Stephanie Witt-Loers: Trauernde Jugendliche in der Schule
Rezensiert von HS-Prof. Dr. Doris Lindner, 05.03.2013

Stephanie Witt-Loers: Trauernde Jugendliche in der Schule. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2013. 136 Seiten. ISBN 978-3-525-77008-5. 14,99 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Trauer begegnet uns in allen sozialen Belangen und Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und obwohl Trauer fester Bestandteil des menschlichen Lebens ist, wird modernes Trauern Teil eines individuellen Trauerprozesses. Fehlende Nähe zum Sterbenden und schwindende, rituell geregelte Trauerbewältigung lassen Tod und Trauer schnell als herausfordernd empfinden. Tritt der Tod nun ein, ist es schwierig, damit umzugehen, denn Verluste werden nicht als Teil des Lebens angesehen, der Umgang damit wird nicht gelernt. Das ruft professionelle Hilfe auch in Form von Orientierungshilfen auf den Plan und insbesondere dann, so scheint es, wenn Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betroffen sind, denn sie sind in ihrer Trauer auf besonderen Halt und Unterstützung angewiesen. Nur wenige Veröffentlichungen innerhalb der stetig wachsenden Zahl an Trauerratgebern zeigen, wie vorliegendes Werk von Stephanie Witt-Loers, konkrete Möglichkeiten auf, Kinder und Jugendliche innerhalb einer der wichtigsten Sozialisationsinstanzen, der Schule, in ihrer Trauer zu begleiten, zu unterstützen oder anzuleiten. Gerade in der Zeit sozialer Bewährungen und großer Veränderungen können kritische Lebensereignisse wie der Tod eines Familienmitgliedes oder Schulfreundes die eigene Verletzlichkeit erhöhen. Im positivsten Fall aber führt die Auseinandersetzung zu einer Integration des Todes in das eigene Weltbild, weshalb auch die den Trauerprozess unterstützenden Personen eine hohe Verantwortung zukommt. Das Buch möchte nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer ermutigen, sondern auch den Fokus auf trauernde Jugendliche in weiterführenden Schulen legen. Sie haben vielfach andere Bedürfnisse und Anliegen; diese zu erkennen braucht zunächst ein Grundwissen und in weiteren Schritten Kommunikation und praktische Hilfestellungen.
Autorin
Stephanie Witt-Loers ist ausgebildete Kinder- und Familientrauerbegleiterin und Trauerbegleiterin in eigener Praxis. Sie unterstützt sterbende Kinder, Jugendliche und Erwachsene, leitet regelmäßig Trauergruppen und ist als Fortbildungsreferentin an verschiedenen Institutionen unter anderem für LehrerInnen, ErzieherInnen, SozialpädagogInnen und Berufsgruppen in sozial helfenden Disziplinen tätig, die in ihrem beruflichen Alltag mit Trauer und Tod in Berührung kommen. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bergisch Gladbach.
Aufbau und Inhalt
Das Handbuch ist neben einleitendem Vorwort, Erfahrungsbericht einer Schülerin und abschließendem Dank in fünf Hauptkapitel eingeteilt.
Kapitel 1 und 2 beginnen mit Erläuterungen grundlegender Begriffe zu Sterben, Tod und Trauer(n) in der Schule sowie Trauerprozessen und Trauerreaktionen von Jugendlichen und deren Besonderheiten. Im anschließenden Kapitel 3 werden Aspekte aufgegriffen, die Begegnungen und den Umgang mit trauernden Jugendlichen in der Schule erleichtern sollen. Kapitel 4 gibt mögliche Trauersituationen in der Schule wider, Kapitel 5 schildert Handlungsoptionen für die Praxis.
Dass ‚Sterben, Tod und Trauer in der Schule‘ (Kapitel 1) besonderer Aufmerksamkeit bedarf, ist unbestritten, verbringen doch Jugendliche sehr viel Zeit an diesem Ort. Trotz dieses großen Zeitpotentials wird dem Trauern in der Schule wenig Raum geboten. Dies kann einerseits daran liegen, dass Lehrer/innen sich nicht genug geschult wissen, um trauernden Jugendlichen Orientierung zu bieten, anderseits sind vielfach auch Scham und Sprachlosigkeit bei Jugendlichen groß, über ihre Trauer zu sprechen. In dieser Altersstufe macht sich auch der in der Regel nicht gelernte Umgang mit schwierigen Lebenssituationen bemerkbar bzw. befinden sich Jugendliche in einer Phase erhöhter Verletzlichkeit und Zeit der Übergänge, die gewohnte Handlungsmuster und Handlungsroutinen in den Leerlauf geraten lassen. Dies führt dazu, dass sie sich häufig mit ihren Gefühlen, Sorgen und Ängsten allein gelassen fühlen. Äußere Bedingungen, wie ein sich wandelnder Umgang mit Trauer(n) in postmodernen Gesellschaften, fehlende Beziehungen oder erschwerte Kommunikation Jugendlicher miteinander kommen belastend hinzu.
In Kapitel 2 ‚Trauerprozesse und Trauerreaktionen‘ werden unterschiedliche Konzeptionen vorgestellt und erläutert: Trauerprozesse, Traueraufgaben, die den Trauerprozess prägen, Trauermodelle sowie Trauerreaktionen Jugendlicher. Bestimmte Einflussfaktoren und die entstandenen Verluste für die Trauerreaktion und ihrer Ausprägung tragen dazu bei, dass Trauer von jedem individuell anders ausgelebt wird. Stirbt eine nahe Bezugsperson, ist das gerade für jungen Menschen eine besonders schwierige Situation, da die Zuwendung und Aufmerksamkeit der Familie, die ja selbst trauert, wegfällt oder auch in anderen Jugendlichen keine Ansprechpartner gefunden werden können. So erlangt die Schule als Lebensraum Bedeutsamkeit als möglicher Ort für Unterstützung und Geborgenheit.
Die ‚Begegnung mit trauernden Jugendlichen‘ (Kapitel 3) kommt daher besondere Bedeutung zu und bedarf in erster Linie eine stärkere Sensibilisierung für Sterben und Tod und eine persönliche Auseinandersetzung mit eigenen Trauererfahrungen. Die eigene Grundhaltung befähigt und erhöht die Bereitschaft, auf den anderen zuzugehen, unterstützend zu agieren und Orientierungshilfen in der Begleitung anzubieten, beispielsweise um Bedürfnisse trauernder Jugendlicher wahrzunehmen, den Ausdruck von Gefühlen anzuregen oder den Verlust begreifbar zu machen.
‚Trauersituationen in der Schule‘ (Kapitel 4) können vielfältiger Art sein – Tod eines nahestehenden Menschen, Tod eines Mitschülers oder Lehrers, Tod nach Krankheit, plötzlicher Tod oder Suizid, Großschadensfälle wie Amok oder Katastrophen; gerade jedoch erschwert die schlichtweg mangelnde Information über erlebte Verluste, dass diese einfach ignoriert werden und das zu beobachtendes Verhalten damit nicht adäquat eingeordnet werden kann. Dies wiegt umso gewichtiger, wenn man Schule als Lebensraum begreift und damit als wichtige Stütze im Bewältigungsprozess.
Das abschließende Kapitel 5 stellt ein breites Spektrum von ‚Handlungsoptionen für die Praxis‘ vor, die individuell angepasst und in konkreten Situationen zu umsetzbaren Lösungen führen können: Wie gehe ich vor, wenn ich eine Todesnachricht überbringen soll, was kann ich tun, um den persönlichen Kontakt zu Angehörigen aufzunehmen oder wie formuliere ich einen Brief nach einem Todesfall sind nur einige der vielen praxisnahen Optionen, die die Autorin der Leserin, dem Leser zur Verfügung stellt.
Diskussion
Trauer stellt ein zentrales Thema dar, das uns alle (be)trifft. Sichere Bindungen und Beziehungen, die von Vertrauen und liebevoller Zuwendung geprägt sind, können Kindern und Jugendlichen Halt geben – insbesondere dann, wenn sie selbst oder ihre Familie in eine Notsituation geraten. Das Buch zeigt, wie wichtig es ist, trauernden Jugendlichen zu begegnen, gerade wenn man Schule nicht als reinen Lernort, sondern auch als wichtigen sozialen Lebensraum begreift. Die Frage ist daher, wie sich Beziehungen, Kommunikation und Interaktionsmuster gestalten sollen, um sie für trauernde Jugendliche nutzbar zu machen. So kann Schule eine Struktur für den Umgang mit Trauersituationen festlegen und durch intern vernetzte Kommunikations- und Stützungssysteme wirksam werden. Einen Mehrwert für die Leserin, den Leser stellen vor allem die vielen Praxisbeispiele und Erfahrungen der Autorin dar, die das Grundwissen und den aktuellen Forschungsstand veranschaulichen, ohne theoretisch zu überfrachten. Neben dieser Fokussierung auf Schule und Jugendliche zeigt das Buch meines Erachtens generell die Notwendigkeit, Tod und Sterben vermehrt öffentlich zu diskutieren, das würde auch eine gesellschaftliche Akzeptanz öffentlichem Trauerausdrucks und Trauerverhaltens fördern, eine Akzeptanz, die Schmerz und Verlustreaktionen den nötigen Raum gewährt ohne zu stigmatisieren oder auszugrenzen. Kinder und Jugendliche nehmen insofern eine gesonderte Stellung ein, da ihre Bedürfnisse sich nicht nur von denen der Erwachsenen unterscheiden, sie müssen auch andere Entwicklungsaufgaben bewältigen. Dementsprechend müssen auch Unterstützung und Beistand in Trauersituationen der individuellen Situation angepasst werden. Dies aufzuzeigen ist ein Aspekt, der der Autorin gelungen ist; es ist ihr aber auch gelungen Wege zu benennen, wie sie im alltäglichen Wirken und Tun angewendet werden können – gerade in schwierigen, sehr dichten und emotionalen Lebenssituationen.
Fazit
Kompakt, anschaulich und hilfreich verdient das Buch besondere Aufmerksamkeit und ist daher als Wegweiser im Umgang mit trauernden Jugendlichen nicht nur für Lehrpersonen empfehlenswert.
Rezension von
HS-Prof. Dr. Doris Lindner
Institut Qualitätsmanagement und Hochschulentwicklung
Private Pädagogische Hochschule Wien/Niederösterreich
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