Felix Hasler: Neuromythologie
Rezensiert von David Kreitz, 12.03.2013

Felix Hasler: Neuromythologie. Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung.
transcript
(Bielefeld) 2012.
260 Seiten.
ISBN 978-3-8376-1580-7.
22,80 EUR.
CH: 33,50 sFr.
Reihe: XTexte.
Thema
Neuromythologie ist, wie der Untertitel ankündigt, eine Streitschrift. Sie richtet sich gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung, die mit Erklärungsansprüchen jenseits ihrer realistischen Erkenntnismöglichkeiten aufwarte. Diese Erklärungsansprüche beruhen oftmals nicht auf belegbaren naturwissenschaftlichen Fakten, sondern sind unhinterfragten Dogmen und unbewiesenen Annahmen geschuldet. Des Weiteren findet man bei einigen Fachvertretern großspurige Zukunftsprognosen die auf sehr dünnem empirischen Eis ständen. Hasler strebt eine Realitätsprüfung der Neurowissenschaften an und will die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf umfassende Erklärung und dem tatsächlich empirisch Beweisbaren aufzeigen.
Autor
Felix Hasler ist promovierter Pharmakologe, Forschungsassistent an der Berlin School of Mind and Brain der HU Berlin und Wissenschaftsjournalist.
Entstehungshintergrund
Der Autor arbeitete zehn Jahre lang an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich in der neurowissenschaftlichen Halluzinogenforschung. Hasler gibt in der Einleitung selber einige Erklärungen zur Entstehung des Buches. So sei er selbst lange Zeit völlig überzeugt davon gewesen, dass zum Verständnis des menschlichen Selbst ausschließlich die Enträtselung des Gehirns notwendig sei. Auch hätten eigene wissenschaftliche Vorträge das neurowissenschaftliche Weltbild verbreitet und er selbst habe somit zur Deutungshoheit der nun kritisierten Neurowissenschaften beigetragen. Darüber hinaus machte Hasler die schockierende Erfahrung, dass die Pharmaindustrie die biologische Psychiatrie weitgehend sponsern würde. Aufgrund der Beziehungen zwischen Pharmaindustrie und Wissenschaft könne man davon ausgehen, dass so manches neurobiologische Faktum eigentlich mehr mit Marketing als mit Wissenschaft zu tun habe.
Aufbau
Neuromythologie gliedert sich in zehn Kapitel, die jeweils einem Thema gewidmet sind, wobei Kapitel eins und zehn die Einleitung und das Fazit bilden. Ich habe einige der Kapitelinhalte zur genaueren Besprechung hervorgehoben, jedoch alle Kapitel aufgeführt, um einen Eindruck des Gesamtwerks zu geben.
Ist ja alles so schön bunt hier – Bildgebende Verfahren
Das erste thematische Kapitel greift die so genannten bildgebenden Verfahren auf. Auf diesen beruhe nämlich weitestgehend die Faszination und Überzeugungskraft der Hirnforschung, da hier suggeriert werde, man könne dem Hirn direkt bei der Arbeit zusehen. Der Autor weist darauf hin, dass die funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) lediglich die Veränderung des Blutflusses und des Sauerstoffverbrauchs im Hirn im Zusammenhang mit Verhalten oder Erleben der Versuchspersonen zeige. Damit sei noch nicht die hirnphysiologische Entsprechung zu den jeweiligen Verhaltensweisen und Erlebnissen nachgewiesen. Erhöhte Aktivität in einem Hirnareal könne nämlich mit erhöhter Durchblutung einhergehen, müsse sie aber nicht. Die Zuordnung komplexer geistiger Vorgänge zu bestimmten Hirnarealen ist heute sehr umstritten und gelte als überholt.
Darüber hinaus bilde ein fMRT-Bild nicht ab, was gerade in einem Gehirn passiert, sondern beruht auf der statistischen Zusammenführung verschiedener Probandendaten. Dadurch steckten erhöhte Unsicherheiten in der Herstellung dieser Bilder, denn einerseits gäbe es im Hirn eine Art Grundrauschen, das Messungen generell erschwere, außerdem sei die Aktivität der Nervenzellen schneller als viele der eingesetzten Messgeräte. Hasler zitiert methodenkritische Studien, die besagen, dass Versuchswiederholungen oftmals unterblieben und auch keine statistischen Korrekturen der Daten stattfinde. Wozu letzteres führen kann verdeutlichten Wissenschaftler mit einem mittlerweile fast legendären Experiment. Sie unterzogen einen toten Lachs einem fMRT-Scan und zeigten ihm dabei Bilder mit Menschen. Interessanterweise zeigte das Lachshirn hohe Aktivitäten – was keinem postmortalen Wunder geschuldet war. Es handelte sich um statistische Ausreißer, reine Zufallsprodukte, die bei Durchführung statistischen Korrekturberechnungen der Daten wieder verschwinden würden.
Der Autor verweist darauf, dass es somit höchst fragwürdig ist, wenn alle wissenschaftliche Welt auf einmal ihre eigenen Neuro-Variante ausprägt (Neuro-Ökonomie, -Sozialwissenschaften, -Kulturwissenschaften, -Linguistik) und ihre Thesen durch die Fleckenmuster von „Hirn-Scans“ illustrieren lässt.
Pharmakologie
Am umfangreichsten ist das Kapitel ausgefallen, in dem Hasler noch stärkerseine eigene wissenschaftliche Expertise nutzen kann: die Psychopharmakologie. Er zeigt auf welche medizinischen Heilsbotschaften die Neuropsychologie im Verbund mit der Pharmaindustrie verbreitet und vergleicht diese mit den Erkenntnissen aus klinischen Studien. Am Beispiel Antidepressiva werde deutlich, dass bereits eine Umetikettierung dieser Mittel hin zu Lifestyle-Präparaten stattgefinde. Bestes Beispiel sind die USA, wo eine Studie zeigen konnte, dass über 90 Prozent der Patienten, die durch direkte Werbung motiviert zum Arzt gehen, um sich Antidepressiva verschreiben zu lassen, vorher gar keine behandlungsbedürftige Depression hatten. Hasler bringt noch weitere Beispiele zum Zusammenspiel von Pharmaindustrie, Neurowissenschaften und dem neurobiologischen Umdenken in der Psychologie. Verbreitet ist die Annahme, Depressionen und andere psychische Störungen beruhten auf einem gestörten Verhältnis der Gehirnchemie, einem Ungleichgewicht von Neurotransmittern. Dass man sich immer noch in einer Trial-and-Error-Phase der Medikamentenerprobung befinde, zeigt Hasler am Beispiel des Serotonins. Serotoninmangel wird nach wie vor mit Depressionen in Zusammenhang gebracht und das, obwohl die wissenschaftliche Beweislage dem Schluss, depressive Menschen hätten einen Serotoninmangel, widerspricht. Selbstverständlich lassen sich mit Antidepressiva Verbesserungen bei depressiven Patienten erzielen, doch braucht es dazu eben keine medikamentöse Erhöhung des Serotonins. Dies zeige sich am Beispiel Stablon, einem Medikament, dessen Wirkstoff Tianeptin die Verfügbarkeit von Serotonin reduziert, das aber ebenso gute Ergebnisse liefert wie andere Präparate, obwohl es, wäre die Serotoninhypothese korrekt, Depressionen ja verstärken oder auslösen müsste.
Hasler zeigt an diesen und weiteren Beispielen, was zwar über die Wirkung von Psychopharmaka auf das Gehirn bekannt ist, wie wenig aber diese Wirkungsweisen bisher erklärt und verstanden werden. Dieses Unvermögen sei auch gar nicht weiter verwunderlich, wenn man sich die Komplexität der zerebralen Chemie klar macht:
„Das Gehirn besteht – neben anderen Zellarten – aus 100 Milliarden Neuronen, die über eine geschätzte Billiarde Synapsen miteinander in Verbindung stehen. Dazu kommt eine schier unübersehbare Anzahl an Botenstoffen (Amine, Neuropeptide, Aminosäuren und Gase), welche Nervenübertragung durch Wechselwirkung mit einer Hundertschaft verschiedener Rezeptoren orchestriert und reguliert. Und nicht zu vergessen: Ebenso viele Hormone[…] sowie Tausende von Regulationsgenen. Ganz zu schweigen von spezifischen Transportmechanismen, molekularen Speicherorganen und einer ganzen Armada von Enzymen“ (Seite 134f.)
Diese Komplexität ließe die eingängige Neurotransmitterthese doch relativ fragwürdig erscheinen, auf der viele der Versprechen einer pharmakologischen Behandlung psychischer Krankheiten beruhen. Hasler zitiert den Ausspruch von Psychiater Allen Frances: „Unsere Neurotransmittertheorien sind nicht viel weiter als die Säftelehre der Griechen.“
Der Autor schlussfolgert das der Behandlung von psychischen Krankheiten mit Psychopharmaka mit Vorsicht gegenüberzutreten sei. Denn die langfristigen Folgen einer Einnahme dieser Präparate sei bisher völlig ungeklärt und es könne durchaus sein, dass bipolare Störungen die Spätfolge sind. Das geringe gesicherte Wissen der Psychopharmakologie mache die Einlösung der Hoffnung auf eine baldige Heilung psychischer Krankheiten alleine mithilfe von Medikamenten sehr unwahrscheinlich. Gerade in Bezug auf Depressionen sei eigentlich nur nachweisbar, dass es wichtig ist, überhaupt etwas zu tun, denn auch pflanzliche Präparate, Ausdauersport und die klassische Psychotherapie wären effektiv – und nebenwirkungsärmer. Daher mag es durchaus begrüßenswert sein, dass sich die Pharmafirmen aus der Produktion von Psychopharmaka zurückzieht, da man mittlerweile einsieht, dass man trotz jahrzehntelanger Forschung immer noch nicht weiß, was genau im Gehirn zu verändern ist, um psychische Krankheiten zu heilen.
Hirndoping
Die eben zitierte Komplexität des Gehirns macht auch die Schöne-Neue-Welt-Idee der sich selbst mithilfe von Neuro-Enhancern aufputschenden und zu Höchstleistungen fähigen Menschen weitreichend zunichte. Die Realität sähe hier immer noch ganz anders aus als das utopische/dystopische Denken nahe legen würde, denn empirische Studien legten eine geringe Zahl an Personen nahe, die leistungssteigernde Substanzen einnähmen. Auch stehe der massiven Einnahme leistungssteigernder Mittel unser Arbeitsethos entgegen, wonach Erfolg eben selbst verdient und nicht erschlichen sein muss. Allerdings ließe sich auch nicht abstreiten, dass, sobald der Wunsch nach bestimmten Medikamenten bei Personen geweckt sei, sich dieser dank der Internetapotheken schnell verwirklichen ließe, so Hasler.
Die bekannte Einnahme von Ritalin oder Concerta, zwei Mittel, derer sich laut Hasler gerne auch Wissenschaftler bedienen, könne über längere Zeit zu paranoid-psychotischem Erleben führen und habe auch kurzfristige Nebenfolgen, die insgesamt gesehen keine Leistungssteigerung, außer einer punktuellen, erlaubten. Im Selbstversuch testete Hasler Modafinil, bei dem er zumindest keine Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Nervosität oder ein Gefühl der Getriebenheit erlebte. Für alle Präparate, die heutzutage für Arbeitsdoping genutzt werden, stehe fest, sie sorgen für mehr Ausdauer und Motivation, nicht für bessere Qualität der Arbeitsergebnisse.
Willensfreiheit
Die These des determinierten Menschen, völlig frei von jeglicher Willensfreiheit, ist das Steckenpferd einiger Fachvertreter, deren vollmundige Verbreitung ihrer Erkenntnisse in den Medien ihnen den Status von celebrity-scientists eingebracht haben. Gerade auf diese Vertreter der Zunft zielt Haslers Kritik. Schließlich seien die erfolgreichen Untersuchungen des Gehirns bei Schlaganfällen, Alzheimer oder zur Verarbeitung von Sinneseindrücken sehr begrüßenswert. Massenmedial aufbereitet werden allerdings die normativen Schlussfolgerungen vom Ende der Willensfreiheit, schließlich sei der Mensch durch Verschaltungen festgelegt und somit müsse das Strafrecht reformiert werden, da es keine subjektive Schuldfähigkeit gebe.
Die Wurzeln dieser Determinismusthese reichen bis in die frühen 1980er Jahre. Der kalifornische Physiologe Benjamin Libet untersuchte sogenannte Bereitschaftspotenziale, worunter man die durch Hirnstrommessung ableitbare Aktivität in bestimmten Großhirnarealen meint, die vor einer willkürlichen Bewegung auftritt. Die Probanden sollten in einem vorgegebenen Zeitraum die Hand bewegen und sich zum Zeitpunkt des Handlungsentscheids die Position eines Lichtpunktes merken. Die Entscheidung zu Handeln lag 200 Millisekunden vor der Ausführung, überraschend war die Feststellung, dass sich bereits eine halbe Sekunde, bevor die Personen den Handlungsentscheid fällten, die Bereitschaftspotenziale aufgebaut hatten – woraus eine Autonomie des Hirns gegenüber des subjektiven Willens interpretiert wurde. Erstaunlich ist der Bezug auf die Libet-Experimente, wenn man die mittlerweile nachgewiesenen Fehlschlüsse des Forschers in Rechnung stellt. So sei es erwiesen, dass Libets Bereitschaftspotenziale auftauchen, egal ob man eine Handlung ausführen wird oder nicht, also nicht nur im Falle der Ausführung. Die Hirnareale werden also bereits aktiviert, während man über die Entscheidung für oder gegen die jeweilige Handlung nachdenkt. Das könne wiederum eher daraufhin deuten, dass man sich entscheiden kann, eine anstehende Handlung willentlich nicht auszuführen.
Unter Philosophen und Rechtswissenschaftlern ist es ausgemacht, dass mit der neurowissenschaftlich gestützten Determinismusthese unhaltbare Schlussfolgerungen verbunden sind. Dass die Debatte in Ermangelung stichhaltiger empirischer Beweise munter weitergeht, liege wohl – so Hasler - an der Autorität und Bekanntheit einiger neurowissenschaftlicher Koryphäen.
Forensik und Rechtsprechung im Spiegel der Neurowissenschaften
Unter einigen Wissenschaftlern scheint es ausgemacht, dass es möglich ist, aufgrund genetischer und/ oder neuronaler Besonderheiten Gewaltverbrecher bereits zu identifizieren, bevor sie ihre Straftaten begehen. Somit würde eine präventive Strafverfolgung möglich, die einige als human, andere wiederum als äußerst stigmatisierend und exkludierend ansähen. Mitfühlende Nötigung, wie sie bereits in den USA im Bezug auf die Impfung gegen Drogensucht diskutiert wird, könne, sollte es eines Tages möglich sein neuronale Korrelate von asozialer Gefährlichkeit in manchen Hirnen nachzuweisen, zu Zwangsmedikation oder neurotechnischen Maßnahmen führen. Bei fMRT-Untersuchungen von Mördern ließen sich bisher auch nur altbekannte psychologische Erkenntnisse bestätigen. Allerdings wurde vielfach behauptet, nun habe man psychopathische Verhaltensmuster im Gehirn lokalisieren können, wobei die beteiligten Hirnareale, so Hasler, eigentlich an den meisten kognitiven Prozessen beteiligt sind. Grundsätzlich müsse man wohl von einem Zusammenspiel aus soziologischen, biologischen, psychologischen Faktoren ausgehen, wenn man erklären möchte warum jemand straffällig wird. Eine alleinige Erklärung aufgrund von Umwelt, Hirn oder Genen sei auch in Zukunft äußerst unwahrscheinlich.
Aus Gehirnaktivierungsmustern abzuleiten, ob eine Person lügt oder nicht, sei durchaus möglich – doch nur unter Laborbedingungen und mit wenig Chance auf Wiederholbarkeit der Experimente. In den USA sind erste Versuche fMRT-Scans als Beweismittel vor Gericht anzuerkennen bisher gescheitert. Einerseits gibt es unter Fachleuten keinen Konsens über die Möglichkeit, Lüge oder Wahrheit aufgrund von Hirnzuständen eindeutig zu klären, andererseits dürfen die Aufnahmen der Scans nicht gezeigt werden, da eine große Suggestionskraft von den bunten Bildern, der sogenannte Christbaumeffekt ausgehe.
Neuroskepsis statt Neurospekulation
In der Überschrift des zehnten und letzten Kapitels steckt bereits die Forderung des Autors an die Zunft der Neurowissenschaftler. Arrogante Selbstsicherheit, vollmundige Welterklärungsansprüche und empirisch unhaltbare normative Forderungen sollten doch einer wissenschaftlich redlichen Bescheidenheit weichen. Hasler meint deutlich einen klassischen Gartner-Hype-Zyklus ausmachen zu können, bei dem nach anfänglicher Deutungsallmachtphantasie ein Abstieg erfolge, der aber nachfolgend die Chance biete, die erzielten Forschungsergebnisse vernünftig dimensioniert und nicht sensationalistisch aufgebläht zu kommunizieren. Begrüßenswert sei, dass sich bereits kritische Neurowissenschaftler zusammen getan haben und es ebenso beobachtbar sei, dass Pharmasponsoring auf Ablehnung trifft – mit MEZIS (Mein-Essen-zahl-ich-selbst) entstehe eine Gruppe Mediziner, die sich gegen Medikamentengeschenke, Pharmavertreter und herstellerabhängige Fortbildungen ausspricht.
Diskussion
Hasler ist kein „Dissident“ der Neurowissenschaften. Er hat lediglich einen realistischen Blick auf die Erkenntnismöglichkeiten und Erklärungsansprüche von (Neuro-)Wissenschaft. Liest man sein Fazit wird klar, dass er sich eigentlich um die Glaubhaftigkeit der Neurowissenschaften sorgt. Denn wenn einige Fachvertreter im Verbund mit neuigkeitsversessenen Medien Sensationsmeldungen generieren, die sich bei genauer Prüfung als unhaltbar herausstellen, so gefährden sie eben die Glaubwürdigkeit ihrer ganzen Zunft.
Dem vorliegenden Werk hat es sicherlich gut getan, dass sein Verfasser sowohl selbst in den Neurowissenschaften arbeitet als auch journalistisch tätig ist. Dies führt einerseits zu fachlicher Expertise, andererseits zu einem lesbaren Werk, das weitestgehend auf wissenschaftlichen Jargon verzichtet. Mir persönlich war das Kapitel zur Neuropharmakologie zu umfangreich. Der große Umfang scheint mir daran zu liegen, dass der Autor vor allem in diesem Bereich selbst geforscht hat und auch die Praktiken der Pharmaindustrie hautnah miterlebte. Darüber hinaus gewinnt das Buch aufgrund dieser Schwerpunktsetzung in der Reihe der kritischen Publikationen zu den Neurowissenschaften ein eigenes Profil. Hier ist dann auch schon angedeutet, dass Hasler nicht der einzige Autor ist, der eine kritische Schrift zur Einschätzung des Realitätsgehalts neurowissenschaftlicher Erklärungsansprüche vorgelegt hat. Doch auch wenn viele seiner Argumente informierten LeserInnen nicht neu sein werde, wurden doch viele bereits anderweitig publiziert (dabei auch von Hasler selbst), ist es das Verdienst des Autors, eine umfassende kritische Bestandsaufnahme vorgelegt zu haben.
Fazit
Neuromythologie ist ein Werk, das jedeR lesen sollte, um sich eine gesunde Skepsis gegenüber massenmedial verbreiteten wissenschaftlichen Sensationsmeldungen zu bewahren. Alle die mitreden wollen über die zur Zeit dominante Hirnforschung, deren Erkenntnisse und Versprechungen kommen am hier besprochenen Werk nicht vorbei. Selbstbewusst vorgetragenem Expertenwissen nicht blind zu vertrauen ist die grundlegende Botschaft dieses Werks.
Gerade in Bereichen der sozialen Arbeit, in denen man mit Menschen zu tun hat, die als anders, schwierig, gar gefährlich angesehen werden, könnte der Neurohype unschöne Folgen zeitigen, wenn hier medikamentöse oder neurotechnologische Interventionen - möglicherweise präventiv oder mittels mildem Zwang – zum Tragen kommen.
Rezension von
David Kreitz
M.A., pädagogischer Mitarbeiter für politische Erwachsenenbildung bei der HVHS Mariaspring und freiberuflicher Trainer für wissenschaftliches Schreiben.
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