Tobias Brändle: Das Übergangssystem
Rezensiert von Prof. Dr. Ruth Enggruber, 02.04.2013

Tobias Brändle: Das Übergangssystem. Irrweg oder Erfolgsgeschichte?
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2012.
245 Seiten.
ISBN 978-3-86388-019-4.
D: 28,00 EUR,
A: 28,80 EUR.
Thema
Einerseits wird aufgrund der demografischen Entwicklung in Wirtschaft und Berufsbildungspolitik die Rede vom drohenden oder in einzelnen Berufen bereits vorhandenen Fachkräftemangel immer lauter. Andererseits befinden sich gegenwärtig immer noch knapp 240.000 junge Menschen in Maßnahmen des Übergangsbereichs zwischen Schule und Berufsausbildung, weil es ihnen nicht gelungen ist, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu finden. Die Gründe für diese widersprüchlich anmutenden Aussagen sind vielschichtig: Erstens beklagen die Betriebe, dass die BewerberInnen nicht über die aus ihrer Sicht notwendige „Ausbildungsreife“ verfügen und deshalb nicht eingestellt werden können. Zweitens variiert das Verhältnis zwischen nachgefragten und angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätzen deutlich nach den jeweils in den Regionen und Berufen vorhandenen Ausbildungsmärkten. Drittens sind erhebliche Unterschiede im Übergangsprozess aufgrund der sozialen Herkunft, des Geschlechts und des Migrationshintergrundes der Jugendlichen festzustellen. Zumindest gegenwärtig wird deshalb davon ausgegangen, dass auch zukünftig der Übergangsbereich mit seinem in Vielzahl und Vielfalt kaum noch überschaubaren ‚Maßnahmendschungel‘ auch zukünftig bestehen bleiben wird. Allerdings wird sowohl in der Bildungspolitik als auch Berufsbildungsforschung kontrovers diskutiert, ob er als „Irrweg und Erfolgsgeschichte“ zu bewerten ist, wie es der Autor der hier zu rezensierenden Publikation, Tobias Brändle, pointiert im Buchtitel formuliert. Zu dieser Frage hat er in seiner Untersuchung mittels Methoden der quantitativen und qualitativen Sozialforschung, inklusive einer Dokumentenanalyse aus historischer Perspektive, differenzierte Antworten gefunden. Dabei spricht er selbst von „Übergangssystem“, was jedoch inzwischen kritisch gesehen wird, weil der sogar für Fachleute kaum noch über- und durchschaubare ‚Förder-Dschungel‘ keineswegs als „System“ mit der entsprechenden Bedeutung von „systematisch“ bezeichnet werden könne.
Autor
Tobias Brändle ist inzwischen wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und hat vorher an der Graduate School of Sociology in Münster promoviert.
Entstehungshintergrund
Die vorliegende Publikation ist die Dissertationsschrift von Tobias Brändle, die an der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster im Fach Soziologie angenommen wurde.
Aufbau und Inhalt
Die Untersuchung von Tobias Brändle ist – neben der Einleitung – in vier Kapitel gegliedert:
1. „Die Entstehung des
Übergangssystems im Spiegel der Bildungspolitik“
In diesem
ersten Kapitel referiert Tobias Brändle die Ergebnisse der
bereits oben angesprochenen Dokumentenanalyse und arbeitet heraus,
wie in den letzten rund 50 Jahren der Übergangsbereich von seiner
Planung, Etablierung bis hin zu seinem Ausbau von zentralen
bildungspolitischen Akteuren begründet und legitimiert wurde. Zur
Bestimmung des zu untersuchenden Textkorpus hat er sich dafür
entschieden, die relevanten Argumentationslinien aus Publikationen
bzw. Stellungnahmen zentraler bildungspolitischer Akteure zu
rekonstruieren. Im Einzelnen hat er die Dokumente des Deutschen
Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, des Deutschen
Bildungsrats, der Kultusministerkonferenzen (KMK) sowie der
Bund-Länder-Kommission für Bildungsfragen (BLK) analysiert. Seine
Forschungsergebnisse präsentiert er jeweils differenziert für die
einzelnen bildungspolitischen Akteure und deren Verlautbarungen in
den von ihm systematisierten drei Phasen der Planung, Etablierung und
des Ausbaus des Übergangsbereichs in einer sogenannten „Memobox“.
Dort weist er die seinen Interpretationen zugrundeliegende zentrale
Publikation aus und fasst die wesentlichen bildungspolitischen
Zielvorstellungen und primären Forderungen in einer ansprechenden
Visualisierung zusammen.
Mittels dieser Darstellungsform stellt
Tobias Brändle systematisch die Kontinuitäten und Brüche in
den bildungspolitischen Begründungsmustern in der Historie des
Übergangsbereichs heraus. Obwohl er insgesamt keine klaren
Leitlinien zu rekonstruieren vermag, stellt er einige zentrale
Begründungsstränge heraus: Während insbesondere in der
Planungsphase im Vordergrund stand, das Bildungsniveau und die
Bildungsbeteiligung der jungen Menschen mittels des Übergangsbereichs
zu erhöhen und damit auch zu mehr Chancengleichheit beizutragen,
verschob sich mit den Jahren immer mehr der Fokus auf die
Kompensation schulbezogener und sozialer Defizite der Jugendlichen,
um sie in eine duale Berufsausbildung zu vermitteln. Mit der damit
einhergehenden Individualisierung struktureller Probleme der dualen
Berufsausbildung waren bereits Mitte der 1970er Jahre Forderungen
verbunden, die Ausbildungsbetriebe stärker einzubeziehen und mittels
kooperativer Ansätze die Praxisanteile in der Berufsvorbereitung und
-grundbildung zu erhöhen. Beide Argumentationsmuster sind
gegenwärtig immer noch zu finden: Einerseits sollen die jungen
Menschen durch eine berufliche Grundbildung, Sozialtrainings und
betriebliche Praktika einen Ausbildungsplatz erhalten, wobei auch
immer auf den sogenannten ‚Klebeeffekt‘ abgestellt wird.
Andererseits haben sie in den meisten, vor allem schulischen
Bildungsangeboten die Möglichkeit, ihren Schulabschluss nachzuholen
oder zu verbessern.
2. „Das Übergangssystem
heutzutage“
Nachdem Tobias Brändle den
bildungspolitischen Kontext des Übergangsbereichs aus historischer
Perspektive in den letzten 50 Jahre rekonstruiert hat, skizziert er
in seinem zweiten Kapitel anhand der rechtlichen Grundlagen die vier
gegenwärtig in quantitativer Hinsicht bedeutsamsten Maßnahmetypen:
Berufsvorbereitungsjahr(BVJ), Berufsgrundschuljahr(BGJ),
Berufsfachschulen und Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB).
Während die BvB im Sozialgesetzbuch III geregelt sind und in der
Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit liegen, sind BVJ, BGJ
und Berufsfachschulen schulische Angebote zur Berufsvorbereitung und
somit in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. In
tabellarischer Form gibt Tobias Brändle einen Überblick zu
den in den Bundesländern jeweils geltenden Regelungen. Diese
vertieft er exemplarisch in vier Bundesländern: NRW, Hamburg,
Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Dieses Kapitel
schließt mit einer Zusammenfassung der gegenwärtig markanten
Strukturmerkmale des Übergangsbereichs.
3. „Chancen und Problematiken“
In
diesem dritten Kapitel wendet sich Tobias Brändle seiner
primären Forschungsfrage zu, ob der Übergangsbereich als „Irrweg
oder Erfolgsgeschichte“ zu bewerten ist. Nachdem er zunächst kurz
den aktuellen Forschungsstand vorgestellt hat, setzt er sich zur
Präzisierung seines Untersuchungsinteresses mit unterschiedlichen
bildungssoziologischen Theorien zu sozialer Ungleichheit, vor allem
mit jenen von Raymond Boudon und Pierre Bourdieu, auseinander. Des
Weiteren rekurriert er auf die Signaling-Theorie von Spence und das
Job-Competition-Modell von Thurow, um die Einstellungspraktiken der
Betriebe systematisch zu berücksichtigen. Um auch die strukturellen
Bedingungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt einzubeziehen,
ergänzt er seine Theoriebasis zum einen um segmentationstheoretische
Konzepte interner und externer Arbeitsmärkte. Zum anderen greift er
auf Goffmans Figur der „beschädigten sozialen Identität“ in
Folge von Stigmatisierungsprozessen zurück. Vor diesem theoretischen
Hintergrund präzisiert er seine Grundfrage, ob der Übergangsbereich
als „Irrweg oder Erfolgsgeschichte“ zu bewerten ist, in zweierlei
Hinsicht: Entlang der von ihm aus historischer Perspektive
herausgearbeiteten Zielvorstellungen möchte er erstens prüfen,
inwieweit der Besuch eines Bildungsangebots im Übergangsbereich für
die Jugendlichen die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine betriebliche
Berufsausbildung aufzunehmen. Zweitens möchte er klären, welchen
Einfluss die soziale Herkunft der jungen Menschen, gemessen an den
Schulabschlüssen ihrer Eltern und dem Berufsabschluss des Vaters,
für ihren Übergang sowie ihre spätere berufliche Positionierung
hat.
Seine quantitative Analyse stützt Tobias Brändle
auf die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Von den dort
seit 1984 befragten Personen haben in den Jahren zwischen 1984 und
2009 623 Personen ein BVJ oder BGJ besucht. Unter der Fragestellung,
ob der Besuch des BVJ bzw. BGJ – neben der sozialen Herkunft -
einen Einfluss auf den Übergang in eine betriebliche Ausbildung
sowie auf die Erwerbsbiografie hat, hat Tobias Brändle
wiederum anhand der Daten aus dem SOEP eine Vergleichsgruppe von 636
Menschen gebildet, die im gleichen Zeitraum die Hauptschule besucht
haben und nicht an einer Maßnahme des Übergangsbereichs
teilgenommen haben. Aufgrund der im SOEP nicht präzise
nachvollziehbaren Schulabschlüsse sowohl der TeilnehmerInnen im BVJ
und BGJ als auch der HauptschülerInnen konnte Tobias Brändle
in seinen Analysen nur vom Besuch und nicht vom Abschluss des
jeweiligen Bildungsangebots ausgehen. Im Gegensatz dazu sind die
Angaben zu den Schulabschlüssen der Eltern und dem Berufsabschluss
des Vaters verwertbar.
Die von ihm mit unterschiedlichen
statistischen Verfahren angestellten Auswertungen belegen einen
negativen Maßnahmeeffekt des Besuchs des BVJ oder BGJ: Obwohl die
HauptschülerInnen über schlechtere Voraussetzungen bezogen auf ihre
soziale Herkunft – wie bereits gesagt, operationalisiert mit den
Schulabschlüssen der Eltern und dem Berufsabschluss des Vaters –
verfügen, ist für sie die Wahrscheinlichkeit, in eine betriebliche
Berufsausbildung einzumünden, höher als für die TeilnehmerInnen
von BVJ und BGJ. Aufgrund dieses Ergebnisses kommt Tobias Brändle
zu dem Schluss: „Mit dem Aufenthalt im Übergangssystem wird das
(bildungspolitische) Ziel der Steigerung der Übergangschancen an der
ersten Schwelle nicht erreicht, wodurch die Teilnahme an den
berufsvorbereitenden beziehungsweise -grundbildenden Bildungsgängen
letztlich als Irrweg erscheint“ (S. 215). Allerdings besetzen die
ehemaligen BesucherInnen des BVJ oder BGJ im Alter von 25 Jahren
höhere berufliche Positionen, auch gemessen an ihrem Einkommen.
Dafür nennt Tobias Brändle zwei mögliche Begründungen: Da
die jungen Leute aus BVJ und BGJ in geringerem Maße in eine
Berufsausbildung einmünden und stattdessen früher einer
Erwerbsarbeit nachgehen, hatten sie über einen längeren Zeitraum
die Gelegenheit, sich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren. Des
Weiteren könnte der Bildungsgangeffekt mit den entsprechenden
Vorteilen für die HauptschülerInnen nur von kurzer Dauer sein, so
dass langfristig doch die günstigere soziale Herkunft mit den
entsprechenden sozialen Netzwerken der Eltern ausschlaggebend für
eine bessere berufliche Positionierung der BVJ/BGJ-BesucherInnen ist.
In der Gesamtschau kommt Tobias Brändle zu dem Ergebnis, dass
der Bildungsgangeffekt deutlicher kürzer wirksam ist als letztlich
doch die günstigeren Bildungsvoraussetzungen der Jugendlichen, um
bessere Berufspositionen mit höherem Einkommen zu erzielen.
Seine
quantitative Untersuchung mittels der Daten des SOEP ergänzt Tobias
Brändle mit qualitativen Interviews mit 12 Jugendlichen im
Übergangsbereich. Aus ihrer Perspektive beleuchtet er, ob sie den
Besuch des BGJ oder Berufsqualifizierungsjahrs (BQJ) als
Warteschleife empfinden und wie sie mit der Chance umgehen, ihren
Schulabschluss zu verbessern. In der Gesamtschau beurteilen die
jungen Menschen den Besuch der Maßnahme positiv. Allerdings war für
die Entscheidung der TeilnehmerInnen im BGJ stärker entscheidend,
dass sie dort ihren Schulabschluss verbessern können, während die
SchülerInnen im BQJ eher zufällig dort ‚gelandet‘ sind. Aus
Sicht der Jugendlichen kann somit nicht vom Übergangsbereich als
„Irrweg“ gesprochen werden. Eine „Erfolgsgeschichte“ ist er
jedoch auch nicht, weil für sie die Aufnahme einer Berufsausbildung
höchste Priorität hat und sie sich deshalb nicht nur auf die
Aktivitäten im BGJ oder BQJ verlassen, sondern zusätzlich eigene
Bewerbungsstrategien einsetzen, um den gewünschten Ausbildungsplatz
zu erhalten. Zudem zeigen bundesweite Statistiken, dass lediglich
Dreizehntel der SchülerInnen einen höheren Schulabschluss schaffen.
4. „Schlussbetrachtungen“
In
seinem letzten Kapitel stellt Tobias Brändle zunächst seine
zentralen Ergebnisse zusammenfassend vor, um auf dieser Basis ein
„Mehrebenenmodell“ „sozialer Ungleichheit im Übergangssystem“
(S. 207) zu entwerfen. Abschließend zu seiner Untersuchung nimmt er
seine Grundfrage „Das Übergangssystem – Irrweg oder
Erfolgsgeschichte?“ (S. 213) nochmals auf und kommt zu dem Fazit,
dass es eher als Irrweg zu bewerten ist. Da jedoch innerhalb des
Berufsbildungssystems sehr unterschiedliche und vor allem mit den
Sozialpartnern, also der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite,
divergierende Interessenlagen einen bedeutsamen Einfluss haben, sieht
er kurzfristig kaum Möglichkeiten, den Übergangsbereich kurzfristig
zu reformieren. Zudem fehlen ihm gegenwärtig mögliche Alternativen,
um den Übergangsbereich abzuschaffen. Den aktuell in der
Bildungspolitik diskutierten Vorschlag, den
vorhandenen‚Maßnahmedschungel‘ abzuschaffen und mit diesen
Finanzmitteln die außerbetriebliche Berufsausbildung auszubauen und
auf diese Weise junge Menschen ihrem Wunsch gemäß in eine
Berufsausbildung zu vermitteln, scheitert seines Erachtens an der
sogenannten zweiten Schwelle. Denn die AbsolventInnen haben im
Vergleich zu betrieblich Ausgebildeten deutlich größere
Schwierigkeiten, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden. Außerdem würde
der Grundsatz des dualen Systems, dass die Berufsausbildung vor allem
in der finanziellen Verantwortung der Betriebe liege, mit dem Ausbau
außerbetrieblicher Berufsausbildung aufgegeben. Doch auch die
„marktradikale Position“ (S. 217), völlig auf staatliche
Unterstützung beim Übergang Schule-Beruf zu verzichten, gilt für
Tobias Brändle nicht als Alternative. Deshalb sieht er trotz
seiner kritisch stimmenden Forschungsergebnisse kaum Spielräume für
grundsätzliche Reformen des Übergangsbereichs, zumal er den
Widerstand der Ausbildungsbetriebe fürchtet, der sich historisch zu
so manchen Vorschlägen gezeigt habe.
Diskussion
Mit seiner Untersuchung ist es meines Erachtens Tobias Brändle in beachtenswerter Weise gelungen, sehr interessante, anregende und kritisch stimmende Forschungsergebnisse zu dem seit seiner Planung kontrovers diskutierten Übergangsbereich vorzulegen. Vor allem seine Analysen der Daten aus dem SOEP belegen für mich eindrucksvoll zum einen den langfristig wirksamen Einfluss der sozialen Herkunft bzw. des familiären Bildungshintergrundes sowie zum anderen die kurzfristig wirksameren Bildungsgangeffekte von BVJ und BGJ auf den Übergang in eine betriebliche Berufsausbildung. Deshalb unterstütze ich einerseits seine Forderung, dass in der zukünftigen Gestaltung des Übergangsbereichs die soziale Herkunft der jungen Menschen stärker als bisher berücksichtigt werden sollte. Andererseits hat mich etwas enttäuscht, dass er keine weiteren bildungspolitischen Konsequenzen aus seinen den Übergangsbereich vor allem als „Irrweg“ markierenden Forschungsergebnissen skizziert hat. In der kurzen Gegenüberstellung der beiden Alternativen, den Übergangsbereich zugunsten außerbetrieblicher Berufsausbildung oder einer marktradikalen Lösung abzuschaffen, lese ich vor allem seine Befürchtung, dass alle Reformbemühungen am Widerstand der Ausbildungsbetriebe scheitern könnten. Allerdings möchte ich diesen kritischen Hinweis deutlich einschränken, weil meines Erachtens die Stärke dieser Untersuchung in ihren aussagekräftigen Forschungsergebnissen zum Übergangsbereich und nicht in den daraus folgenden bildungspolitischen Konsequenzen liegt. Sie sollten unbedingt in den zukünftigen bildungspolitischen Debatten zum Übergangsbereich aufgenommen und berücksichtigt werden.
Kritische Stimmen mögen dazu einwenden, dass sich Tobias Brändle vor allem auf die schulischen Angebote des Übergangsbereichs konzentriert und somit zum einen die außerschulischen berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB) der Bundesagentur für Arbeit sowie das Einstiegsqualifizierungsjahr (EQ), das überwiegend in Betrieben durchgeführt hat, vernachlässigt hat. Zum anderen hat er auch die Jugendwerkstätten und sonstige Angebote der Jugendberufshilfe außen vor gelassen, die gemäß Sozialgesetzbuch VIII: Kinder- und Jugendhilfe angeboten werden und somit nicht nur bildungspolitisch, sondern auch jugendpolitisch legitimiert werden. Angesichts dieser Vielfalt im ‚Förder-Dschungel‘ des Übergangsbereichs könnte seine bildungspolitische Perspektive als zu einseitig bewertet werden, zumal die Angebote der Bundesagentur für Arbeit gemäß Sozialgesetzbuch III: Arbeitsförderung sozial- und arbeitsmarktpolitisch einzuordnen sind und quantitativ einen erheblichen Anteil am Übergangsbereich haben. Somit wäre es interessant gewesen, auch die sozial- und jugendpolitischen Begründungsmuster historisch zu rekonstruieren und diese Angebotstypen mit in die empirische Untersuchung aufzunehmen. Diese mögliche Kritik nehme ich gerne auf und verweise auf den erheblichen Forschungsbedarf, der meines Erachtens noch zum Übergangsbereich vorhanden ist. In weiteren Untersuchungen, für die auch noch eine breitere Datenbasis als jene des SOEP herangezogen werden sollte, sollten die Forschungsarbeiten von Tobias Brändle aufgenommen, vertieft und weitergeführt werden.
Fazit
Insbesondere aufgrund der weiterführenden und beachtenswerten Forschungsergebnisse empfehle ich dieses 219 Textseiten umfassende, mit ansprechend gestalteten Grafiken, Tabellen und Übersichten gut lesbares Buch vor allem allen VertreterInnen bildungspolitischer Akteure im Übergangsbereich. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass es auch von möglichst vielen BerufsbildungsforscherInnen gelesen werden möge, um weitere Forschungsaktivitäten zum Übergangsbereich zwischen Schule und Beruf anzuregen und zu verbreitern.
Rezension von
Prof. Dr. Ruth Enggruber
Hochschule Düsseldorf, FB Sozial- und Kulturwissenschaften
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Es gibt 61 Rezensionen von Ruth Enggruber.
Zitiervorschlag
Ruth Enggruber. Rezension vom 02.04.2013 zu:
Tobias Brändle: Das Übergangssystem. Irrweg oder Erfolgsgeschichte? Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2012.
ISBN 978-3-86388-019-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14174.php, Datum des Zugriffs 16.05.2022.
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