Carmen Dorrance, Clemens Dannenbeck (Hrsg.): Doing Inclusion
Rezensiert von Prof. Dr. Albrecht Rohrmann, 25.04.2013
Carmen Dorrance, Clemens Dannenbeck (Hrsg.): Doing Inclusion. Inklusion in einer nicht inklusiven Gesellschaft. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2013. 277 Seiten. ISBN 978-3-7815-1900-8. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 28,50 sFr.
Thema
Mit der Verabschiedung der UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahre 2006 und dem Inkrafttreten in der Bunderepublik Deutschland hat der die Konvention prägende Begriff der Inklusion die Grenzen des Fachdiskurses überschritten und prägt mittlerweile ein breites Feld bildungs- und sozialpolitischer Debatten. Dies veranlasst „den Integrationsdiskurs einer kritisch-selbstkritischen Analyse“ (Klappentext) zu unterziehen. Der Sammelband bietet dabei eine bemerkenswerte Breite von Beiträgen, in denen der aktuelle Stand der Inklusionsdebatte reflektiert wird, wobei eine Schwerpunktsetzung im Bereich der schulischen Bildung deutlich erkennbar ist
Entstehungshintergrund, Herausgeberin und Herausgeber
Der Sammelband fasst die Beiträge der Integrations- und Inklusionsforscher/innen-Tagung zusammen, die 2012 in Bayern stattfand. Die Jahrestagung bietet seit 26 Jahren ein Forum für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen der Integration und Inklusion. Sie hat sich aus der begleitenden Forschung zur schulischen Integration im Kontext der Behinderten- und Sonderpädagogik entwickelt und öffnet sich in den letzten Jahren zunehmend weiteren Feldern der Inklusionsdebatte. Es wurden zudem vorsichtige, nicht unumstrittene Schritte hin zur Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen als Forscher/innen und partizipativer Forschung gemacht. Die Ausweitung der thematischen Orientierung wird an den Herausgerber/innen des Sammelbandes deutlich, die zugleich die Jahrestagung ausgerichtet haben. Carmen Dorrance ist Professorin im Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Fulda und vertritt dort den Schwerpunkt Integrations- und Inklusionspädagogik. Clemens Dannenbeck vertritt diesen Schwerpunkt in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Landshut.
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau des Sammelbandes mit seinen insgesamt 29 Beiträgen folgt der Anlage der Tagung. Es werden zunächst die Hauptvorträge wiedergegeben, dann Beiträge aus den Arbeitsgruppen. Die Beiträge werden eingeleitet durch Zusammenfassung, die in vielen Beiträgen an den Regeln für Leichte Sprache orientiert sind.
Im ersten Beitrag führt Justin J.W. Powell aus bildungssoziologischer Perspektive in den vergleichend-institutionellen Forschungsansatz zur Untersuchung sonderpädagogischer Fördersysteme ein und präsentiert Ergebnisse eines Vergleiches der Entwicklung in den USA und der BRD. In beiden Ländern ist auf der Grundlage der Bildungsexpansion eine Zunahme der Klassifikation eines sonderpädagogischen Förderbedarfes festzustellen. Aufgrund verschiedener Entwicklungspfade folgt die institutionelle Logik in den USA einer intraschulischen Segregation, in der BRD einer interschulischen Segregation. In der BRD begünstigt das föderale System einen inkrementellen Wandel, der einen gleichzeitigen Ausbau der Sonderschulen und inklusiver Bildungsangebote befürchten lässt. Der Beitrag verweist auf das Erklärungspotential neoinstitutionalistischer Ansätze zum Verständnis von Entwicklungspfaden, lässt allerdings die Frage offen, ob und wie ein grundlegender transformativer Wandel möglich ist.
Auf die sehr praktische Ebene der Schulentwicklung begibt sich der Beitrag von Olaf-Axel Braun. Bildungsökonomische Erwägungen und das finnische Beispiel sprechen nach Meinung des Autors für ein inklusives Schulsystem. Grundlegend dafür ist eine ‚positive Pädagogik‘, die entgegen einer Überbewertung von kognitivem Wissen an Lernfreude und intuitives Wissen über gelingende Lehr- und Lernsituationen anknüpft. Darauf aufbauend wird das Programm einer Zukunftswerkstatt im Rahmen der Schulentwicklung vorgestellt.
In einem an rechtlichen Fragen orientierten Beitrag setzt sich Minou Banafsche mit dem Problem der Spaltung der Eingliederungshilfe für Kinder mit Behinderung auseinander. Während diese für Kinder mit ‚seelischer Behinderung‘ in der Jugendhilfe (SGB VIII) geregelt ist, ist sie für Kinder mit anderen Behinderungen in der Sozialhilfe (SGB XII) geregelt. Sehr ausführlich werden die sich daraus ergebenden Abgrenzungsprobleme diskutiert, während man eine Positionierung in der aktuellen Debatte um die Neuregelung der Zuständigkeit und die Ausgestaltung der Leistungen vermisst.
Durch das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus wird in dem folgenden Beitrag die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im bayerischen Schulsystem vorgestellt. Der Beitrag bestätigt die von Justin J.W. Powell vorgestellte Tendenz zu einem inkrementellen Reformansatz mit der Gefahr des gleichzeitigen Ausbaus des Förderschulsystems und der Entwicklung inklusiver schulischer Angebote. Am Ende des Sammelbandes findet sich in der Zusammenfassung eine Diskussion mit der interfraktionellen Arbeitsgruppe im bayerischen Landtag von Christine Primbs eine kritische Reaktion auf die aktuelle Schulpolitik. Dem schließt sich eine Aufforderung an die 16 Kultusministerien an, den Weg zur schulischen Inklusion im Rahmen der nächsten Jahrestagung der Inklusionsforscher/innen zu diskutieren.
Die weiteren Beiträge des Sammelbandes beziehen sich auf Forschungsarbeiten im Kontext der Inklusion, auf Projekte im schulischen Bereich und in anderen Handlungsfeldern, die in Arbeitsgruppen vorgestellt wurden. Sie können an dieser Stelle nicht ausführlich gewürdigt werden. Das Inhaltsverzeichnis des Buches ist auf der Internetseite des Klinkhardt-Verlages abrufbar.
Fazit
Der Titel und insbesondere der Untertitel des Buches weckt die Erwartung nach einer durchgängigen kritischen Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Inklusionsdiskurs. Dieser Anspruch kann nicht durchgängig eingelöst werden. Zutreffend ist eher der Begriff der ‚Momentaufnahme‘, den die Herausgeber/innen im Klappentext und in der Einleitung wählen. Es handelt sich um eine interessante Tagungsdokumentation, die einen Überblick über aktuelle Forschungsschwerpunkte und Projekte im Kontext der Integrations- und Inklusionsforschung gibt.
Rezension von
Prof. Dr. Albrecht Rohrmann
Professor für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt soziale Rehabilitation und Inklusion an der Uni Siegen, Zentrum für Planung und Entwicklung Sozialer Dienste (ZPE)
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Es gibt 25 Rezensionen von Albrecht Rohrmann.
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Zitiervorschlag
Albrecht Rohrmann. Rezension vom 25.04.2013 zu:
Carmen Dorrance, Clemens Dannenbeck (Hrsg.): Doing Inclusion. Inklusion in einer nicht inklusiven Gesellschaft. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung
(Bad Heilbrunn) 2013.
ISBN 978-3-7815-1900-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14719.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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