Bernhard Villmow, Frank J. Robertz: Untersuchungshaftvermeidung bei Jugendlichen
Rezensiert von Prof. Dr. Klaus Riekenbrauk, 28.09.2004

Bernhard Villmow, Frank J. Robertz: Untersuchungshaftvermeidung bei Jugendlichen. Hamburger Konzepte und Erfahrungen. Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2003. 253 Seiten. ISBN 978-3-8258-7073-7. 24,90 EUR.
Einführung in das Thema
Spätestens nach dem 1990 in Kraft getretenen Jugendstrafrechtsreformgesetz wird in allen einschlägigen Lehrbüchern und Kommentaren die Bedeutung der Vermeidung bzw. Verkürzung von Untersuchungshaft bei Jugendlichen in besonderer Weise hervorgehoben. Nach dem Willen des Gesetzgebers und nach der einhelligen Meinung in der Jugendstrafrechtswissenschaft soll lediglich in wenigen Fällen ausnahmsweise Untersuchungshaft angeordnet und vollstreckt werden, wenn sich keinerlei Alternativen zum Wegsperren anbieten. Gleichwohl werden in der Praxis des Jugendstrafrechts nicht nur zu Zwecken der Verfahrenssicherung sondern auch darüber hinaus - entgegen den gesetzlichen Vorgaben - Jugendliche in U-Haft genommen, obwohl die verheerenden Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung der eh schon sehr belasteten jungen Menschen bekannt sind. Deshalb sind Berichte und Untersuchungen über praktische Erfahrungen in Modellprojekten zur Untersuchungshaftvermeidung für alle, die sich z.B. in der Jugendhilfe theoretisch oder praktisch mit diesem Thema beschäftigen, von hohem Interesse.
Inhalt
Das vorgestellte Buch ist das Ergebnis einer Forschungsarbeit zur Evaluation und wissenschaftlichen Begleitung zweier 1998 und 1999 in Hamburg eröffneter Einrichtungen, die unter der Bezeichnung "Intensiv betreute Wohngruppen" (IBW) insgesamt 16 Plätze zur Untersuchungshaftvermeidung und zur stationären erzieherischen Hilfe anbieten. Der Forschungsauftrag bezog sich im Wesentlichen auf die Überprüfung der Entwicklung, Umsetzung und Bewährung des Gesamtkonzeptes, die Zuweisungskriterien hinsichtlich der Klienten sowie die Kooperation zwischen den Einrichtungen und den beteiligten Stellen in Justiz und Jugendhilfe. Der Aufbau und die inhaltliche Gliederung folgen diesem Auftrag:
- Bisherige Erfahrungen mit einzelnen Konzepten der U-Haftvermeidung in Bayern, Thüringen und Berlin
- Das Betreuungskonzept der IBW: Entstehungsbedingungen und Weiterentwicklung von 1998 bis 2001
- Die Bedeutung der IBW im Rahmen der Haftentscheidung und Haftvermeidung bei Jugendlichen in den Jahren 1999 und 2000
- Die Situation der IBW aus der Sicht der internen und externen Beteiligten
- Beschreibung der Probanden und des Verlaufs der Unterbringung in den IBW aus der Sicht der MitarbeiterInnen der IBW, der JugendrichterInnen, der JugendgerichtshelferInnen, des Allgemeinen Sozialen Dienstes.
- Überlegungen und Empfehlungen zur Praxis der Hamburger U-Haftvermeidung.
Wertung
Die Untersuchung von Villmow und Robertz stellt einen wichtigen Beitrag zu der nach wie vor aktuellen Thematik der U-Haftvermeidung dar. Sie erweitert die Reihe der wissenschaftlichen Untersuchungen über derartige Modellprojekte, von denen bislang nur wenige in ihren Konzeptionen und praktischen Erfahrungen ebenso gründlich wissenschaftlich analysiert worden sind, wie das vorliegend geschehen ist. Das Werk ist gut lesbar und nicht mit zu vielen Tabellen überfrachtet. Die am Ende eines jeden Kapitels angefügten Zusammenfassungen erleichtern das Verständnis der Untersuchung und seiner Ergebnisse.
Fazit
Das Buch ist uneingeschränkt all denjenigen als wichtige Lektüre zu empfehlen, die in Theorie, Studium und Praxis zu dem Thema der Untersuchungshaftvermeidung arbeiten oder zumindest auch nur am Rande damit zu tun haben und denen es ein wirkliches Anliegen ist, Jugendliche mit all ihren persönlichen und sozialen Belastungen nicht auch noch der weiteren Last der U-Haft zu überantworten. Es bietet Anregungen zu neuen Projekten, die auf den berichteten negativen wie positiven Erfahrungen aufbauen können.
Rezension von
Prof. Dr. Klaus Riekenbrauk
Rechtsanwalt, emeritierter Hochschullehrer an der Hochschule Düsseldorf, Vorsitzender der Brücke Köln e.V.
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