Franz Will: Teamkonflikte erkennen und lösen
Rezensiert von Dipl.-Pädagogin Bettina Wichers, 08.02.2013

Franz Will: Teamkonflikte erkennen und lösen. Zwischen Emotionen und Sachzwängen.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2012.
216 Seiten.
ISBN 978-3-407-36523-1.
D: 34,95 EUR,
A: 35,90 EUR,
CH: 47,90 sFr.
Reihe: Weiterbildung - Training.
Thema
Gegenstand des Buchs ist der Umgang mit Teamkonflikten und Emotionen von Mitarbeitern.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist die überarbeitete Neuauflage von „Emotionen am Arbeitsplatz – Teamkonflikte erkennen und lösen“ von 2008. Der Autor beschreibt das Buch als einen Praxisbericht, der aus Fallbeispielen aus der Praxis heraus Modelle für Konfliktanalyse und Emotionsmanagement entwickelt.
Aufbau und Inhalt
1 Zwischen Emotionen und Sachzwängen. Mit einigen einführenden Fragen und Antworten bietet der Autor gleich zu Beginn einige Quintessenzen seines Buches an, z.B.: „Wozu muss ich etwas über Emotionen wissen?“ (12). Orientierung am Arbeitsplatz funktioniert mit Hilfe von Emotionen, die als Vorurteile beschrieben werden, die ein jeder hat, die man aber offiziell nicht zugeben will. Intuition ist die „Konzentration unserer Lebenserfahrung“ (19). Krokodile und Nilpferde werden als Synonyme für Verhaltensmuster bei Mitarbeitern eingeführt. Krokodile verhalten sich auffällig und sind gefährlich, Nilpferde verhalten sich auffällig, weil sie ungeschickt sind. Um Schlammschlachten am Arbeitsplatz zu vermeiden, sollte man zwischen diesen unterscheiden können. Dazu dient u.a. eine Checkliste mit Verhaltensmerkmalen und Motiven beider Charaktere, damit man ein Nilpferd nicht unwissentlich für ein Krokodil hält und es falsch behandelt („Warum Sie ein Nilpferd nicht angreifen sollten“, 22f.). Die Stimmungspole mancher (nicht nur) selbstbewusster Mitarbeiter werden zwischen Euphorie und Depression beschrieben. Schließlich folgen Hinweise zum Umgang mit Krokodilen, incl. Checkliste. Einige Tipps beenden das Kapitel als Zusammenfassung, z.B.: Der eigenen Intuition vertrauen, Unterscheidung zwischen Nilpferden und Krokodilen, Einfühlungsvermögen, Wutausbrüche vermeiden.
2 Gesprächsführung „Kritik ohne Angriff“. Die benutzte Kaffeetasse als Konfliktauslöser führt ein in das Thema Teamkonflikte. Eine Tabelle beschreibt einige Reaktionen von Konfliktbeteiligten und erläutert mögliche Ursachen. Wie kritisiert man „uneinsichtige“ Mitarbeiter? Beschrieben werden berechtigte Gründe, warum manche Mitarbeiter die von ihnen erwarteten Leistungen nicht erbringen können (fehlende Ausbildung, Persönlichkeitsstruktur) mit dem Appell, überforderte Mitarbeiter zu beruhigen, zu schützen, ihnen einfachere Aufgaben zuzuweisen – der entstehende Schaden ist geringer als ein Konflikt, der vor dem Arbeitsgericht enden könnte. Dennoch ist der Vorgesetzte in der Pflicht, Kritik zu äußern. Genannt werden fünf übliche Beweggründe für Kritik, wovon nur einer für den Autor berechtigt ist: zukünftige Fehlervermeidung. „Kritik ohne Angriff“ wird beschrieben als Anti-Blockier-System der Gesprächsführung, als Strategie wird Klarheit statt Beschimpfung empfohlen. „Klarheit und Wahrheit“ und „Einfühlung“ – das sind Bedürfnisse „dünnhäutiger“ Mitarbeiter für Orientierung im Berufsleben. Es gilt, zwischen beiden auszubalancieren, eine Tendenz zu nur einer Seite ist nicht zielführend. „Kritik sollte nicht gegen jemanden, sondern für jemanden geäußert werden, Ziel ist es, dass die kritisierte Person ihre Arbeit zukünftig besser erledigen kann.“ (40). Zum Schluss des Kapitels ein Fallbeispiel „junge berufstätige Mutter“ mit drei Verhaltensvarianten des Vorgesetzten, die Anforderungen an die Führungskraft („Systemvoraussetzungen“) und eine Zusammenfassung von „Kritik ohne Angriff“ als knappes Fünf-Schritte-Programm.
3 Nähe und Distanz im Team. Nach knapper Schilderung einiger Aspekte eines Teams wird der Begriff Emotionsmanagement eingeführt. Über Gefühle im Arbeitsalltag und was bestimmte Verhaltensweisen über das Innenleben aussagen können („Wenn Sie Ihren Kollegen für einen Trottel halten, hält er Sie ebenfalls für einen Trottel“, 51), die unterschiedlichen Spielregeln in den Systemen Familie und Arbeitsverhältnis und die Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz in der Arbeit führt der Autor hin zu „Teamflüchtern“ und „Teamsuchern“, deren Verhaltensweisen in einer zweiseitigen Tabelle ausführlich dargelegt werden.
4 Teamflüchter: Distanz zum Team – Egotrip statt Teamgeist. Fünf Typen von Teamflüchtern werden an kleinen Fallbeispielen präsentiert: Der Rolltreppenblockierer, der Spezialist, der weiße Rabe, der Minimalist und der Fall eines kompletten „Team auf Distanz“. Es werden Erkennungsmerkmale und Empfehlungen zum Umgang mit diesen Mitarbeitern gegeben, dazu Beispiele für Einfühlung, Klarheit und Unterstützung beim Emotionsmanagement bzw. dem Konzept „Kritik ohne Angriff“.
5 Teamsucher: Nähe zum Team – Zu hohe Erwartungen an die Gemeinschaft. Auch hier werden Fallbeispiele aufgezeigt für Mitarbeiter der Kategorie „Ich gebe mein Bestes, aber niemand schätzt es!“, der Männer-Frauen-Variante 1: „Ich will doch nur dein Bestes “ bzw. Variante 2: „Für dich mache ich alles!“, schließlich für Konfliktvermeider sowie taktlose Mitarbeiter. Wieder werden Erkennungsmerkmale genannt und Tipps zum Emotionsmanagement gegeben.
6 Nähe und Distanz im Widerspruch. Am Beispiel einer „Bambi“-Kollegin, scheu und mit großen Augen, werden mögliche Hintergründe von Konflikten im Team erläutert, wenn eine Kollegin einen widersprüchlichen Umgang mit Nähe und Distanz im Team pflegt. Zum Thema „Frauen- und Männerteams im Vergleich“ diskutiert der Autor zwei Thesen zum unterschiedlichen Umgang mit Emotionen von Frauen und Männern im Arbeitsleben bzw. zu den Unterschieden von Frauen- und Männergruppen.
7 Leitung und Team. Leitung muss ausgleichen zwischen Nähe- und Distanzwünschen, also Emotionsmanagement betreiben, und gleichzeitig das Arbeitsprozessmanagement im Auge behalten. Dabei gibt es Leitungskräfte, die sich der Aufgabe Emotionsmanagement verweigern, und stattdessen eher zu Kündigungen tendieren, welche zwar ebenso wie Zeitarbeitsverträge die Emotionen aus dem Arbeitsprozess stärker heraushalten, aber auch nicht ohne Risiken sind. Das Thema Macht führt ein in ein Koordinatensystem aus Macht/Ohnmacht und Nähe/Distanz, in dem die Leitungskraft mit Emotions- und Arbeitsprozessmanagement agieren muss. Ausführlich werden in einer Tabelle problematische Haltungen einer Leitungskraft förderliche Haltungen derselben gegenübergestellt. Verschiedene Konfliktszenarien zwischen Leitungskräften und Team schließen sich an: »Ich bin Opfer und das ist auch gut so!“, „Unser Chef ist eine Null und außerdem schätzt er uns nicht“, gefolgt von verschiedenen Darstellungen und Strategien für die Dreierbeziehung aus Leitung, stellvertretender Leitung und Team. Einige Überlegungen zum Neustart nach einer Teamkrise beenden das Kapitel.
8 Emotionale Teambremsen: Strategien für den Umgang mit herausfordernden Teamsituationen werden angeboten bei Abwertungen, Überraschungsangriffen, Schwarzem Peter, unkollegialem Verhalten und Mitarbeitern, die mit Kündigungen drohen, Pseudo-Emotionen, weiterhin zur Burnout-Prävention und bei Mobbing.
9 Checkliste für die Teamdiagnose: Zum Schluss die Diagnostik: Hinterfragen der Arbeitsziele, Statusunterschiede, Effektivität der Teamsitzung und einige andere kleinere Methoden, um das Team besser einzuschätzen: Sprüche auf Kaffeetassen, Stärken-Schwächen-Profile.
Nachwort und ein kurzes Literaturverzeichnis.
Diskussion
Der rote Faden des Buches erschloss sich erst beim zweiten Lesen. Kapitel 1 nimmt vieles vorweg, was später erst ausgeführt wird und ist daher teilweise nicht schnell zu erfassen. Die Orientierung an den Grundprinzipien der humanistischen Psychologie, an den Arbeiten Schulz von Thuns („Klarheit und Wahrheit“ oder in der entlastenden Formulierung „Verstehen heißt nicht akzeptieren!“) und Carl Rogers scheint im gesamten Buch vielfach durch. Etwas irritierend daher die Krokodile und Nilpferde, die zwar schön plakativ beschrieben werden, zum Gesamtkonzept des Buches später aber wenig zugehörig erscheinen und an der Wertschätzung für Mitarbeiter, die der Autor sonst an anderen Stellen zeigt, mangeln lässt: „Ein schwerfälliges Nilpferd als Freund kann auf Dauer sehr lästig werden.“ (22). Hier entsteht der Eindruck, dass rezeptartig für Führungskräfte ein anschauliches Konzept entwickelt wird, mit dem diese ihre Mitarbeiter schnell kategorisieren und „managen“ können
Die Frage, ob eine Führungskraft tatsächlich die Emotionen ihrer Mitarbeiter „managen“ kann, wird nicht gestellt, und der Begriff Emotionsmanagement nicht klar definiert, der zu dem Konzept „Kritik ohne Angriff“ synonym verwendet wird. Etwas Skepsis ist geboten, wenn in Kapitel 1 begründet wird: „‚Kritik ohne Angriff‘ bringt gute Ergebnisse bei ‚emotional instabilen Menschen‘, die es ‚eigentlich gut meinen‘, sich aber ungeschickt beziehungsweise anscheinend irrational verhalten. Sie ist eine auf den Arbeitsalltag angepasste ‚Light-Version‘ der therapeutischen Arbeit mit Menschen.“ (15). Auch wenn der Autor seine Wurzeln in der Sozialarbeit bekennt, scheint es bedenklich, therapeutisch nicht ausgebildeten Führungskräften, für die das Buch geschrieben ist, hier einen therapeutischen Ansatz, wenn auch „light“ anzubieten, dazu noch im Umgang mit „emotional instabilen Menschen“. Hier wird m.E. eine Grenze überschritten, bei der man deutlich zeigen muss, was im Setting von Coaching und Führung noch erlaubt ist, und wo ein therapeutisches Setting beginnt, das eine besondere Qualifikation erfordert. Diese Grenze wird nicht thematisiert.
Analysen und Tipps sind zahlreich, die Fallbeispiele entstammen dem realen Arbeitsalltag. Wenn manche Tipps fast schon banal wirken, muss berücksichtigt werden, dass vieles im Coaching Außenstehenden als Banalität erscheinen mag, in der Intervention dann aber meist sinnvoll ist und äußerst effektiv sein kann.
Dass unter den lediglich 14 weiterführenden Literaturempfehlungen eines explizit die Borderline-Persönlichkeit thematisiert, die im Buch selbst nie genannt wird, gibt etwas Rätsel auf und lässt mich das Buch mit dem gleichen leicht irritierten Gefühl zur Seite legen, wie es sich schon beim Lesen des Anspruchs der Light-Version eines therapeutischen Ansatzes für den Arbeitsalltag zu Beginn einstellte.
Fazit
Das Buch ist für Führungskräfte geeignet, die kurze Analysen und praktische Tipps suchen, wie sie ihre Mitarbeiter besser lenken können. Für Führungskräfte aus dem Sozial- und Gesundheitswesen, die sich bereits mit sozialpsychologischen bzw. gruppendynamischen Konzepten von Konfliktentstehung und -bewältigung, mit der Kommunikationspsychologie Schulz von Thuns oder der klientenzentrierten Gesprächsführung nach Rogers eingehender beschäftigt haben, wird dieses Buch vermutlich einen geringeren Gewinn darstellen – es sein denn, man hat Spaß an bildhaften Darstellungen von innerpsychischen Strukturen und an Checklisten für die Führung von Mitarbeitern.
Rezension von
Dipl.-Pädagogin Bettina Wichers
Gerontologin (M.Sc.), Dipl.-Pädagogin & Coach
CommuniCare. Kommunikation im Gesundheitswesen, Göttingen
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Zitiervorschlag
Bettina Wichers. Rezension vom 08.02.2013 zu:
Franz Will: Teamkonflikte erkennen und lösen. Zwischen Emotionen und Sachzwängen. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2012.
ISBN 978-3-407-36523-1.
Reihe: Weiterbildung - Training.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14645.php, Datum des Zugriffs 05.12.2023.
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