Gabriele Wopfner: Geschlechterorientierungen zwischen Kindheit und Jugend
Rezensiert von Prof. Dr. Joachim Thönnessen, 09.09.2013

Gabriele Wopfner: Geschlechterorientierungen zwischen Kindheit und Jugend. Dokumentarische Interpretation von Kinderzeichnungen und Gruppendiskussionen.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2012.
462 Seiten.
ISBN 978-3-8474-0032-5.
D: 48,00 EUR,
A: 45,30 EUR.
Reihe: Sozialwissenschaftliche Ikonologie: Qualitiative Bild- und Videointerpretation - Band 1.
Thema
Frau Wopfners Thema sind „Geschlechterorientierungen zwischen Kindheit und Jugend“. Bemerkenswert ist das in dem Buch verwendete Interpretations- und Analyseinstrument „Dokumentarische Methode“ (Dokumentarische Bildinterpretation).
Autorin
Gabriele Wopfner, geb. 1956, Mag.a phil., Diplompädagogin, ist Hochschullehrerin an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Edith Stein (Österreich). Sie hat eine therapeutische Ausbildung in Konzentrativer Bewegungstherapie absolviert und ist Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Ihre Arbeitsgebiete bzw. Schwerpunkte sind Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie ist Mitglied im Österreichischen Arbeitskreis für Konzentrative Bewegungstherapie (ÖAKBT).
Entstehungshintergrund
Das Buch ist die leicht überarbeitete Version der Dissertation Frau Wopfners an der Freien Universität Berlin (Dez. 2011).
Aufbau und Inhalt
Die Arbeit beginnt mit einem kurzen Vorwort von Prof. Dr. Ralf Bohnsack (FU Berlin). Nach der Einleitung (Kap. 1) gibt Frau Wopfner den empirischen Forschungsstand zum Thema „Die ´Lücke´-Kinder“ wieder. Mit dieser leicht irritierenden Bezeichnung meint Frau Wopfner Kinder in der Zeit zwischen Kindheit und Jugendalter. Da der Eintritt in die Pubertät bis zu sechs Jahren variieren kann, werden in diesem Kapitel Forschungsergebnisse von Grundschulkindern ab der 3. Jahrgangsstufe ebenso betrachtet wie jene, die sich mit Jugendlichen im Alter von 13/14 Jahren beschäftigen (S. 35).
In Kap. 3 werden Methode und Sampling vorgestellt. „Kinderzeichnungen (sind) ein Schlüssel zum Denken und Fühlen eines Kindes“ (S. 65). Diese Aussage von Wolfgang Reiß aus dem Jahre 2000 war für Frau Wopfner der Anlass, „(…) die Kinderzeichnung als kindertypische Ausdrucksform in den Mittelpunkt der Forschung zu stellen“ (ebd.). Frau Wopfner weiter: „Über die mehrdimensionale Perspektive, die mit der Dokumentarischen Methode der Bildinterpretation eröffnet wird, dokumentieren sich durch die Kinderzeichnungen neben Kind- und Geschlechtstypischem auch Typisches der beforschten Kultur und Generation sowie des jeweiligen Milieus“ (ebd.).
Für die Studie wurden Kinder der 6. Schulstufe (Alter: 11-12 Jahre) ausgewählt. Der empirische Teil der Studie wurde im Schuljahr 2005/06 mit 90 Kindern an drei österreichischen Schulen durchgeführt. Die Basis bilden 90 Zeichnungen und Aufsätze, 18 Einzelinterviews und neun Gruppendiskussionen (S. 95). Die Auswahl der Schulen war geprägt von der „Suche nach verschiedenen schulischen Sozialisationsbedingungen und erfolgte auf Grund der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung der einzelnen Schulen“ (ebd.). Ausgesucht wurde ein städtisches Gymnasium („Marienberg“), eine traditionell orientierte Landhauptschule („Talgrund“) sowie eine städtische Kooperative Mittelschule („Kunterbunt“) mit einem recht hohen Ausländer/innenanteil.
Für ihre Zeichnungen wurde den Schülerinnen das Thema „Wüstenexpedition“ vorgegeben: „Der eher ausgefallene Zeichenimpuls sollte den Mädchen und Jungen die Möglichkeit bieten, ihre Darstellung in ihrem Relevanzrahmen zu entfalten, wie es für das methodische Vorgehen in der Dokumentarischen Methode konstitutiv ist“ (S. 96). Es folgten Einzelgespräche und Gruppendiskussionen in den Klassen, wodurch eine Triangulation der Interpretationen möglich wurde.
Die Kapitel 4,5 und 6 beinhalten sehr ausführliche Fallbeschreibungen (Interpretationen) der Zeichnungen in den einzelnen Klassen. Sie nehmen einen großen Teil des Buches ein (208 von insges. 462 Seiten). Es folgen die Auswertungskapitel „Der Übungsraum von der Kindheit zur Jugend im Milieuvergleich“ (Kap. 7), „Weitere Aspekte der Mehrdimensionalität des Übergangsraums“ (Kap. 8), „Rekonstruktion der Orientierungsrahmen der Gruppendiskussion und Homologien“ (Kap. 9) und „Schule als Identitätsbaustelle“ (Kap. 10).
Abgeschlossen wird das Buch mit einem methodischen Kapitel „Die dokumentarische Bildinterpretation als Forschungsinstrument an der Schnittstelle von Kindheits-, Jugend- und Geschlechterforschung“ (Kap. 11), einem ausführlichen Anhang und farbigen Bildtafeln, auf denen die Zeichnungen der Kinder wiedergegeben werden.
Diskussion
Die Interpretation von Zeichnungen ist aufgrund der vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten keine einfache Angelegenheit. Frau Wopfner gelingt dieses schwierige Unterfangen, indem sie die Formalstruktur der Bilder rekonstruiert. Eine weitere verwendete Methode ist die maximale Fallkontrastierung. Darüber hinaus werden die Interpretationsergebnisse mit anderen empirischen Quellen (Gruppendiskussion, Einzelgespräche) trianguliert. All´ dies zusammen erlaubt Frau Wopfner einen Zugang zu den dichten Strukturen der kindlich/jugendlichen Lebenswelten.
Fazit
Ein Werk, welches von dem großen persönlichen Engagement der Verfasserin und von ihrem Mut, sich auf neue, wissenschaftlich weitgehend unbearbeitete Themen einzulassen, geprägt ist. Lesenswert.
Rezension von
Prof. Dr. Joachim Thönnessen
Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Studium der Philosophie und Soziologie in Bielefeld, London und Groningen; Promotion in Medizin-Soziologie (Uniklinikum Giessen)
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