren. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden i. d. R. an anderen, prominenteren Orten publiziert. Dennoch: im vorliegenden Band gelingt es den Herausgebern wenigstens einen Überblick zum aktuellen Zustand des Fachs Forensische Psychiatrie zu geben und auch einige, z. T. drängende Forschungsthemen zu benennen. Die verstreut publizierten Einzelbefunde aus der aktuellen Forschung Forensischer Psychiatrie werden hier in einem Überblick zusammengefasst und so besser zugänglich gemacht.
Fazit
Die Festschrift bietet einen guten Querschnitt in aktuelle Themen der Forensischen Psychiatrie und umfasst sowohl übergeordnete Fragestellungen, als auch praxisrelevante Darstellungen. Für Praktiker ergibt sich ein guter Überblick zum aktuellen (Zu)stand des Fachs, als auch Überlegungen zu den anstehenden Entwicklungsaufgaben in der Forensischen Psychiatrie.
Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.
Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 11.04.2013 zu:
Elena Yundina, Susanne Stüber, Matthias Hollweg, Cornelis Stadtland (Hrsg.): Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissenschaft. Festschrift zum Geburtstag von Norbert Nedopil. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
(Berlin) 2012.
ISBN 978-3-941468-86-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14105.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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