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Helmut Junker: Intersubjektivität und implizites Gedächtnis

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 14.03.2013

Cover Helmut Junker: Intersubjektivität und implizites Gedächtnis ISBN 978-3-95558-007-0

Helmut Junker: Intersubjektivität und implizites Gedächtnis. Reflexionen veränderter therapeutischer Praxis. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2013. 188 Seiten. ISBN 978-3-95558-007-0. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 28,50 sFr.

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„Die Schriften über das Unbewusste sind mit den Wörtern des Bewusstseins geschrieben“

“Es gibt keine mentalen Prozesse ohne Realitätsbezug und ohne Vergewisserung der Wirklichkeit, genauso wie es keine Realitätswahrnehmung ohne Bewusstsein gibt“, das ist eine Erkenntnis, die sich bei dem vielfältigen Suchen nach den Ursachen, Zuständen und Wirkungen von bewusstem und unbewusstem Handeln von Menschen in den verschiedenen Lebenssituationen herausbildet (Lawrence LeShan, Das Rätsel der Erkenntnis. Wie Realität entsteht, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13512.php). Die Forschungen über die menschliche Psyche, besonders wenn es sich um psychoanalytische und -therapeutische Fragestellungen handelt, sind in Bewegung geraten, seit die klassischen Theorien und Therapien Konkurrenz und Kongruenz erhalten (Daniel N. Stern / Nadia Bruschweiler-Stern / Karlen Lyons-Ruth / Alexander C. Morgan / Jeremy P. Nahum / Louis P. Sander, Veränderungsprozesse. Ein integratives Paradigma, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13911.php, sowie: Daniel N. Stern, Ausdrucksformen der Vitalität, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11513.php).

Entstehungshintergrund und Autor

Mit den Begriffsfeldern „explizit – implizit“ kommt zum Ausdruck, dass sich Bewusstsein entweder im bewussten Gedächtnis und Tun artikuliert, oder/und als nichtbewusstes Gedächtnis darstellt. Es ist die immerwährende, ratifizierte oder kontroverse Diskussion darüber, welche positiven oder negativen Wirkungen bei psychotherapeutischen Prozessen zwischen Therapeut und Patient ablaufen, mit welchen Theorien und Methoden zustande kommen oder verhindert werden. In der intersubjektiv orientierten Psychotherapie haben implizite Vorgänge eine besondere Bedeutung.

Der bald 80jährige Psychoanalytiker Helmut Junker hat an der Gesamthochschule Kassel Psychoanalyse gelehrt. In jungen Jahren ist er als Schriftsteller von Jugendliteratur über die Dritte Welt hervorgetreten; später hat er psychologische Romane und Erzählungen veröffentlicht und sich in Fachbüchern über die Geschichte der Psychoanalyse geäußert. Er lebt in Hamburg und hat weiterhin eine Dozentur an der dortigen Akademie für Psychotherapie, Psychosomatik und Psychoanalyse inne. Als „schreibender Therapeut“ sieht er im Rahmen des psychoanalytischen Theorie- und Praxisdiskurses die Schriftlichkeit als eine tragende Säule an. Mit seinen „Reflexionen veränderter therapeutischer Praxis“ unternimmt er eine Standortbestimmung über den (kontroversen) psychoanalytischen Diskurs. Er plädiert dafür, implizite Erfahrungen bei intersubjektiv bestimmten Therapien einzubeziehen und „Toleranz gegenüber dem schwer verfügbaren Grund, dem Nichtverstehbaren im eigenen und im fremden Selbst“ zu üben.

Aufbau und Inhalt

Der Autor gliedert sein (Alters-?)Werk in drei Kapitel.

Im ersten Teil äußert er sich, durchaus biografisch, zur Frage nach dem wissenschaftlichen Hintergrund des Impliziten: den neurobiologischen und entwicklungspsychologischen Grundlagen, der Frage nach den Wurzeln des Impliziten in der Geschichte der Psychoanalyse, um schließlich den aktuellen Diskurs als psychoanalytische Aktualität zu thematisieren. Dabei spannt er den Bogen „vom Gegenwartsmoment zum Jetzt-Moment und Begegnungsmoment“, wie sie sich in den Forschungsarbeiten etwa von Daniel N. Stern zeigen. Dabei nimmt er die in der Psychotherapie durchaus neue Einsicht auf, dass Veränderung „auf gelebter Erfahrung beruht“, was bedeutet, dass es zum verbalen Erklären, Erzählen und Erinnerung auch und vor allem der subjektiv gelebten Erfahrung bedarf.

Im zweiten Teil stellt der Autor „Beispiele aus der Praxis“ vor. Er berücksichtigt dabei die zahlreichen Therapiemethoden, die auf dem Feld der Psychotherapie in den vielfältigen Variationen und Abwandlungen vorhanden sind und praktiziert werden. Es sind Schilderungen über Psychotherapeuten, die im Leben, in der Erinnerung und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung des Autors bedeutsam waren und prägende, weiterführende oder auch umkehrbedürftige Veränderungen bewirkt haben, und auch eigene Erfahrungen mit unterschiedlichen Methoden, etwa dem Interview, der Supervision, u. a., die er protokollarisch vorstellt.

Im dritten Kapitel setzt sich Junker mit Hintergründen auseinander, die in seinem Erfahrungsbericht deutlich werden und zeigt Perspektiven auf, wie das Implizite in der psychotherapeutischen Praxis und kollegialen Reflexion wirksam werden kann. Dabei legt er die Finger in eine Wunde des psychotherapeutischen Feldes: „Der Therapeut arbeitet mit seinem gesicherten Selbst und seinem durchaus entstandenen Wissen und unterlässt den Blick auf den, im absoluten Sinn ‚unverstehbaren‘ Kollegen“.

Fazit

Das Plädoyer von Helmut Junker, in der Psychotherapie Intersubjektivität und implizites Gedächtnis stärker in den Blick und in die Praxis zu nehmen, gründet auf der Aufforderung, die Hindernisse und Gefahren, die sich im Bewusstsein des durchaus notwendigen „Über-Selbst“ zeigen, nicht „wortlos“ zu umgehen, sondern seine „Sicherheit des Selbst“ im Dialog mit Kolleginnen und Kollegen zu überprüfen, sich mit seinen Erfahrungen, Fragen und Problemstellungen auf eine Intervision einzulassen und die fachliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung durch Schriftlichkeit zu ergänzen; denn „gegenüber der Mündlichkeit unter Anwesenden … bietet die Schriftlichkeit eine eigene Chance: Der Ablauf der Zeit wird unterbrochen, wird angehalten, die Gedanken werden so lange ausgemessen, bis sie sich der beabsichtigten Aussage annähern“.

Die Reflexionen Helmut Junkers könnten Diskussions- und Arbeitsmaterial sein für angehende Psychotherapeuten, wie auch für etablierte, die sich in Theorie und Praxis auf den Weg begeben!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1683 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 14.03.2013 zu: Helmut Junker: Intersubjektivität und implizites Gedächtnis. Reflexionen veränderter therapeutischer Praxis. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2013. ISBN 978-3-95558-007-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14553.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.


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