Peter Schröder: Politiker oder doch „nur“ Mensch?
Rezensiert von Arnold Schmieder, 04.04.2013

Peter Schröder: Politiker oder doch „nur“ Mensch? Wie emotionale und systemimmanente Vorbehalte unsere Politik bestimmen. Diplomica Verlag (Hamburg) 2013. 112 Seiten. ISBN 978-3-8428-9090-9. D: 44,99 EUR, A: 44,99 EUR, CH: 60,00 sFr.
Thema
In dem Maße, wie die Europapolitik für die Bürger ihrem Gefühl nach immer mehr außer Reichweite gerate, würde die politische Nahwelt, die Kommunalpolitik für sie an Bedeutung gewinnen, meint der Verfasser in seinem Vorwort und formuliert damit, was sein kann, aber nicht sein muss. Er unterfüttert sein Argument mit Hinweis auf – zivilgesellschaftliche – Aktivitäten, die um sich greifen, Bürgerinitiativen, denen dank medialer Berichterstattung eine mehr als regionale Bedeutung zukommt. Insofern scheint es durchaus lohnenswert, die kommunale Ebene politischen Handelns näher in Augenschein zu nehmen, was Peter Schröder mit einer Aufbereitung Theorie geleiteter politologischer Arbeiten leistet. Sekundäranalytisch bezieht er empirische Studien ein, die er mit einer eigenen, kleineren Untersuchung anreichert. Aufsattelnd auf einer Strukturanalyse der kommunalen Ebene zeigt er auf, dass in der Struktur selbst Differenzen zwischen den Akteursgruppen angelegt sind, die „durchaus emotionaler Natur“ sind – oder in diese Richtung umschlagen. Mit seiner eigenen Studie verdeutlicht der Autor aber nicht nur, dass es „emotionale Differenzen ob der strukturellen Zusammensetzung gibt und geben muss“, sondern er lokalisiert weitere neuralgische Punkte, eine Gemengelage aus gegenseitigem Misstrauen, hierarchischem Gefälle, gegenstandsspezifischer Überforderung und nicht zuletzt auch Parteiraison. Dies alles wird emotional aufgeladen und wirkt kontraproduktiv im Hinblick auf eine demokratische Gewinnung sachlicher Entscheidungen und Problemlösungsstrategien. Hier sieht Schröder einen „Bedarf an präventivem Handeln mit den einzelnen Akteuren, um so die emotionalen Vorbehalte zu reduzieren und die Kommunen langfristig handlungsfähiger zu machen“ (S. 10), was besonders angesichts einer Zunahme „emotionaler Differenzen zwischen Haupt- und Ehrenamt“ dringlich erscheine. (S. 84) Ziel des Buches sei es, so Schröder, durch Betrachtung und Auswertung theoretischer und praktischer Quellen die modernen Problemfelder zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Akteuren auszumachen sowie diese möglichst präzise zu spezifizieren.“ (S. 11f) Insofern soll seine Studie dazu beitragen, solche Stolpersteine im kommunalpolitischen Tagesgeschäft zu erkennen. Außerdem konturiert der Verfasser weiteren Forschungsbedarf zum Thema und setzt schlussendlich auf Sensibilisierung aller Beteiligten, regt „eine Installation von Experten an entsprechenden Stellen der Kommunen“ an, „welche die für den Prozess wichtigen Arbeitsschritte mit gestalten und begleiten können“, dabei immer auch unter Beachtung von „ortsspezifischen Merkmalen“ (S. 85), wie sie in „Machtkämpfen“, „‚Blockdenken‘“, „Rollenzuweisungen“, „Vorbehalten“ und „Animositäten“ ihrem jeweiligen Ausdruck finden. (S. 11f)
Aufbau und Inhalt
Nach einem Methodenkapitel entfaltet der Autor die ihm belangvoll erscheinenden theoretischen Grundlagen. Generell gibt er zu bedenken, dass strukturell bedingte Problemursachen oft vorschnell und nur vermeintlich durch Umstrukturierung behoben werden, was bestenfalls die Probleme verlagere, nicht aber löse. Hier illustriert er mit einem treffenden Zitat eines römischen Offiziers namens Gaius Patronius, der bereits um 100 n.Chr. die „‚Illusion des Fortschritts‘“ erkannte, die „‚Verwirrung‘“ schaffe, die „‚Effektivität‘“ mindere und „‚demoralisierend‘“ wirke. (S. 15) Diesem Gedanken wird – mit Anleihen bei Bourdieu – entlang der Merkmale von Handlungsmotiven nachgegangen, möglichen ‚Verbessschlechterungen‘, die sich aus vorrangig uneigennützigen Handlungsmotiven ehrenamtlicher Repräsentanten und Handlungszwängen hauptamtlicher Akteure ergeben. Tendenziell unterstellen sich beide Gruppen gegenseitig Unzulänglichkeit, die Ehrenamtlichen verdächtigen den Hauptamtlichen, es mangele ihm an Selbstkritik und altruistischer Handlungsmotivation, er folge den Nötigungen aus seiner Professionalisierung, umgekehrt unterstellt der Hauptamtliche dem Ehrenamtlichen weitgehende Inkompetenz zur Erfüllung seiner Aufgaben. Was im Hintergrund wabert, ist, dass der Hauptamtliche, also Bürgermeister und Verwaltungsangestellte, (auch) seinem Brotberuf nachgeht (wozu beim Bürgermeister eine repräsentative Verantwortung durch seine direktdemokratische Wahl gehört), der Nebenamtliche, das Ratsmitglied, höchstens eine Aufwandsentschädigung bekommt und seine Motivation zwischen Sozialprestige und demokratischer Verantwortung changiert, wobei die Bürgermeister allerdings auch mit 90 % als Motivation für ihre Berufswahl angeben, sie fühlten sich dem „‚Gemeinwohl verpflichtet‘“. (S. 36)
Um zwischen Problemen zu unterscheiden, die sich aus der Struktur der politischen Instanz ‚Kommune‘ ergeben und solchen, die aus (sich verselbstständigenden) Emotionen der Beteiligten herrühren, werden die deutschen Kommunalverfassungen hauptsächlich mit Blick auf Bürgermeisterverfassungen vorgestellt. Hier schon verweist der Verfasser auf seinen internationalen Vergleich; in einem späteren Kapitel wird nämlich das britische „local government“ skizziert, um Vor- und Nachteile gegenüber der deutschen Verfassung zu diskutieren, die unter dem Strich besser abschneide. Zunächst aber wird aufgezeigt, dass die „verfassungsmäßigen Aufgabenverteilungen mit je mehr oder minder scharfer Trennungslinie zwischen dem Bürgermeister und der Gemeindevertretung“ an sich schon, also strukturell, das „Potenzial für Kompetenzstreitigkeiten“ beinhalten. (S. 30) Folgerichtig kommen im Fortgang der Erörterung solche Probleme zur Sprache, die einer hauptamtlichen Tätigkeit des Bürgermeisters geschuldet sind oder sein können. Zwar können sich alle Bürgermeister auf eine „direktdemokratische Legitimation“ berufen, was ihnen Souveränität gegenüber dem Rat garantiert, doch ist dieser Professionalisierungsschub, der von einem erhöhten Bildungslevel begleitet wird, darum nicht unproblematisch, weil „das Amt des Bürgermeisters immer direkter einer Führungsposition in der Wirtschaft gleicht“. (S. 41) Dies kann Animositäten und vor allem Misstrauen seitens der Ehrenamtlichen insofern begünstigen, als diese Ratsmitglieder in Form von Vorlagen mit Expertenwissen konfrontiert werden, das aus dem politischen sowie administrativen Bereich kommt. Die Rede ist also auch von der Verwaltung, einem „Kreis von Vorentscheidern“ (S. 45), die mangels Sachkenntnis nur schwerlich von den Ratsmitgliedern zu kontrollieren sind, auch von denen nicht, die als Angestellte oder Beamte aus dem Öffentlichen Dienst kommen und mehrheitlich die Ratsmitglieder stellen (vgl. S. 48), also genügend intellektuelles Rüstzeug haben dürften. Die Genese dieses Konfliktpotenzials ist noch deutlich in der Strukturebene auszumachen. Eine Problematik aus den Sozialdaten der Ratsmitglieder kommt hinzu, die „kein wirkliches Abbild der Bevölkerung sein können“, und auch eine „zunehmende Parteipolitisierung der kommunalen Ebene“ ist konfliktträchtig und schafft Turbulenzen im emotionalen Miteinander. (S. 52) In seiner Auswertung struktureller Differenzen zwischen Haupt- und Ehrenamt lokalisiert Schröder den „Kompetenzvorteil seitens des Bürgermeisters gegenüber dem Rat“ als Ursache für eine auch emotional wirksame Differenz, wobei ein „Widerspruch zu den Kontrollaufgaben des Rates gegenüber der Verwaltung“ hinzukomme, was zur Folge habe, dass das „aushandeln einer kooperativen Vereinbarung zu einer die Zuständigkeitsgrenzen überschreitenden Zusammenarbeit“ entfalle. Hier dann ist eine Einfallschneise für „problematische Situationen“ gegeben, „die emotionaler Art ist und der konstruktiven Zusammenarbeit beider Akteursgruppen möglicherweise im Wege steht.“ (S. 55f) Es scheint, dass sich das Emotionale an dieser Schnittstelle vollends verselbstständigt.
Der Bereich der emotionalen Problemfelder wird entlang der im Anhang transkribierten und gut dokumentierten Experteninterviews ausgelotet. Als Ursachen werden u.a. eine „‚Leadershiporientierung‘“ des Bürgermeisters gegenüber einem Profilierungsdrang von Fraktionsvorsitzenden sowie Ratsmitgliedern hervorgehoben und ebenso das mehrfach genannte „permanente Misstrauen gegenüber Bürgermeister und Verwaltung.“ (S. 69ff) Wenngleich hier strukturelle Gegebenheiten emotionale Verwerfungen begünstigen, böte im Vergleich zum britischen local government das deutsche System seit seiner Reformierung in den 90er Jahren den Vorteil einer hohen Transparenz, die politische Teilhabe begünstige. Gleichwohl sei festzuhalten, dass die Strukturen der deutschen Kommunalverfassungen „diese emotionalen Differenzen durch ihre Institutionalisierung über die Trennung zwischen kommunalem Parlament und kommunaler Verwaltung“ unterstützten, wobei eine „zunehmende Politisierung der Kommunalebene seit den 1970er/1980er Jahren“ ersichtlich „das kooperative Handeln der beteiligten Akteure“ erschwere, „da es das prinzipielle Misstrauen zwischen ihnen“ stärke. (S. 81) Und da sieht der Autor Handlungsbedarf, will einen weiteren Experten ins Spiel gebracht wissen, der gleichsam als Moderator die emotionalen Wogen glättet.
Diskussion
Während der Lektüre des Buches ist man leicht versucht, über den engeren Horizont des kommunalen Politikgeschehens hinaus zu blicken. Man sieht Parallelen zum ‚großen‘ Politikgeschehen, schnell kommt einem die tatsächliche oder nur vermeintliche Einflussnahme von Lobbyisten in den Sinn, ebenso eine Intimisierung und Privatisierung politischen Geschehens durch mediale Berichterstattung und Kommentierung, in welchen oftmals unter der Tarnmaske des Kritischen die Tasten des Emotionalen angeschlagen werden. Das dürfte nicht ohne Rückwirkung auf die Akteure bleiben.
Nicht zuletzt da, wo von der Verwaltung und dem Hauptamt die Rede ist, wird man an die ‚Bürokratietheorie‘ von Max Weber erinnert: „Im Verein mit der toten Maschine“, meinte er, ist die Bürokratie „an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich (…) ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine rein technisch gute und das heißt: eine rationale Beamtenverwaltung und -versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leitung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll.“ Liest man Webers Bemerkung als (dystopische) Kritik und denkt man nicht unbedingt in die Richtung einer ‚charismatischen Herrschaft‘ dank einer „latent charismatischen Situation“ (Lepsius) in einer Krise weiter, in der die politische Herrschaft delegitimiert wird und die Bevölkerung (das Volk) auf die Führung eines ‚starken Mannes‘ hofft, dann kann man durchaus auf jenes aus der Struktur geborene Emotionale setzen, es als Anknüpfungspunkt nehmen, um politische Partizipation jenseits von wie auch immer gerechtfertigten Herrschafts- (lt. Weber) oder Machtgefällen in tatsächlich realer Demokratie zu realisieren. Der kontraproduktiven Eigendynamik des Emotionalen wäre Einhalt geboten. Darauf setzt Peter Schröder – zumindest ‚vor Ort‘. Ob dabei das Heil aus quasi-therapeutischer Intervention durch einen (bezahlten) Experten kommt, sei dahingestellt und bedürfte der Diskussion wie Überprüfung, was ja auch der Autor anempfiehlt, der zwischen den Zeilen diesen Experten quasi als Filter für allen emotionalisierten Zwist konturiert – insbesondere da, wo „emotionale Hürden aus einer „hierarchischen Struktur auf kommunaler Ebene“ entstehen, „die an sich nicht existiert, aber künstlich erzeugt wird.“ (S. 56)
Weitere Fragestellungen werden angeregt: Wenn der Autor meint, das Konfliktpotenzial zwischen haupt- und ehrenamtlichen Akteuren aus den „möglichen Unterstellungen einer Unzulänglichkeit des jeweils anderen“ würde auch das Potenzial bergen, „sich gegenseitig konstruktiv ergänzen zu können“ (S. 22), würde sicherlich der auf der Kommunalebene tätige Leser gern wissen wollen, wie das in der politischen Interaktionspraxis aussehen könnte. Dass die Akteure generell, wie der Autor vermerkt, von einer Basisorientierung konsensualen Handelns motiviert sein müssen, um Konfliktpotenziale konstruktiv ausschöpfen zu können, ist wohl ein Fingerzeig auf eine sicherlich von jedermann bestätigte Conditio sine qua non, die aber nicht zwingend gegeben ist. – Doch tritt das Buch letztlich ja nicht als Ratgeber an. Auf der Theorieebene belangvoller scheint der Hinweis auf einen Bildungsschub bei Bürgermeistern, bei denen ein „deutlicher Professionalisierungstrend“ zu erkennen und eine gesteigerte „Personalisierungsanforderung“ zu verzeichnen ist. (S. 39) Es könnte doch sein, dass sich dies einer wie auch immer in ihren Folgen zu qualifizierenden Bildungsexpansion verdankt und seine formalen Qualifikationen den heutigen Bürgermeister gegenüber dem oberbayrischen Bürgermeister oder dem nordfriesischen Dorfvorsteher vergangener Tage nicht unbedingt überlegen machen – zumal da, wo es um die erstrebenswerten Aushandlungsprozesse geht.
Fazit
Das gut lesbare und sehr konzise verfasste Buch ist für StudentInnen der Politologie oder Soziologie eine informationsreiche und ausgewogen kritisch argumentierende Einführung in den Gegenstand der kommunalen Politik mit ihren Problemen. Trotz der schmalen Basis der Interviewten darf die Auswertung Verallgemeinerungsfähigkeit beanspruchen, zumal sie sekundäranalytisch bestätigt werden kann. Kommunal- und auch Politikern auf anderen Ebenen dürfte die Lektüre zur Selbstaufklärung dienen und insoweit eine Veränderungsbereitschaft stiften können. Der politikverdrossene Leser wird Argumente für seinen Unmut und seine politische Abstinenz finden – und vielleicht den Stachel im Fleisch spüren, dass dieser Webersche „letzte und einzige Wert“ als Zukunftsaussicht doch nicht so ganz nach seiner Ohnemichelmütze ist und als seine Maxime die Sentenz von Oscar Wilde verwirft: „Wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, dann müssen wir eben wollen, was wir bekommen.“
Rezension von
Arnold Schmieder
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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 04.04.2013 zu:
Peter Schröder: Politiker oder doch „nur“ Mensch? Wie emotionale und systemimmanente Vorbehalte unsere Politik bestimmen. Diplomica Verlag
(Hamburg) 2013.
ISBN 978-3-8428-9090-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14670.php, Datum des Zugriffs 08.06.2023.
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