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Traugott Jähnichen, Johannes Rehm et al. (Hrsg.): Alternde Gesellschaft

Rezensiert von Prof. Dr. Ralf Evers, 19.03.2013

Cover Traugott Jähnichen, Johannes Rehm et al. (Hrsg.): Alternde Gesellschaft ISBN 978-3-579-08055-0

Traugott Jähnichen, Johannes Rehm, Hans-Richard Reuter, Sigrid Reihs, Gerhard Wegner (Hrsg.): Alternde Gesellschaft. Soziale Herausforderungen des längeren Lebens. Gütersloher Verlagshaus Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH (Gütersloh) 2013. 328 Seiten. ISBN 978-3-579-08055-0. D: 29,99 EUR, A: 30,90 EUR, CH: 40,90 sFr.
Reihe: Jahrbuch Sozialer Protestantismus - 6.

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Thema

Der nunmehr sechste Band des „Jahrbuchs Sozialer Protestantismus“ stellt dem Titel folgend die Frage nach einer alternden Gesellschaft. Präziser gefasst wird von den meisten Beiträgen im Jahrbuch nach dem Altern in der heutigen Gesellschaft gefragt. Als Hintergrund der Diskussion benennt Gerhard Wegner in der Einleitung, dass „neue hegemoniale und für nicht wenige auch attraktive Leitbilder des Alters entstanden (seien), die mehr Lebensgenuss und Lebensgewinn bis ins hohe Alter hinein versprechen – die aber auf der anderen Seite auch neue Verlierergruppen unter den Alten produzieren, die auf diesem Kurs beim besten Willen nicht mehr mithalten können“ (8f.). Diese Ambivalenz soll von den Beiträgen beleuchtet werden.

Das Jahrbuch hebt sich mit dieser Ausrichtung von den vorhergehenden Bänden ab, die im wesentlichen sozialpolitische Diskurse eröffneten und einen kritischen Blick auf den Zusammenhang von Wirtschaft und sozialer Verfassung der Gesellschaft warfen. Es ist vielmehr in einer Reihe mit anderen Sammelbänden zum Thema zu sehen und muss sich die Frage stellen lassen, welche neue Perspektive in die Diskussion eingebracht wird.

Herausgeber und AutorInnen

Die Reihe „Jahrbuch Sozialer Protestantismus“ wird seit 2007 von der Stiftung Sozialer Protestantismus, dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der EKD und dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD herausgegeben. Den Herausgeberkreis bilden Traugott Jähnichen, Hans-Richard Reuter, Sigrid Reihs und Gerhard Wegner, inzwischen ergänzt um Torsten Meireis und Johannes Rehm.

Die VerfasserInnen der Beiträge kommen aus dem Umfeld des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD und aus der Berichtskommission für den sechsten Altenbericht der Bundesregierung.

Aufbau und Inhalt

Der Sammelband vereint zwölf Beiträge zum Thema, die ihrerseits in vier Gruppen geordnet sind: Auf die Skizze der Horizonte folgen sozialethische und theologische Perspektiven, sozialpolitische Brennpunkte und schließlich Hinweise zu Praxisfeldern.

Petra-Angela Ahrens eröffnet den Band mit einem Überblick mit einem knappen Überblick über die Alter(n)sforschung. Leitend ist vielmehr für den Beitrag die Perspektive der Älteren, für die sie auf eine Repräsentativbefragung des Sozialwissenschaftlichen Instituts aus dem Jahr 2010 zurückgreift: Wie sehen Ältere das Alter(n)? Wie spiegelt sich der gesellschaftliche Wandel in dieser Perspektive? Wie lassen sich Ältere in die engagierte Zivilgesellschaft einbinden? Diese Perspektive mündet in eine knappe Zusammenfassung der Studie, die zusammen mit dem folgenden Rekurs auf den Freiwilligensurvey ein Blick auf Selbstbewusstsein und Engagiertheit der älteren Menschen zulässt. Interessant am Beitrag ist der empirische Beleg dafür, dass Religiosität im Alter nicht mit Gebrechlichkeit oder Desintegration einhergeht, sondern mit den aktiven und positiven Deutungen des eigenen Alter(n)s.

Andreas Mayert stellt den durch die Industrialisierung bedingten Strukturwandel der familialen Altersvorsorge vor. Es werden Indizien dafür entwickelt und bewertet, dass das Risiko, im Alter unversorgt zu sein, im 19. Jahrhundert zugenommen hätte und nicht mehr familiär abzusichern gewesen sei. Insbesondere die Betrachtung Geburtenentwicklung zwischen 1870 und 1930 – Gegenstand von Mayerts Dissertation - ist spannend. Der zunehmend ausbleibenden familialen Unterstützung wird durch den staatlichen Eingriff in die Altersvorsorge begegnet, die ihrerseits wieder Auswirkungen auf die familialen Verhältnisse hatte, die teilweise nicht intendiert waren. In ähnlicher Weise werden die Interdependenzen zwischen Gesetzlicher Rentenversicherung in der Bundesrepublik und familialer Altersvorsorge beschrieben. Mayert unterscheidet dabei zwischen Altersvorsorge und Altersversorgung. Die Lebensstandardsicherung der Rente entziehe der Altersvorsorge ihr zentrales Motiv und relativiere den „ökonomischen Nutzen“ (65) von Kindern. Gleichzeitig aber bliebe der Umfang der von Familien für ihre Mitglieder erbrachten Leistungen hoch und hätten spezifische Vorteile gegenüber Marktlösungen. Die wohlfahrtsstaatlichen Arrangements müssen sich daher fragen lassen, ob sie die familialen Leistungen verdrängen, ergänzen oder stärken. Der Beitrag zeichnet sich durch die instruktiv vorgestellten Informationen und ihre Bewertung aus.

Der Beitrag von Harm-Peer Zimmermann ist der erste theologische im Band und untersucht die Beachtung von Alter in den großen Religionen: Christentum und Judentum einerseits und Hinduismus und Buddhismus sowie Daoismus und Konfuzianismus andererseits. Dabei wird das Fazit vorangestellt: „Religionen veranschlagen Ansehen und Status des Alters in der Regel hoch.“ (74) Alter werd im Rahmen des allgemeinen Menschenbildes bestimmt und seine Qualität in den allermeisten Fällen aus der Nähe zum Tod abgeleitet. Damit einher gehe die Zuschreibung sozialer und kultureller Funktionen. Zimmermann verdichtet diese Überlegungen in der Unterscheidung von Irrelevanz des Alters – dem Aufgehen im Menschenbild – und von Relevanz des Alters – der Hochschätzung der Lebensphase. Zwangsläufig sind die durchaus informativen Passagen zur Irrelevanz des Alters der Vorstellung des Menschenbildes im allgemeinen vorbehalten. Spannender sind die Aussagen zur Relevanz des Alters. Es sei die Nähe zum Tod, die dem Alter seine Besonderheit für alle Religionen gäbe. Menschliche Grundbefindlichkeiten wie Leiblichkeit oder Verletzlichkeit würden sich so radikaler abzeichnen. Was anthropologisch universal sei, kommt im Alter in besonderer Schärfe zur Geltung. Das Alter wird zum Feld, auf dem die Religionen ihre humanen Grundgedanken entwickeln. Die dabei entstehenden Differenzen zwischen den Religionen werden sehr informativ vorgestellt. Doch bleibt es bei der Hochschätzung des Alters in allen Religionen, weil es momentane innerweltliche Anforderungen zu relativieren und zu transzendieren vermag.

Den Mittelpunkt des Bandes bilden die beiden Aufsätze von Traugott Jähnichen und Gerhard Wegner. Im Grunde vermögen es nur diese beiden Texte einen Beitrag zur ethischen und theologischen Selbstverständigung im Sinne eines Sozialen Protestantismus zu leisten: Den Ausgangspunkt von Traugott Jähnichens Betrachtungen bildet der Wirk- und Geschehenszusammenhang zwischen den Generationen, der sich unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft verändert, gleichwohl aber grundlegend bleibt – und eine wechselseitige Verantwortung der Generationen begründet: Weitergabe des Erbes, Kindererziehung, Altersversorgung. Jähnichen bestimmt den heuristischen Wert von soziologischen und ökonomischen Generationenkonzepten und stellt dem eine „alltagssprachlich-lebensweltliche“ Unterscheidung von erwerbstätigen, noch nicht erwerbstätigen, nachwachsenden und nicht mehr erwerbstätigen, älteren Generationen gegenüber, die er auf ihre jeweilige ethische Verantwortung und ihre Einflussnahme auf Lebensbedingungen und Handlungsspielräume hin befragt.

Im Mittelpunkt seiner Erwägungen steht die kritische Diskussion zweier Konzepte: dem „lebensweltlich fundierten Konzept der ‚Generationensolidarität‘“ und der „Generationengerechtigkeit im Horizont eines aufgeklärten Eigeninteresses“. Für ersteres referiert Jähnichen die Überlegungen von Peter Dabrock, der den Gedanken der Gabe in den Mittelpunkt des Generationenverhältnisses rückt, in dem sich nun Dankbarkeit als zentrales Motiv erweist. Zur Lösung aktueller Herausforderungen sei auf die Solidarität zu setzen, die als Drittes zwischen Liebe und Gerechtigkeit eingeführt wird. Jähnichen bescheinigt diesem Konzept seinegute lebensweltliche Verankerung. Sieht aber die Basis schwinden, wo ältere Menschen nicht auf Versorgungsleistungen angewiesen sind, ihre Geldvermögen auflösen oder keine Kinder haben. Die faktische Aufhebung der Generationensolidarität öffnet die Schere zwischen vermögenden Konsumenten und Bedürftigen. Esist nach einem Modell verteilender und ausgleichender Solidarität zu suchen. – Reiner Anselm und Andreas Schuchanek suchen – so das Referat von Jähnichen - zu zeigen, dass die Investition in andere Generationen im Eigeninteresse der jeweils aktiven liegt. Der fehlende Respekt gegenüber Älteren führe zum fehlenden Respekt innerhalb der Gesellschaft ebenso wie der sorgende und – im Sinne des Elternliebegebotes – ehrende Umgang zu einem „langen Leben“ führe. Auch hier kritisiert Jähnichen: Das Modell bietet letztlich aber nur Verfahrensklärungen, ist aber auch einem unkritischen Fortschrittsdenken verhaftet. Es sei vielmehr nach „allgemein zustimmungsfähigen Regeln der Verteilung der intergenerativen Aufgaben“ (127) zu fragen.

Die bisherigen Überlegungen setzten ein Verhältnis von drei Generationen zueinander voraus. Tatsächlich lösen aber institutionelle Vermittlungen den unmittelbaren Generationenkontakt auf. Es müssten Anreize für die Investition in Kindererziehung wie in Altenversorgung gegeben werden. Die Konzentration auf die Renten hat die Kinderversorgung sozialstaatlich marginal werden lassen. Mit Franz-Xaver Kaufmann fordert Jähnichen, dass die Sozialpolitik wieder Bezug auf drei Generationen nehmen müsse. Im Blick auf die ebenso notwendige Reform der Altensicherungssysteme verweist er mit der Denkschrift der Kirchen „Verantwortung und Weitsicht“ auf Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit als entscheidende Bausteine einer künftigen Solidarität. Grundsicherung sei zu gewährleisten. Diese Schlusswendung hat einige Praxisrelevanz für sich. Spannend wäre aber auch gewesen, wenn Jähnichen ein eigenes Konzept von Generationensolidarität vorgestellt und theologisch begründet hätte.

Gerhard Wegner eröffnet schließlich die im engeren Sinn theologische Diskussion. Dabei zielt er darauf, den Gedanken der Generativität oder Natalität für die Wahrnehmung des Alters mehr Gewicht zu geben. Die Identifikation des Alters als Gestaltungsprojekt, das Freiheit ebenso bedürfe wie es Freiheit konstituiere, bildet den Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Dieser Weichenstellung wird ein Denken, dass das Alter aufgrund der Todesnähe eine besondere Gottesnähe zubilligt, nicht gerecht. Emanzipation im Alter kann nicht in der Einweisung in die Zustimmung zum Tod oder ins Altern aufgehen. Die Lebenssituation der „jungen Alten“ wirft vielmehr die Frage auf: „Gibt es eine Generativität des Alters?“ (139). In Auseinandersetzung mit Eberhard Jüngel und Gerhard Sauter führt Wegner vor, wie die gängigen theologischen Deutungen bei der Endlichkeit des Lebens ansetzten und als „Metamorphosen der Mortalität“ zu verstehen sind. Am Ende zielten sie nicht auf Bedürfnisbefriedigung, sondern auf Verhaltenssteuerung. Nach einem Seitenblick auf theologische Konzepte, die das Alter als Phase der existentiellen Radikalisierung bestimmten und der Kultur der Endlichkeit die Möglichkeiten gegenüberstellen, referiert Wegner zur aktuellen „gerontologischen Revolution“ (153). Die Heraufkunft der „jungen Alten“ und das „Aktivierungsparadigma“ sind Bausteine dieser Revolution.

Die theologische wie die sozialwissenschaftliche Kritik am Aktivierungstheorem wird vorgestellt. Gleichzeitig nimmt Wegner aber einzentrales Motiv auf. Es geht um das Bild des „guten Lebens“, um die Möglichkeit, im Alter neu werden zu können. Wieder werden aktuelle gerontologische Diskurse vorgestellt; mehr aber geht es um eine theologische Begründung der „Altersgenerativität“. Mit der Wendung vom neuwerden im Alter greift Wegner die Orientierungshilfe des Rats der EKD auf und wünscht sich eine Erweiterung dieser neuen Perspektive auf alle Lebensalter. „Die gesamte Theologie des Lebenslaufs bzw. die theologische Anthropologie müsste sich neu ausrichten, wenn man weiß, dass der Mensch ein homo inceptor ist, ein ständiger Anfänger.“ (166)

Für die folgenden vier Beiträge musste ein gemeinsamer Titel gefunden werden. Der gewählte ist insoweit irreführend, als es die Beiträge nur bedingt vermögen, die aktuellen sozialpolitischen Brennpunkte einer „alternden Gesellschaft“ zu umreissen: Carolin Eitner und Gerhard Naegele legen einen Aufsatz zu Altersbildern in der Arbeitswelt vor, der insbesondere auf die Passagen des 6. Altenberichts rekurriert, die von Naegele mitverantwortet wurden. ergänzt werden die entsprechenden Überlegungen durch Daten einer repräsentativen Untersuchung zu Selbst- und Fremdbildern in der Arbeitswelt. Die Ergebnisse – „Arbeitgeber wie ältere Beschäftigte schätzen ihre Leistungsfähigkeit mehrheitlich positiv ein“ und „Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Anzahl der ‚age-Management‘-Maßnahmen und den vorhandenen betrieblichen Altersbildern“ (185) – überraschen nicht. Sie münden in die Wiederholung der Empfehlungen der Altenberichtskommission. – Dieter Hackler präsentiert einen sehr weiten Blick auf das Thema und stellt mit wiederholtem Rückgriff auf biblische Bezüge die Vielfalt der Lebensformen im Alter in den Vordergrund. Würden neue und vielfältigere Bilder vom Alter verbreitet werden können, wäre dies die Basis für die gemeinsame Gestaltung des notwendigen Wandels. Ziel sei eine Kultur gegenseitiger Wertschätzung. – Spannender sind wieder die beiden folgenden Texte.

Auch Thomas Klie verarbeitet seinen Beitrag zum 6. Altenbericht und fragt nach Altersdiskriminierung im Recht. Zwangsläufig richtet sich der Blick auf die diskriminierende Wirkung von Altersgrenzen und auf deren Abhängigkeit von Altersbildern. Administrative Routinen werden durch ein chronologisches Altersverständnis bestimmt. Die 455 Altersgrenzen im deutschen Recht sind politisch gesetzte Altersgrenzen, die aber ihrerseits individuell erfahrbar sind und Einfluss auf kollektive Altersbilder haben. Folgerichtig beschreibt Klie nicht nur die Arten, Felder und Funktionen der Altersgrenzen, sondern eben auch nach ihren Wirkungen. Die Zusammenstellung ist umfassend und illustriert Klies These, dass die Lebensphase Alter rechtlich konstituiert wird. Nur die Aufgabe der Regelaltersgrenzen, so der Schluss des umfassenden Fazits, würde das Alter den normativen Prägungen entziehen. Andersherum sollte das Recht auf einem differenzierten Altersbild fußen. Kirchen könnten einen eigenen Beitrag durch einen flexiblen Umgang mit Altersgrenzen leisten und Diskriminierungen mindern.

Nach der Diskriminierung ist es die Auseinandersetzung mit dem Schlagwort der „Aktivierung“, das einen echten sozialpolitischen Brennpunkt betrifft. Klaus R. Schroeter verdeutlicht an der Rechtfertigung des „aktivierenden Sozialstaat“ wie an den aktuellen Schlüsselkonstrukten der Sozialen Arbeit und der Sozialen Gerontologie – „Empowerment“ und „aktives, erfolgreiches und produktives Altern“ – Aktivierung zur normativen Leitformel wird. Soziale Arbeit und Gerontologie treffen sich in der sozialen Altenarbeit, die den Wechsel von der versorgenden zur aktiven und partizipativen Arbeit vollzogen hat. Auf den Einzelfall bezogen wie in Hinsicht auf die Organisations- und Strukturebene werden Empowermentansätze genutzt. Ähnlich fördert und fordert die Rede vom erfolgreichen und aktiven Altern die Hinwendung zum Produktivitätsdiskurs. Mit Rückgriff auf Foucault identifiziert Schroeter diese Wendungen als „Bio-Politik“, die durch Disziplinierung des Körpers und Kontrolle der Bevölkerung das individuelle Handeln im Sinne des allgemeinen Interesses reguliert. Die aktivierende Politik mache den Einzelnen zum Kontrolleur und Prüfer seiner selbst. Fremdzwänge werden in Selbstzwänge verwandelt; Menschen werden zu „Unternehmern“ ihrer selbst, die Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung und Selbstrationalisierung (266) kennzeichnen.

Den Schluss des Bandes bilden drei Beiträge, die unter dem Stichwort „Praxisfelder“ zusammengefasst wurden. Cornelia Coenen-Marx appelliert für die Rechte der Pflegenden. Klaus Dörner sieht die besondere Chancen von Kirchengemeinden darin, solidarische Strukturen im sozialen Nahraum auszuprägen. Insbesondere die jungen Alten verstünden es im Sinne einer Bürgerhelferbewegung, wie von Dörner andernorts mehrfach entwickelt, zu einer Re-sozialisierung beizutragen. Kristin Bergmann entwickelt Perspektiven für eine Kirche, die beide Stränge des demographischen Wandels – das „Wenigerwerden der Jüngeren“ und die „zunehmende Zahl der Älteren“ aufnimmt. Ihre Zusammenschau zur sich wandelnden Altersreligiosität, v.a. aber zum Umgang von Kirche mit dem veränderten Alter ist gleichermaßen informativ wie umfassend. Ihr Text greift Stichworte und Aspekte der vorhergehenden Beiträge auf, konzentriert sich aber auf den Appell, die Praxis kirchlicher Altenarbeit und mit ihr die Kirche müsse sie sich selbst verändern.

Diskussion und Fazit

Woher erhält eine solche Änderung aber ihre Orientierung? – Aus dem theologischen Raum liegen inzwischen doch schon eine ganze Reihe gehaltvoller Beiträge zum Zusammenhang von Altern und Gesellschaft und deren theologischer Aufarbeitung vor. Der Sammelband vermag dem nur bedingt Neues hinzuzufügen, zumal er seinen Anspruch, die Situation von dem hegemonialen Altersbild der jungen und fitten Alten her zu diskutieren (Klappentext) nicht gerecht wird. Radikal unterbelichtet bleibt der Blick auf die Verhinderungen des „guten Lebens“ angesichts der wachsenden sozialen Ungleichheit.

So wird den Leserinnen und Lesern ein Sammelband mehr zum Thema „Altern und Gesellschaft“ angeboten. Da eine konsequente Fokussierung der Einzelbeiträge auf ein Thema oder eine leitende Fragestellung fehlt, ist allein die Lektüre einzelner Beiträge gewinnbringend. Hier sind aus theologischer Sicht vor allem Wegner und Jähnichen zu nennen, aber auch die Beiträge von Klie und Schroeter sind informativ. Ein Diskussionsbeitrag des Sozialen Protestantismus aber – sei es zur Identifikation der brennenden Sozialen Fragen, sei es zur Bewusstmachung von Potentialen Sozialer Verantwortung – ist nicht zu erkennen.

Rezension von
Prof. Dr. Ralf Evers
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Es gibt 17 Rezensionen von Ralf Evers.

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Zitiervorschlag
Ralf Evers. Rezension vom 19.03.2013 zu: Traugott Jähnichen, Johannes Rehm, Hans-Richard Reuter, Sigrid Reihs, Gerhard Wegner (Hrsg.): Alternde Gesellschaft. Soziale Herausforderungen des längeren Lebens. Gütersloher Verlagshaus Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH (Gütersloh) 2013. ISBN 978-3-579-08055-0. Reihe: Jahrbuch Sozialer Protestantismus - 6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14820.php, Datum des Zugriffs 05.11.2024.


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