Burkhard Müller: Professionell helfen
Rezensiert von Prof. (i.R.) Dr. Gudrun Ehlert, 30.07.2013

Burkhard Müller: Professionell helfen. Was das ist und wie man das lernt. Klaus Münstermann Verlag (Ibbenbüren) 2013. 152 Seiten. ISBN 978-3-943084-09-2.
Autor
Prof. Dr. habil. Burkhard Müller war Professor im Ruhestand und Lehrbeauftragter am Institut für Organisations- und Sozialpädagogik der Stiftung Universität Hildesheim und der International Psychoanalytic University Berlin. Er ist am 23. Mai 2013 im Alter von 74 Jahren gestorben.
Entstehungshintergrund
Burkhard Müller richtet die Aufmerksamkeit auf eine im deutschsprachigen Raum nie wirklich zu Kenntnis genommene Theorie, auf den Ansatz des „Functional Social Work“, der in den 1930er Jahren in den USA von Jessie Taft (1882-1960) und Virginia Robinson (1883 -1977) erarbeitet wurde. Er möchte die Beiträge der beiden Frauen entsprechend würdigen und zeigen, dass sie auch heute noch wichtige Impulse zu einer Theorie professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit geben können.
Aufbau und Inhalt
Die Publikation besteht aus vier Teilen:
- Teil 1: Prozess und Funktion professionellen Handelns in der Bearbeitung sozialpädagogischer Fälle
- Teil 2: Fremdplatzierung von Kindern als professionelle Tätigkeit
- Teil 3: Sozialpädagogische Professionalität als Ausbildungsproblem: Der Beitrag Virginia Robinsons
- Teil 4: Professionalität und der Umgang mit Zeit
Diesen vier Kapiteln stellt Burkhard Müller zwanzig einleitende Seiten voran, in denen er das „Anregungspotenzial“ (S.9) der Schriften von Jessica Taft und Virginia Robinson hervorhebt und deren Verständnis von Helfen als Prozess und Dienstleistung als Funktion in gegenwärtige Debatten der handlungstheoretischen Verortung Sozialer Arbeit als Profession einordnet. Auf diesen Seiten werden von Müller grundlegende Begriffe wie Hilfe, Arbeitsbündnisse, die helfende Beziehung und die relationale Professionalität präzisiert und daran anschließend der Aufbau und die Gliederung der Publikation erläutert. Um die Relevanz des Ansatzes der beiden Frauen den Leserinnen und Lesern verständlich zu machen, hat sich Burkhard Müller zu einer Dokumentation, der von ihm ins Deutsche übersetzten Texte entschlossen, die er mit eigenen „essayistischen Kommentaren“ (S.27) verbindet. Er hat die Auswahl der Texte vorgenommen und betont, dass die aufgenommen Aufsätze aus den 1930er Jahren nur auszugsweise von ihm übersetzt wurden und das diese Auswahl das Lebenswerk von Taft und Robinson keinesfalls repräsentieren kann. Mit seinen eigenen Essays möchte Müller den Gehalt der Texte herausstellen und Brücken zu aktuellen Diskussionen schlagen.
Im ersten Teil stellt Müller den Ansatz des „Functional Social Work“ mit Auszügen aus Jessica Tafts programmatischen Artikel von 1937 „Die Beziehung von Funktion und Prozess im Social Casework“ vor. Auf diesen Seiten setzt sich Taft mit grundlegenden Fragen der Professionalisierung und Verortung Sozialer Arbeit auseinander, die häufig, wie fast alle von Müller ausgewählten Texte, hoch aktuelle Themen berühren, wenn sie beispielsweise schreibt: „Soziale Arbeit ist in das Niemandsland zwischen dem Wissenschaftlichen und dem Professionellen, zwischen Wissen und Können gefallen“ (S.34). Der Text von Taft wird ergänzt durch einen eigenen Beitrag von Burkhard Müller „Beziehungsarbeit und Organisation. Ein Interpretationsversuch zur Theorie des sogenannten Functional Social Work“, eine überarbeitete Version eines Artikels, den er 2002 im Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik veröffentlicht hat. Hier plädiert Müller dafür, Soziale Arbeit als Profession nicht nur von den Individuen her zu bestimmen, sondern die „Herstellung und ständige Überprüfung“ geeigneter administrativer Strukturen für die Arbeit mit Klientinnen und Klienten zur „ureigenen Aufgabe“ der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu machen.
Der zweite Teil „Fremdplatzierung von Kindern als professionelle Tätigkeit“ beginnt mit einem einführenden Kommentar von Burkhard Müller zu der Frage: Können und müssen schon kleine Pflegekinder am Prozess ihrer Unterbringung beteiligt werden? Müller problematisiert die Nichtbeteiligung von insbesondere kleinen Kindern in Kinderschutzverfahren in Deutschland und hebt das Anregungspotenzial der Fallstudien aus den 1930er Jahren erneut hervor: „Schon ganz kleinen Kindern soll hier eine aktive Verarbeitung ihrer Fremdplatzierungserfahrungs-Erfahrung ermöglicht und der bequeme Irrglaube bekämpft werden, je kleiner das Kind sei, desto weniger ‚merke‘ es, was mit ihm geschieht und je weniger es ‚merke‘, desto besser“ (S.69).
Für den dritten Teil zur sozialpädagogischen Professionalität als Ausbildungsproblem hat Burkhard Müller verschiedene Beiträge von Virginia Robinson ausgewählt und übersetzt. Es handelt sich um einen gekürzten Aufsatz aus dem Jahr 1941 zum professionellen Können (The Meaning of Skill), um einen Beitrag über „Supervision für Soziale Fallarbeit“ sowie um zwei kontrastive Fallbeschreibungen zum Lernprozess in der Supervision während des Studiums. Der Artikel und die beiden Dokumente sind Teil einer Veröffentlichung von 1936 zur Ausbildung von Sozialarbeiterinnen, sie zeichnen sich durch eine beeindruckende Differenziertheit und Lebendigkeit aus. Robinsons Anliegen ist es, die Ausbildung zu einer gelebten Professionalität Sozialer Arbeit zu begründen. Grundlagen ihres Verständnisses von Sozialer Arbeit sind eine kritische Auseinandersetzung mit dem Einfluss der Psychoanalyse auf das Casework sowie der von ihr und Taft entwickelte Ansatz des Functional Social Casework. Für Robinson, so fasst Burkhard Müller ihren Ansatz zusammen, ist „der eigentliche Kern der Ausbildung ein Prozess der Selbsterziehung im Medium des supervisorischen Arbeitsbündnisses“ (S.156).
Im vierten Teil setzt sich Jessica Taft in ihrem Beitrag „Das Element Zeit in der Therapie“ aus dem Jahr 1933 mit dem Verhältnis von Therapie und Sozialer Fallarbeit auseinander. Taft bezieht sich auf die Arbeiten Otto Ranks, dessen kritische Reflexion der Psychoanalyse prägt ihr Verständnis des Prozesses sozialpädagogischer Interventionen. Ranks Idee der Zeitbegrenzung als therapeutisches Mittel entfaltet sie in einer sehr lebendigen und hochreflexiven Sprache. Müller arbeitet in seinem Beitrag „Gemeinsamkeiten und Unterschiede von therapeutischer und sozialpädagogischer Arbeit in ihrem Gebrauch von Zeit“ den theoretischen Hintergrund Ranks aus. Den Abschluss des vierten Teils bildet Müllers Resümee einer Einordnung der Arbeiten von Taft und Robinson vor dem Hintergrund aktueller Diskurse um die politischen Dimensionen der Sozialen Arbeit.
Diskussion und Fazit
Die Texte von Jessica Taft und Virginia Robinson sowie Burkhard Müllers eigene Beiträge bestechen durch ihre Genauigkeit, man könnte auch sagen, durch ein Ringen um Erkenntnis zu Grundfragen Sozialer Arbeit. Das macht die Lektüre spannend und ungeheuer lohnend. Es war Burkhard Müller ein Anliegen, den Ansatz der beiden Protagonistinnen in Erinnerung zu bringen. Das ist ihm hervorragend gelungen. Durch seinen plötzlichen Tod wird diese Veröffentlichung gleichsam zur Erinnerung an ihn.
Rezension von
Prof. (i.R.) Dr. Gudrun Ehlert
Hochschule Mittweida, Fakultät Soziale Arbeit
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