Helmut Heiland: Fröbelforschung aktuell
Rezensiert von PD Dr. phil. Ulf Sauerbrey, 07.12.2012
Helmut Heiland: Fröbelforschung aktuell. Aufsätze 2001-2010. Verlag Königshausen & Neumann (Würzburg) 2012. 430 Seiten. ISBN 978-3-8260-4903-3. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR.
Autor
Prof. Dr. Helmut Heiland lehrte von 1974 bis zu seiner Emeritierung 2002 an der Gerhard-Mercator-Universität in Duisburg mit dem Schwerpunkt Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik. Er war dort Leiter der Fröbel-Forschungsstelle, veröffentlichte vielfach Bücher und Beiträge zur Fröbelforschung. Außerdem transkribierte und publizierte er mit seinen Mitarbeitern im Rahmen eines DFG-Projekts die Gesamtausgabe der Briefe Friedrich Fröbels, die 2008 in einer Edition auf der Online-Präsenz der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF zugänglich gemacht wurde.
Entstehungshintergrund
Neben vielfach erschienenen Herausgeberbänden zur Fröbelforschung sind vor allem Heilands historisch-kritische, d.h., quellennahe Aufarbeitungen der Schulpädagogik (Heiland 1993) sowie der „Spielpädagogik Friedrich Fröbels“ (Heiland 1998) zu nennen. Allerdings hatte er bereits 1989 begonnen, seine „Aufsätze zur Fröbelforschung 1969-1989“ gesammelt zu veröffentlichen, denen dann 2003 die „Aufsätze 1990-2002“ folgten, und die durch mehrere Teileditions- und Herausgeberprojekte ergänzt wurden (u.a. Heiland, Gebel 2004). Abgesehen von Heilands Studien bzw. Editionen und Untersuchungen unter seiner Beteiligung sind in der Fröbelforschung als „Monographien“ in jüngster Zeit nur die lediglich online erschienene Dissertation von Christiane Konrad (2006) und die eher psychoanalytisch-historisch angelegte Studie von Detlef Krone (2011) zu erwähnen. Der nun erschienene Band von Helmut Heiland setzt die Reihe einer quellennahen Fröbelforschung fort, in deren Zentrum nun vor allem die Briefe Fröbels, aber auch seine Tageblätter stehen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist nach einer knappen Vorbemerkung in 15 chronologisch geordnete Aufsätze aufgeteilt, die teils aus Vorträgen und teils aus Beiträgen für Herausgeberbände oder Fachzeitschriften stammen. Wir können und wollen im Rahmen dieser Rezension bei der Vielzahl an interessanten Darstellungen durch Heiland nicht auf alle Beiträge in gleicher Intensität eingehen und reißen die Inhalte daher meist nur knapp an.
Bereits in der Vorbemerkung lässt der Autor anklingen, dass es in dieser Bündelung seiner Arbeitsergebnisse seit 2001 vor allem um eine quellennahe Rekonstruktion vielfacher Aspekte der Fröbelpädagogik sowie der Biografie Fröbels gehen soll, die sich in einigen Beiträgen zudem stark auf das inzwischen zugängliche Briefmaterial stützt.
Diese auf Quellen gestützte Forschung diskutiert anschließend der erste Beitrag, „Umrisse einer Fröbel-Historik“ (S. 9ff.), um dabei Ansätze einer spezifischen Theorie und Methodologie der Fröbelforschung auf Basis wesentlicher Einsichten der Geschichtswissenschaft, hier v.a. repräsentiert durch die Historiker Jörn Rüsen und Horst Walter Blanke, zu skizzieren. Anhand der Fröbelrezeption in der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik stellt Heiland dar, dass eine solche Theorie der Fröbelforschung für deren Selbstverständnis dringend notwendig erscheint, da selbst jüngere Untersuchungen immer wieder in die ungenauen Thesen Nohls und Bollnows zurückfallen, die Fröbel bloß einer Pädagogik der Romantik zuordnen. Diese Verortung trifft jedoch als ausschließliche keineswegs zu und müsste dabei zunächst überhaupt erst einmal anhand authentischer historischer Quellen gesichert werden.
Dass dies in der Fröbelforschung auch im 20. Jahrhundert häufig nicht der Fall war, motiviert Heiland zu einer quellennahen Forschung, auf die auch im zweiten Beitrag unter dem Titel „Fröbelforschung und ihre Geschichte“ (S. 33ff.) Bezug genommen wird. Der Blick erfolgt hier nun ausführlicher auf den Einbezug von Quellen und Quellenkritik in verschiedenen Etappen der Fröbelforschung im 19. und 20. Jahrhundert.
Ein dritter Aufsatz zur „Aktualität von Fröbels Erziehungskonzept“ (S. 69ff.) arbeitet unter anderem auf Basis von Briefen Fröbels Spielbegriff sowie dessen Konzeption einer Elementarbildung heraus. Hier zeigt Heiland auf, wie Fröbel eine Didaktik für die frühe Kindheit konzipiert, die sich auf grundlegende Elemente der Mathematik und der Sprache bezieht, etwa auf Form, Zahl und Wort. Die Aktualität dieser didaktischen Zugänge führt der Autor dabei mit Bezug auf die Ergebnisse der PISA-Ergebnisse aus.
Im vierten Beitrag werden die Grundbegriffe „Ahnung“ und „Bewusstsein“ (S. 87ff.) in Fröbels Briefen untersucht und dabei erstmals auch quantitativ analysiert. Dabei wird u.a. deutlich, dass beide Begriffe grundlegend für das fröbelsche Verständnis von Bildung sind.
Anschließend folgt im fünften Aufsatz ein „Brief Friedrich Fröbels über Bildung“ (S. 137ff.) an Hedwig von Arnim über deren Sohn Felix. Anhand dieses Briefes zeigt Heiland paradigmatisch den Briefkontext und die Beziehungen der historischen Personen zueinander und die Analyse des Briefes auf, um schließlich Fröbels Bildungskonzeption ausgehend von diesem Beispiel als individuelle Bildungsförderung zu beschreiben. Bildung bei Fröbel ist demnach „das wechselseitige Sich-Erschließen der gegenständlichen Wirklichkeit durch den einzelnen Menscheln (Subjekt) und dessen Einsicht in die gegenseitige Verwiesenheit von Welt und Subjekt, – das Erfassen des ‚Allgemeinen‘ (Strukturen, Gesetze) von Welt und Subjekt“ (S. 150).
Im sechsten Beitrag, „Der ‚authentische‘ Fröbel“ (S. 155ff.) wird erneut auf mehreren Ebenen Bezug auf die unkritische und quellenferne Interpretation in weiten Teilen der Fröbelrezeption Bezug genommen.
Im siebten Aufsatz werden „Fröbels ‚Tageblätter‘“ (S. 189ff.) bearbeitet. Hier zeigt Heiland nun einen noch weitgehend zu bearbeitenden Forschungsausblick auf, denn die vorwiegend im Berliner Nachlass liegenden Tageblätter sind bisher kaum ediert (vgl. jedoch Heiland, Gebel 2004) – und dies obwohl dieses Quellenmaterial sowohl von systematischem, als auch biografischem Interesse ist, wie Heiland insgesamt anhand der Struktur der Tageblätter und im Besonderen an einigen ausgewählten Themenschwerpunkten wie „Furcht“, „Leidenschaft“ oder „Bewusstseyn“ nachweist.
Der achte Beitrag skizziert den editorischen Hintergrund in Bezug auf „Fröbels Briefe“ (S. 215ff.) und weist dabei die Daten, Themen und die Struktur dieses Quellenmaterials aus.
Anschließend folgt im neunten Aufsatz ein Vortrag, der 2007 am „25. Jahrestag der Eröffnung des Fröbelmuseums in Bad Blankenburg“ (S. 245ff.) gehalten wurde. Hier findet sich neben dem Umgang mit dem ‚Erbe‘ Fröbels und dessen Bild vom Kind auch ein autobiografischer Rückblick Heilands („Wie ich zu Fröbel kam“, S. 249ff.), der den Weg des Autors einer quellennahen Fröbel-Rezeption im Rahmen der wissenschaftlichen Fröbelforschung seit den 1960er Jahren skizziert.
Im zehnten Beitrag des Bandes widmet sich Heiland erneut einem Grundbegriff bei Fröbel, hier der „Individualität“ (S. 261ff.), die aus dessen Göttinger Tageblättern von 1811, aus dem Sentenzenbuch von 1816 bzw. 1823, aus den Keilhauer Werbeschriften, aus der Menschenerziehung und aus den Briefen in verschiedenen Phasen der Korrespondenz herausarbeitet wird. Die Individualität des Kindes erscheint bei Fröbel hier vor allem sphärephilosophisch konstruiert, ist aber dennoch als Begriff zentral für dessen Pädagogik. Anschließend wird im elften Aufsatz, „Fröbel und Schiller“ (S. 317ff.), die Schillerrezeption in Fröbels Briefen rekonstruiert, die in diesem Band dabei überhaupt erstmals veröffentlicht wird.
Im zwölften Beitrag werden unter dem Thema „Fröbels Pädagogik der Kindheit“ zunächst allgemein „Didaktische Überlegungen zu seiner Spielpädagogik“ skizziert, um schließlich vier „Beispiele Fröbelscher Spielpraxis“ (S. 332) anhand einer Keilhauer Baustunde von 1823, dem Bewegungsspiel „Ringelreihen“ von 1839, der dritten Spielgabe von 1844 und einem gelenkten Spiel mit Legestäbchen von 1852 zu rekonstruieren. Schließlich wird die Rezeption des Spiels bei Bertha von Marentholz-Bülow, Henriette Schrader-Breymann und Erika Hoffmann nachgezeichnet, die die „Dialektik von Freiheit und Gesetz“ im Spiel unterschiedlich exakt aus Fröbels Texten auslegten.
Im dreizehnten Aufsatz rekonstruiert Heiland die Begriffe „Bildung“ und „Freiheit“ (S. 351ff) unter anderem aus dem Sentenzenbuch Fröbels. Einen völlig neuen Fokus auf eine erzieherische „Leidenschaft“ (S. 369ff.) bei Fröbel nimmt Heiland im vierzehnten Aufsatz durch die 2010 öffentliche Debatte um Kindesmissbrauch in Institutionen auf. Anhand dieses Fokus arbeitet er unter anderem mit Rückgriff auf die bereits erwähnten Tageblätter Situationen „‚leidenschaftlicher‘ Erziehung in Fröbels Leben“ (S. 370) heraus.
Im die Chronologie der Aufsätze abschließenden Beitrag wird schließlich der „‚lebendige‘ Fröbel“ diskutiert, dessen pädagogisches Werk im Kontext seiner Person und des Hauses „Fröbel-Museum Blankenburg“ bearbeitet wird. Mit Blick auf einige Eindrücke von den Fröbelforscher Johannes Prüfer, der Teile des Fröbel-Nachlasses in Blankenburg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersuchte und im Vergleich mit gegenwärtigen Eindrücken zeigt Heiland nun in einem eher museologischen Zugang auf, wie Fröbel auch noch heute als ‚lebendig‘ im Rahmen musealer Orte wahrgenommen werden kann.
Diskussion
Die Diskussion des Bandes fällt an dieser Stelle relativ knapp aus, nicht nur, da Helmut Heiland auf dem Gebiet der Fröbelforschung ausgewiesen ist und seine Aufsätze aus dem hier rezensierten Band diese fachliche Ausgewiesenheit erneut eindrucksvoll unterstreichen, sondern auch, da er als Historiker in seinem Buch nachweist, dass keine Aussage ohne angemessene Quellenbasis getroffen wird. Heiland liefert ein Werk, das umfassend angelegt ist und das seine Einsichten aus einer jahrzehntelangen Forschung schöpft. Die einzige Kritik ist daher schließlich eher darstellungstechnischer Natur, da die Veröffentlichung durch die enthaltenen gesammelten Aufsätze aus unterschiedlichen Kontexten (Vorträge, Fachbeiträge für verschiedene Bände) aus verschiedenen Jahren einige Wiederholungen (etwa S. 84 und S. 335), insbesondere zur unkritischen Einordnung Fröbels in die Romantik durch weite Teile der Fröbelforschung des 20. Jahrhunderts (vgl. etwa Aufsätze 1, 2, 4 und 6), enthält. Dies erleichtert jedoch freilich das Verständnis einzelner Aufsätze, die so in sich jeweils geschlossen sind.
Fazit
Heiland liefert eine kritische Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Fröbelforschung und erweitert diese zugleich durch eine breite Palette an neu bearbeiteten Quellen und Themen samt vielfältiger Forschungsausblicke, die vor allem Erziehungswissenschaftler anregen sollten, künftig weiter an den edierten Briefen Fröbels sowie an dessen Tageblättern zu arbeiten, um so etwa die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Person Fröbel, zu seiner Pädagogik und auch zur frühen Genese des Kindergartens authentisch zu rekonstruieren und abzusichern. An diesem sauber recherchierten Buch samt seiner Inhalte und Methodologie wird sich eine künftige Fröbelforschung wie auch eine historisch-pädagogische Forschung insgesamt messen müssen!
Literatur
- Heiland, H. (1998): Die Spielpädagogik Friedrich Fröbels, Hildesheim u.a. : Olms.
- Heiland, H. (1998): Die Schulpädagogik Friedrich Fröbels, Hildesheim u.a. : Olms.
- Heiland, H. (1989): Die Pädagogik Friedrich Fröbels. Aufsätze zur Fröbelforschung 1969-1989, Hildesheim u.a. : Olms.
- Heiland, H. (2003): Fröbelforschung heute. Aufsätze 1990-2002, Würzburg : Königshausen & Neumann.
- Heiland, H., Gebel, M. (2004): Friedrich Fröbel. „Das Streben der Menschen“. Autobiographische, anthropologische und spielpädagogische Texte, Würzburg : : Königshausen & Neumann.
- Konrad, C. (2006): Über die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Mutter- und Koselieder, Univ. Diss., online unter: opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/volltexte/2007/2136
- Krone, D. (2011): Der Pädagoge Friedrich Fröbel und die Frauen. Beziehungsbedürfnisse aus den Anfangstagen des Kindergarten, Franfurt a.M. u.a. : Peter Lang.
Rezension von
PD Dr. phil. Ulf Sauerbrey
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Universitätsklinikum Jena und Privatdozent an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Es gibt 20 Rezensionen von Ulf Sauerbrey.
Zitiervorschlag
Ulf Sauerbrey. Rezension vom 07.12.2012 zu:
Helmut Heiland: Fröbelforschung aktuell. Aufsätze 2001-2010. Verlag Königshausen & Neumann
(Würzburg) 2012.
ISBN 978-3-8260-4903-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14136.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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