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Maria Hirschauer: Ethnische Stereotype (Jugendliche mit Migrationshintergrund)

Rezensiert von em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin, 14.01.2013

Cover Maria Hirschauer: Ethnische Stereotype (Jugendliche mit Migrationshintergrund) ISBN 978-3-8300-6346-9

Maria Hirschauer: Ethnische Stereotype aus der Perspektive von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2012. 322 Seiten. ISBN 978-3-8300-6346-9. D: 85,00 EUR, A: 87,40 EUR.
Schriftenreihe Studien zur Kindheits- und Jugendforschung - Band 64.

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Thema

Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen sich neben alterstypischen Entwicklungsaufgaben auch mit Vorstellungen von Zugehörigkeit und Zuordnungen der Aufnahmegesellschaft auseinandersetzen, die sich im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte änderten: „Gastarbeiterkinder“, „ausländische Kinder“, „Kinder ausländischer Mitbürger“, „Migrantenkinder“ – seit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht hat sich der etwas umständliche Ausdruck „Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“ durchgesetzt, da die seitdem geborenen Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können, auch wenn die Eltern selbst keinen deutschen Pass haben. Der Migrationshintergrund der Jugendlichen wird häufig zur Grundlage bestimmter Erwartungen und ethnischer Zuschreibungen.

Doch nach bald 60 Jahren Arbeitsmigration ist die Lebenswirklichkeit nicht nur in Deutschland vielfältig geworden. Einfache natioethnische Kategorisierungen („Türke“, „Grieche“) wie aber auch binäre Formulierungen („Deutschtürke“, „Russlanddeutsche“) stimmen oft nicht mit dem Zugehörigkeitsempfinden der so bezeichneten Menschen überein. Sie reduzieren lebensweltliche Vielfalt und vielfach hybride Identitätsgestaltungen auf ethnische Zuordnungen.

Mit diesen Zuordnungen gehen bestimmte Erwartungen und ethnische Zuschreibung von diversen gemeinsamen Eigenschaften und Verhaltensweisen einher, die sich als spezifische ethnische Stereotype bestimmter Gruppenzugehörigkeit äußern.

Entstehungshintergrund

In der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine empirische Studie, die die Fragen aufgreift, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund ethnische Stereotype erleben und welche Bedeutung diese in ihrem Alltag erlangen. Die Autorin rekonstruiert anhand dreier Gruppendiskussionen und ihrer dokumentarischen Interpretation die Erfahrungen und Bewältigungsformen dreier Gruppen von Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund in Bezug auf ethnische Stereotype.

Diese Arbeit wurde im Jahr 2011 als Dissertation an der Universität Augsburg angenommen.

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht aus acht Kapiteln und enthält neben einer Danksagung und dem Inhaltsverzeichnis ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Im ersten Kapitel, der Einleitung, stellt die Autorin die Problemstellung und anschließend das Forschungsinteresse ihrer empirischen Studie vor, bevor sie den Aufbau ihrer Arbeit skizziert.

In Kapitel 2 geht es um Ethnische Differenzierung und Stereotype. Hierbei werden die grundlegenden Begriffe der Ethnizität und des ethnischen Stereotyps erläutert, indem zunächst auf die Ethnizität im Rahmen sozialer Konstruktionsprozesse eingegangen wird. Es wird aufgezeigt, dass sowohl auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft als auch auf Seiten der ethnischen Gruppe Prozesse der ethnischen Kategorisierung stattfinden und diese ethnischen Differenzierungen unterschiedliche lebensweltliche Bedeutung bekommen können. Daran schließen Ausführungen zum Konzept der ethnischen Stereotype an. Es wird erläutert, welche Funktionen diese erfüllen können und wie sie sich vom Begriff des Vorurteils abgrenzen lassen. Vor einem Zwischenfazit zu diesem Kapitel wird auf die Stereotypisierung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland eingegangen, wobei insbesondere die jungen Menschen türkischer Herkunft berücksichtigt werden. Thematisiert werden negative Einstellungen gegenüber Personen mit Migrationshintergrund und die Perspektive der Betroffenen. Zum letzteren Punkt werden entwicklungspsychologische Befunde zur Kenntnis von Stereotypen über die eigene Gruppe sowie erlebte Stereotype im deutschen Alltag anhand empirischer Ergebnisse zum Fremdheits- und Diskriminierungserleben der türkischen Migrantinnen und Migranten erläutert und anschließend wird aufgezeigt, wie sich die Erfahrungen mit Ausgrenzungen und Ablehnungen auf die Integration der Migrantinnen und Migranten in die deutsche Gesellschaft auswirken.

Im dritten Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit der Bedeutung ethnischer Stereotype im Jugendalter. Hierbei wird zunächst auf die migrationsspezifische Formung der Entwicklungsaufgaben eingegangen, die sich in der Phase der Adoleszenz für Jugendliche mit Migrationshintergrund stellen. Unter Bezugnahme auf einschlägige Erkenntnisse quantitativer und qualitativer Studien zur Gruppe der Jugendlichen wird dann dargestellt, wie Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund sich diesen Herausforderungen sowie den der Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen stellen und dabei geschlechtsspezifische Bewältigungsstrategien zeigen. Anschließend geht die Autorin auf die Effekte von Ethnisierungen und ethnischen Stereotypen im deutschen Schulsystem ein. Sie gibt einen Überblick über die Bildungsbeteiligung und den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und betrachtet die Rolle der Lehrkräfte und der institutionellen Diskriminierung in der Schule näher. Bevor das Kapitel mit einem Zwischenfazit schließt, wird das Phänomen des Stereotype Threat diskutiert, mit dessen Hilfe sich Auswirkungen von negativen Stereotypen auf die akademische Leistung erklären lassen.

In Kapitel 4 erfolgt die Konkretisierung des Forschungsinteresses und des Ziels der Studie.

Empirische Studie: Ethnische Stereotype aus der Perspektive von Jugendlichen mit Migrationshintergrund lautet der Titel des fünften Kapitels, in dem entsprechend das Vorgehen der empirischen Studie ausführlich dargestellt wird. Zunächst wurden die im Vorfeld durchgeführten explorativen Voruntersuchungen mit Studierenden und Jugendlichen türkischer Herkunft skizziert. Erläutert werden dann das Gruppendiskussionsverfahren sowie die Auswertung mit der dokumentarischen Methode, die die Autorin für die Hauptstudie gewählt hat. Anschließend wird auf die Rolle der Interviewerin als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft eingegangen. Das Kapitel schließt mit Angaben zu den Teilnehmenden und zum Ablauf der Untersuchung.

In dem mit rund 150 Seiten umfangreichsten Kapitel 6 erfolgen Falldarstellungen der Gruppendiskussionen, d.h. Darstellungen der Auswertungen der Diskussionen mit drei Gruppen mit 14- bis 16-jährigen Hauptschülerinnen und Hauptschülern mit türkischem Migrationshintergrund. Die drei Gruppendiskussionen wurden von den sechs in München, Augsburg und Umgebung durchgeführten Diskussionen zur vertieften Analyse ausgewählt und ausführlich präsentiert.

In Kapitel 7 Zusammenfassung und Auswertungsergebnisse werden die Ergebnisse unter Berücksichtigung der im Theorieteil herausgearbeiteten Kategorien zusammengefasst. Bei diesen Kategorien handelt es sich um „Erfahrungen und Umgang mit ethnischen Stereotypen“, „Erfahrungen mit und Reaktionen auf Lehrkräfte“ sowie „die Bedeutung von Kontakten mit Gleichaltrigen“. Es wird deutlich aufgezeigt, dass die in der deutschen Gesellschaft bestehenden Stereotype bei den Betroffenen nicht ohne Wirkung bleiben, dass die betroffenen jungen Menschen sich mit ethnischen Zuschreibungen und negativen Stereotypen sowie mit ihrer Umwelt konstruktiv auseinandersetzen, diese aktiv mitgestalten und hierbei individuelle Perspektiven entwickeln.

Die Arbeit schließt mit einem kurzen Fazit und Ausblick.

Diskussion und Fazit

Hirschauer hat eine solide durchgeführte und zwar nicht repräsentative, aber dennoch aufschlussreiche Studie vorgelegt, die durchaus einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion der Erfahrungen migrantischer Jugendlicher liefert, die diese mit ethnischen Stereotypen gemacht haben. Das Werk rückt die Perspektive der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Mittelpunkt.

Die Ergebnisse der dargestellten und analysierten Fallstudien unterstreichen unter anderem, dass es sich bei Integration und Partizipation nicht um eine einseitige Aufgabe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund handelt. Einerseits müssen diese sich die für das Leben in Deutschland erforderlichen Kompetenzen wie Sprache und berufliche Qualifikationen erwerben. Andererseits muss sich aber die deutsche Gesellschaft, insbesondere müssen ihre Bildungseinrichtungen sich vermehrt anstrengen, ethnische Stereotypisierungen zu unterlassen sowie den jungen Menschen mit Migrationshintergrund Chancen zu eröffnen, sie positiv anzuerkennen und ihnen soziale und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Die im letzten Kapitel des Buches in dieser Richtung enthaltenen schulpädagogischen und gesellschaftspolitischen Konsequenzen geben durchaus wichtige Anstöße für die pädagogische Arbeit mit jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Rezension von
em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin
Duale Hochschule BW Villingen-Schwenningen, Fakultät für Sozialwesen
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Es gibt 106 Rezensionen von Süleyman Gögercin.

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Zitiervorschlag
Süleyman Gögercin. Rezension vom 14.01.2013 zu: Maria Hirschauer: Ethnische Stereotype aus der Perspektive von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2012. ISBN 978-3-8300-6346-9. Schriftenreihe Studien zur Kindheits- und Jugendforschung - Band 64. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14204.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.


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