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Marc E. Agronin: Psychotherapie mit älteren Menschen

Rezensiert von Prof. Dr. Meinholf Peters, 26.07.2013

Cover Marc E. Agronin: Psychotherapie mit älteren Menschen ISBN 978-3-87387-844-0

Marc E. Agronin: Psychotherapie mit älteren Menschen. Wertschätzende therapeutische Beziehungen aufbauen. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2013. 320 Seiten. ISBN 978-3-87387-844-0. 34,90 EUR.

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Thema und Autor

Ich gebe zu, ich bin skeptisch an das zu besprechende Buch heran gegangen. Ich dachte, es gibt doch einige deutschsprachige Bücher, die in das Thema einführen, warum brauchen wir ein weiteres, aus dem Amerikanischen übersetztes Buch, kann das etwas Neues bringen? Neugierig wurde ich aber, als ich mich etwas mehr mit dem Autor befasst habe, der beileibe kein unbeschriebenes Blatt ist. Er ist Arzt und Professor für Psychiatrie und hat zusammen mit G.J. Maletta ein schwergewichtiges Buch mit dem Titel „Principles and Practice of Geriatric Psychiatry“ (Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins, 2006) herausgegeben. 2008 wurde er von der American Association for Geriatric Psychiatry zum Kliniker des Jahres gekürt. So wurde denn meine Neugierde geweckt, herauszufinden, was er zum Thema Psychotherapie Älterer zu sagen hat.

Aufbau und Inhalt

In der Einführung werden insbesondere einige Facetten der Entwicklungspsychologie des Alters dargestellt, da findet man nichts Neues. Im folgenden interessanten Teil schildert Agronin anhand von vier Punkten, warum die Alterspsychotherapie etwas Besonderes ist, und wie man scheitern kann, wenn diese Besonderheiten unberücksichtigt bleiben. Er beschreibt, zu welchen Fehlschlüssen Unwissenheit über Altersprozesse führen kann, welche Verwechslungen entstehen können, wenn es Therapeuten nicht ausreichend gelingt, sich in Ältere hinein zu versetzen, welche Folgen Vorurteile gegenüber Älteren haben können oder was geschieht, wenn altersbedingte Veränderungen ignoriert werden. All das ist nicht neu, der Neueinsteiger findet hier aber ausreichend Belege, warum sich jeder Therapeut, der Ältere behandelt, als Alterspsychotherapeut qualifizieren sollte

Dann gibt es einen Teil, indem die Erstuntersuchung und der Beziehungsaufbau geschildert werden, schließlich einen Teil, in dem es um die Arbeit mit betreuenden Personen geht, ein Aspekt, der natürlich bei Betagten besonders wichtig wird. Der folgende Teil über Störungsbilder ist weniger interessant, dort findet man das Bekannte, für den Einsteiger aber gut lesbar und informativ zusammen gefasst. Der beste Teil des Buches, der auch den fortgeschrittenen Leser anzusprechen vermag, befasst sich mit den verschiedenen Therapieformen. Hier werden zunächst zwei längere Fälle geschildert, die dann im Hinblick auf verschiedene therapeutische Zugangsmöglichkeiten untersucht werden: Psychodynamische Psychotherapie, Interpersonelle Therapie, kognitive Verhaltenstherapie, Problemlösetherapie, Reminiszenz-Therapie, Paar- und Familientherapie. Diesen, sehr anschaulichen Teil des Buches habe ich als besonders bereichernd empfunden.

Das Buch endet schließlich mit einer Analyse der neunten Entwicklungsphase, die Erikson zusammen mit seiner Frau am Ende seines Lebens seinem Modell hinzugefügt hat und wie diese Überlegungen therapeutisch zu nutzen sind. Dass Therapie auch am Ende des Lebens eine unverzichtbare Hilfestellung sein kann, wird hierzulande noch viel zu wenig wahrgenommen.

Diskussion

Nachdem ich das Buch nun gelesen habe, muss ich meine Skepsis aufgeben, vielleicht nicht ganz, aber doch zu weiten Teilen. Es ist in dem Stil vieler amerikanischer Bücher geschrieben, sehr breit, oft redundant, weniger um wissenschaftliche Fundierung bemüht. Das wirkt manchmal etwas oberflächlich, hat aber den Vorteil, dass es gut zu lesen ist. Man wird jedoch verleitet, etwas selektiv zu lesen, da vieles bekannt oder redundant ist. Dennoch hat es das Buch geschafft, meine Aufmerksamkeit zu wecken, und es gab nicht wenige Stellen, an denen ich mich mehr in den Text vertieft habe, als ich es zuvor angenommen hatte. Das Buch zeichnet sich zunächst einmal durch zwei Merkmale aus.

  1. Es ist nicht schulengebunden, sondern berücksichtigt verschiedenste therapeutische Richtungen. Das es dennoch nicht eklektisch wirkt, hat mit seiner Praxisorientierung zu tun, wodurch sich manche Unterschiede weniger klar abbilden als in der Theorie, zumal dann, wenn es um Ältere geht.
  2. Der zweite Aspekt ist, dass es sich vornehmlich auf Hochaltrige bezieht. Das empfinde ich als einen großen Vorteil, da diese Gruppe bei allen Fortschritten, die die Alterspsychotherapie in den vergangenen Jahren zu verzeichnen hat, bislang weitgehend außen vor geblieben ist. Manchmal geht er vielleicht sogar zu einseitig von dieser Gruppe aus, als ob an einigen Stellen ein negatives, defizitäres Altersbild durchscheint, wenn er etwa feststellt, dass sichergestellt werden müsse, dass ein älterer Klient zur Therapie gebracht werden könne. Nun ist es ja keineswegs so, dass alle Älteren zur Therapie gebracht werden müssten, eigentlich sind es die wenigsten. Doch dabei spielt eine Rolle, dass der Autor selbst in einem Altenheim tätig ist und dort offenbar auch viele Klienten rekrutiert. Das ist eine Konstellation, die bei uns undenkbar wäre, in den USA aber offensichtlich möglich ist. Dieser Hintergrund ist in allen Abschnitten des Buches zu bemerken, etwa wenn der Autor immer wieder auf die kognitiven Defizite von Patienten hinweist, was ihn aber keineswegs davon abhält, eine Psychotherapie zu beginnen, und genau das ist das erfrischende und ermutigende, warum ich das Buch auch empfehlen möchte.

Die vielen Fallbeispiele, die das Buch durchziehen, lassen erkennen, dass der Autor vor nichts zurückschreckt, und das ist sehr positiv gemeint.

Fazit

Insgesamt ein lohnenswertes und empfehlenswertes Buch insbesondere für Einsteiger, in Teilen aber auch für Fortgeschrittene.

Rezension von
Prof. Dr. Meinholf Peters
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Es gibt 2 Rezensionen von Meinholf Peters.

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ISSN 2190-9245