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Hildegard Schicke: Organisation als Kontext der Professionalität

Rezensiert von Prof. em. Dr. Ortfried Schäffter, 20.09.2013

Cover Hildegard Schicke: Organisation als Kontext der Professionalität ISBN 978-3-7639-5109-3

Hildegard Schicke: Organisation als Kontext der Professionalität. Beruflichkeit pädagogischer Arbeit in der Transformationsgesellschaft. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2012. 247 Seiten. ISBN 978-3-7639-5109-3. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR, CH: 46,90 sFr.
Reihe: Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung - Forschung.

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Thema

Das Verhältnis zwischen Organisation und Profession wird durchaus kontrovers diskutiert. Die vorliegende Untersuchung stellt diese noch ungeklärte Problematik in einen transformationstheoretischen Zusammenhang. Sie geht davon aus, dass es sich bei Organisation und Profession um zwei Kategorien handelt, die sich beide in einem historischen Veränderungsprozess befinden. Wen sollte es wundern, dass hierbei auch ihr Verhältnis zueinander einem strukturellen Wandel unterliegt?

Konkreter Anlass und damit Ausgangspunkt der von H. Schicke vorgelegten Klärungsbemühungen war die Programmatik „Selbstorganisierten Lernens“ in den neunziger Jahren, deren Konsequenzen für pädagogische Organisationsentwicklung nun relationslogisch ausgewertet werden. Auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung zum bildungspolitisch motivierten Programm: „Lernkultur: Kompetenzentwicklung“ verschränken sich hierbei die bislang noch getrennten organisationspädagogischen und professionstheoretischen Fachdiskurse. Beide Perspektiven auf Bildung werden somit auf einander beziehbar. Diese Bezugnahme mündet ein in eine wechselseitige Gegenstandsbestimmung. Mit ihr wird jede der beiden Seiten in ihrer Komplementarität zur anderen gefasst und gerade hierdurch erst bestimmbar. Pädagogische Organisation steht damit nicht mehr im Gegensatz zur Professionalität, sondern wird zu einer bedeutungsbildenden Kontextbedingung professionellen Handelns. Zusätzlich bezieht das in der Untersuchung exemplarisch vorgestellte Verfahren seine zeitdiagnostische Erklärungskraft daraus, dass sowohl das Verständnis von pädagogischer Organisation als auch das von Professionalität einer gesellschaftlichen Geschichtlichkeit unterworfen bleibt. Das konstitutive Spannungsverhältnis zwischen einem epochal geprägten Organisationskontext und der Professionalität pädagogischer Handlungsmuster unterliegt somit ebenfalls einem historischen Strukturwandel. Es lässt sich daher eine ständige Transformation im Beziehungsgefüge zwischen Organisation und Professionalität beobachten. Dies wird unter dem Aspekt unterschiedlicher Formen einer „Beruflichkeit pädagogischer Arbeit“ fassbar, die sich mit einem je dazu passungsfähigen Organisationskonzept in Beziehung setzen lassen.

In ihrem methodischen Zugang bietet die Untersuchung von H. Schicke eine relationale Gegenstandsbestimmung von pädagogischer Professionalität in gesellschaftlicher Transformation. Mit dem Konstrukt einer „organisationsgebundenen Professionalität erweitert sie den bisherigen Fachdiskurs um eine prozessual angelegte poststrukturalistische Deutungsperspektive.

Entstehungshintergrund

Das Erfordernis, Organisation und Profession in wechselseitigem Zusammenhang zu deuten, wurde durch die im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts einsetzende „Kompetenzwende“ virulent. Die nun vorgestellten Überlegungen beruhen folglich auf bildungspraktischen Erfahrungen, wie sie zuvor von der Verf. in einer Dissertation [1] empirisch gesondert ausgewertet und publiziert wurden. In ihr ließ sich an pädagogisch begleiteten Prozessen der Organisationsentwicklung in einer Einrichtung beruflicher Weiterbildung ein enges Zusammenspiel transformativer Entwicklungen nachweisen und dies zwischen (1) der berufspraktischen Implementation von Konzepten selbstorganisierten Lernens, (2) einer pädagogisch intendierten Veränderung der Lernkultur und (3) einem damit eng verbundenen institutionellen Wandel der Weiterbildungseinrichtung, deren (4) Verständnis von pädagogischer Organisation daraufhin in Bezug auf ihre maßgeblichen Dimensionen erheblich erweitert werden musste. Der von den Prozessen pädagogischer Organisationsentwicklung ausgelöste professionelle Kompetenzzuwachs ließ sich weder mit den bisherigen organisationspädagogischen, noch den professionalisierungstheoretischen Modellierungen zufriedenstellend darstellen. Die Tatsache, dass weder die an der Institutionalform Schule orientierten Theorien pädagogischer Organisation, noch die am Lehrerberuf orientierten Theorien pädagogischer Professionalisierung geeignet waren, die beobachteten Prozesse organisationsbasierter Kompetenzentwicklung grundlagentheoretisch zu fundieren, lässt sich als Beleg für eine disziplinäre Krise erwachsenenpädagogischer Forschung deuten. Aus ihr begründete sich ein manifester Bedarf an einer kategorialen Neufassung von Organisation wie auch von Profession. Die erforderliche Gegenstandskonstitution wird nun in der vorliegenden Untersuchung mit dem theoretischen Konstrukt einer „organisationsgebundenen Professionalität“ möglich.

Für eine Publikation dieser Überlegungen besonders gut geeignet erscheint hierzu die Schriftenreihe des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung, da in ihr der organisationspädagogische wie auch der professionstheoretische Diskurs über viele Jahre differenziert, wenn auch getrennt von einander geführt wurde. Nun aber können beide in einem kritischen Rückgriff auf frühere Veröffentlichungen explizit zusammengeführt werden.

Zielsetzung und Aufbau

In ihrem Ziel läuft die Untersuchung darauf hinaus, einerseits das bisherige Verständnis von pädagogischer Organisation und gleichermaßen auch das Konzept erwachsenenpädagogischer Professionalität in ihrem Verhältnis zueinander zu klären, um sie daraufhin wechselseitig zu bestimmen. Dies bedeutet, dass zunächst beide Seiten kontingent zu setzen sind. Dieses Erkenntnisziel kommt auch in der Kapitelfolge zum Ausdruck:

  1. Im ersten Kapitel wird in das wechselseitige Bedingungsverhältnis von Organisation und Professionalität als eine noch ungelöste Problematik eingeführt.
  2. Das zweite Kapitel eröffnet in Rückgriff auf den bisherigen Diskursverlauf einen breiten Überblick über unterschiedliche Konzeptualisierungen von dem, was unter „pädagogischer Professionalität“ verstanden werden kann. Es erschließt mit ihrem Verweis auf die jeweiligen „Vokabulare“ spezifische Perspektiven auf Professionalität, an die sich dann ein je besonderes Organisationsverständnis als anschlussfähig erweisen kann.
  3. Im dritten Kapitel wird ein Spektrum von sieben Organisationskonzeptionen an der damit einhergehenden „Beruflichkeit pädagogischer Arbeit“ im Sinne pädagogischer Handlungskontexte entfaltet. Damit wird ein relationales Feld umschrieben, das je besondere Kontextbedingungen für professionelles Handeln bereitzustellen vermag.
  4. Im abschließenden vierten Kapitel wird schließlich pädagogische Professionalität als eine triadische, d.h. relational dreistellige Struktur zwischen Gesellschaft, Subjekt und Organisation konzeptualisiert, die sich in Prozessen gesellschaftlicher Transformation in immer neuen Formen kontextgebunden zu konstituieren vermag. Hiermit gelangt die Arbeit zu einer historischen und prozessualen Gegenstandskonstitution, die eine immer wieder neue Selbstverständigung erforderlich macht und letztlich im Sinne einer offenen Zukunft historisch unabgeschlossen bleiben muss.

Inhaltliche Schwerpunkte

Hinsichtlich einer inhaltlichen Gegenstandsbestimmung von pädagogischer Organisation und Professionalität greift die Studie auf den mittlerweile erreichten Erkenntnisstand in all seiner inzwischen komplexen Ausdifferenzierung zurück. Hierdurch bietet sie den bildungswissenschaftlichen Fachdiskursen Anschluss an den gegenwärtigen Erkenntnisstand. Denn erst in der sich derzeit ausfächernden Diversität unterschiedlicher Perspektiven kann das Konstrukt organisationsgebundener Professionalität überhaupt theoretisch fruchtbar werden.

  • Hinsichtlich pädagogischer Professionalität wertet die Studie systematisch den erwachsenenpädagogisch einschlägigen Diskurs aus. Sie gelangt dabei schließlich zu einer Aspektvielfalt gegensätzlicher „Vokabulare“, die sich in einem systematisierenden Überblick letztlich jedoch auf einander beziehen lassen. Hierbei wird ein relationales Feld wechselseitig auf einander verweisender Theorien erkennbar.
  • Hinsichtlich pädagogischer Organisation bietet die Arbeit die Möglichkeit, ein noch immer auf Formalorganisation verengtes Verständnis in Gestalt einer instrumentalistischen Zweck-Mittel-Relation zu überwinden. Erst im Horizont eines dimensional erweiterten Verständnisses erhält schließlich die Rede von einer spezifisch „pädagogisch“ verfassten Organisation ihren Sinn. Zudem wird das Missverständnis abgewehrt, wonach organisationsgebundene Professionalität notwendigerweise einer utilitaristischen Zwecklogik unterworfen bleibt, wie das z.B. W. Gieseke befürchtet.
  • Ihre Verschränkung erfolgt schließlich über berufstheoretisch angelegte Konzepte pädagogischer Arbeit. Hierzu entwickelt H. Schicke eine reflexionslogische Heuristik emergenter Ordnungsbildung. Durch sie wird man auf die Sozialform einer „individuellen Beruflichkeit“ aufmerksam, die sich als eine aktuelle Antwort auf die Multioptionalität möglicher Berufswege verstehen lässt. Derartige Entwicklungsperspektiven dürften auch außerhalb erwachsenenpädagogischer Forschung wie z.B. in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik auf lebhaftes Interesse treffen.

Ertrag

Auf der Grundlage einer konsequenten inhaltlichen Ausdifferenzierung eröffnet sich in der Arbeit ein relational verknüpftes Feld unterschiedlicher Deutungen. Aus ihm heraus lassen sich historisch und kontextuell gebundene „Figurationen“ (N. Elias) einer je besonderen Relation zwischen Professionalität und Organisation bestimmen und schließlich pädagogisch ausgestalten. Nachvollziehbar wird nun, dass das entscheidende Erkenntnishindernis der vorangegangenen Diskurse in der Unterkomplexität einer substantiellen Gegenstandskonstitution bestand. Man scheiterte daran, dass ein instrumentell reduziertes, damit letztlich aber überholtes Organisationskonzept mit einem historisch bereits obsolet gewordenen Konstrukt berufsständisch gefasster Professionalisierung in Beziehung gesetzt worden war. Aus einem derartigen Konstrukt wurden höchst problematische Schlussfolgerungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Institutionalisierung von Weiterbildung abgeleitet, aber auch in empirischen Untersuchungen legitimiert. Mit der nun vorgestellten Methode relationaler Gegenstandsbestimmung gelingt es, eine solche grundlagentheoretische Engführung zu überwinden. In dieser Hinsicht ist sie in ihrem Ertrag bildungspolitisch von weitreichender Relevanz. Hinter diesen, im Sinne einer conclusio erreichten, Erkenntnisstand sollte daher der professions- und institutionstheoretische Diskurs zukünftig nicht mehr zurückfallen.

Fazit

Die Untersuchung von H. Schicke schließt an einen langjährigen professionstheoretischen Diskurs in der Erwachsenenpädagogik an und greift dabei kritisch seine noch ungelöste Relationierung mit einer pädagogischen Organisationstheorie auf. Sie bietet schließlich mit dem Konstrukt organisationsgebundener Professionalität einen Deutungshorizont, in dem bisherige substantialistische Engführungen überwunden werden. Im Rahmen einer relationstheoretisch angeleiteten Gegenstandskonstitution eröffnen sich dabei neue Forschungsperspektiven, die nicht nur in den Bildungswissenschaften Interesse finden dürften.

Die Studie ist daher allen zu empfehlen, denen es intellektuelle Freude bereitet, wenn ein traditionsreicher Diskurs grundlagentheoretisch „gegen den Strich gebürstet“ und dabei erkennbar wird, wie eine relationale Sicht auf einen zuvor substantiell gefassten Gegenstand zu erfrischend neuen Erkenntnissen führen kann, die zudem von hoher gesellschaftspolitischer Bedeutung sind.


[1] Vgl. Schicke, Hildegard (2011): Organisationsgebundene pädagogische Professionalität. Initiierter Wandel – Theoretisches Konstrukt – Narrative Methodologie – Interpretation. Opladen & Farmington Hills: Budrich UniPress Ltd.

Rezension von
Prof. em. Dr. Ortfried Schäffter
Humboldt-Universität zu Berlin
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Es gibt 5 Rezensionen von Ortfried Schäffter.

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ISSN 2190-9245