Gerd Meyer: Lebendige Demokratie. Zivilcourage und Mut im Alltag
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 02.03.2004

Gerd Meyer: Lebendige Demokratie. Zivilcourage und Mut im Alltag. Forschungsergebnisse und Praxisperspektiven. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2004. 304 Seiten. ISBN 978-3-8329-0444-9. 34,00 EUR. CH: 59,00 sFr.
Einführung: Zivilcourage und sozialer Mut
Die Diskussion darüber, wie den Gewalttätigkeiten und der offensichtlichen Gewaltbereitschaft von Einzelnen und Gruppen in unserem öffentlichen, gesellschaftlichen Leben, in Schulen, Betrieben, Lokalen, Familien und auf der Straße, entgegen gewirkt werden kann, ist im Gange. Politikeraufrufe, Empfehlungen von Psychologen, Soziologen, Polizei und Pädagogen füllen die Seiten der Zeitungen, die Zeiten der Medien und den Buchmarkt. Die Vorschläge reichen von "Budo", als Methode der Gewaltprävention (vgl. dazu: Ulf Neumann, u.a., Der friedliche Krieger, 2004; siehe dazu die Rezension im Internetdienst Socialnet), bis zu Rat"schlägen" zum Wegsperren. Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass in dem vielfach aufgeregt und mit dem Tenor der "Untergangs- wie Heilsbringer-Stimmung" geführtem Diskurs objektive Betrachtung und Verhältnismäßigkeit auf der Strecke bleiben.
Zielperspektiven und Inhalte des Buches
Da ist es notwendig, Forschungsergebnisse zur Thematik zu Rate zu ziehen. Prof. Dr. Gerd Meyer, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Tübingen, legt soeben einen Band "Forschungsergebnisse und Praxisperspektiven" mit dem Schwerpunkt "Zivilcourage / sozialer Mut" vor. Er definiert Zivilcourage "als öffentliches Handeln im Alltag, als sozialer Mut in der Lebenswelt der Bürger, als Element der Zivilgesellschaft". Damit sind bereits die Zielperspektiven der Arbeit genannt: Öffentliches Agieren - zivilcouragiertes Handeln - demokratische und partizipatorische Gesellschaft entwickeln. Die drei Arten von Zivilcourage - Eingreifen, sich Einsetzen, sich Wehren - werden bewusst nicht als Eigenschaften von Individuen definiert, sondern als Handlungskompetenzen sowohl von einzelnen Menschen, als auch von Gruppen, Institutionen, Organisationen und Gesellschaften. Über "Zivilcourage" ist, nach Auffassung des Autors, bisher zwar viel geredet und appelliert worden; der Forschungsgegenstand wird jedoch international bisher wenig reflektiert; und die Auseinandersetzung in Deutschland verteilt sich auf mehrere Wissenschaftsdisziplinen, wie Psychologie, Gender Studies, Pädagogik / Sozialpädagogik, Politikwissenschaft / Soziologie, Friedens- und Konfliktforschung, Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Rechtswissenschaft / Wirtschaftsethik. Die Praxisbezüge finden sich in der pädagogisch orientierten Intervention und der politischen Bildung, in bürgerschaftlichem Engagement und in der Kriminal- und Gewaltprävention.
Die systematische, theoretische Begriffsklärung in Kap. II ist notwendig und hilfreich, weil der Begriff sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch wie im wissenschaftlichen Kontext beinahe inflationär benutzt wird und damit Missverständnisse provoziert. Deshalb ist es gut, dass Meyer in den Mittelpunkt seiner Überlegungen die "aktive Verantwortung" des Individuums stellt: "Die Verantwortung für andere sollte immer die Verantwortung für sich selbst mit einschließen, Selbstsorge und Fürsorge für andere sind keine Gegensätze". Die interessanten Fragestellungen, ob Zivilcourage immer politisch sei, zivilcouragierte Haltungen und Handlungen immer individuell oder immer gewaltfrei sein müssen und können, werden diskutiert. Einen breiten Raum nimmt die Auseinandersetzung mit den sozialen und politischen Kontexten ein, in denen sich zivilcouragiertes Handeln und sozialer Mut vollziehen: Die sozialen Orte, wie z. B. Schule und Arbeitsplatz als "öffentliche Räume"; und im "politischen Raum", als ein demokratisches Mittel zur Gesellschaftsstabilität und zum -wandel.
Welche Einflussfaktoren fördern oder behindern Zivilcourage? Diese wichtige, handlungsbestimmende Frage bringt eine Reihe von Exempeln und Situationsschilderungen zu Tage, die, in Schemata gefasst, schlussendlich weiter führen zum Kapitel VI "Wie man Zivilcourage fördern kann". Dabei werden zahlreiche Materialien, Medien, Projekte, Methoden und Trainingseinheiten vorgestellt. Sie bieten in den verschiedenen Kontexten des alltags- und gesellschaftsbezogenen Handelns und Intervenierens im Sinne sozialen und bürgerschaftlichen Mutes ausgezeichnete Ansätze für neues, gemeinschafts-, demokratie- und global-orientiertes Engagement. Das umfassende Literaturverzeichnis gibt einen guten Überblick über die Veröffentlichungen zur Thematik in den letzten Jahrzehnten.
Fazit
Das Buch stellt eine Bereicherung im Diskurs um die politische Beteiligung des Einzelnen wie der gesellschaftlichen Gruppen am Gesellschaftsganzen dar. Studierende, LehrerInnen, PolitikerInnen, SchulbuchautorInnen und politisch wache LeserInnen werden davon profitieren.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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