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Toralf Staud, Johannes Radke: Neue Nazis. Jenseits der NPD

Rezensiert von Dr. Siegmund Pisarczyk, 15.01.2014

Cover Toralf Staud, Johannes Radke: Neue Nazis. Jenseits der NPD ISBN 978-3-462-04455-3

Toralf Staud, Johannes Radke: Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts. Verlag Kiepenheuer & Witsch (Köln) 2012. 272 Seiten. ISBN 978-3-462-04455-3. D: 9,99 EUR, A: 10,30 EUR.
Reihe: KiWi - 1296 - Paperback. Paperbacks bei Kiepenheuer & Witsch.

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Thema

Politischer Extremismus und Rechtsextremismus sind Infragestellungen der Demokratie. Signifikante Symptome des Rechtsextremismus sind Gewalt, Diskriminierung und Rassismus.

Autoren

Die Autoren sind erfahrene Journalisten und Beobachter der Entwicklungen des politischen Extremismus besonders der Rechtenszene in Deutschland. Radke hat u.a. die Bücher „Moderne Nazis“, 2005 und „Das Buch gegen Nazis“, 2009 geschrieben.

Aufbau und Inhalt

Staud/Radke befassen sich mit folgenden Fragen:

  • Was ist Rechtsextremismus?
  • Warum muss man gegen Rechtsextremismus vorgehen?
  • Für wen ist dieses Buch geschrieben?
  • Wie kann eine politische Profilaxe aussehen?

Das Buch besteht aus folgenden Kapiteln:

1. Einleitung. Anfangs finden wir Beschreibungen und Entwicklung von Rechtsextremismus in Deutschland. Dabei werden u.a. die Begriffe „rassistische Gewalttaten“, „Springerstiefeln“, „Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), „rechte Jugendkultur“ im Fokus der Aufmerksamkeit gerückt.

2. „Dortmund ist unsere Stadt“. Es stimmt nachdenklich, wenn seit 2005 jeweils im September die Dortmunder Autonomen Nationalisten (AN) eine Demonstration „Nationaler Antikriegstag“ (zynisch gemeint) veranstalten.“Tatsächlich feiern sie Hitlers Angriffskrieg auf Polen am 1. September 1939“ (S. 20).

3. Wie die braune Bewegung entstand. Im Jahre 1989 - nach dem Mauerfall - schickte die NPD regelmäßig nach Ostdeutschland ihre Kader. Michael Kühnen erarbeitete im Januar 1990 für seinen GdNF einen Arbeitsplan Ost, unterstützt u.a. durch Ex-DDR-Bürger.

4. Die Patchwork-Nazis. Die Autoren beschreiben hier den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Jugendkultur, z.B. im Dresden 2008. Es wird belegt, wie Jugendliche ein Konzert der militanten Neonaziszene organisierten.

5. Alter Wein in neuen Schläuchen. Man wollte der NPD neue Fassade zufügen. 2006 stand die NPD auf dem Höhepunkt in ihrer Geschichte. Gegenwärtig bekommt die NPD in Westdeutschland wenig an Resonanz.

6. „Freiheit statt Islam„ statt „Ausländer raus!“ Die Rechtsparteien bekommen in Deutschland wenig Zulauf. Diese Tendenzen dürfen nicht darüber hinweg täuschen. Auch ohne Vertretung in den Parlamenten kann man die Öffentlich aus sich aufmerksam machen.

7. Taten statt Worte. Wieso war Deutschland von den NSU-Aktivitäten überrascht?

Staud/Radke gehen sogar einen Schritt weiter, wenn sie meinen, das Rechtsextremismus eine lange Geschichte hat und die „nächsten Täter wachsen schon“ (S. 184).

8. „Eine ganz eigene, abgeschottete Welt“. In diesem Kapitel wird über einen Aussteiger berichtet, und zwar über die Bedeutung der Ideologie und wie Gewalttaten von den Autonomen Nationalisten geplant werden (vgl. 225).

9. Was tun? In diesem Kapitel bieten die Autoren 10 Tipps, wie man mit Rechtsextremismus konstruktiv umgehen soll. Sie setzen voraus, dass Rechtextremismus Angst machen kann.

Diskussion

Die Autoren dokumentieren mit ihrer Studie Gefahrenpotenziale die der Rechtsextremismus mit sich bringt. Der Rechtsextremismus hat sowohl eine deutsche als auch eine europäische Dimension – ehemalige Ostblockländer nicht ausgeschlossen. Charakteristisch für die Programmatik der AN ist die Zunahme der Übergriffe und der Gewalttätigkeit: „Mit großem Aufwand spähen sie ihre Feinde aus, „Anti-Antifa-Arbeit“ nennen sie das“ (S. 9). Auffallend war, dass während der Wendezeit in Ostdeutschland selbst die Polizei bezüglich der politischen Straftaten verunsichert wurde: „Dass das Zeigen von Symbolen verfassungswidriger Organisationen nicht unter Meinungsfreiheit fällt, müssen viele Beamte (ebenso wie Lehrer, Lokalpolitiker und anderer Autoritäten) erst lernen“ (S. 50). Besonders in Ostdeutschland werden, Obdachlose und Homosexuelle misshandelt. Z. B. „in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Quedlinburg kommt es zu pogromartigen Ausschreitungen. Asylbewerberheime gehen in Flammen auf, etwa in Mölln und Solingen“ (S. 201). Seit 2000 hat die NPD am weitesten in Sachsen in den Lokalparlamenten ihre Politik vertreten (vgl. S. 121). Die Behörden in Deutschland beobachten besonders seit einigen Jahren verfassungsfeindliche Entwicklung, z. B. in den Reihen des Landesparlamentes Pro Köln und Pro NRW (vgl. S. 170). Statistik spricht ihre eigene Sprache: „Praktisch jeden Tag nämlich werden in Deutschland Ausländer, Obdachlose oder Punks von rechten Schlägern überfallen, mindestens 149 Menschen kamen seit 1990 so zu Tode“ (S. 241).

<Wie lässt sich eine rechte Jugendkultur beschreiben? Zu den Merkmalen zählen u.a. spezifische Musik, schwarze Kleidung, Kapuzenpullover, Sonnenbrillen und Baseball-Mützen. Die AN planen ihre Homepages im Sinne einer schlagkräftigen Gemeinschaft (vgl. S. 99). Am Beispiel der Faschingsnazis wird dokumentiert, „…was Werbeprofis als Viralmarketing bezeichnen: Das Video ist derart eindrucksvoll, dass es vieltausendfach weitergemailt und in sozialen Netzwerken gepostet wird. Selbst Jugendliche, die politisch nicht rechts stehen - das lassen viele Kommentare erahnen - „sind gefesselt von den geradezu mystisch inszenierten Szenen“ (S. 115). Diese mystischen Szenen haben oft einen emotionalen und populistischen Charakter.

Welche Ziele verfolgt Populismus? Populismus polarisiert und verfolgt eigene sozialpolitische Ziele, z.B. Diskriminierung von Minderheiten. Weltweit gibt es diverse Ausprägungen des Populismus. Zu den prägnanten Beispielen zählt, der Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin (vgl. 157). In den USA „… die Tea Party könnte man momentan als mächtigste rechtspopulistische Bewegung der Welt bezeichnen“ (S. 160). Rechtspopulismus basiert grundsätzlich auf den spezifischen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen im eigenen Land. Jean-Marie Le Pen machte in Frankreich mit seiner Partei Front National (FN) den einflussreichen Anfang.

Der Rechtspopulismus muss im internationalen Kontext gesehen werden. Es wird belegt über Beispiele aus folgenden Ländern:

  • Jörg Haider in Österreich erreichte 1999 mit seiner nationalpopulistischen Partei (FPÖ), 27 Prozent der Stimmen.
  • Der Schweizer Milliardär Christoph Blocher (SVP) schaffte mit populistischen Äußerungen sogar bis zur stärksten Partei.
  • Eine liberal-konservative Regierung ließ sich in Dänemark seit 2001 von der rechtspopulistischen Volkspartei tolerieren.
  • 2002 gelang es in den Niederlanden der Liste Pim Fortuyn ein großer Wahlerfolg.
  • Im Juli 2011 verrichtete in Norwegen der Islam- und Linkenhasser Anders Behring Breivik einen geplanten Massenmord.

Interdisziplinäre Lösungskonzepte sind gefragt. Die Gesellschaft ist mit folgenden Herausforderungen konfrontiert:

  • Erstens, auf der politischen Ebene wird man weiter diskutieren müssen über eventuelle NPD Verbote.
  • Zweitens, auf der psychologischen Ebene bedarf es eine europaweit koordinierte Studie über die Motive des Rechtsextremismus.
  • Drittens, auf der pädagogischen Ebene muss mehr getan werden, um besonders den Jugendlichen Chancen in der Demokratiegestaltung zu zeigen.
  • Viertens, die sinnvolle Freizeitgestaltung muss in den Gemeinden bzw. Stadtteilen in der Profilaxe ideologieneutrale Priorität haben.
  • Fünftens, die Aufgabe der Zukunftsforschung ist das Aufzeigen von demokratischen Wegen für ein Leben in individueller Sicherheit und sozialem Frieden.

Fazit

Freiheit, Demokratie und Solidarität mit den Schwächeren sind Bestandteile des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Diese Errungenschaften sind in der kulturpolitischen Ordnung dieses Landes befestigter denn je. Die NSU-Ereignisse aus dem Jahre 2011 deuten darauf hin, dass Politik und Gesellschaft permanent achtsam sein müssen.

Das Buch ist besonders der Sozialpolitik, der Pädagogik und der Freizeitforschung zu empfehlen. Allen, die sich mit gesellschaftskritischen Fragen von heute und morgen auseinander setzen möchten.

Rezension von
Dr. Siegmund Pisarczyk
Diplompädagoge & Nonprofit Manager
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Es gibt 17 Rezensionen von Siegmund Pisarczyk.

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Zitiervorschlag
Siegmund Pisarczyk. Rezension vom 15.01.2014 zu: Toralf Staud, Johannes Radke: Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts. Verlag Kiepenheuer & Witsch (Köln) 2012. ISBN 978-3-462-04455-3. Reihe: KiWi - 1296 - Paperback. Paperbacks bei Kiepenheuer & Witsch. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14210.php, Datum des Zugriffs 28.09.2023.


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