Ruth Remmel-Faßbender (Hrsg.): Beratung und Steuerung im Case-Management
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 21.02.2013

Ruth Remmel-Faßbender (Hrsg.): Beratung und Steuerung im Case-Management.
Eos Verlag
(Sankt Ottilien) 2012.
221 Seiten.
ISBN 978-3-8306-7550-1.
D: 24,80 EUR,
A: 25,50 EUR.
Katholische Hochschule
Thema
„Die vorliegende Publikation umfasst Beiträge aus dem Umfeld der Katholischen Hochschule Mainz zum Thema Case Management, die darin übereinstimmen, dass Case Management auf der Ebene des Einzelfalles ein Handlungsansatz ist, der in ausdifferenzierten Sozialstaaten die Bedürfnisse und Bedarfe von Klientinnen und Klienten (oder Patientinnen und Patienten) mit den formellen und informellen Unterstützungsangeboten des Gesundheits- und Sozialsystems verknüpfen will. Dabei werden vor allem die Interessen und Wünsche der Hilfebedürftigen, aber auch die Ressourcen der Hilfesysteme berücksichtigt und fallbezogene Unterstützungsnetzwerke koordiniert und gesteuert. Dieses Case Management auf der Einzelfallebene kann nur realisiert werden, wenn auf der Organisationsebene die Case ManagerInnen mit den erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet werden und die strukturellen Rahmenbedingungen den Handlungsansatz unterstützen.“ (Aus dem Vorwort)
Herausgeberteam
Die drei Herausgeber, Prof. Ruth Remmel-Faßbender, Prof. Dr. Peter Löcherbach und Prof. Dr. Martin Schmid sind Hochschullehrer an der Katholischen Hochschule Mainz und aktiv in der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC).
Aufbau und Inhalte
„Zuerst steht die Theorie des Case Managements im Vordergrund. Peter Löcherbach erläutert in seinem Beitrag grundlegende Elemente des Case Managements auf den unterschiedlichen Ebenen des Einzelfalls, der Organisation und des fallübergreifenden Netzwerkes, beschreibt den Prozess des Case Managements und arbeitet dabei die Voraussetzungen heraus, die für eine erfolgreiche Umsetzung erforderlich sind.“ (S. 13)
Im zweiten Beitrag (erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift Case Management) fokussieren Ruth Remmel-Faßbender und Gerlinde Tafel das Thema „Beratung im Kontext von Case Management“. Behandelt werden Punkte wie Qualifikationsanforderungen und Anforderungen an Beratung in unterschiedlichen Handlungsfeldern (z. B. Beschäftigungsförderung, Altenpflege, Behindertenhilfe, Suchtkrankenhilfe). Es werden jeweils die Besonderheiten und Anforderungen für die Beratung innerhalb des CM herausgearbeitet. Daran schließen sich einige allgemeine Folgerungen für Weiterbildung und Praxis an.
Steuerungsprobleme und Governance im Wohlfahrtsstaat und die sich daraus ergebenden Steuerungsmöglichkeiten eines Case Managements thematisieren Thomas Hermsen und Martin Schmid. Der sehr breit angelegte Artikel, der von der Theorie des Wohlfahrtsstaates allgemein über die Governance-Debatte die Steuerungsthematik aus der Systemtheorie von Luhmann, Willke und Mayntz abhandelt, kommt schließlich zu dem kaum überraschenden Schluss: Case Management kann nicht direktiv Systeme verändern, Steuerung funktioniert nur über „Kontexte“. Der Artikel empfiehlt auf der Analyseebene Strukturen und Akteurskonstellationen zu untersuchen (z. B. rechtliche Regelungen, Verträge, finanzielle Vereinbarungen). Die Empfehlung: „Wer steuern will, sollte zudem über hinreichendes Wissen zu dem jeweiligen Arbeitsfeld, den Handlungsansätzen, Methoden, Rahmenvereinbarungen und Zielgruppen verfügen, um angesichts der Definitions- und Interpretationsmacht einzelner Akteure zumindest diskursfähig zu sein.“ (S. 101)
„Case Management in der Suchthilfe – Bestandsaufnahme und Ausblick“ ist der Beitrag von Martin Schmid überschrieben. Der Autor fasst hier noch einmal zusammen (z. B. Ergebnisse aus der Heroinstudie, Motivational Interviewing), die er an anderer Stelle schon ausführlich dargelegt hat.
Sabine Peer beschreibt die „Optimierung von Versorgungsstrukturen im Krankenhaus“. Sie berichtet zunächst davon, dass in ihrem Krankenhaus eine „Abteilung Case Management“ besteht, die sich der „prozessorientierten Steuerung“ verschrieben habe. Sodann wird ausgehend vom Paradigmenwechsel vom „Gesundheitswesen“ zur „Gesundheitswirtschaft“ ein Modellprojekt beschrieben („Familiale Pflege unter den Bedingungen der G-DRGs“). Zielgruppe sind pflegende Angehörige und Ehrenamtliche, die in vier Modulen (Pflegekurs, Pflegetraining, aufsuchendes Pflegetraining, Gesprächskreise im Angehörigen-Café) fort- und weitergebildet werden. Es folgen Aspekte der Familienberatung, der Förderkonditionen der beteiligten Krankenkassen und der Hinweis, dass seit Mai 2009 das Klinikum Lüdenscheid zu diesem Modellprojekt gehört und damit neben dem Patienten-Informations-Zentrum und dem CM ein weiteres Unterstützungsangebot hat. Als „Auswirkung auf das Betriebsergebnis“ wird postuliert: „Als Strategie und Managementansatz kann Case Management innerhalb der Integrierten Versorgung die Prozesse eines Behandlungsfalles effizienter und effektiver gestalten, ohne den Mittelpunkt, den Patienten selbst, aus dem Auge zu verlieren.“ (S. 143)
An einem Praxisbeispiel erläutert Christine Körber-Martin das Thema „Einzelfallsteuerung und Netzwerkaufbau für Familien mit besonderen Kindern“. Mit einem sehr anschaulich dargestellten Fallbeispiel einer Familie mit einem autistischen Jungen werden die Handlungsschritte des Case Managements verdeutlicht. Es folgt ein Abschnitt über Systemsteuerung. Beschrieben wird der Versuch eines Netzwerkes zum Wohl von Familien mit behinderten Kindern. Die dargestellten Beispiele könnten sicher auch für andere Organisationen eine Anregung geben. Ein gelungener Artikel!
„Der letzte Teil des Buches fokussiert auf Fragen der Aus- und Weiterbildung. Ruth Remmel-Faßbender und Maria Schäfer-Hohmann stellen den Masterstudiengang ‚Soziale Arbeit – Beratung und Steuerung' der Katholischen Hochschule Mainz vor […]. Aus zehn Jahren Erfahrung mit der berufsbegleitenden Weiterbildung zur Case ManagerIn als Angebot des Instituts für Fort- und Weiterbildung der Katholischen Hochschule Mainz, das als eines der ersten von der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) zertifiziert wurde, berichten abschließend Peter Löcherbach und Ruth Remmel-Faßbender.“ (S. 14)
Der Schlusspunkt wird durch die Antrittsvorlesung von Michael Wüstenbecker („Wenig Einkommen, wenig Macht?“) als Professor für Sozialpolitik und Sozialwirtschaft an der Katholischen Hochschule Mainz gesetzt. Er widmet sich der Frage, welche Chancen Menschen mit niedrigen Primäreinkommen haben, ihre Handlungsräume in der Sphäre staatlicher Umverteilung nennenswert auszuweiten.
Diskussion
Case Management ist in vielen Formen und vielen Kontexten präsent. Es handelt auf der Fall- und Systemebene, es gibt Ausbildungen und Weiterbildungen. Die Katholische Hochschule Mainz ist eines der Zentren des Case Managements in Deutschland und untermauert mit diesem Buch diesen Anspruch. Dass eine Hochschule überhaupt so viele Beiträge um ein Thema sammeln kann, ist ein Wert an sich.
Mit Ausnahme des letzten Artikels, der mit Case Management thematisch nichts zu tun hat und deswegen auch in diesem Herausgeberband deplatziert wirkt, eint alle Autoren zumindest prinzipiell die Idee und/oder die Praxis des Case Managements. Die Bandbreite von der reinen Praxisbeschreibung (praxistauglicher und anschaulicher Bezug zum Case Management) über einführende Artikel (für ein Hochschulseminar gut tauglich) bis zur hochkomplexen Steuerungstheorie (mit eher geringen Bezügen zum Case Management) ist allerdings sehr groß, der Bezug zum Case Management unterschiedlich. Dies macht die Einordnung für eine Zielgruppe nicht leichter: Zu finden sind einführende Artikel, bei denen sich zumindest für die Kenner der „Szene“ der (wissenschaftliche) Neuigkeitswert in Grenzen hält, die aber sicher für „Neueinsteiger“ interessant sind, andererseits Artikel, die ohne Spezialkenntnisse (z. B. der Luhmannschen Systemtheorie) kaum zu verstehen sind. Zudem hätte den Herausgebern auffallen müssen, dass der Artikel von Sabine Peer Case Management nur am Rande behandelt (was sehr schade ist, weil man gerne erfahren hätte, wie die Case-Management-Prozesse im Krankenhaus strukturiert sind).
Interessant findet der Rezensent die Fallbeschreibung von Christine Körber-Martin. Sie beschreibt recht anschaulich die Möglichkeiten und Grenzen von Case Management, setzt sich auf der Fallebene klare und erreichbare, auf der Systemebene bescheidene und eher unspezifische Ziele, erhebt und bewertet Daten, reflektiert Akteurskonstellationen, ist anschlussfähig an wohlfahrtsstaatliche Diskurse, zeigt deutlich die Problematik von Beratungen bei Eltern mit behinderten Kindern, demonstriert Versorgungs- und Steuerungsprobleme – kurz: Die Falldarstellung wäre ein wunderbarer Aufhänger, manche etwas abgehobene wissenschaftliche Theorien zu „erden“. Die Verbindung von der Theorie und der Praxis, eine mit Theorien reflektierte Fallarbeit und auf konkrete Fälle angewandte Wissenschaft – wenn man eine Schwäche sucht, ist sie dort. Aber man muss ja die Schwächen nicht suchen, sondern kann sich darüber freuen, dass eine Hochschule ein Thema wie „Case Management“ so prominent besetzt.
Fazit
Die Zuordnung zu einer Zielgruppe ist, wie gesagt, schwierig. In diesem Buch wird aber sicher der fündig, der Erstinformationen über Case Management sucht. Vor allem aber wird deutlich, dass die Katholische Hochschule Mainz beim Thema „Case Management“ eine Adresse mit großen Potenzialen ist.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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