Fredrike P. Bannink: Praxis der positiven Psychologie
Rezensiert von PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke, 25.09.2013
Fredrike P. Bannink: Praxis der positiven Psychologie. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2012. 182 Seiten. ISBN 978-3-8017-2406-1. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.
Autorin
Fredrike P. Bannink hat eine eigene Praxis für Therapie, Training, Coaching und Mediation in Amsterdam, Niederlande, und einen Masterabschluss in Konfliktlösung an der Universität von Amsterdam erworben. Sie ist u. a. Mitbegründerin und Präsidentin der Abteilung für Lösungsfokussierte Kognitive Verhaltenstherapie der Niederländischen Gesellschaft für Verhaltens- und Kognitive Therapie, Trainerin für „Ärzte ohne Grenzen? und Gründungsmitglied von „Mediatoren ohne Grenzen?.
Thema
Acht Jahre nach Herausgabe der ersten Auflage des Buches „Positive Psychologie: Anleitung zum „besseren“ Leben“ durch Ann Elisabeth Auhagen (Weinheim: Beltz; 2004; s. a. www.socialnet.de/rezensionen/2099.php) sind 2012 gleich drei deutschsprachige Bücher zur Praxis der Positiven Psychologie erschienen – eines davon, „Praxis der Positiven Psychologie“, die hier besprochen werden soll, als Übersetzung der 2009 in Niederländisch erschienenen Monografie von Fredrike P. Bannink.
Zur Erinnerung: Martin E. P. Seligman hatte während seiner Präsidentschaft der American Psychological Association 1998 diagnostiziert, die Psychologie habe ein Defizit darin, zu einem erfüllteren Leben von Menschen beizutragen, und die "Positive Psychologie" ins Leben gerufen, die sich theoretisch wie praktisch mit positiven Erfahrungen, individuellen Eigenschaften und Institutionen als zentralen Gegenständen beschäftigen und nicht nur psychische Defizite heilen, sondern auch Stärken fördern solle, die Menschen befähigen, das Beste im Leben zu erreichen.
Seitdem ist positiv-psychologisch auf internationaler Ebene in der Tat Einiges geschehen. So erscheint seit 2006 das Journal of Positive Psychology (ISSN: 1743-9760 Print, 1743-9779 Online), das Oxford Handbook of Positive Psychology ist inzwischen in zweiter Auflage erschienen (ISBN 978-0-19-518724-3), und die ersten drei Weltkongresse der International Positive Psychology Association haben stattgefunden.
Wiewohl also der Begriff „Positive Psychologie“ schon 1998 nicht mehr neu war, da Abraham Maslow ihn bereits 1954 verwendet hatte (zitiert nach Brendtko LK, Steinebach C. Positive Psychologie für die Praxis. In Steinebach C, Jungo D, Zihlmann R, Hrsg. Positive Psychologie in der Praxis: Anwendung in Psychotherapie, Beratung und Coaching. Weinheim, Basel; 2012: 18-26), haben nun alte und neue psychologische Konzepte (zur Förderung) des „Positiven“ ein gemeinsames Dach.
Aufbau
Das Buch besteht nach der Einleitung aus zwei Teilen
- Teil 1: „Theorie und Forschung“,
- Teil 2: „Anwendungen“,
die insgesamt 20 Kapitel enthalten, einem Nachwort sowie einem Anhang, der die Literatur, eine Auswahl an Internetadressen sowie Informationen zur Autorin enthält.
Zu Teil 1
Im ersten Kapitel von Teil 1 führt Bannink in die Positive Psychologie zunächst metaphorisch als Familie mit folgenden Mitgliedern ein:
- Optimismus,
- Hoffnung,
- Selbstwirksamkeitserwartung,
- Selbstwertgefühl,
- positive Emotionen,
- Widerstandskraft,
- Glück,
- Dankbarkeit,
- Flow und
- Verbundenheit,
denen sie jeweils ein Kapitel widmet, sowie
- Vergebung,
- Mut,
- Neugier,
- Humor,
- Empathie,
- Altruismus und Mitleid,
- Stolz,
- Inspiration und Bewunderung,
- Kreativität,
- Spiritualität,
- Vertrauen und
- Liebe.
Diesbezüglich betont Bannink, dass die Reihenfolge (und damit tendenziell auch die Ausführlichkeit) der Darstellung mit der Anzahl wissenschaftlicher Studien zusammenhängt, die zu den jeweiligen Themen durchgeführt (bzw. wohl treffender: publiziert) worden sind. Damit wird auch das Konzept deutlich: Sowohl die wissenschaftliche Fundierung als auch Praxisbezüge, die durch eingestreute Übungen unterstützt werden, werden bereits hier praktisch parallel beschrieben. Ein Kapitel zur Neurowissenschaft, in dem vor allem Studien zu positiven Einflüssen von positiven Emotionen auf neurobiologische Prozesse referiert werden, schließt diesen Teil ab.
Zu Teil 2
Teil 2 enthält Kapitel zu sieben Anwendungsfeldern bzw. Adressaten der Positiven Psychologie:
- problemzentrierte Psychotherapie,
- lösungsorientierte Psychotherapie,
- Psychotherapeuten,
- Kinder,
- ältere Menschen,
- Arbeit und
- Konfliktmanagement.
In ihrem Nachwort resümiert Bannink zunächst, dass die Positive Psychologie als eine das Wissen über menschliches Leid und Krankheiten nicht ersetzende, sondern ergänzende Strömung innerhalb der Psychologie „inzwischen fest im Sattel sitzt“ (S. 161). Abschließend skizziert sie dann aus ihrer Sicht einige Desiderata für die Forschung, für Anwendungen (auch hier steht Forschungsbedarf im Mittelpunkt) und für die Ausbildung und das Training nicht nur von Psychologen und Psychiatern, sondern auch für professionelle Akteure in der Lehre sowie im Unternehmens- und Konfliktmanagement.
Diskussion: Qualität und Nutzen
Formal ist das Buch in Design und Layout ordentlich gemacht. Es ist übersichtlich strukturiert, die bereits o. g. 38 Übungen, die sich über das Buch verteilen, sind deutlich hervorgehoben, und das Sachregister hilfreich. Die Literatur ist meist einschlägig, instruktiv und aktuell, soweit dies das Erscheinungsjahr der niederländischen Originalausgabe (2009) zulässt.
Inhaltlich gelingt es Bannink aus meiner Sicht, eine wissenschaftlich fundierte und zugleich verständliche, kohärente und praxisorientierte Darstellung der „Familie“ Positive Psychologie vorzulegen. Sie stellt instruktive Beziehungen zwischen einzelnen Konstrukten her (z. B. Optimismus und Hoffnung, Optimismus und Widerstandskraft sowie Dankbarkeit und Widerstandskraft). Zwar schießt sie in ihrem Engagement, das ich ihr uneingeschränkt abnehme, manchmal übers Ziel hinaus (so z. B., wenn sie Hoffnung als das zweitwichtigste Familienmitglied bezeichnet – eine Einordnung, die m. E. zumindest diskutabel ist), präsentiert jedoch viele Themen wie etwa positive Emotionen mit einer erkennbaren Konzeption (hier die Broaden-and-build-Theorie von Frederickson) und in einer erfrischenden, pointierten Sprache. Im Anwendungsteil des Buches werden ihre eigenen vielfältigen publizistischen und vor allem praktischen Erfahrungen deutlich, speziell in den Bereichen lösungsorientierte Psychotherapie und Konfliktmanagement. Auch in den anderen Abschnitten, etwa zu Kindern oder zum Bereich Arbeit, bezieht sie sich systematisch auf im ersten Teil des Buches eingeführte Konzepte wie Optimismus, Hoffnung und Widerstandskraft. Damit wird deren praktische Relevanz zumindest in Teilen deutlich, was für Praktiker als erklärte Hauptzielgruppe des Buches von besonderer Bedeutung sein dürfte.
Zu Kritik Anlass geben für mich ein paar identifizierbare inhaltliche Lücken. Zum einen hätte ich mir die Darstellung des Familienmitglieds „Vertrauen“ etwas ausführlicher gewünscht (etwa als eigenes Hauptkapitel), zumal ich nicht nachvollziehen kann, dass dieses Konstrukt nicht zu den vergleichsweise stark Beforschten gehören und damit dem von Bannink genannten Kriterium für eine prominente Darstellung nicht genügen soll. Es ist in so vielen Lebensbereichen (Gesundheitswesen, Politik, Wirtschaft/Börse, um nur einige zu nennen) von so beträchtlicher Bedeutung, dass es (zweifelsohne nicht nur) mir eine Grundvoraussetzung funktionierenden (und damit positiven) menschlichen Zusammenlebens zu sein scheint. Zum anderen habe ich ein „Familienmitglied“ vermisst, zu de m ebenfalls bereits psychologische Studien vorliegen (vgl. z. B. bereits Kirk Warren Brown & Richard M. Ryan im JPSP 2003, Vol. 84, S. 822-848) und das aus meiner Sicht ein Kernkonzept Positiver Psychologie sein sollte: Achtsamkeit. Es wird zwar im Abschnitt zur problemzentrierten Psychotherapie kurz erläutert; Leser, die hierzu mehr Informationen suchen, seien auf die entsprechenden Kapitel von Yuka Nakamura in dem von Christoph Steinebach, Daniel Jungo und René Zihlmann herausgegebenen Band „Positive Psychologie in der Praxis“ (Weinheim: Beltz; 2012; vgl. auch www.socialnet.de/rezensionen/14142.php) bzw. von Johannes Michalak und Thomas Heidenreich in der 2008 erschienenen zweite Auflage des eingangs erwähnten Buchs „Positive Psychologie: Anleitung zum „besseren“ Leben“ verwiesen.
Fazit
Eine anregende Kombination aus wissenschaftlicher und angewandter Perspektive, der ich die Begeisterung der Autorin abnehme – und die damit m. E. nicht nur für positiv-psychologisch interessierte Praktiker (die von Bannink auf S. 18 benannte Hauptzielgruppe ihres Buches), sondern auch Wissenschaftler eine empfehlenswerte Lektüre ist.
Rezension von
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke
Stv. Leiter der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie der Medizinischen Hochschule Hannover
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Zitiervorschlag
Thomas von Lengerke. Rezension vom 25.09.2013 zu:
Fredrike P. Bannink: Praxis der positiven Psychologie. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2012.
ISBN 978-3-8017-2406-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14143.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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