Petia Genkova, Tobias Ringeisen u.a. (Hrsg.): Handbuch Stress und Kultur
Rezensiert von Pfarrer Michael Lehmann-Pape, 20.03.2013

Petia Genkova, Tobias Ringeisen, Frederick T.L. Leong (Hrsg.): Handbuch Stress und Kultur. Interkulturelle und kulturvergleichende Perspektiven. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 500 Seiten. ISBN 978-3-531-17498-3. D: 39,99 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 50,00 sFr.
Thema
Wie hängen Kultur, Stress und Gesundheit voneinander ab? Was wird wo als Stress überhaupt empfunden und inwiefern bietet Stress im Rahmen konkreter Kulturen Anlass als Ansporn oder in welchen Hinsichten folgen auf Stress negative Auswirkungen? Welche Kompetenzen bieten jeweilige Kulturen zur erfolgreichen Bewältigung von Stress und durch welche Faktoren werden diese Kompetenzen „gestört“ bzw. „befördert“?
In der Betrachtung auf kulturvergleichender Ebene wird analysiert, welche Ursachen, Manifestationsformen und Konsequenzen des Stresserleben charakterisieren. Mit der zugleich anzuschließenden Frage, ob diese Charakteristika kulturspezifisch oder universal zu verstehen sind. In der interkulturellen Betrachtung wird dargestellt, wodurch Belastungen in interkulturellen Interaktionen entstehen und wie diese bewältigt werden können.
Das Stress zumindest in der subjektiven Wahrnehmung seit Jahrzehnten bereits ein zunehmend bedeutsamer Faktor für das Wohlbefinden und die Gesundheit darstellt, ist bereits breit diskutiert und bekannt. Durchaus aber auch objektive Zahlen (Zunahmen psychischer Erkrankungen und hier vor allem Depressionen und / oder „Burnout“) sprechen eine klare Sprache von der Bedeutung von „Stress“ und dessen Bewältigung“ für die Gesundheit.
So ist dieses Handbuch auf diesem Hintergrund zu verstehen und wendet sich dem Thema des Stresses objektivierend auf der Ebene zum einen des interkulturellen Vergleiches zu und arbeitet folgerichtig in einem interdisziplinären Ansatz. Zum anderen wird das Thema Stress und Gesundheit ebenso auf kulturvergleichender Ebene dargestellt.
Autorenteam
Prof. Dr. Petia Genkova ist Professorin für Wirtschaftspsychologie in Osnabrück, Prof. Dr. Tobias Ringeisen arbeitet mit Schwerpunkt auf Schlüsselqualifikationen und Kompetenzentwicklung an der Universität Merseburg und Dr. Frederick T.L. Leong ist Professor für Psychologie an der University East Lansing.
Aufbau und Inhalt
In vier Themenbereiche strukturieren die Herausgeber die 29 Kapitel des Buches.
Zunächst gibt das Buch Raum zur Darstellung ausgewählter aktueller Theorien und Konzepte in der Betrachtung von Stress und Gesundheit im kulturellen Kontext. Hier werden Wechselwirkungen von kulturellen Faktoren und dem Denken, Fühlen und Handeln im Kontext von Stress und Gesundheit in interdisziplinärer Weise beleuchtet. Wichtig in diesem Zusammenhang ist vor allem der Erwerb von Kompetenzen zur Emotionsregulierung zu nennen, sicherlich eine der Schlüsselkompetenzen zu Stressregulierung auf individueller Ebene, der durch verschiedene Kulturen verschieden vermittelt wird und somit bei interkulturellen Kontakten oder dem Hineinwachsen in eine andere Kultur durch Immigration in seinen erworbenen Automatismen nicht mehr ohne weiteres funktioniert. So mündet dieser erste Teil folgerichtig in die Darstellung des Konzeptes der Selbstkontrolle und dessen Bedeutung für den Umgang mit Belastungen in interkulturellen Settings
Im zweiten Teil werden die Forschungsmethoden und die Konzepte zur Datenauswertung verdeutlicht. Ein Teil, der sich auf die methodischen Besonderheiten in der kulturvergleichenden und der interkulturellen Stressforschung fokussiert.
Beide Teile können als Grundlegung und Vorbereitung für die folgenden, thematischen Teile des Buches verstanden werden.
Stress und Gesundheit im Kulturvergleich bietet dabei den ersten, breiten thematischen Blick, gefolgt von (und das Handbuch abschließend) der Darlegung von Stress und Gesundheit in interkulturellen Settings. Aufgenommen wird hier auch das am besten beleuchtete „Stressmoment“, die „Prüfungsangst“. Ein hervorragend geeignetes „Stress-Thema“, um daran darzustellen, wie sich Prüfungsangst im Kulturvergleich konzeptionalisiert und wie diese gemessen werden kann. Ergebnisse, die einige Kapitel weiter von einer anderen Seite her ebenfalls beleuchtet werden, in welcher Form nämlich sich soziale Unterstützung im kulturellen Vergleich manifestiert, sich auswirkt und wie sie mobilisiert werden kann.
Wie eng Stress, Stressempfinden und kulturelle Prägung und Verhaftung miteinander korrelieren, zeigt der letzte Themenbereich des Buches gut auf. Unter anderem am Beispiel eines Umzuges in ein anderes Land mit seiner Vielzahl von kultureller, physischer, psychischer und sozial-familiärer Stressoren. Im Folgenden vertieft sich das Verständnis gerade dieser Stressoren in der Analyse von Migrationssituationen, der damit einhergehenden Beeinflussung multikultureller Faktoren und, u.a., auch der Wirkung negativer Stereotype der „neuen Heimat“ auf die eigene Motivation und Leistungsfähigkeit.
Abschließend dienen die beiden letzten Kapitel des Handbuches einer Darlegung von Förderansätzen, um die individuellen Kompetenzen im Umgang mit Stress in interkulturellen Settings zu erhöhen. Eine „interkulturelle Kompetenz“ ist lernbar, das zum einen ist das Ergebnis dieser letzten Einlassungen und bildet eine der wichtigsten Kompetenzen zur Bewältigung von Stress
Diskussion
In großer Breite stellen die Herausgeber sich dem Thema des Zusammenhanges von Stress, Gesundheit und Kultur. Hierbei verfahren die einzelnen Autoren dann zusammenfassend in ihren einzelnen Darlegungen. Eine gelungene Herangehensweise, die auf der einen Seite eine Breite vorhandener Konzepte und Forschungsansätze im Buch vereint, ohne den Rahmen eines noch lesbaren Buches völlig zu sprengen.
Wie stark Kompetenzen zur Stressbewältigung kulturell weitergegeben werden ist im Buch ebenso gut herauszulesen, wie die Folgen einer immer stärkeren „Durchmischung“ von kulturellen Haltungen, sei es durch Internationalisierung, sei es durch Migration oder Immigration. Ob im „Kleinen“ (Stress in Partnerschaften und dessen Auswirkungen im interkulturellen Vergleich) oder im „Großen“ (Migration und „Landwechsel“), von vielen Seiten her wird „der Stress“, die Kompetenzen zur Stressregulierung und diese begünstigende Faktoren beleuchtet.
Anzumerken ist, dass nicht alle Beträge auf gleicher Intensität aufbauen. Die Erkenntnis z.B., das Stress Partnerschaften negativ beeinflusst und demgegenüber eine gelungene Partnerschaft als „Puffer gegenüber Belastungen fungiert bedürfte kaum eines eigenen Kapitels im Buch bei solch schmaler Erkenntnisdarstellung. Demgegenüber sind andere Beiträge wie die „Dynamik von Kultur und Selbstkonzept“ durchaus als komprimierte und gelungene Zusammenfassung eines interkulturellen Vergleiches gelungen.
Sprachlich bieten die einzelnen Beiträge durchweg ihre Inhalte sehr verständlich dar, die breiten Literaturangaben bieten eine Fülle von Anhaltspunkten für die vertiefende Weiterarbeit an den einzelnen Themen.
Im Gesamten stellt das Handbuch kein „Nachschlagewerk für Laien“ dar, die sich „einmal schnell“ über Stress informieren wollen, sondern bietet vielfache Puzzleteile, Analysen und Darlegungen zum Zusammenhang von Kultur, Stress und Gesundheit als je komprimierte Zusammenfassungen, die dann in eigener Arbeit je nach Interesse und Neigung vertieft werden wollen.
Fazit
In großer Breite arbeiten die Autoren Konzepte, Ursachen, begünstigende Faktoren und Kompetenzen zur Bewältigung in Bezug auf Stress heraus, mit denen ein aktueller Stand der Diskussion und der Forschung durchaus breit abgebildet wird. Hierbei sind nicht alle Beiträge gleich gewichtig und informativ.
Durch die vielfachen Literaturhinweise und die zusammenfassende Aufnahme aktueller Konzepte eignet sich das Handbuch sowohl zur Vergewisserung des Status quo in den einzelnen Themen als auch als Grundlage für die gezielte Weiterarbeit an ausgewählten Themen.
Rezension von
Pfarrer Michael Lehmann-Pape
Es gibt 23 Rezensionen von Michael Lehmann-Pape.
Zitiervorschlag
Michael Lehmann-Pape. Rezension vom 20.03.2013 zu:
Petia Genkova, Tobias Ringeisen, Frederick T.L. Leong (Hrsg.): Handbuch Stress und Kultur. Interkulturelle und kulturvergleichende Perspektiven. Springer VS
(Wiesbaden) 2013.
ISBN 978-3-531-17498-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14734.php, Datum des Zugriffs 22.03.2023.
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