Irmhild Poulsen: Stress und Belastung bei Fachkräften der Jugendhilfe
Rezensiert von Prof. Dr. rer. soc. Angelika Groterath, 18.01.2013
Irmhild Poulsen: Stress und Belastung bei Fachkräften der Jugendhilfe. Ein Beitrag zur Burnoutprävention. Springer VS (Wiesbaden) 2012. 119 Seiten. ISBN 978-3-531-19587-2. D: 29,95 EUR, A: 30,79 EUR, CH: 37,50 sFr.
Thema
Das ist ein kleines (112 Seiten mit vielen Grafiken und Tabellen), aber aussagekräftiges Buch über Belastungen in der Jugendhilfe, in dessen Zentrum die Ergebnisse einer Befragung von 100 Fachkräften aus diesem Bereich stehen. Da die Berufsgruppe der psychosozialen Fachkräfte diejenige ist, die laut Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen von 2010 (nach Poulsen, S. 19) mit großem Abstand zu anderen Berufsgruppen am stärksten von psychischer Erkrankung betroffen ist, ist das Thema außerordentlich relevant.
AutorIn oder HerausgeberIn
Prof. Dr. phil. Irmhild Poulsen hat 20 Jahre als Sozialpädagogin in der Jugendhilfe gearbeitet, war 10 Jahre lang Professorin an Hochschulen für Soziale Arbeit und leitet heute ein Institut, das sich mit Burnoutprävention und Stressbewältigung insbesondere bei Fachkräften aus psychosozialen Arbeitsfeldern beschäftigt. Dass die Autorin das Tätigkeitsfeld, um das es hier geht, sehr gut kennt, nicht nur aus Praxis und Lehre, sondern auch aus Fortbildungen für Fach- und Führungskräfte, wird erfrischend deutlich.
Entstehungshintergrund
Bei der Befragung, die hier durchgeführt wurde, handelt es sich um ein Forschungsprojekt, das durch die Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde. Das allerdings geht erst aus dem Anhang (Texte des postalisch versandten Anschreibens und des E-Mail-Anschreibens) hervor.
Aufbau
In zwei kurzen Kapiteln wird knapp, aber präzise in das Thema eingeführt. Informationen und Daten zu Stress und Burnout finden sich in Kapitel 2.
Auf die besonderen Herausforderungen an Fachkräfte in der Jugendhilfe – nicht nur, aber auch § 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung – wird in Kap. 3 eingegangen.
Die Schilderung von Untersuchungsansatz und -design in Kap. 4 gerät noch kürzer (3 Seiten).
Im Zentrum stehen in Kap. 5 und 6, S. 33-98, die Ergebnisse der Befragung.
Das Kap. 7 „Allgemeine Zusammenfassung und Schlussfolgerungen“ könnte den Zusatz ‚und Empfehlungen? enthalten: Die Autorin schöpft hier aus ihrer Praxiserfahrung und appelliert nicht nur an die Sozialpolitik (7.7), was dringend notwendig erscheint, sondern gibt auch interessante Tipps und Hinweise zur persönlichen wie auch betrieblichen/institutionellen Burnoutprävention.
Inhalt
Irmhild Poulsen hat einen Fragebogen entwickelt, der neben Angaben zur Person und Fragen nach beruflicher Tätigkeit, Arbeitsverhältnis etc. fast ausschließlich offene Fragen enthält, und ihn bundesweit an Fachkräfte aus der Jugendhilfe verschickt. Anonymität war durch das Verfahren selbst (Ausfüllen von Word-Dokumenten und Rücksendung) nicht gewährleistet, wurde aber zugesichert. Dass bei einem derartig sensiblen Procedere in kürzester Zeit ausgefüllte Fragebögen zurückkamen – Poulsen hatte 50 anvisiert, konnte nun aber 100 auswerten – spricht sowohl für die Reputation der Autorin wie auch dafür, dass die Fachkräfte aus der Jugendhilfe froh darüber waren, (endlich?) einmal gefragt zu werden nach dem, was sie belastet. Es spricht auch dafür, dass die ungewöhnliche Form der Untersuchungsmethode, ein Fragebogen mit offenen Antwortkategorien, als Word-Dokument auszufüllen, hier die passende war.
In den Ergebnissen zeigt sich, dass strukturelle wie auch personenbezogene Mängel wahrgenommen und als belastend empfunden werden und dass die Situation insgesamt wohl als ‚bedenklich‘ bezeichnet werden kann. Der Personalmangel scheint drastisch. Zeit- und Termindruck sind zu hoch – wie auch die Fallzahlen. Die Überlastung der großen Mehrheit der Befragten wird deutlich. Zu den Hauptanliegen der Befragten – für 30 von 100 an erster Stelle – gehört neben struktureller Entlastung eine Forderung, die es verdient, hier genannt zu werden, wirft sie doch auch ein Licht nicht nur auf die monetäre Geringschätzung sozialer Berufe, sondern auch auf die Kultur des Umgangs der Arbeitgeber und Führungskräfte in psychosozialen Arbeitsfeldern mit ihren MitarbeiterInnen: „Ein ehrliches Lob würde schon gut ankommen!“ (die Aussage einer Fachkraft, S. 65). Und „... in dieser Branche ist es üblich, Geben als Selbstverständlichkeit anzusehen.“ (S. 65). Auch Irmhild Poulsen liegt dieser Punkt ‚Mehr Lob!‘ besonders „am Herzen“, wie sie in ihrer Diskussion feststellt (S. 106f): „Weshalb ist es in unserer Profession so schwierig, ein anerkennendes Wort, ein ehrlich gemeintes Lob auszusprechen?“ (S. 106). Ob dieses Manko nun allerdings „der Profession“ zugeschrieben werden kann, müsste genauer geklärt werden. Hier hat die Autorin die ihr vorliegenden Daten nur begrenzt genutzt: Es wäre sicher sinnvoll gewesen, einen Vergleich im Hinblick auf die verschiedenen Arbeitgeber zu machen: Gilt diese Unkultur des Umgangs mit MitarbeiterInnen in gleicher Weise für den Öffentlichen Dienst, das „Amt“, wie für Träger sozialer Leistungen? Und gibt es Unterschiede zwischen diesen? Mit Kontingenztafeln/Kreuztabellen wäre ein solcher Vergleich, zumal bei einem n von 100, leicht möglich.
Diskussion
Das Buch von Irmhild Poulsen ist trotz einiger Unklarheiten bei der Darstellung der Untersuchungsmethode („Für die Auswertung habe ich mich an das gleiche Auswertungsdesign meines letzten Forschungsprojekt gehalten“, S. 33, ???) sehr informativ und lesenswert und auch sehr gut zu lesen. Die Sprache ist klar. Die Autorin weckt durch passend ausgewählte und gut platzierte Zitate der Befragten, ein eher journalistischer Stil, durchgängig Interesse. Die Wahl der Methode, die es in der Tat verdient hätte, noch ein wenig ausführlicher beschrieben zu werden, ist mutig, vereint sie doch quantitative und qualitative Daten bzw. Items – vielerorts, wenn nicht in den Sozialarbeitswissenschaften selbst, so doch in den noch immer dominanten ‚Bezugswissenschaften‘ und bei ihren VertreterInnen auch an Fachbereichen der Sozialen Arbeit, noch ein wissenschaftliches „No Go“. Unzweifelhaft ist, dass wir durch die Untersuchung von Irmhild Poulsen weit mehr über Stressoren und Belastungen in der Jugendhilfe erfahren, als wir durch eine rein quantitative Befragung oder durch wenige sorgfältig ausgewertete qualitative Interviews erfahren würden. Die Verbindung von Wissenschaft und Praxis ist evident – wie auch die Erfahrung der Autorin in beiden Bereichen.
Fazit
Ein lesenswertes und gut verständliches kleines Buch, dessen Lektüre Studierenden der Sozialen Arbeit wie auch ihren Lehrenden und PraxisanleiterInnen empfohlen ist. Es bleibt zu hoffen, dass es auch von EntscheidungsträgerInnen in der Sozialpolitik zur Kenntnis genommen wird und sollte entsprechend platziert werden.
Rezension von
Prof. Dr. rer. soc. Angelika Groterath
Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin, Professorin für Psychologie des Studiengangs Soziale Arbeit Plus - Migration und Globalisierung am Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt.
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Es gibt 13 Rezensionen von Angelika Groterath.
Zitiervorschlag
Angelika Groterath. Rezension vom 18.01.2013 zu:
Irmhild Poulsen: Stress und Belastung bei Fachkräften der Jugendhilfe. Ein Beitrag zur Burnoutprävention. Springer VS
(Wiesbaden) 2012.
ISBN 978-3-531-19587-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14314.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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