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Stefanie Schmahl: Kinderrechts­konvention

Rezensiert von Prof. Dr. Manfred Liebel, 06.05.2013

Cover Stefanie Schmahl: Kinderrechts­konvention ISBN 978-3-8329-7650-7

Stefanie Schmahl: Kinderrechtskonvention. Mit Zusatzprotokollen. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2013. 386 Seiten. ISBN 978-3-8329-7650-7. D: 58,00 EUR, A: 59,70 EUR, CH: 81,90 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8487-1439-1 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Vor nunmehr fast 24 Jahren, am 20. November 1989, wurde die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Mit ihr wurden erstmals Kinder als Subjekte eigenen Rechts in völkerrechtlich verbindlicher Weise anerkannt. In der KRK sind erstmals politisch-zivile, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte in einem einzigen Menschenrechtsvertrag zusammengefasst, wobei hervorzuheben ist, dass neben Schutz- und Förderrechten erstmals auch Partizipationsrechte verankert wurden. Die KRK und drei inzwischen beschlossene Zusatzprotokolle haben weltweit ein Umdenken über die soziale Stellung von und den Umgang mit Kindern eingeleitet. Auch in Deutschland kamen seitdem einige rechtliche Regelungen zustande, die kinderrechtliche Vorgaben aufnehmen und Kindern zugutekommen, z.B. das im Bürgerlichen Gesetzbuch seit dem Jahr 2000 verankerte Recht auf „gewaltfreie Erziehung“. Zahlreiche Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO), die mit Kindern befasst sind, versuchen zunehmend ihre Arbeit an den Kinderrechten zu orientieren, und setzen sich in einem Netzwerk („National Coalition“) für ihre Umsetzung ein. An der Freien Universität Berlin besteht seit 2007 ein weiterbildender Masterstudiengang zu Kinderrechten, über den auch die interdisziplinäre Forschung zu Entstehung, Umsetzung und Weiterentwicklung der Kinderrechte Impulse erhält.

Wie alle Rechtsvorschriften bedarf auch die Kinderrechtskonvention der Interpretation, die durchaus unterschiedlich erfolgt. Obwohl Kinder nunmehr als Rechtssubjekte definiert sind, haben sie darauf selbst bisher nur geringen Einfluss, nicht zuletzt weil sie nur eingeschränkt über politische Rechte verfügen. Seit Verabschiedung der KRK sind zahlreiche Schriften zu Kinderrechten erschienen, die auf Vorzüge und Schwachpunkte der KRK hinweisen und zu ihrem besseren Verständnis und ihrer Handhabung beitragen. Gleichwohl fristen die Kinderrechte in der deutschen Rechtspraxis und in der Rechtswissenschaft noch ein Schattendasein. In dem hier vorgestellten juristischen „Handkommentar“ wird erstmals in deutscher Sprache die KRK in ihrer inneren Logik, in Zusammenhang mit anderen Rechtsnormen und unter Bezug auf einschlägige Entscheidungen von Gerichten sowie rechtswissenschaftliche Erörterungen von Einzelfällen und strittigen Fragen erläutert. Solche „Kommentare“ sind nicht rechtsverbindlich, aber sie werden von Gerichten, Parlamenten und Verwaltungsbehörden häufig bei Entscheidungen zu Rate gezogen.

Autorin, Aufbau und Inhalt

Der Handkommentar, dessen Verfasserin Stefanie Schmahl den Lehrstuhl für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Würzburg innehat, verfolgt die Absicht, die UN-Kinderrechtskonvention historisch und systematisch zu erschließen. Dabei werden auch die Fakultativprotokolle, die die KRK materiell-rechtlich ergänzen und erweitern, in die Erörterung der Einzelvorschriften der KRK eingebunden.

Die beiden ersten Protokolle beziehen sich zum einen auf die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, zum anderen auf Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie. Auch das inzwischen von der UN-Generalversammlung verabschiedete, aber noch nicht in Kraft getretene dritte Fakultativprotokoll, das unter anderem Kindern das Recht auf Individualbeschwerde einräumt und damit die Bedeutung der Kinderrechte als subjektive Rechte unterstreicht, wird in die Betrachtung bereits einbezogen. Den vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Form von „General Comments“ oder „Concluding Observations“ erlassenen Empfehlungen wird in dem Kommentar besonderes Gewicht beigemessen, weil sie die Auslegung der Konvention erheblich konkretisieren und für das Verständnis als wesentlich erachtet werden. Des Weiteren werden Vergleiche mit anderen (universellen und regionalen) menschenrechtlichen Bestimmungen sowie mit einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften vorgenommen. Damit sollen Hinweise gegeben werden, welche Verflechtungen im zwischenstaatlichen, auf mehrere Ebenen bezogenen Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen bereits bestehen und wie gelegentliche Widersprüche und Spannungsverhältnisse zu beurteilen und aufzulösen sind.

In der Einleitung werden Anlass, Zweck und Ziele der Kinderrechtskonvention, ihre Entstehungsgeschichte und ihre Stellung im System des internationalen Menschenrechtsschutzes erläutert; dabei wird auch auf Vorzüge und Defizite der Konvention im Vergleich zu anderen universellen Menschenrechtsverträgen hingewiesen. Schließlich wird die Bedeutung der Kinderrechtskonvention für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland umrissen, sowie ein Überblick über ihre Grundkonzeption, ihren Aufbau und ihre Kernregelungen vermittelt.

Im Hauptteil des Kommentars, der 315 Seiten umfasst, werden die einzelnen Artikel der Kinderrechtskonvention referiert und unter verschiedenen Aspekten erläutert. Dabei wird jeweils eine Definition des Gegenstandes bzw. der Schutz- oder Gewährleistungsbereiche, auf die sich der jeweilige Artikel bezieht (z.B. Kind/Kindheit, Garantie des Kindeswohls, Diskriminierungsverbot, Rechte und Pflichten von Eltern und Familienverbünden, Schutz vor Gewalt, Recht auf Bildung, Recht auf soziale Sicherheit, Recht auf kulturelle Identität, Mitspracherecht des Kindes), vorgenommen und seine Hintergründe und Bedeutungen erläutert, die Einbettung in das System des internationalen Menschenrechtsschutzes aufgezeigt und die Auswirkung auf die deutsche Rechtsordnung erörtert.

Wie in juristischen Kommentaren üblich, wird eingangs ein gedrängter Überblick über die zahlreich verwendeten – ausschließlich deutsch- und englischsprachigen – Quellen (Gesetze, Konventionen, Gerichtsurteile, Denkschriften, Staatenberichte, Stellungnahmen und Protokolle von UN-Ausschüssen, Rechtskommentare, Forschungsliteratur u.a.) gegeben und am Ende ein detailliertes Stichwortverzeichnis angefügt. Die drei Fakultativprotokolle werden ebenso wie die 54 Artikel der Kinderrechtskonvention im Wortlaut wiedergegeben.

Nach den Worten der Verfasserin soll der Handkommentar dazu beitragen, „das Verständnis für den sensiblen und komplexen Bereich der Kinderrechte zu erhöhen; zugleich möchte er als praktisch orientierter Leitfaden mögliche Wege zu einem national wie international kohärenten System des kindbezogenen Menschenrechtsschutzes aufweisen. Die Erläuterungen wenden sich primär an diejenigen Personen, die sich mit den Belangen von Kindern in der Rechtspraxis beschäftigen, wie etwa Verwaltungsjuristen, Rechtsanwälte und Richter. Aber auch allen menschenrechtlich interessierten Personen soll der Kommentar als Orientierungshilfe dienen“ (S. 6).

Diskussion

Ein juristischer„Handkommentar“ ist in erster Linie ein Nachschlagewerk, das von Gerichten, gesetzgeberischen Körperschaften oder Verwaltungsbehörden selektiv herangezogen wird, um unklare oder strittige Fragen oder Fälle bearbeiten und zu Entscheidungen gelangen zu können. Aus Neugier und da eine Rezension zu schreiben war, habe ich den hier vorgestellten Kommentar zur KRK gleichwohl von Anfang bis Ende durchgesehen. Mein Eindruck ist, dass der Kommentar nachvollziehbare und nützliche Argumentationen bereitstellt, aber auch einige Probleme aufwirft, die hier kritisch kommentiert werden sollen.

Ein Vorzug des Kommentars besteht darin, dass er den Sinngehalt und inneren Zusammenhang der KRK in einer Sprache erschließt, die auch für Nichtjuristen verständlich ist, und in übersichtlicher Weise Bezüge zwischen den Einzelbestimmungen der KKR und Bestimmungen in anderen Menschenrechtsverträgen sichtbar macht (wobei der extensive Gebrauch von Abkürzungen sicher für Nicht-Juristen gewöhnungsbedürftig ist). So zeigt der Kommentar etwa auf, in welchen Bereichen und aus welchen Gründen die KRK über andere Menschenrechtsverträge hinausgeht und neuartige, spezifische Regelungen zugunsten der Kinder bereitstellt (vor allem hinsichtlich ihres Schutzes aufgrund ihrer größeren Verletzlichkeit), aber auch wo sie hinter anderen Menschenrechtsverträgen zurückbleibt, ohne dass dies immer mit spezifischen Charakteristiken des Kindseins begründbar ist (z.B. wurde die Anerkennung der Rechtsfähigkeit nicht als Kinderrecht ausgestaltet, oder es fehlen Schutz- und Mitwirkungsrechte im Arbeitsleben sowie das Recht auf Bildung von und Beitritt zu Gewerkschaften, was angesichts der Tatsache, dass alle jungen Menschen bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres lt. KRK als „Kinder“ gelten und in vielen Ländern häufig bereits am Arbeitsleben teilhaben, gravierende Folgen hat). Positiv hervorzuheben ist auch, dass der Kommentar verdeutlicht, was es heißt, Kinder als Subjekte von Rechten zu verstehen und in welcher Weise die KRK in Teilbereichen neben „objektiven“ auch „subjektive“ Rechte von Kindern begründet, die also von Kindern selbst in Anspruch genommen und praktiziert werden können. Zu begrüßen ist ebenfalls, dass den sog. „ökologischen Kinderrechten“ zumindest in einem Absatz (siehe S. 219) Aufmerksamkeit geschenkt wird, obwohl sie in der KRK noch nicht ausdrücklich erwähnt werden und aus verschiedenen Artikeln indirekt erschlossen werden müssen.

Hinsichtlich der Bedeutung der KRK für die Gestaltung der deutschen Rechtsordnung wird verdeutlicht, welche Bestimmungen der KRK aus welchen Gründen einerseits unmittelbar anwendbar („self-executing“) sind und teilweise subjektive Rechte der Kinder enthalten und welche andererseits nur mittels zu schaffender Gesetze Gültigkeit erlangen. Aus der KRK wird ausdrücklich abgeleitet, dass spätestens nach dem im Juli 2010 endlich zurückgenommenen „Ausländervorbehalt“ (er war bei der 1992 erfolgenden Ratifizierung neben anderen weniger wichtigen oder inzwischen überholten Vorbehalten von der damaligen Bundesregierung erhoben worden) entgegen der Auffassung der gegenwärtigen Bundesregierung mehrere Gesetze zu minderjährigen Flüchtlingen geändert werden müssen. Ebenso wird darauf aufmerksam gemacht, dass im Unterschied zu vielen anderen Staaten die KRK in Deutschland nicht automatisch Verfassungsrang, sondern nach Maßgabe des Artikels 59 GG nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat (woraus sich u.a. die vielfach vertretene Forderung ergibt, die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern). All diese Informationen und Interpretationen lassen sich auch in anderen Schriften finden, sie werden aber in dem vorliegenden Kommentar in kompakter und zusammenhängender Weise zum Ausdruck gebracht.

Neben den genannten Vorzügen des Kommentars lassen sich einige Probleme ausmachen, die sich vor allem aus dem Rechtsverständnis der Verfasserin und ihren subjektiven Urteilen bei der Interpretation und vergleichenden Abwägung einzelner Bestimmungen der KRK und anderer Menschenrechtsverträge ergeben. Sie qualifiziert Kinderrechte ausschließlich als Rechte, die in der KRK und ihren Zusatzprotokollen bereits kodifiziert sind. Die Verfasserin zieht zwar auch die Protokolle aus den Vorarbeiten zur Konvention zur Interpretation heran, widmet aber dem historischen Entstehungsprozess der Kinderrechte und ihren rechtsphilosophischen Aspekten und sozialen Hintergründen wenig Beachtung. So lässt sie die völkerrechtliche Entstehungsgeschichte der Kinderrechte mit der Genfer Deklaration der Rechte des Kindes, die 1924 vom Völkerbund (der Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen) beschlossen worden war, beginnen, ohne den ihr vorangegangenen rechtsphilosophischen und pädagogischen Debatten sowie den politischen und sozialen Kämpfen um die soziale Stellung und bessere Lebensverhältnisse der Kinder Beachtung zu schenken - etwa den kinderrechtlichen Beiträgen der schwedischen Frauenrechtlerin Ellen Key, des polnischen Kinderarztes und Pädagogen Janusz Korczak oder dem im Zuge der russischen Revolution entstandenen bemerkenswerten, von anarchistischen Ideen inspirierten Entwurf der sog. „Moskauer Deklaration der Rechte des Kindes“.

Der bloße, geradezu starre Blick auf das positiv gesetzte Recht führt mitunter zu widersprüchlichen Interpretationen und sogar zu restriktiven Schlussfolgerungen hinsichtlich der Konsequenzen, die sich aus den Bestimmungen der KRK ergeben. Dies sei an der Interpretation des Art. 12 verdeutlicht, der als Kernartikel für die sog. Partizipationsrechte der Kinder gilt.

Auf der einen Seite hebt die Verfasserin hervor, dass hinsichtlich des Rechts auf Meinungsäußerung in der KRK kein Mindestalter festgelegt ist und deshalb die Meinungen der Kinder auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sich diese noch nicht wie Erwachsene verbalisieren können. Andererseits geht sie kaum auf die Problematik ein, die sich aus der Regelung ergibt, dass ihre Berücksichtigung gemäß dem Alter, der Reife und Fähigkeit der Kinder zur selbstständigen Urteilsbildung erfolgen soll. Weder die vor allem in der Kindheitsforschung geführte Debatte, wie das in der KRK verankerte Prinzip der sich entwickelnden Fähigkeiten („evolving capacities“) zu verstehen und zu handhaben sei, noch die gelegentlich geäußerte Kritik, dass die jeweilige Interpretation der Urteilsfähigkeit der Kinder in das Ermessen von Erwachsenen gestellt bleibt, wird von ihr aufgegriffen. Bemerkenswerterweise interpretiert die Verfasserin die in der KRK formulierte Einschränkung, die Meinungen der Kinder nur in Angelegenheiten zu beachten, die das Kind selbst berühren, in der Weise, dass in der KRK „kein allgemeines politisches Mandat für Kinder verfolgt“ (S. 134) werde. Statt sich hiermit auseinander zu setzen und die darin liegende Problematik zu erörtern, schließt die Verfasserin daraus lediglich, dass hinsichtlich des vielfach geforderten Wahlrechts für Kinder „eine Änderung der deutschen Gesetzeslage konventionsrechtlich nicht geboten“ (S. 142) sei.

Ähnlich unkritisch und mit gravierenden Konsequenzen verfährt die Verfasserin, wenn sie die Garantie des Kindeswohls (Art. 3), das Recht auf Schutz vor Gewalt (Art. 19) und das Recht auf Gesundheitsschutz, insbesondere den Schutz vor schädlichen überlieferten Bräuchen (Art. 24, Abs. 3) mit dem Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 14) in Verbindung mit den Elternrechten und -pflichten (Art. 5) abwägt. Während sie zu Recht die in vielen Ländern praktizierte Beschneidung der Klitoris von Mädchen als einen eindeutigen Verstoß gegen die Schutzrechte der KRK verurteilt, rechtfertigt sie die Beschneidung des Penis von Jungen als kinderrechtskonform. Ihre Rechtsmeinung begründet sie damit, „dass die Genitalverstümmelung bei Mädchen mit schweren dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen verbunden ist und regelmäßig das geschlechtsspezifisch erniedrigende Ziel verfolgt, das weibliche sexuelle Lustempfinden völlig zu unterbinden“ (S. 173). Demgegenüber sei die Beschneidung von männlichen Kleinkindern „in zwei Weltreligionen verwurzelt, beeinträchtigt das männliche Sexualempfinden nicht und wird darüber hinaus von der WHO (= Weltgesundheitsorganisation, Anm. ML) sogar in bestimmten Regionen aus präventiv-medizinischen Gründen für sinnvoll erachtet“ (ebd.; ähnlich an mehreren anderen Stellen des Kommentars). Mit solchen Argumenten gibt die Verfasserin nicht nur auf fragwürdige Weise einem überlieferten Brauch eine religiöse Weihe, sondern setzt sich auch über anderslautende wissenschaftliche Erkenntnisse hinweg, die der Jungen-Beschneidung sehr wohl schädliche und sogar traumatisierende Wirkungen bescheinigen (und die auch die von der WHO früher vertretene medizinische Meinung längst in Frage gestellt haben). Überdies negiert sie, dass die Religionsfreiheit (wozu übrigens auch das Recht gehört, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören) nicht nur Erwachsenen zusteht, sondern auch für Kinder gilt und nicht durch irreversible Eingriffe beschnitten werden darf.

Im Hinblick auf die Umsetzung der Kinderrechte in die Lebenswirklichkeit neigt die Verfasserin – wie viele andere Jurist/innen – dazu, ihnen eine Art Selbstwirksamkeit zuzuschreiben, die sich aus ihrer Kodifizierung und den damit verbundenen Staatenpflichten ergeben soll. Zwar merkt sie im Zusammenhang des Rechts auf Nicht-Diskriminierung kritisch an, Kinder hätten „nur eingeschränkte Möglichkeiten, ihre Rechte (prozessual) durchzusetzen“ (S. 52), aber in Bezug auf dieses und andere Rechte blendet sie weitgehend aus, dass die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und der weitgehend machtlose Status der Kinder diesen erschwert oder gar unmöglich macht, ihre Rechte auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. So wird etwa das Recht, eigene Vereinigungen zu bilden, vielfach durch entgegenwirkende gesetzliche Bestimmungen (z.B. des Vereinsrechts), den Ausschluss von Bürgerrechten, die an bestimmte Mindestalter und Staatsangehörigkeit gebunden sind, oder schlicht durch die faktische Dominanz und Entscheidungsmonopole der Erwachsenen konterkariert. Die geringe Beachtung dieses Aspekts der Lebenswirklichkeit von Kindern kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Verfasserin der nicht ausdrücklich in der KRK angesprochenen Diskriminierung aufgrund des geringen Lebensalters („age-based discrimination“) kaum Aufmerksamkeit schenkt.

Die relativ geringe Beachtung der Kinderperspektive kommt auch an anderen Stellen des Kommentars, namentlich in den Ausführungen zum Verfahren des internationalen Monitoring zum Ausdruck, wie es in den Durchführungsbestimmungen der KRK und den „General Procedures“ des UN-Kinderrechteausschusses vorgesehen ist. Die diesbezüglichen Regelungen werden über den grünen Klee gelobt, ohne ein Wort über die geringen Möglichkeiten von Kindern zu erwähnen, daran mitzuwirken (siehe S. 328). Auch bezüglich des nationalen Monitoring wird auf die anzustrebende Beteiligung von Kindern nicht eingegangen, obwohl z.B. die „National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland“ dazu inzwischen konkrete Vorschläge entwickelt hat.

Zuletzt noch kurze Anmerkungen zu einigen im Handkommentar verwendeten Termini. Zwei davon, die Begriffe „Kind“ und „Kindeswohl“, kommen in der KRK selbst vor und spielen darin eine zentrale Rolle. Zwei andere, die Ausdrücke „Kinderarbeit“ und „Straßenkinder“, hat die Verfasserin selbst zur Interpretation einzelner Artikel der KRK eingeführt.

Im Zusammenhang der Erörterung der in Art. 1 der KRK vorgenommenen Definition von „Kind“ weist die Verfasserin zu Recht daraufhin, dass die KRK eine explizite Definition von „Kindheit“ nicht enthält. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in der KRK nicht insgeheim ein bestimmtes Verständnis von Kindheit mitschwingt, das stark von westlich-europäischen Vorstellungen einer „guten“ bzw. „harmonischen“ Kindheit als Schutzraum und Vorbereitungsphase geprägt ist. Bedauerlicherweise beschränkt sich die Autorin darauf, die Frage von Beginn und Ende des „Kindseins“, die bei der Ausarbeitung der KRK kontrovers diskutiert wurde, zu erörtern. Dass sich der Gebrauch des Terminus Kind (in der KRK durchweg im Singular) nicht auf diesen gewiss wichtigen Aspekt beschränken lässt, hätte auch in einem juristischen Kommentar eine genauere sozial- und kulturwissenschaftlich reflektierte Betrachtung verdient gehabt.

Bei der Erörterung des Begriffs „Kindeswohl“, der in Art. 3 der KRK eingeführt wird und für die Auslegung aller Konventionsrechte als wesentliche Leitlinie gilt, weist die Verfasserin erfreulicherweise daraufhin, dass der in der authentischen englischen Originalfassung gewählte Begriff des „best interest of the child“ „präziser“ als der in der amtlichen deutschen Übersetzung gewählte Begriff des Kindeswohls ist. Allerdings kann sie darin keinen„Bedeutungsunterschied in der Sache“ erkennen (S. 66). Auch wenn die Verfasserin damit der in deutschsprachigen Gutachten und Kurzkommentaren fast ausnahmslos vertretenen Lehrmeinung folgt, wäre in einem umfassenderen Handkommentar eine genauere Erörterung zu erwarten gewesen. Sie hätte auf den lange vor der KRK liegenden historischen Kontext und die häufig problematischen Verwendungen des Ausdrucks Kindeswohls und seine Folgen für die Kinder zumindest aufmerksam machen können.

Von geringerer Bedeutung, aber gleichwohl relevant ist, dass die Verfasserin bei der Auslegung anderer Artikel der KRK die Ausdrücke „Kinderarbeit“ und „Straßenkinder“ heranzieht, obwohl diese in der KRK selbst überhaupt nicht vorkommen. In Art. 32 wird stattdessen postuliert, dass die Kinder ein Recht haben, vor „wirtschaftlicher Ausbeutung“ geschützt zu werden. Zwar macht die Verfasserin darauf aufmerksam, dass „keine einheitliche Definition von Kinderarbeit besteht“ (S. 254) und dass es Arbeit gibt, „die für Kinder angemessen ist und aus der sie sogar Nutzen ziehen können“ (ebd.), aber sie setzt letztlich in problematischer Weise den Terminus „Kinderarbeit“ mit Ausbeutung gleich und plädiert für ein umfassendes Verbot. Ähnlich wie bei diesem Terminus bedenkt die Verfasserin auch beim Terminus „Straßenkinder“ nicht, dass dieser ausschließlich negative und sogar stigmatisierende Konnotationen hat, die jedenfalls von Kindern selbst durchweg als diskriminierend empfunden und abgelehnt werden.

Fazit

Der Verfasserin gelingt es, auf übersichtliche und meist gut nachvollziehbare Weise den Wesensgehalt, die innere Logik und die praktische Relevanz der UN-Kinderrechtskonvention sichtbar zu machen. Ein Vorteil des Handkommentars ist auch, dass beim Vergleich mit anderen Menschenrechtsverträgen und der Erörterung der (möglichen oder geforderten) Konsequenzen für die Gestaltung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland auf einzelne Artikel der Konvention eingegangen wird, ohne den Zusammenhang mit anderen Artikeln aus dem Auge zu verlieren. Allerdings wird auch deutlich, dass die strikte Orientierung am positiv gesetzten Recht, wie sie in dem Kommentar praktiziert wird, den Blick auf die mögliche Dynamik der Kinderrechte einengen und zu einer Unterschätzung der Probleme bei der Umsetzung führen kann. Die Interpretationen der Verfasserin erwecken zwar den Anschein, dass sie dem Wortlaut der KRK und anderer Menschenrechtsverträge entspringen, doch enthalten sie mitunter auch insgeheim subjektive Elemente, die vor allem in den persönlichen Ansichten der Verfasserin wurzeln und zumindest fragwürdig sind. Die Umsetzung wiederum scheint sich gleichsam automatisch aus dem rechten Verständnis der rechtlichen Vorgaben zu ergeben, ohne deutlich genug die materiellen und politischen Voraussetzungen mit zu reflektieren, die dafür letztlich notwendig und erst noch herzustellen sind. Die in dem Kommentar vorgenommenen Interpretationen lassen jedenfalls deutlich werden, wie wichtig eine eigenständige interdisziplinäre Kinderrechtsforschung wäre, die rechtswissenschaftliche mit sozial-und kulturwissenschaftlichen Herangehens- und Erkenntnisweisen verbindet. Eine solche Kinderrechtsforschung steht noch ganz am Anfang.

Rezension von
Prof. Dr. Manfred Liebel
Master of Arts Childhood Studies and Children’s Rights (MACR) an der Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften
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Zitiervorschlag
Manfred Liebel. Rezension vom 06.05.2013 zu: Stefanie Schmahl: Kinderrechtskonvention. Mit Zusatzprotokollen. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2013. ISBN 978-3-8329-7650-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/14926.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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