Anna Winner: Kleinkinder ergreifen das Wort
Rezensiert von Prof. Dr. Eva-Mia Coenen, 31.10.2013

Anna Winner: Kleinkinder ergreifen das Wort. Sprachförderung mit Kindern von 0 bis 4 Jahren.
Cornelsen Verlag GmbH
(Berlin) 2012.
2., überarb. Auflage.
168 Seiten.
ISBN 978-3-589-24775-2.
D: 16,95 EUR,
A: 17,50 EUR,
CH: 27,30 sFr.
Reihe: Frühe Kindheit - Sprache & Literacy.
Autorin
Dr. Anna Winner ist Psycholinguistin und lehrt Psychologie und Pädagogik an der Fachakademie für Sozialpädagogik in München.
Gegenstand und Zielgruppen
Die Autorin vertritt völlig gerechtfertigt die Meinung, dass die Sprachförderung in Kindertagesstätten ein zentrales Thema mit hoher Brisanz war und ist. Einschlägige Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass die soziale Herkunft die Sprachentwicklung im hohen Maße beeinflusst. Rund 30% der Vorschulkinder sind als sprachlich auffällig zu betrachten. (S.8) Der Grundtenor dieses Buches geht in die Richtung, dass die Sprachförderung nicht als Verbesserung der Defizite anzusehen ist, sondern: „Es braucht eine Sprachförderung, die das ganze Kind mit all seinen Fähigkeiten, Schwächen, Ressourcen und Risiken wahrnimmt. Nicht Sprache an sich, sondern Sprache für den Menschen muss im Fokus stehen.“ (S.9)
Zielgruppe
Dieses Buch richtet sich an ein breites Publikum wie Fachkräfte, Studierende der Elementarpädagogik (insbesondere Krippenbereich), bietet aber auch Studierenden der Heil- und Sozialpädagogik, Fachkräften in der Kinder- Jugendhilfe und interessierten Eltern eine Orientierungshilfe für die praktische Umsetzung eines sprachförderlichen Milieus.
Aufbau
Nach Vorwort und Einleitung der Autorin folgen insgesamt 13 Kurzkapitel, wobei auch Fragen zur Selbstprüfung verankert sind. Den Schluss bildet eine angemessene Literaturliste. Das Buch weist folgende Gliederung auf:
- Sprache – eine Begriffsbestimmung
- Ein pädagogischer Blick auf Sprachentwicklung und -förderung
- Das erste Lebensjahr- Kinder entdecken Sprache als Werkzeug der Kommunikation
- Das zweite und dritte Lebensjahr – Kinder entdecken Sprache als Werkzeug der Kognition
- Das vierte Lebensjahr – (mit-) geteilte Erfahrungen in neuer Qualität
- Wauwau und Eiei- Meilensteine in der Sprachentwicklung
- Vom Wort zum Satz – Entwicklung der Grammatik
- Die sprachlichen Kompetenzen der Kinder erkennen und fördern
- Literacy – Schriftkultur auch für Kleinkinder
- Die sprachbewusste Gestaltung des Gruppenalltags – Förderung von Mehrsprachigkeit
- Die Bedeutung der Sprechbewegung für die Sprachentwicklung
- Individueller Entwicklungsweg oder Sprachstörung – was tun, wenn Erwachsene sich Sorgen machen
- Ausblick: Ziele für Sprachförderung überprüfen
Inhaltliche Schwerpunkte und Diskussion
Als Einstieg in die Thematik wird die Begriffserläuterung von Sprache im Kontext des Kompetenzdreiecks Weltwissen- Beziehungswissen und Sprachwissen vorgenommen und anschließend die Sprache als ein Werkzeug für Kommunikation und Kognition sehr prägnant erläutert. In diesem Rahmen gilt es als Grundvoraussetzung, die Kompetenz sich in andere Menschen hineinzudenken zu entwickeln. Als Motor für die Sprachentwicklung wird nicht in einer „abstrakten Begeisterung für Sprachen“ (S.17), sondern die „erlebte(n) Effektivität dieses Werkzeugs für die Bedürfnisregulation und das Denken“ gesehen. (ebd.)
Die Kinder entdecken dabei in den ersten drei Lebensjahren eine Welt voller Werkzeuge, die dazu dienen, sie für eigene Zwecke zu nutzen und umzufunktionieren, wobei quasi die menschliche Stammesgeschichte im „Schnelldurchgang“ wiederholt wird. Der wesentliche Unterschied zur phylogenetischen Entwicklung besteht darin, dass das Erkundungsmaterial von den Erwachsenen zur Verfügung gestellt wird. „Bildung findet in den tagtäglichen Interaktionen vermittelt durch Werkzeuge, Gegenstände und Objekte statt.“ (S. 17f)
Weiterhin wird die Bedeutung der Sprache im Spiel näher beleuchtet, wobei auch die sogenannten „hundert Sprachen der Kinder“ thematisiert und der Fokus auf eine kind- und altersgerechte Sprachförderung gerichtet wird, in der die konstruktivistische Sichtweise also auch das „Neue Bild vom Kind“ gebührend Eingang findet.
Anschließend wird in praxisnaher Form die Sprachentwicklung vom 1.- bis zum 4. Lebensjahr in einer engen Verknüpfung zwischen sprachtheoretischen und sprachpraktischen Ebenen vorgestellt.
Weiterhin zeigen sich in dem vorgelegten Buch auch zum Teil amüsante Facetten der Sprachförderung wie bspw. Grammatikspiele, Zauberwörter, Symbol- und Rollenspiele. Aber auch die wertschätzende Interpretation von Kinderbildern zur Stärkung der Vorstellungskraft wird exemplarisch vorgestellt.
Die Herausforderungen und die Möglichkeiten zur Förderung von Mehrsprachigkeit im Gruppenalltag werden angemessen analysiert und ressourcenorientiert dargeboten.
Anhand des Buches wird deutlich, dass eine normgerechte Sprachentwicklung von entscheidender Bedeutung für die kognitive, emotional-motivationale und soziale Entwicklung der Kinder ist. Deswegen ist wichtig, spezielle Entwicklungsverzögerungen bis hin zu Sprachstörungen zu erkennen und entwicklungsfördernd zu begleiten.
Im Ausblick äußert sich die Autorin noch einmal thesenhaft zu den entsprechenden Schwerpunkten der Sprachförderung, wobei besonders die Aussage zur Individualität der Kinder bekräftigt werden muss, weil viel zu häufig unzulässige Vergleiche von Kindern erfolgen, die Kinder mit langsameren Entwicklungstempo und ihre betreffenden Eltern unangemessen diskriminieren: „Die Kinder haben die Zeit, die Sprache in ihren eigenen Tempo zu entwickeln; sie erhalten die individuelle Zuwendung, die sie brauchen, und die Materialien und Angebote, die sie dafür benötigen.“(S. 163)
Es wird darauf hingewiesen, dass das Buch nicht den Anspruch erheben kann, einen vollständigen Überblick über alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Thematik zu dokumentieren, sondern es soll einen Überblick gegeben werden, der durch weiterführende Literaturhinweise noch vertieft werden kann.
Fazit
Der Autorin legt ein sehr lesenswertes Buch vor. Es gelingt ihr die vielfältigen praktischen Erfahrungen in der Sprachförderung mit dem nötigen theoretischen Anspruch zu verknüpfen. Es werden Einblicke in die sprachliche Entwicklung sowie in Störungen der Kommunikation ermöglicht und Fördermöglichkeiten aufgezeigt, die sowohl für „Profis“, aber auch für Eltern sehr hilfreich sein können.
Rezension von
Prof. Dr. Eva-Mia Coenen
Studienrichtungsleiterin Hilfen für Erziehung an der Staatlichen Studienakademie Breitenbrunn
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Es gibt 19 Rezensionen von Eva-Mia Coenen.