Susanne Kreuer: Auf der Suche nach dem Selbst
Rezensiert von Dr. Juliane Noack Napoles, 22.04.2013

Susanne Kreuer: Auf der Suche nach dem Selbst. Identitätsfindung als lebenslange Aufgabe.
ibidem-Verlag
(Hannover) 2012.
164 Seiten.
ISBN 978-3-8382-0395-9.
D: 19,90 EUR,
A: 20,50 EUR.
Reihe: Ibidem-Sachbuch.
Thema
Der Gegenstand des Buches „Auf der Suche nach dem Selbst: Identitätsfindung als lebenslange Aufgabe“,so die Autorin, sei die Beantwortung der Frage, wie viel Bedeutung den Fragen nach dem eigenen Ich zukomme und warum es eigentlich Sinn mache, sich mit der eigenen Identität oder der anderer Menschen auseinanderzusetzen: „Es geht um die uns alle betreffende grundlegende Frage nach dem Menschsein innerhalb unserer Lebensspanne.“ (S.15)
Autorin
Susanne Kreuer hat Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie studiert und ist als Lehrerin, Pädagogin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Weiterbildnerin tätig. Außerdem ist sie Autorin des Buches „Pferde verstehen: Mit Achtung und Respekt Vertrauen herstellen“.
Aufbau
Das Buch besteht aus acht Kapiteln, die in ein Vorwort und einen Abschlussgedanken eingebettet sind. Die Titel der acht Kapitel sind ihrem Aufbau nach gleich:
- Wie wir uns entwickeln. Oder: Warum werden wir in unserem Lernen gehemmt?
- Wie wir uns verhalten. Oder: Warum werden wir nicht verstanden?
- Wie wir uns in der Welt zurechtfinden. Oder: Warum nehmen wir Rollen ein?
- Wie wir in der Kindheit unser Selbst entdecken. Oder: Warum sind wir von unserer Umwelt abhängig?
- Wie wir in der Jugend rebellieren. Oder: Warum können wir nicht alles bestimmen?
- Wie wir als junge Erwachsene Aufgaben meistern. Oder: Warum müssen wir Entscheidungen treffen?
- Wie wir reifen. Oder: Warum müssen wir auch als Erwachsene noch lernen?
- Wie wir Krisen überleben und Chancen bekommen. Oder: Warum fühlen wir uns geschwächt?
Inhalt und Diskussion
Die Kapitelgestaltung und Überschriftenwahl, sowie die Eröffnung eines jeden Kapitels mit einem Zitat sind vielversprechend und ansprechend. Auch die Idee am Ende eines jeden Kapitels stichwortartig auf einer Seite das Wichtigste zusammenzufassen. Jedoch beginnt schon hier das Problem, nämlich, was ist das Wichtigste eines Kapitels, das relativ unstrukturiert entwicklungspsychologische Zusammenhänge zu einer kaum nachvollziehbaren Abhandlung zu einem mehr oder weniger ersichtlichen Kapitelthema aneinanderreiht? Was entsteht, ist ein oberflächlicher (entwicklungs-)psychologisch-soziologischer Abriss, der vor allem auf Behauptungen basiert, deren Allgemeingültigkeitsanspruch durch die Verwendung des Personalpronomens Wir gesteigert wird. Die Beschaffenheit des Buches lässt keine strukturierte kritische Auseinandersetzung zu, so dass anhand exemplarischer Zitate zumindest auf inhaltliche Schwierigkeiten verwiesen werden soll.
„So ist es unsere Aufgabe als Erwachsene, dass wir beständige Muster entwickeln, die es uns ermöglichen, ein Übergewicht des Urvertrauens gegenüber des Urmisstrauens aufrechtzuerhalten. Dies können wir nur erreichen, wenn wir als Säuglinge die entsprechende mütterliche Pflege und Liebe erfahren haben. Unsere Bindungsfähigkeit als Erwachsene findet hier ihren Ursprung. (Erikson 1998). “ (S.21) Kommentar: Was ist mit dem Begriff „Muster“ gemeint und wie entwickle ich ein solches? Wenn ich dieses nur entwickeln kann, wenn ich mütterliche Pflege und Fürsorge erfahren habe, wie kann es dann eine Aufgabe für (alle) Erwachsene sein? Was hat das mit Bindungsfähigkeit zu tun? Der Verweis auf Erikson suggeriert wissenschaftliche Fundierung. Was jedoch einzig von Erikson stammt, sind die Begriffe Urvertrauen und Urmisstrauen, nicht jedoch der hier versuchte Gedankengang.
„Wer sich schämt, glaubt beobachtet zu werden, und fühlt sich befangen und unsicher. Werden wir als Kinder bewusst beschämt, um uns gefügig zu machen, ist der Grundstein für lebenslange Schuldgefühle gelegt.“ (S.22f) Kommentar: Was hat Scham mit einem lebenslangen Schuldgefühl zu tun? Außerdem stammen die Begrifflichkeiten und der versuchte Gedankengang auch von Erikson ohne als solche ausgewiesen zu sein.
„Die traditionelle Ausbeutung verfeindeter Gruppen hat die Chance durch Identitätsverbindung und durch die Aktivierung neuer Potenziale in eine Gesamtidentität zu fließen (Erikson 1981).“ Kommentar: Was ist damit gemeint, dass die traditionelle Ausbeutung in eine Gesamtidentität fließen soll? Erikson hat derartiges nicht geschrieben.
Außerdem noch einige Zitate, die ich hier unkommentiert lassen möchte, die jedoch den Stil des Buches veranschaulichen:
- „Insbesondere innerlich bedeutsame und betroffen machende – also identitätsrelevante – Ereignisse und Erfahrungen wecken unsere Erklärungsbedürftigkeit.“ (S. 38)
- „Der Berufsfindungsprozess hat seinen Ursprung meist in einer diffusen oder zerstreuten beruflichen Identität, die allerdings durch ausreichend Erfahrung geheilt werden kann.“ (S. 59)
- „Erst durch den Niederriss der Berliner Mauer und die Vereinigung der deutschen Grenze am 03. Oktober 1990 konnte eine innerdeutsche Bedrohung der „Nachbarn“ wesentlich gehemmt werden. Eine neue positive Identität stand im kollektiven Aufbau.“ (S. 66f)
- „Wir alle fordern – ganz gleich welcher Herkunft – gehört, gesehen und erkannt zu werden. Dies zeigt [sic] von unserem tiefen Wunsch nach Anerkennung, Akzeptanz und dem Bedürfnis die unterdrückte Identität wieder ausleben zu lassen.“ (S. 68)
- „Die Realisierung eines neuen sozialen und personalen Identitätsaufbaus ist in der Nachkriegszeit nach 1945 schwierig zu verwirklichen.“ (S. 69)
- „Unser Selbst ist das Ergebnis früher Erfahrungen in Interaktionsprozessen. Es bildet sich in den ersten sozialen Beziehungen und Lernprozessen heraus.“ (S. 77)
- „Unser Gedächtnis bildet sich durch wiederholende Handlungen aus.“ (S. 78)
Fazit
Der Klappentext des Buches suggeriert Susanne Kreuer erkläre wissenschaftliche Hintergründe und Ansätze. Tatsächlich wird das Buch diesem hehren Ziel und Anspruch weder in inhaltlicher noch in sprachlicher oder stilistischer Hinsicht gerecht. Wissenschaftliche Standards, wie das durchgängige Kenntlichmachen der Ideen und Gedanken anderer Autoren oder gedankliche Nachvollziehbarkeit, werden nur unzureichend erfüllt. Insofern wird weder fundiertes Wissen vermittelt, noch gibt das Buch Anlass sich selbst (wieder) zu entdecken und seine Identität zu hinterfragen.
Rezension von
Dr. Juliane Noack Napoles
Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne der Universität zu Köln
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