Adolf G. Coenenberg, Thomas M. Fischer et al.: Kostenrechnung und Kostenanalyse
Rezensiert von Prof. Dr. Mathias Graumann, 30.01.2013

Adolf G. Coenenberg, Thomas M. Fischer, Thomas Günther: Kostenrechnung und Kostenanalyse. Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH (Stuttgart) 2012. 8., überarb. Auflage. 948 Seiten. ISBN 978-3-7910-3188-0. 39,95 EUR.
Thematik und Zielsetzung
Das vorliegende Lehrbuch ist seit über 20 Jahren am Markt präsent und versteht sich deshalb zu Recht als etabliertes Standardwerk für Studium, Weiterbildung und Praxis. Es werden alle Aspekte des internen Rechnungswesens behandelt, die zum Pflichtbestandteil jeder betriebswirtschaftlichen Ausbildung gehören. Hierbei wird der außerakademische Bereich ausdrücklich eingeschlossen.
Die Titulierung soll das Anliegen zum Ausdruck bringen, neben einer Einrichtung einer eher dokumentarisch ausgerichteten Kostenrechnung insbesondere auch Antworten auf praxisrelevante Fragen der Steuerung, Planung und Kontrolle im Rahmen eines umfassenden operativen Controllings zu liefern.
In der vorliegenden Neuauflage wurden zusätzlich spezielle Kostenrechnungen wie Materialfluss- oder Gesundheitskostenrechnung erörtert. Zudem wurde ein Abschnitt über angloamerikanische Konzeptionen von Management Control als Pendant zum deutschsprachigen Controlling-Konzept eingefügt. Außerdem wurde ddas Werk um die Themen Bestimmung von Preisgrenzen, Projektdeckungsrechnung, Analyse der Prozessfähigkeit und Shared Service Centers erweitert; die Diskussion zur Kostenremanenz wurde ergänzt, um nur einige Erweiterungen zu nennen.
Der umfangreiche Apparat an Fallbeispielen und Übungsaufgaben wurde aktualisiert. Im Downloadbereich des Werkes werden dem Leser hierzu Lösungsvorschläge zur Verfügung gestellt.
Autoren
- Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Adolf G. Coenenberg ist emeritierter Professor an der Universität Augsburg und Honorarprofessor an der Business School der EBS Universität für Wirtschaft und Recht.
- Prof. Dr. Thomas M. Fischer hat den Lehrstuhl für BWL, insbesondere Rechnungswesen und Controlling an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg inne.
- Prof. Dr. Thomas Günther hat den Lehrstuhl für Betriebliches Rechnungswesen und Controlling an der Technischen Universität Dresden inne.
Aufbau
Im ersten Teil des Buches wird das Grundgerüst des Kostenrechnungssystems entwickelt. Kapitel 1 setzt den Rahmen für das Verständnis der Kostenrechnung in Form einer Herleitung der Aufgaben des betrieblichen Rechnungswesens und des Controllings. Die traditionellen Bausteine der Vollkostenrechnung, Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung, werden in Kapitel 2 bis 4 abgehandelt. Kapitel 4 enthält zudem eine Einführung in die Prozesskostenrechnung sowie die kurzfristige Erfolgsrechnung. Den Verfahren der Teilkostenrechnung widmet sich Kapitel 5. Die Plankostenrechnung nach Voll- bzw. Teilkosten wird in Kapitel 6 abgehandelt. Kapitel 7 stellt schließlich funktionsbezogene Kostenrechnungssysteme dar, u.a. die Logistik, Umwelt- und Dienstleistungskostenrechnung, obwohl man letztere beide im Grunde nicht unter den Funktionsbegriff subsumieren kann.
Die Auswertungsmöglichkeiten der Kostenrechnung für Zwecke der Planung und Kontrolle stehen im zweiten Teil im Vordergrund. Die Kostenrechnung steht naturgemäß in einem inneren Zusammenhang zum Marketing, wobei sie die Herstellersicht abbildet. Aus diesem Grund befassen sich die Kapitel 8 bis 10 folgerichtig mit betrieblichen Entscheidungen über Produktion, Produktprogramm und Preissetzung. Kapitel 11 und 12 widmen sich der Analyse von Soll-Ist-Abweichungen im Rahmen von Bereichen und Projekten. Verfahren zur Kostenprognose werden in Kapitel 13 vorgestellt und insoweit die Planungsfunktion des Controllings ausgefüllt. Nach Ansicht der Autoren sind als unverzichtbare Bestandteile des Controllings anzusehen das Management des Kostenniveaus und der Kostenstruktur sowie das Management der Erfolgsfaktoren Qualität und Zeit. Entsprechende Verfahren werden in Kapitel 14 bis 17 behandelt.
Der dritte Teil widmet sich den besonderen Problemen der Kostenrechnung bei Unternehmen mit divisionaler Organisationsstruktur (Spartenorganisation). Als solche gelten insbesondere Mechanismen zur Verrechnung der Kosten der Zentralbereiche auf die Sparten (Kapitel 18), Verfahren zur Performancemessung des Gesamtunternehmens und deren Herunterbrechen auf die einzelnen Sparten (Kapitel 19 und 20) und schlussendlich die Entwicklung und Implementierung eines integrierten Planungs- und Budgetierungssystems (Kapitel 21).
Inhalt
Kapitel 1 stellt den Begriff, die Ziele, Ebenen und Instrumente des betrieblichen Rechnungswesens dar. Herausgestellt werden naturgemäß die Finanzierungs- (Cashflow-) Rechnung, Bilanz und GuV sowie die Kostenrechnung. Eine Differenzierung der Perspektiven – insbesondere die Fähigkeit zu einer Unterscheidung der jeweiligen Bestands- und Stromgrößen – ist für eine nachfolgende Einzelbetrachtung der Ebenen wie auch eine integrierende Implementierung in der Praxis unabdingbar. Sodann wird die Weiterentwicklung des Rechnungswesens zu einer umfassenden Controlling-Konzeption dargelegt. In diesem Rahmen werden auch die Spezifika der deutschsprachigen und angloamerikanischen Controlling-Konzeption differenziert.
Aufbauend auf einen Überblick über Systeme und allgemeine Zurechnungsprinzipien der Kostenrechnung und eine Differenzierung des Kostenbegriffs wird in Kapitel 2 die Überleitung der Erfolgskonten der Finanzbuchhaltung auf eine Kostenartenrechnung geschildert. Den kostenrechnerischen Spezifika – der Kalkulation von Anders- und Zusatzkosten – wird breiter Raum eingeräumt. Kapitel 3 widmet sich der Überleitung in eine Kostenstellenrechnung durch zusätzliche Integration einer organisatorischen Komponente – Kostenstellenbildung und Quantifizierung der innerbetrieblichen Leistungsströme. Es verwundert, dass dieses Kapitel recht knapp gehalten ist, da die Inhalte aus der Lehrerfahrung des Rezensenten heraus oftmals von Studierenden als anspruchsvoll empfunden werden. Im Anschluss werden in Kapitel 4 die Verfahren der Kostenträgerrechnung auf Stückbasis (Kalkulation) und auf Zeitbasis (kurzfristige Erfolgsrechnung) dargestellt. Aufgrund der bekannten Problematik der betrieblichen Fehlsteuerung durch Zuschlagssätze werden zwei diese behebenden Verfahren,
- die Bezugsgrößenkalkulation und
- die Prozesskostenrechnung
in allen verbreiteten Ausprägungsvarianten entwickelt. Im Hinblick auf ihre Aktualität wäre der Prozesskostenrechnung auch ein eigenes Kapitel zu gönnen gewesen. Gleichwohl werden die zentralen Praxisimplikationen – Allokationseffekt, Komplexitätseffekt und Degressionseffekt – prägnant herausgestellt.
Die eigentliche Mutation der Kostenrechnung zum Controlling vollzieht sich durch die Kostenauflösung und den Übergang zur Deckungsbeitragsrechnung. Dies ist Inhalt des Kapitels 5. Es werden alle Formen – absolute und relative Deckungsbeiträge sowie die mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung – ausgiebig erörtert. Der Kostenplanung auf Voll- und Teilkostenrechnung und dort insbesondere der Abweichungsanalyse widmet sich Kapitel 6. Abgerundet werden die Darlegungen des ersten Teils durch Besonderheiten der Kostenrechnung in den Bereichen Logistik, Umwelt/Energie sowie Dienstleistungen. Die notwendigen Anpassungen bedienen sich insbesondere des Konzepts der Prozesskostenrechnung (Kapitel 7).
Auf Basis der Deckungsbeitragsrechnung werden in den Kapiteln 8 bis 11 die zentralen Fragestellungen des Marketing-Controllings behandelt. Dies sind
- das Controlling der Kapazitätsauslastung mit Hilfe der Break-even-Analyse und der Sensitivitätsanalyse für den Ein- und Mehr-Produkt-Fall bis hin zur Berücksichtigung von Unsicherheit,
- die Produktplanung unter Berücksichtigung von Opportunitäts- und Transaktionskosten,
- die Preisplanung ohne Engpass bzw. beim Vorhandensein von einem oder multiplen Engpässen sowie bei veränderlichen Kapazitäten, schließlich die Quantifizierung von Erfahrungskurveneffekten sowie
- das Controlling von Ergebnisabweichungen.
Diese Abschnitte setzen allerdings gehobene mathematische Methodenkenntnisse wie das Logarithmieren und das lineare Programmieren voraus.
Kapitel 12 führt in Techniken des zeit- und kostenorientierten Projektcontrollings ein. Vorrangig geht es um Weiterentwicklungen der Abweichungsanalyse; in funktionaler Hinsicht wird das Forschungs- und Entwicklungs- sowie Produktionscontrolling mit ingenieurwissenschaftlichen Bezügen hervorgehoben. Verfahren der Kostenschätzung vor dem Hintergrund kurzfristig abzugebender Aufträge behandelt Kapitel 13, die entsprechenden Ausführungen tangieren allerdings stark technisches Hintergrundwissen.
Zurück in die wirtschaftswissenschaftliche Sphäre führt Kapitel 14 mit dem Kostenmanagement von Produktinnovationen. Das hierfür relevante Verfahren stellt die Zielkostenrechnung dar. Es werden alle Prozessstufen ausführlich beschrieben inkl. zugehöriger Verfahren der Marktforschung und Konzepten möglicher Kostenreduktionen. Die Methodik wird in ein integrierendes Konzept zur Optimierung der Wertschöpfung von Unternehmen eingebettet. In inhaltlicher Nähe hierzu steht die Produktlebenszyklusrechnung, die eine erweiterte Perspektive der gesamten Verweildauer einer Leistung am Markt verfolgt. Hierbei werden die Hersteller- und die Konsumentensicht gesondert analysiert (Kapitel 15).
Dem Controlling der wesentlichen Erfolgstreiber Qualität und Zeit widmen sich die Kapitel 16 und 17. Eine maximale Qualität muss nicht die optimale sein, und letztere kann nicht allgemeingültig bestimmt werden. Somit bedarf es integrierender Verfahren zur Steuerung des Qualitätsniveaus und zu dessen Sicherung. Die Verfahren leiten in ein umfassendes Qualitätsmanagement über. Hieran anschließend werden Verfahren zum Management von Durchlaufzeiten unter Berücksichtigung von deren Kosten- und Erlöswirkungen erörtert.
Der dritte und letzte Teil des Werkes widmet sich den Steuerungsproblemen divisional organisierter (Konzern-) Unternehmen. Kapitel 18 erörtert die auf Schmalenbach zurückgehende Bildung von Verrechnungspreisen. Es werden marktpreis- und kostenorientierte Verfahren unterschieden. Für Konzerngebilde geeignete Verfahren werden gesondert diskutiert.
In Kapitel 19 werden wertorientierte Kennzahlen zur Performancemessung und -steuerung auf Basis von Ergebnis- und Cashflow-Größen entwickelt. Hierbei wird auch zur nachhaltigen Anreizverträglichkeit der Kennzahlen Stellung bezogen. Die Darlegungen münden in Anregungen zur Gestaltung ganzer Anreizsysteme vor dem theoretischen Hintergrund der Prinzipal-Agenten-Theorie. Basierend auf den Vorüberlegungen erfolgt in Kapitel 20 die Ableitung von Kennzahlen der wertorientierten Planung und Kontrolle, so z.B. des Free Cashflow, Economic Value Added oder des Cashflow Return on Investment. Es werden entsprechende Werttreiber identifiziert und die Anreizverträglichkeit geprüft. Abschließend werden in Kapitel 21 Möglichkeiten eröffnet, einzelnen Geschäftsbereichen Finanzmittel durch dezentrale Budgetierungsverfahren zuzuweisen.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich insbesondere an Studierende an Universitäten und Hochschulen sowohl der Wirtschaftswissenschaften als auch anderer Disziplinen, insbesondere der Natur- und Ingenieurwissenschaften, Rechts- und Geisteswissenschaften. Daneben sind auch Absolventen oder Praktiker angesprochen, die ihr Wissen über die Anwendungsgebiete der Kostenrechnung aktualisieren oder vertiefen wollen.
Diskussion und Fazit
Das vorliegende Werk bietet eine sowohl theoretisch geschlossene als auch außerordentlich praxisnahe und anschauliche Darstellung der Ziele und Instrumente der Kostenrechnung. Das durchgängige Beispiel eines Rennradherstellers im ersten Teil und viele weitere Übungsbeispiele tragen gut zur Veranschaulichung der umfangreichen und komplexen Erstellungsschritte bei.
Neben der Erfüllung dieses Primärziels bietet das Lehrwerk eine Reihe weiterer Mehrwerte.
Hervorzuheben sind die stetigen Verweise auf Rechnungslegungsvorschriften der IAS/IFRS und US-GAAP, welche kostenrechnerische Prinzipien häufig stärker verwirklichen als nationales Recht. Somit werden dem Leser die Prinzipien und vor allem die Unterschiede der unterschiedlichen Rechtssystematiken quasi en passant vor Augen geführt. Zudem wird, wenn thematisch möglich, stets eine Brücke geschlagen zu Prinzipien und Maßgrößen der wertorientierten Unternehmensführung, z.B. in Bezug auf die Kapitalkosten.
Als positiv ist schließlich hervorzuheben, dass jedenfalls nach der Darstellung der traditionellen Bausteine der Kostenrechnung deren planerische und dispositive Funktion herausgehoben wird. Dem Leser wird verdeutlicht, dass die Kostenrechnung kein Selbstzweck ist, sondern den Kern des operativen Controllings bildet. Insoweit geht das vorliegende Werk weit über ein reines „Kostenrechnungsbuch“ hinaus. Es ist ein umfassendes Nachschlagewerk für alle rechnungswesenorientierten Fragen der kennzahlgestützten Unternehmensführung. Einige Kapitel verlangen allerdings eine gewisse technische Affinität oder/und gehobene mathematische Kenntnisse.
Das Werk ist ein „Klassiker“, der in allen Teilbereichen stets auf dem aktuellsten Stand von Wissenschaft und Praxis gehalten wurde. Seine Lektüre ist in jeder Hinsicht gewinnbringend und empfehlenswert.
Rezension von
Prof. Dr. Mathias Graumann
Professor für Rechnungslegung, insbesondere Controlling, Kosten- und Leistungsrechnung, Steuer- und Wirtschaftsprüfung, Hochschule Koblenz, RheinAhrCampus Remagen, Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
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