Nils Altner (Hrsg.): Achtsamkeit im Kindergarten
Rezensiert von Dr. Kirsten Oleimeulen, 16.01.2013

Nils Altner (Hrsg.): Achtsamkeit im Kindergarten. Wie das Miteinander gelingt.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2012.
159 Seiten.
ISBN 978-3-407-25680-5.
D: 17,95 EUR,
A: 18,50 EUR,
CH: 25,90 sFr.
Reihe: Frühpädagogik.
Achtsamkeit
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“ (Sufi-Poet Rumi)
Achtsamkeit ist mehr als nur Konzentration. Konzentration heißt, sich auf einen Gedanken oder ein Objekt zu fokussieren, sie wird z.B. gebraucht beim Lösen von Rechenaufgaben. Achtsamkeit dagegen brauchen wir bei neuen oder kreativen Aufgaben, wenn wir also nicht auf Bekanntes beziehen können. Achtsam sind wir nicht, wenn wir mehrere Dinge gleichzeitig oder automatisiert erledigen, wenn eingeschliffene Gewohnheiten uns steuern oder wir Lösungswege nur aus einer Quelle beziehen. Die Möglichkeit von Veränderung wird dabei ausgeblendet. Immer wenn wir glauben, etwas schon zu wissen, sind wir nicht mehr präsent. Und wenn es wichtig wäre, präsent gewesen zu sein, leiden wir unter den Folgen.
Achtsamkeit mit Kindern
Meditation ist nicht notwendig, damit ein Kind achtsamer wird, auch wenn sie gewiss dabei hilft. Wenn es für Ihr Kind sicher und angenehm ist, zu meditieren, wird es davon profitieren, Meditation und andere Formen der Introspektion zu praktizieren, um seine Achtsamkeit zu erhöhen und seine Selbsterkenntnis zu stärken. Jedoch wird die Achtsamkeit durch sämtliche Formen der Achtsamkeit erhöht, und es gibt eine Reihe anderer Möglichkeiten als die Sitzmeditation, um Achtsamkeit in das Leben von Kindern zu bringen. Viele Eltern integrieren Achtsamkeit in ihre Zubettgehroutinen, und ihre Kinder stellen fest, dass das Ruhen in der körperlichen Empfindung des Atmens ihnen hilft, einzuschlafen.
Herausgeber
Nils Altner, Dr. phil. Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler, Achtsamkeits- und Mind-Body Instrukteur, forscht, unterrichtet und publiziert zu den Schwerpunkten Achtsamkeit und Gesundheit, freudvolles Lernen, Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Erwachsenen in Kindergarten, Schule, Therapie und in der Betrieblichen Gesundheitsförderung, Lehraufgaben an der Universität Duisburg-Essen und der Harvard University.
Aufbau und Inhalt
Das Buch „Achtsamkeit im Kindergarten“ setzt sich aus 16 Gesprächen/Berichten zusammen.
Anstelle eines Vorwortes: Heimweh, Fernweh und hungrige Enten füttern (Gerald Hüther im Gespräch mit Nils Altner). Der Mensch wird von zwei großen Ursehnsüchten gesteuert. Der Sehnsucht nach Verbundenheit und der Sehnsucht nach Freiheit. Diese Grundbedürfnisse und Grunderfahrungen erfährt jeder Mensch. Achtsam sein lässt uns anknüpfen an einen Zustand in dem wir genau diese Urbedürfnisse spüren können.
Einleitung: Lasst uns sein! Wie wir in Kindergarten und Familie Oasen des Innehaltens schaffen können (Nils Altner). Emotionale Verfügbarkeit und Feinfühligkeit sind Grundlagen dafür, dass Kinder sich ihre natürliche Offenheit, Neugier und Lernfreude erhalten. So tritt die reine mechanische Wissensvermittlung in den Hintergrund, zu Gunsten motivierender Beziehungen als Voraussetzung für gelingendes Lernen.
Kinder und das Geschenk der achtsamen Gegenwärtigkeit (Nils Altener). Wenn Kinder bewerten, dann geschieht das weniger auf der Grundlage von fixierten Bewertungsmaßstäben, sondern mehr auf der Basis ihres momentanen Empfindens. In der aktuellen Situation sein erhöht die Wahrscheinlichkeit Wohlgefühle und Glück zu empfinden. Das Zusammensein mit Kindern kann uns so immer wieder erinnern, uns Momente des Gegenwärtig- und Glücklichseins zu gönnen.
Bindung – Beziehung – Hirnentwicklung (Ulrike Anderssen-Reuster). Dieses Kapitel beschreibt die neuropsychologischen Grundlagen der frühkindlichen Hirnentwicklung im Zusammenhang mit alltäglichen Abläufen in einer Familie, wie z.B. Regelmäßigkeit, Struktur, wiederkehrende Erfahrungen und die sicherheitsgebende Konstanz der Umwelt. Da die Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten der Kinder heute höher sind als noch vor einigen Jahren, kommt neben der körperlichen Unversehrtheit, der seelischen und geistigen Gesundheit unserer Kinder eine immer größere Bedeutung zu.
Achtsamkeit und Feinfühligkeit in der frühen Beziehungsgestaltung (Ulrike Anderssen-Reuster). Die Psychotherapeutin Ulrike Anderssen-Reuster beschreibt die Bedeutung früher Beziehungs- und Bindungserfahrungen, die Kinder vor allem mit ihren Eltern erleben. Der achtsame Umgang mit den eigenen Gefühlen wird dabei als eine wichtige Grundlage dafür gesehen, zwischen dem Kind und dem eigenen „ich“ des Elternteils differenzieren zu lernen.
Stress, Stressbewältigung und Achtsamkeit im Kindergarten (Gero Hufendiek). Die gute Passung zwischen dem achtsamkeitsbasierten Stressreduktionsprogramm (MBSR) sowie der alltäglichen Belastung von Erzieherin/-innen in Kindertagesstätten wird in diesem Kapitel von seinem Autor detailliert dargestellt.
Momente der Achtsamkeit im Kitaalltag (Anneliese Arnold im Gespräch mit Nils Altner). Die Gesprächspartnerin Anneliese Arnold berichtet, wie wichtig die oftmals vernachlässigte innere Ordnung gegenüber der häufig überschätzten äußeren Ordnung ist. Achtsamkeit kann dabei das Mittel der Wahl zur Erhaltung und Verbesserung der inneren Ordnung sein.
„Home is, where my Brotzeit is.“ (Peter Arnold im Gespräch mit Nils Altner). Der Titel dieses Kapitels spricht auf ein von Kindern selbst entwickeltes Ritual. Entgegen allgemein herkömmlicher Vorgehensweise in Kindergärten dürfen die Kinder des „Gänseblümchenkindergartens“ jeweils dort essen, wo sie im Spiel gerade anhalten.
Den Ort der Ruhe und Kraft in sich finden (Amy Saltzman). Amy Saltzman berichtet detailliert über „die Einführung des Ortes der Ruhe und Kraft in sich“ für Kinder im Kindergartenalter. Die Darstellung verdeutlicht, dass die Anleitung alltagstauglich und erfahrungserprobt.
Die heilige halbe Stunde (Mirella Flood im Gespräch mit Nils Altner). Der norwegische Kindergarten „Barn i Balanse“ (Kinder in Balance) berichtet von seinen Erfahrungen bei der Einführung von achtsamkeitsbasierten Ansätzen in einer Organisation mit 60 Erzieher/-innen und ca. 300 Kindern.
Wir möchten uns voneinander gefühlt fühlen (Lienhard Valentin im Gespräch mit Nils Altner). Lienhard Valentin plädiert für die Übernahme von Verantwortung für die eigenen Gefühle, da der Mensch in Stresssituationen dazu neigt dem Kind die Verantwortung für die eigenen schlechten Gefühle zuzuschreiben. Getreu dem Motto: „Wenn Du nur anders wärst, müsste ich mich nicht so aufregen.“
Stille, Klarheit, Gemeinschaftsgefühl und Freude am Sein. Aspekte einer achtsamen Teamkultur im Kindergarten (Martina Schaab im Gespräch mit Nils Altner). Die Gesprächspartnerin von Nils Altner beschreibt die Auswirkungen ihrer jahrelangen eigenen Achtsamkeitspraxis auf die Entwicklung des Teams ihn ihrem Kindergarten und auf ihre alltägliche Arbeit mit vermeintlich für sie schwierigen Kindern.
Seinsverbundenheit im Waldkindergarten. Geschichten zur Vergänglichkeit (Martina Schaab). Martina Schaab beschreibt einen normalen außergewöhnlichen Tag, den sie in Achtsamkeit mit den Kindern im Waldkindergarten verbracht hat. Es stellt sich die Frage, ob der Tag so ereignisreich war, weil er achtsam beobachtet wurde oder ob dieser beobachtete Tag zufällig sehr dicht war.
Das Leben der Eintagsfliegen. Achtsamkeit und Verbundensein mit der Natur (Svenja Paus im Gespräch mit Nils Altner). Die Biologin Svenja Paus vertritt die Einstellung, dass Kindern weniger Wissen (über die Natur) vermittelt werden sollte, sondern ihnen mehr Möglichkeiten gegeben werden sollten Erlebnisse (in der Natur) zu erfahren. Dabei ist es nicht immer notwendig falsche Antworten der Kinder zu korrigieren.
Sich vom Staunen der Kinder nähren lassen (Ute Nieschalk im Gespräch mit Bernhard Stichlmair). Kinder erlernen Achtsamkeit über Erwachsenen, die es ihnen vorleben. Wenn sich Erwachsene mehr zurücknehmen würden (achtsamer wären), könnten Kinder einfach mehr staunen. Staunen als Lernprozess, der es ermöglicht achtsam in der Welt zu sein.
Achtsam essen und gesunde Ernährung (Christiane Pithan). Bei der Ernährungsumstellung von Kindern geht es um Schulung der Sinneswahrnehmungen, achtsam Nahrung genießen, Spaß am Essen zu haben, bewusstes Naschen lernen. Für Eltern und Erzieher/-innen bedeutet das, Selbstreflexion, Information und Umsetzung in die tägliche Praxis.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich an alle Menschen, die Kontakt zu Kindern haben. Viele der zahlreichen Beispiele und Projekte sind kindergartenerprobt und damit für alle Erzieher/-innen geeignet. Besonders für solche, die in leitender Funktion arbeiten.
Fazit
All diejenigen die denken, dass Achtsamkeit im Kindergarten mit einer Horde unerzogener Kinder heute nicht mehr möglich sei, werden in diesem Buch eines besseren belehrt. Das Buch „Achtsamkeit im Kindergarten“ präsentiert mit all seinen unterschiedlichen Beiträgen die gemeinsame Idee, dass Kinder von Natur aus achtsam sind und erst zunehmend durch gestresste Bezugspersonen die emotionale Ansprechbarkeit ihres gegenüber verlieren. Das führt direkt zu gestressten Kindern, die heutzutage zunehmend verhaltensauffälliger werden. Der Gedanke, mit angespannten, gestressten und verhaltensauffälligen Kindern nicht achtsam arbeiten bzw. leben zu können ist oberflächlich und ohne jeglichen Ursachenhintergrund. „Achtsamkeit im Kindergarten“ zeigt dem Lesenden, wie durch Achtsamkeit ein gelungenes und gesundes Miteinander entstehen kann.
Rezension von
Dr. Kirsten Oleimeulen
Psychologin – Familienberaterin, akkreditierte Psychologin für Gesundheitspsychologie und Prävention (BDP), systemische Familientherapeutin und Supervisorin, online-Beraterin
Website
Es gibt 96 Rezensionen von Kirsten Oleimeulen.
Zitiervorschlag
Kirsten Oleimeulen. Rezension vom 16.01.2013 zu:
Nils Altner (Hrsg.): Achtsamkeit im Kindergarten. Wie das Miteinander gelingt. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2012.
ISBN 978-3-407-25680-5.
Reihe: Frühpädagogik.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14171.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.
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