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Christine Schönberger, Ernst von Kardorff: Mit dem kranken Partner leben

Rezensiert von Dipl.-Ing., Dipl.-Pflegew. Jens-Martin Roser, 18.05.2004

Cover Christine Schönberger, Ernst von Kardorff: Mit dem kranken Partner leben ISBN 978-3-8100-4026-8

Christine Schönberger, Ernst von Kardorff: Mit dem kranken Partner leben. Anforderungen, Belastungen und Leistungen von Angehörigen Krebskranker. Leske + Budrich (Leverkusen) 2004. 235 Seiten. ISBN 978-3-8100-4026-8. 22,90 EUR.

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Einführung in das Thema

Pflegende Angehörige chronisch Kranker erbringen zum größten Teil für die Öffentlichkeit unsichtbare Leistungen, die aber vor dem Hintergrund der Zunahme von chronischen Erkrankungen und der Diskussionen um die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens mehr ins öffentliche Interesse gerückt sind. Außer einigen Erkenntnissen aus der medizinpsychologischen Perspektive gibt es bisher wenig Wissen darüber, wie Partner von Krebskranken im Alltag mit der Krankheit und dem Kranksein umgehen. Solche Beschreibungen sind jedoch notwendig, um im Versorgungssystem eine angemessene Unterstützung der Partner integrieren zu können.

Hintergrund für die Entstehung des Buches

Das Buch ist die Zusammenfassung eines Berichts über die vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Pilotstudie zur Situation von Angehörigen Krebskranker in der Rehabilitation. Die Veröffentlichung wurde wiederum vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen unterstützt. Die Studie wurde durchgeführt am Institut für Rehabilitationswissenschaften, Abteilung Soziologie der Rehabilitation und hatte eine Laufzeit 27 Monate.

Die Autoren

Dipl. Psych. Christine Schönberger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt Universität zu Berlin. Prof Dr. phil. Ernst von Kardorff ist Leiter der Abteilung für Soziologie der Rehabilitation am Institut für Rehabilitation für Rehabilitationswissenschaften, Humboldt-Universität Berlin.

Aufbau und Inhalt

Da das Buch sich im wesentlichen auf eine durchgeführte Studie bezieht, lehnt es sich im Aufbau an die Form eines Forschungsberichtes an. Es gliedert sich in 7 Kapitel.

  • Im Vorwort wird im Rahmen einer Einleitung bereits das Ziel der Studie benannt: "Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, Partner gezielter zu unterstützen, ihre Expertise aufzuwerten und ihre Position im Behandlungsdreieck mit dem erkrankten Partner und den Fachkräften zu stärken." Die Studie konzentriere sich auf die Perspektive der langfristigen Neubalancierung des Lebens mit Krankheit und dem Kranksein.
  • In Kapitel 1 wird die Situation von Angehörigen chronisch Kranker beschrieben, indem auf die Leistungen und die gesellschaftliche Bedeutung der Angehörigen von chronisch Kranken und die Auswirkungen der chronischen Krankheit eingegangen wird. Hierzu gehören Ungewissheit, Angst vor Gefahren und der Zwang zur Neukonstruktion von Identität und Rolle in Familie, Beruf und Partnerschaft.
  • In Kapitel 2 wird unter der Überschrift 'Theoretischer Bezugsrahmen und Forschungsdesign' zunächst der Forschungsstand dargestellt und bewertet. Dabei wird ein Übergewicht der medizinpsychologischen Perspektive bisheriger Arbeiten und eine Vernachlässigung der sozialphänomenologische Sichtweisen festgestellt. Die Autoren vermissen eine Erklärung dafür, dass den Paaren zumindest nach außen das Erreichen einer Normalität gelingt. Die dann von den Autoren ausführlich formulierten Fragestellungen sollen unter anderem zu Beschreibungen des Belastungserlebens, der individuellen und partnerschaftlichen Bewältigung, Netzwerkeinbindung und Bewertung der Angebote des Systems der Rehabilitation führen. Als theoretischer Rahmen für die Beantwortung der Forschungsfragen wird eine Verbindung der Konzepte 'Verlorenes Gleichgewicht und Arbeit der Neubalancierung', 'Rekonstruktion von Rollenkonfigurationen', 'Partner als Angehörige - Doppelrolle und Asymmetrien', 'Krankheitsbiografien als Weg zur Analyse salutogenetischer Ressourcen' beschrieben. Im letzten Abschnitt des zweiten Kapitels begründen die Autoren unter der Überschrift 'Studiendesign' die Entscheidung für die Zielgruppe und die Wahl ihrer Erhebungs- und Auswertungsmethoden, einer Verbindung von qualitativen und quantitativen Erhebungs- und Auswertungsschritten.
  • Kapitel 3 enthält die Darstellung der Vorgehensweise und Auswertung der vorgenommenen Fragebogenerhebung. Zunächst werden Stichprobengewinnung, Rücklauf, die Angehörigenstichprobe, sowie die Patientenstichprobe vorgestellt und die Zusammensetzung der Stichprobe diskutiert. Der Zugang erfolgte über 5 Rehabilitationskliniken im Raum Brandenburg und Sachsen und über Berliner Nachsorgeeinrichtungen. 189 Partner von an Krebs erkrankten Patienten beteiligten sich an der Befragung und 148 Personen aus dieser Stichprobe nahmen nach einem halben Jahr an einer erneuten Befragung teil. Nach der Stichprobe werden die eingesetzten Erhebungsinstrumente vorgestellt. Hauptinstrument der Befragungen war ein Angehörigenfragebogen mit 112 Items. Abschließend werden die eingesetzten Auswertungsverfahren aufgeführt. Die Daten wurden deskriptiv, als Korrelationen und mit Hilfe von Faktorenanalysen ausgewertet.
  • Kapitel 4 umfasst eine Darstellung der Auswertungsergebnisse zur Fragebogenerhebung. Dem Abschnitt über die Analysen zum Patientenfragebogen folgt eine Darstellung der Auswertungsergebnisse zum Angehörigenfragebogen. Hierzu gehören unter anderem deskriptive Auswertungen zu unterschiedlichen Skalen und 6 Faktorenanalysen. Das Kapitel wird abgeschlossen mit einer nach den Fragestellungen gegliederten Zusammenfassung. Bemerkenswerterweise wird an dieser Stelle schon vorgreifend auf die Ergebnisse der Fallstudien Bezug genommen. Als zentralen Aspekt finden die Forscher die Gefühlsarbeit, die der gesunde Partner durch Ermutigung zur Gesundung und Gefühlskontrolle erbringen muss. Zukunftsangst prägt vor allem die Belastungswahrnehmung von jungen Partnern. Lebensgefühl und Lebenszufriedenheit werden bestimmt durch emotionale Isolation, aber auch Verbundenheit. Im Gegensatz zur Akutphase spielt nach den Auswertungen die Suche nach Informationen keine große Rolle bei der Bewältigung mehr. Bei insgesamt herabgesetzter Selbstsorge scheinen Partner eigene Lebensbereiche nicht aufzugeben, bzw. nach der Phase der Stabilisierung nach neuen eigenen Lebensbereichen zu suchen. In der vorliegenden Stichprobe gab es weitgehend eine offene Kommunikation über Tod und Sterben zwischen den Partnern. Freundschaftsnetzwerke bleiben erhalten, werden aber nur wenig zur Hilfe in Anspruch genommen.
  • Im 5. Kapitel werden nach einer Darstellung der Stichprobe und einem Abschnitt über den Stellenwert der Fallrekonstruktionen 7 der insgesamt 12 erarbeiteten Fallstudien vorgestellt. Der biografische Hintergrund, der Krankheitsverlauf und die Auswirkungen der Krebserkrankung, die Auswirkungen auf die Partnerschaft und das Familienleben, die soziale Einbindung und soziale Unterstützung, Strategien im Umgang mit der Erkrankung, die Krankheitstheorie und eigene Krebsängste sowie die Auswirkungen auf das Leben der Untersuchungsteilnehmer werden aus dem Ablauf der erzählten Geschichte unter der Berücksichtigung aller Daten rekonstruiert und vor dem Leser ausgebreitet. Anschließend werden Gemeinsamkeiten und Strukturen der Fallstudien ermittelt. Nach einer Auflistung der typischen Grundhaltungen der Partner in jedem der 12 Fälle werden gemeinsame Muster zur Neubalancierung und Rückkehr zur Normalität (z.B. Normalität nach außen und angespannte Wachsamkeit nach innen), Stile der Bewältigung (z.B. Hingabe und Selbstaufgabe) und zu Veränderungen im partnerschaftlichen Rollengefüge (z.B. zwischen Fürsorge und Selbstsorge) und Rahmen und Determinanten der Handlungsentwürfe (z.B. der Einfluss individueller und Generationenbiografie) benannt. Mit einer Zusammenfassung und Diskussion wird das Kapitel über die Ergebnisse der Fallstudien abgeschlossen.
  • In Kapitel 6 wird über die Teiluntersuchung der Situation Angehöriger von Krebskranken in der Rehabilitation berichtet: Dieses Kapitel hebt sich formal von der anderen ab, indem hier Forschungsstand und Untersuchungsansatz noch einmal beschrieben werden. Auf der Basis der Erhebungen und ihrer Auswertungen wird dann die Sicht der Experten und der Angehörigen beschrieben. Es wird dabei darauf eingegangen, wie die befragten Fachkräfte die Leistungen der Angehörigen sehen, wie die Erwartungen der Fachkräfte an die Angehörigen sind, und wie Angehörige die Angebote der stationären Rehabilitation bewerten. Es folgt ein Abschnitt über Kommunikation und Interaktion, in dem vor allem die Schwierigkeiten des Kontaktes mit Fachkräften deutlich werden. Im nächsten Abschnitt werden Auswertungen vorgestellt zu der Frage, welche Hilfe Angehörige brauchen und akzeptieren. In der das Kapitel abschließenden Zusammenfassung heben die Autoren unter anderem hervor, dass bei Angehörigen in der Rehabilitation häufig ein unzureichender Informationsstand über die Erkrankung festgestellt wird und führen dies auf möglicherweise mangelhafte Informationsweitergabe in den Akutkliniken zurück. Auch für die Rehabilitationskliniken selbst beschreiben sie eine unzureichende Ausrichtung auf die Bedürfnisse und Wünsche von Angehörigen. So werde zum Beispiel dem Wunsch der Angehörigen nach einem Einzelgespräch häufig nicht entsprochen.
  • In Kapitel 7 werden konzeptionelle Überlegungen zur Angehörigenarbeit in Nachsorge und Rehabilitation entwickelt. Ausgehend davon, dass der Angehörige im Krankheitsverlauf einen selbstverständlichen Platz einnehmen sollte, werden Handlungsparadigmen der Angehörigenarbeit aufgestellt wie z.B. die Sichtweise der Krankheit als soziales Geschehen oder Lebensweltorientierung. Es werden Ziele der Angehörigenarbeit formuliert und Voraussetzungen für passgenaue Hilfestellungen benannt. Darüber hinaus werden Hinweise zur Umsetzung gegeben, organisatorische Voraussetzungen beschrieben und in Form von Zitaten der Untersuchungsteilnehmer Empfehlungen der Angehörigen selbst als Schlusswort gesetzt.

Ein siebenseitiges Literaturverzeichnis am Ende des Rezensionsexemplars endet beim Buchstaben 'L'.

Zielgruppen

Nach den Angaben im Klappentext wendet sich das Buch an Fachkräfte für Rehabilitation, also Pflegende, Ärzte, Therapeuten, Sozialarbeiter Psychologen und andere. Der stark wissenschaftlich orientierte Aufbau macht das ganze Buch vor allem für Leser interessant, die sich aus gesundheits- und sozialwissenschaftlicher Sicht mit der Situation von Angehörigen chronisch Kranken beschäftigen wollen. Eher praktisch orientierten Fachleuten ist vor allem die Lektüre des fünften Kapitels mit der Beschreibung der Fallstudien zu empfehlen, wenn es darum geht das Erleben der Angehörigen zu verstehen. Vorrangig an Praktiker, die nach Konzepten für die Angehörigenarbeit in ihrem beruflichen Umfeld suchen, ist das siebte Kapitel gerichtet.

Fazit

Als Veröffentlichung einer sozialwissenschaftlichen Studie ist das Buch größtenteils gelungen. Es wird am Anfang eine systematische Übersicht über das vorhandene .Wissen vermittelt. Das Vorgehen bei der Studie einschließlich der theoretischen Grundlegung ist weitgehend nachvollziehbar dargestellt und die Gültigkeit der Ergebnisse von den Autoren selbst kritisch gewürdigt. Einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Position Angehöriger Buch leistet das Buch vor allem durch die Beschreibung der Fallstudien, die Fachkräften eine neue Sicht auf die Wirklichkeit der Partner von Krebskranken vermittelt. Sie eröffnet andere Hintergründe für Begegnungen und damit erweiterte Handlungsspielräume für professionelle Hilfeleistungen.

Rezension von
Dipl.-Ing., Dipl.-Pflegew. Jens-Martin Roser
MScN
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Es gibt 7 Rezensionen von Jens-Martin Roser.

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ISSN 2190-9245