Johannes Münder, Thomas Meysen et al. (Hrsg.): Frankfurter Kommentar zum SGB VIII
Rezensiert von Prof. Dr. Renate Oxenknecht-Witzsch, 12.06.2013
Johannes Münder, Thomas Meysen, Thomas Trenczek (Hrsg.): Frankfurter Kommentar zum SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2013.
7., vollst. überarb. Auflage.
959 Seiten.
ISBN 978-3-8329-7561-6.
60,00 EUR.
Reihe: NomosKommentar.
Herausgeber und Autoren
Die Herausgeber und Autoren sind ausgewiesene Fachleute des Kinder- und Jugendhilferechts.
Thema
Das Buch ist ein Kommentar zum Kinder- und Jugendhilferecht (Sozialgesetzbuch VIII). Die Neuauflage des Werkes berücksichtigt insbesondere das neue Bundeskinderschutzgesetz, das am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist. Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) ist ein sog. Artikelgesetz, dessen Art. 1 ein neues Gesetz enthält, das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Art. 2 des BKiSchG enthält zahlreiche Änderungen des SGB VIII, die einen besseren Schutz für Kinder vor Kindeswohlgefährdungen erreichen sollen. Das KKG wird im Anhang zu § 8b (S. 139 – 163) erläutert.
Zahlreiche Fälle von Kindeswohlgefährdungen in den letzten Jahren trotz einer Reihe von gesetzlichen Neuregelungen, wie das KICK (2005), das KiWoMAG (2008) wie auch das FamFG (2009), veranlassten den Gesetzgeber weitere Regelungen zum Kinder- und Jugendschutz zu erlassen.
Aufbau und Inhalte
Wie bereits erwähnt, ist das Werk ein Kommentar. Ein Kommentar ist eine juristische Literaturgattung, in der ein Gesetzeswerk, wie hier das SGB VIII-Kinder- und Jugendhilferecht, Paragraf für Paragraf erläutert wird. Demzufolge ergibt sich die Gliederung des Buches aus der Systematik des Gesetzes, d. h. von § 1 bis § 105. Das Kinder- und Jugendhilferecht stellt eine Konkretisierung des Wächteramts des Staates aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) dar. Das SGB VIII ist in 10 Kapitel gegliedert.
Kapitel 1 beinhaltet die Allgemeinen Vorschriften, zu denen der Gesetzgeber auch den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a) und die neue Regelung „Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen“ (§ 8b). Im Anhang zu § 8b werden die 4 Paragrafen des KKG erläutert.
Kapitel 2, Leistungen der Jugendhilfe, stellt den Kern des SGB VIII als Sozialleistungsgesetz dar und umfasst Leistungen der Jugendarbeit, der Kindertagesbetreuung, die wichtigste Einzelhilfe, die Hilfe zur Erziehung (§§27ff) sowie die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche.
Das 3. Kapitel, Andere Aufgaben der Jugendhilfe, regelt die Aufgaben, bei denen das Jugendamt auch als Eingriffsbehörde tätig wird, wie Inobhutnahme, Erteilung von Erlaubnissen, Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren, Beistandschaft, Vormundschaft, Pflegschaft.
Kapitel 4 regelt den Sozialdatenschutz für den Bereich des SGB VIII als Konkretisierung von § 35 SGB I (Sozialgeheimnis) und §§ 67ff SGB X.
Kapitel 5 beinhaltet die Regelungen über die Träger der Jugendhilfe und über die Zusammenarbeit zwischen Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe.
Kapitel 6 regelt zentrale Aufgaben und bildet mit §84 die Grundlage für den Jugendbericht,, der Anfang 2013 zum 14. Mal vorgelegt wurde.
Kapitel 7 bis 10 regeln die Bereiche Zuständigkeit und Kostenerstattung, Kostenbeteiligung, Kinder- und Jugendhilfestatistik sowie Straf- und Bußgeldvorschriften.
Der Kommentar enthält als Anhang: Verfahren und Rechtsschutz (S. 883-905), eine systematische Einführung und Darstellung des Sozialverwaltungsverfahrens einschließlich des Rechtsschutzes gegen Entscheidungen des Jugendhilfeträgers (Widerspruch und/oder Anfechtungs-/Verpflichtungsklage. Ausgehend vom Grundsatz Legitimation durch Verfahren werden die Aufgaben des Jugendamts als Sozialleistungsträger des SGB VIII, die Grundsätze des Sozialleistungsrechts (SGB I) sowie die elementaren Regelungen des Sozialverwaltungsverfahrens (SGB X) sowie der Verwaltungskontrolle und des Rechtsschutzes (VwGO) systematisch, gut verständlich und mit weiteren Hinweisen zu Rechtsprechung und Literatur zur weiteren Vertiefung erläutert. Für Fachkräfte der Sozialen Arbeit, wie auch für Studierende ist dieser Anhang eine wertvolle Hilfe, der die Aufgabe des Jugendamts als Teil der Exekutive und als Sozialleistungsträger verdeutlicht.
Als weitere Hilfe zur Nutzung und Orientierung dient das 48 seitige Stichwortverzeichnis (S. 907-955), das differenziert den Weg zu den jeweiligen Erläuterungen führt.
Diskussion
Im Hinblick auf die Neuauflage des Buches nimmt die Kommentierung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung einen breiten Raum ein. Die Änderungen des § 8a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) sowie der neu eingefügte § 8b (Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen) sowie im Anhang zu § 8b die neuen §§ 1- 4 KKG (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz) werden systematisch dargestellt, kritisch gewürdigt und für die Praxis werden Handlungsansätze aufgezeigt. Die Bedeutung der neuen Regelungen, die eine Konkretisierung des Wächteramts des Staates aus Art. Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz darstellt, wird anschaulich durch die Formulierung „Die Regelung zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung bietet ein Geländer für sozialpädagogisch-fachliches Handeln im JA und bei den Trägern von Einrichtungen und Diensten“ (§ 8a, Rz. 7, S. 115).
Die einzelnen fachlichen Schritte, wie Beurteilen, was gewichtige Anhaltspunkte sind, wie z. B. Gefährdungseinschätzung, Durchführung eines Hausbesuchs, Beteiligung der Erziehungsberechtigten, Anrufung des Familiengerichts werden umfassend erläutert mit Hinweisen auf weiterführende Literatur und Rechtsprechung. Eine Übersicht zum idealtypischen Verlauf im Umgang mit gewichtigen Anhaltspunkten im Jugendamt (Übersicht 1, S. 127) und bei Leistungserbringern (Übersicht 2, S. 133) fasst die Erläuterung der einzelnen Handlungsschritte noch einmal übersichtlich zusammen und eignet sich als Checkliste zur Überprüfung des eigenen Vorgehens. Es wird deutlich, bei den neuen Regelungen geht es weniger um inhaltliche Neuerungen als um das Hauptproblem im Kinderschutz durch das JA und durch die freien Träger bzw. sonstigen Berufe, wie Ärzte und Hebammen), die Effizienz des Kinderschutzes zu erreichen. Etliche der bekannt gewordenen tragischen Fälle der Kindeswohlgefährdung mit Todesfolge bzw. Kindestötung offenbarten erhebliche Mängel in der Wahrnehmung des Schutzauftrags durch das Ja oder die Einrichtungen.
Mit der Einführung des KKG (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz) wird der Kinderschutzauftrag auch auf andere Berufsgruppen, wie Ärzte, Hebammen, Lehrer und andere (Berufsgeheimnisträger) ausgedehnt. Politische Programme, wie Frühe Hilfen und Koordinierende Kinderschutzstellen (KoKis) wurden gesetzlich verankert. Die Vernetzung und Information der unterschiedlichen Berufsgruppen außerhalb von Jugendamt und Einrichtungen der Jugendhilfe wird als wesentlicher Beitrag zum Schutz vor Kindeswohlgefährdung gesehen. Der Kommentar erläutert die gesetzlichen Ziele und Verpflichtungen. Die Erläuterungen zur Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft belegen, dass die gesetzlichen Regelungen eine Reihe rechtlicher Fragen aufwerfen. Das Buch zeigt die Probleme auf und zeigt Lösungswege.
Ein weiterer Schwerpunkt der Neuerungen des BKiSchG ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und die Einrichtung von Beschwerdemöglichkeiten als Umsetzung der Empfehlungen des sog. Runden Tisches (mit Hinweis auf BT-Drs. 17/6256, S, 16, 23). Die neue Regelung in § 45 (Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung) Abs. 2 Ziff. 3, die für die Erteilung der Erlaubnis zusätzlich verlangt, dass „zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden.“
Die Neuauflage des Buches berücksichtigt über die Einarbeitung und Kommentierung der gesetzlichen Neuerungen des BKiSchG hinaus die Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts durch die Rechtsprechung und Literatur, zum Beispiel hinsichtlich der Umsetzung des Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (2011), § 55 Rz. 39ff.
In der Praxis und Rechtsprechung erhalten Leistungen der Eingliederung für seelisch behinderte Kinder- und Jugendliche (§ 35a) immer größere Bedeutung, nicht zuletzt auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention (in § 35a Rz. 7 erwähnt). Der Kommentar bietet hier einen umfassend Überblick der Anwendung dieser Regelungen, die umfangreiche Kasuistik z. B. zu Teilleistungsstörungen in Abgrenzung zur Schule (§ 35a Rz. 42ff) undvon schulbegleitenden Leistungen, wie Internatsunterbringung u.a. (Rz. 66ff).
Ebenso neu ist die Kommentierung zur Einführung eines Rechtsanspruchs für Kindertagesbetreuung für unter 3 Jährige ab 1. August 2013.
Zielgruppe
Der Kommentar richtet sich an alle diejenigen, die in ihrer beruflichen Arbeit mit dem Kinder- und Jugendhilferecht befasst sind, insbesondere an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jugendämtern, in Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe sowie auch an diejenigen Berufsgruppen, wie Ärzte, Hebammen, Lehrerinnen und Lehrer und andere, die den Schutzauftrag für Kinder und Jugendliche wahrzunehmen haben. Das Buch ist auch für Studierende in Studiengängen der Sozialen Arbeit und für Kindheitspädagoginnen und Kindheitspädagogen ein wichtiges Hilfsmittel der Vertiefung und eine wichtige Quelle für weiterführende Literatur und Rechtsprechung.
Fazit
Mit der Neuauflage des Kommentars wird eine umfassende Kommentierung des am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetzes, einschließlich des darin enthaltenen KKG vorgelegt. Der Kommentar ist damit eine äußerst wertvolle und auch unverzichtbare Hilfe für die Wahrnehmung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe sowie für Forschung du Lehre. Das Preis-Leistungsverhältnis (60 Euro für knapp 1000 Seiten Informationen) erlaubt es, den Kommentar den Fachkräften für die tägliche Arbeit zur Verfügung zu stellen.
Rezension von
Prof. Dr. Renate Oxenknecht-Witzsch
Em. Professorin für Recht mit Schwerpunkt im Arbeits-, Sozial- und Familienrecht an der Fakultät für Soziale Arbeit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Es gibt 44 Rezensionen von Renate Oxenknecht-Witzsch.
Lesen Sie weitere Rezensionen zu früheren Auflagen des gleichen Titels: Rezension 8985 Rezension 4397
Zitiervorschlag
Renate Oxenknecht-Witzsch. Rezension vom 12.06.2013 zu:
Johannes Münder, Thomas Meysen, Thomas Trenczek (Hrsg.): Frankfurter Kommentar zum SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2013. 7., vollst. überarb. Auflage.
ISBN 978-3-8329-7561-6.
Reihe: NomosKommentar.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14465.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.