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Michael Macsenaere, Klaus Esser: Was wirkt in der Erziehungshilfe?

Rezensiert von Anne-Laura Weißleder, Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner, 22.03.2013

Cover Michael Macsenaere, Klaus Esser: Was wirkt in der Erziehungshilfe? ISBN 978-3-497-02325-7

Michael Macsenaere, Klaus Esser: Was wirkt in der Erziehungshilfe? Wirkfaktoren in Heimerziehung und anderen Hilfearten. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2012. 160 Seiten. ISBN 978-3-497-02325-7. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 28,50 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-497-02562-6 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Der Begriff der Erziehungshilfe umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Dazu zählen als stationäre Settings neben der Heimerziehung auch die Vollzeitpflege oder als ambulante Angebote die Familienhilfe oder soziale Gruppenarbeit. Jedes Jahr nehmen etwa 509.000 Kinder und Jugendliche die verschiedenen Möglichkeiten der Erziehungshilfen in Anspruch (vgl. S. 7). Bis vor etwa 15 Jahren gab es allerdings kaum Studien zur Wirksamkeit der Hilfen. Um eine höhere Effektivität und Erfolgsquote für die einzelnen Hilfeformen zu erreichen, ist es notwendig, Faktoren festzulegen, die zum Erfolg der Hilfen maßgeblich beitragen. Die AutorInnen Macsenaere und Esser fassen in ihrem Buch „Was wirkt in der Erziehungshilfe?“ die Ergebnisse bisher vorliegender wirkungsorientierter Studien zusammen.

Autoren

Prof. Dr. rer. nat. habil. Michael Macsenaere, Dipl.-Psych., ist Direktor des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) und des „Centrums für angewandte Wirkungsforschung“ in Mainz und lehrt an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Köln und der Hochschule Niederrhein.

Dr. paed. Klaus Esser, Dipl.-Heilpädagoge, Erziehungswissenschaftler, ist Leiter des „Bethanien Kinder- und Jugenddorfes Schwalmtal“, außerdem Vorstandsmitglied des Bundesverbands katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e.V. (BVkE).

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in die fünf Abschnitte

  1. Einführung
  2. Was ist Wirkung in der Erziehungshilfe?
  3. Was wirkt in der Erziehungshilfe?
  4. Wie wirken die einzelnen Hilfearten?
  5. Zusammenfassung und Perspektiven

Macsenaere und Esser setzen sich in der kurzen Einführung vorwiegend mit dem Begriff Erziehungshilfe auseinander. Um möglichst deutlich werden zu lassen, was sich alles hinter diesem Begriff verbirgt, ziehen sie die rechtlichen Grundlagen zu Rate. Es ergeben sich aus den §§ 27-35 SGB VIII neben der stationären Hilfeformen Heimerziehung und Vollzeitpflege die ambulanten Angebote, zu denen die Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsbeistände und BetreuungshelferInnen, intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung sowie soziale Gruppenarbeit zählen. Daneben gibt es noch die teilstationären Angebote Erziehungsberatung und Tagesgruppe. Alle diese Angebotsformen werden im Buch hinsichtlich ihrer Wirksamkeit inhaltlich erörtert.

Zuvor klären die Autoren, was Wirkung in der Erziehungshilfe bedeutet. Hierfür setzen sie Wirkung in Zusammenhang mit Qualität bzw. Qualitätsentwicklung. Das bisherige Fehlen von bundesweit anerkannten Standards und auch von Qualitätsnachweisen in den Erziehungshilfen stellt ein Defizit dar, welches die Wirkungsforschung bearbeitet. Was genau sie mit dem Begriff Wirkung meinen, definieren Macsenaere und Esser folgendermaßen: „Die Bezeichnung Wirkung zielt auf das Verhältnis eines Impulses zu einem Zustand vor Eintreten des Impulses. Der Impuls ist dann wirksam, wenn der Zustand sich nach seinem Eintreten verändert hat und wenn davon ausgegangen werden kann, dass das nachherige Anders-Sein auf den Impuls zurückzuführen ist. Wirkung ist damit als das Resultat eines durch einen ursächlichen Impuls hergestellten bzw. sichtbar gemachten Kausalzusammenhangs anzusehen.“ (S. 12)

Im dritten Abschnitt befassen sich die Autoren mit den Faktoren, die zur Wirkung in der Erziehungshilfe beitragen. Das Kapitel beschreibt elf Faktoren, die nicht nur für einzelne Hilfeangebote gelten, sondern den Erfolg aller Hilfearten erhöhen. Diese Faktoren sind:

  • Passung
  • Ausgangslagen
  • Indikation
  • Sozialpädagogische Diagnostik
  • Case Management
  • Ressourcenorientierte Hilfeplanung
  • Partizipation
  • Kooperation
  • Hilfedauer
  • Elternarbeit
  • Wirkungsorientierte Steuerung

Im vierten Abschnitt beschreiben Macsenaere und Esser die unterschiedlichen Hilfearten im Einzelnen. Von allen Hilfearten ist die Heimerziehung diejenige, die wissenschaftlich bisher am gründlichsten untersucht wurde. Die zentralen Faktoren, die hinsichtlich der Wirksamkeit im Buch aufgezählt werden, sind: Hilfedauer, Beziehungsqualität, Bindungsperson, Persönlichkeit und Qualifikation der Professionellen. Zusammenfassend kann man die Wirkfaktoren der Heimerziehung so beschreiben, dass unter Berücksichtigung von bisherigen Lebenserfahrungen der Klientel sowie von Ressourcen und Problemen, die mitgebracht werden, ein stabiles neues Lebensumfeld geschaffen werden muss, in dem es den Kindern und Jugendlichen gelingen soll, neue verlässliche Beziehungen und Bindungen aufzubauen. Die Hilfe sollte nachhaltig ausgerichtet werden, sodass die KlientInnen am Ende die Betreuung gefestigter verlassen, neue Bewältigungsstrategien erlernt haben und auf diese Weise selbstständig ihren Lebensweg mit einer eigenen Perspektive bestreiten können.

Im Gegensatz zur Heimerziehung ist die intensive pädagogische Einzelbetreuung – vor allem die Inlandsmaßnahmen – weniger erforscht. Für die besser untersuchten Auslandsmaßnahmen können einige Wirkfaktoren festgemacht werden. Es ist demnach wichtig, dass die betreuende Person ausreichend qualifiziert ist und Kenntnisse über das Gastland hat. Außerdem ist es bedeutend für den Erfolg der Hilfe, dass das Angebot von Beginn an zeitlich begrenzt wird und die Reintegration vorab geplant wird.

Auch bezogen auf die Hilfeform der Vollzeitpflege bedarf es weiterer Untersuchungen. Bisher werden sechs qualitative Aspekte betont, die vor allem mit der Bindungsforschung im Zusammenhang stehen: Es ist von großer Wichtigkeit, dass eine Bindungsperson für das Kind verfügbar ist und die Familie das Kind annimmt. Weiterhin ist es bedeutend, die Signale des Kindes feinfühlig zu beantworten und als „sichere Basis“ das Spielinteresse des Kindes zu unterstützen. Auch sollten die Bindungspersonen in der Lage sein, Gefühlsausbrüche der Kinder unterstützend zu regulieren. Zuletzt betonen die Autoren die Wirksamkeit bindungsorientierter Beratungs- und Schulungsansätze.

Tagesgruppen gehören zu den jüngeren Hilfeangeboten. Diese Hilfeform arbeitet meist mit stabilerer Klientel, vor allem bezogen auf das familiäre Umfeld. Empirische Befunde liegen bisher zu den Wirkfaktoren Elternarbeit, Verhaltenstherapie und Hilfedauer vor. Als ambulante Erziehungshilfe zielt die Sozialpädagogische Familienhilfe durch Unterstützung der Eltern darauf ab, eine Herausnahme der Kinder zu vermeiden. Familienhelfer besuchen ihre KlientInnen zu Hause und können so im alltäglichen Leben der Familien wirken. Bei dieser Hilfeform ist für die Wirksamkeit vor allem die Dauer bedeutsam. Im Gegensatz zur Sozialpädagogischen Familienhilfe befasst sich der Erziehungsbeistand oder ein/ BetreuungshelferIn mit den jungen Menschen. Auch zu dieser Hilfeform liegen kaum belastbare Forschungsergebnisse vor. Bisher wurde herausgefunden, dass der größte Erfolg bei einer Hilfedauer von 18-24 Monaten erreicht wurde.

Soziale Gruppenarbeit ist eine über lange Zeit gewachsene, aber noch wenig verbreitete Hilfeform. Sie richtet sich vorwiegend an Kinder und Jugendliche im schulfähigen Alter. Bislang liegen allerdings keine empirisch fundierten Studien zur Effektivität und den Wirkfaktoren dieses interessanten Angebots vor. In Bezug auf die Erziehungsberatung, deren Aufgabe die Unterstützung für alle in individuellen oder familienbezogenen Problemen ist, belegen die bislang vorliegenden Studien eine ausgeprägte Erfolgsquote und hohe Effizienz. Allerdings sehen die Autoren viele dieser Studien als methodologisch unzulänglich an.

Im letzten Abschnitt blicken Macsenaere und Esser auf die Perspektive verschiedener Bereiche, die zuvor im Buch besprochen wurden. So erwarten sie beispielsweise interessante Entwicklungen in der pädagogischen Methodik oder auch eine Veränderung in der Ausbildung der Fachkräfte. Des Weiteren sehen sie einen Forschungsbedarf in den Fachrichtungen der Bindungs- und Traumaforschung sowie Prävention und Nachbetreuung.

Diskussion und Fazit

Macsenaere und Esser gelingt es als erfahrene Autoren, einen äußerst hilfreichen Überblick über die Angebote der Erziehungshilfen zu verschaffen. Auch Personen, die sich in der Hilfelandschaft des SGB VIII nicht gut auskennen, können sich so orientieren und über einzelne Hilfeformen informieren. Die im ersten Abschnitt eingeführten Begriffsklärungen veranschaulichen die Bedeutung des Begriffs Wirkung und dessen Relevanz für verschiedene Instanzen sehr gut. Vor allem der Fokus auf Wirkfaktoren, die nicht nur für ein einzelnes Hilfeangebot von Bedeutung sind, sondern übergreifend für alle Erziehungshilfen die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen, gelingt den Autoren. PraktikerInnen wie WissenschaftlerInnen können aus dieser Zusammenstellung großen Nutzen ziehen.

Die Bewertung der einzelnen Hilfearten nach ihrer Wirkung zeigt auf, wie lückenhaft der aktuelle Forschungsstand in vielen Bereichen noch ist. Dies ist auf der einen Seite ernüchternd, da sich LeserInnen – gerade aus der Praxis – für bestimmte Hilfearten neue Erkenntnisse aus dem Buch erhoffen, auf der anderen Seite sollte diese Tatsache WissenschaftlerInnen und Forschungsförderungseinrichtungen dazu anregen, die Wirkungsforschung weiter auszubauen und empirisch belastbare Ergebnisse auf diesem Gebiet zu liefern. Das Buch stellt daher einen gelungenen Überblick über bisherige Errungenschaften wie auch künftige Aufgaben dar und ist insofern geeignet für PraktikerInnen, ForscherInnen und Studierende aller psychosozialer Aufgabengebiete.

Rezension von
Anne-Laura Weißleder

Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner
Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit für den Arbeitsbereich Psychosoziale Diagnostik und Intervention an der Alice Salomon Hochschule Berlin
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Zitiervorschlag
Anne-Laura Weißleder, Silke Birgitta Gahleitner. Rezension vom 22.03.2013 zu: Michael Macsenaere, Klaus Esser: Was wirkt in der Erziehungshilfe? Wirkfaktoren in Heimerziehung und anderen Hilfearten. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2012. ISBN 978-3-497-02325-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14397.php, Datum des Zugriffs 07.12.2024.


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