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Ursula Boos-Nünning, Margit Stein (Hrsg.): Familie als Ort von Erziehung, Bildung und Sozialisation

Rezensiert von Dr. Remi Stork, 30.04.2013

Cover Ursula Boos-Nünning, Margit Stein (Hrsg.): Familie als Ort von Erziehung, Bildung und Sozialisation ISBN 978-3-8309-2783-9

Ursula Boos-Nünning, Margit Stein (Hrsg.): Familie als Ort von Erziehung, Bildung und Sozialisation. Waxmann Verlag (Münster/New York/München/Berlin) 2012. 312 Seiten. ISBN 978-3-8309-2783-9. D: 32,90 EUR, A: 33,90 EUR, CH: 44,90 sFr.

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Entstehungshintergrund und Thema

Der Sammelband dokumentiert Vorträge einer Fachtagung zum Thema „Wandel der Familie“. Diese Tagung wurde von mehreren Vereinen veranstaltet, die sich besonders mit Fragen und Herausforderungen der Migration und des interkulturellen Dialogs beschäftigen. Da nach Aussage der Herausgeberinnen ca. 28% aller Familien in Deutschland einen Migrationshintergrund aufweisen, ist die Thematisierung des Zusammenhangs von Familienleben im Wandel und Migration höchst bedeutsam.

Herausgeberinnen

Ursula Boos-Nünning ist em. Professorin für Migrationspädagogik an der Universität Duisburg-Essen.

Margit Stein ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Universität Vechta.

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht aus drei Teilen. Nach der Einleitung wird das Thema „Familie im Wandel“ im ersten Teil theoretisch und empirisch behandelt. Im zweiten Teil geht es um die Leistungen, die in Familien erbracht werden und die Herausforderungen der politischen und institutionellen Förderung von Familien. Im dritten Teil sind Vorträge versammelt, die sich mit den Themen Erziehung, Bildung und Sozialisation in Familien beschäftigen.

Insgesamt ist der Charakter des Buches als Tagungsdokumentation nicht zu leugnen. Insofern bilden die drei o.g. Themenschwerpunkte nur einen losen Rahmen, in dem sehr unterschiedliche, teilweise spezielle Vorträge gesammelt werden. Überraschend ist dabei, dass weder der Buchtitel „Familie als Ort von Erziehung, Bildung und Sozialisation“ noch das Thema Migration durchgehend eine Rolle spielen.

Im ersten Aufsatz gibt Margit Stein einen aktuellen empirischen Überblick zum Wandel der Familie mit dem Fokus auf Familien mit Migrationshintergrund. Sie verdeutlicht die besondere Bedeutung von monoethnischen Ehen und die geringeren Scheidungszahlen bei zugewanderten Familien. Auch die Rollenmuster und die Erwerbstätigkeiten unterscheiden sich von Familien ohne Zuwanderungsgeschichte. Allerdings stellt sie heraus, dass sich Erziehungsverhalten und Erziehungsziele nicht so wesentlich unterscheiden, wie dies häufig in den Medien dargestellt werde. Bedeutsamer als der Migrationshintergrund sei hier das soziale Milieu (Einkommen und Bildungsabschluss) der Familien.

Im zweiten Aufsatz zeichnet Sabine Plonz die historische Entwicklung des Diskurses über Familie im ausgehenden 19. und dem 20. Jahrhundert am Beispiel der evangelischen Kirche nach. Sie bestimmt auf der Basis genauer Untersuchungen zentraler Dokumente (Wörterbücher, Enzyklopädien) und kirchlicher Verlautbarungen vier Phasen, in denen sich der Diskurs über Familie stark verändert hat. Sie beginnt mit der „Konstruktion des Berufs der Mutter und der Ehe“ im 19. Jahrhundert, und dem damaligen breiten Konsens, dass außerhäusliche Erwerbsarbeit von Frauen ein Übel sei. Sie beschreibt die bürgerlich patriarchalische Gesellschafts- und Familienstrukturen, die auch in der Kirche, sogar in den Diakonissenämtern herrschten. Die zweite Phase, die sie ausführlich beschreibt, bezieht sich auf die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts; eine Phase der „semantischen Restauration der Ehe als Ordnung“. Damals wurde insbesondere theologisch argumentiert, dass Ehe und Familienrecht eine göttliche Ordnung widerspiegeln. Erst in der dritten Phase, den 1970er Jahren, beginnt eine kritische Vergewisserung über Geschlechter- und Familienrollen, die schließlich seit Ende der 1980er Jahre in den Diskurs über die Pluralisierung von Lebensformen mündet. Sabine Plonz zieht am Ende ihrer differenzierten und materialreichen Analyse das Fazit, dass „die kirchlich geleistete Arbeit am Symbolischen (zum Thema Familie) … kulturell und über ihre eigenen Grenzen hinaus bedeutsam (ist). Sie interagiert mit wohlfahrtsstaatlichen Entwicklungen, ohne deren Schrittmacherin zu sein.“

Irina Sagel und Jörg Althammer untersuchen in ihrem Beitrag die Einstellung Heranwachsender zu Ehe und Familie. Sie beziehen sich dabei ausschließlich auf eine Stichprobe stark kirchengebundener Katholiken aus Bayern. Die jungen Menschen unterscheiden sich in ihren Einstellungen zur Familie nur unwesentlich von anderen jungen Erwachsenen. Es zeigt sich insofern, dass alternative Lebensformen, egalitäre Geschlechterrollen und die Erwerbstätigkeit von Frauen in dieser Generation auch in traditionellen, kirchlichen Milieus eine breite Akzeptanz genießen.

Der Siegener Soziologe Olaf Behrend beschäftigt sich im nächsten Beitrag mit zwei zentralen Wandlungsprozessen in Bezug auf Familie: der gesellschaftlichen Rationalisierungsdynamik (und ihrer Bedeutung für Familien) und der Autonomisierung der Lebensführung der Familienmitglieder. Er stellt heraus, dass Eltern einerseits zunehmend für die ökonomische Integrationsfähigkeit von Kindern verantwortlich gemacht werden (und sich auch selbst hierfür zuständig fühlen). Andererseits sind sie zunehmend gefordert, gerade in der frühen Sozialisation die Grundlagen für eine autonome Lebensführung zu schaffen (im Sinne autonomer Affektregulation). Insofern gilt für ihn: Familien mit Kindern fühlen sich nicht nur zunehmend unter Druck; sie sind es auch!

Barbara Emser beschäftigt sich mit den Möglichkeiten des Diversity-Managements für eine Förderung von Familien an Hochschulen. Dabei nimmt sie sowohl studierende Eltern als auch Mitarbeitende an Hochschulen als Eltern in den Blick. In beiden Gruppen stellt sich die Vereinbarkeit von Familien und Beruf (bzw. Studium) als besonders schwierig dar.

Margit Stein stellt die Ergebnisse einer Untersuchung zur „Familie als Ort der Werteentwicklung“ dar. Sie bezieht sich auf eine Fragebogenuntersuchung mit einer relativ kleinen Stichprobe an einer bayerischen Schule. Im Ergebnis stellt sie (wenig überraschend) heraus, dass Familien als Ort der Werteentwicklung eine hohe Bedeutung haben. Dabei zeigen sich zwischen Zwei-Eltern- und Ein-Elternfamilien keine gravierenden Unterschiede, wohl aber zwischen mehr oder weniger kinderreichen Familien sowie Zwei- und Drei-Generationenfamilien.

Ursula Boos-Nünning thematisiert in ihrem Aufsatz die unterschiedlichen Bildungsansprüche und deren Realisierung im Vergleich von zugewanderten und einheimischen Familien. Dabei ist überraschend, dass die Bildungsansprüche zugewanderter Familien (anscheinend?) höher sind, als die der einheimischen Familien. Allerdings ist das tatsächlich realisierte Bildungsniveau der Kinder aus zugewanderten Familien wesentlich geringer als in einheimischen Familien. So erreichen in Deutschland nur 3% der SchülerInnen mit türkischem Migrationshintergrund das Abitur!

Canan Korucu-Rieger greift das Thema Bildungschancen und Bildungsverläufe von zugewanderten Menschen auf und dokumentiert das Fallbeispiel einer aus der Türkei zugewanderten Familie über drei Generationen (von 1979 an) hinweg. In den Interviews mit den drei türkischen Frauen wird deutlich, wie die Bemühungen der Frauen um eine Statusverbesserung in der Einwanderungsgesellschaft immer wieder mit familiären und gesellschaftlichen Erwartungen und Herausforderungen kollidieren. Der letztliche Erfolg der dritten Einwanderergeneration ist von den beiden vorigen Generationen hart erarbeitet und vorbereitet worden; es wird deutlich, warum solcher Erfolg bis heute die Ausnahme darstellt.

Diskussion

Der Sammelband bietet für soziologisch und familienpolitisch interessierte Leserinnen und Leser manch hoch interessantes Fundstück. So zeigt die lesenswerte Untersuchung von Sabine Plonz, wie die evangelische Kirche in Diskursen über Familie stets versuchte, patriarchalische Herrschaftsstrukturen und Klassengrenzen in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Recht, Zeitgeist und Theologie zu erhalten bzw. zu modernisieren.

Andere Beiträge thematisieren ähnlich spezielle Fragestellungen zum Wandel von Familien. Nur wenige beschäftigen sich mit Fragen der Migration oder im engeren Sinne mit Fragen der Erziehung, Bildung und Sozialisation, wie der Buchtitel ankündigt.

Eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema Migration und Familie ist absolut sinnvoll und notwendig. Die Einführung von Margit Stein sowie die beiden Aufsätze von Ursula Boos-Nünning und Canan Korucu-Rieger bieten zu diesem Themenfeld einen guten „Aufschlag“.

Fazit

Ein interessanter Sammelband mit teilweise sehr guten, aber überwiegend speziellen Beiträgen zu Fragen der Familie.

Rezension von
Dr. Remi Stork
Professor für Kinder- und Jugendhilfe mit dem Schwerpunkt „Hilfen zur Erziehung“ an der FH Münster.
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Es gibt 27 Rezensionen von Remi Stork.

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ISSN 2190-9245