Bernd Käpplinger (Hrsg.): Engagement für die Erwachsenenbildung
Rezensiert von Prof. Dr. Jochen Schmerfeld, 10.10.2013

Bernd Käpplinger (Hrsg.): Engagement für die Erwachsenenbildung. Ethische Bezugnahmen und demokratische Verantwortung ; Festschrift für Wiltrud Gieseke. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 291 Seiten. ISBN 978-3-531-18571-2. D: 39,95 EUR, A: 41,07 EUR, CH: 50,00 sFr.
Thema
Die Festschrift zum 65. Geburtstag von Wiltrud Gieseke ist dem umfangreichen und facetten- und aspektreichen Werk der Wissenschaftlerin gewidmet. Dementsprechend umfasst es auch eine Anzahl von Themen und Themenkomplexen, die sich im Aufbau des Buchs abbilden.
HerausgeberInnen
- Bernd Käpplinger ist Juniorprofessor für Lernen im Lebenslauf/Betriebliche Weiterbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin.
- Steffi Robak ist Professorin für Bildung im Erwachsenenalter am Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung der Leibniz Universität Hannover.
- Sabine Schmidt-Lauff ist Professorin für Erwachsenenbildung/Weiterbildung am Institut für Pädagogik der Technischen Universität Chemnitz.
Aufbau
Der Aufbau des Buches erfolgt entlang der Themen, die von Gieseke bearbeitet worden sind:
- Das erste Kapitel ist dem Thema Emotionen gewidmet.
- Im zweiten Kapitel geht es um Kultur.
- Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema Profession.
- Im vierten Kapitel geht es um Beratung.
- Das fünfte Kapitel ist dem Thema: Frauenbildung/Gender gewidmet.
- Im letzten Kapitel geht es um Programm- und Institutionenforschung.
Jedes Kapitel enthält mehrere Beiträge verschiedener Autorinnen zum jeweiligen Thema. Im abschließenden Teil: Zum Abschied finden sich zumeist sehr persönliche Äußerungen.
Vor diesen Kapiteln finden sich ein Vorwort von Bernd Käpplinger / Steffi Robak / Sabine Schmidt-Lauff sowie ein Grußwort von Rita Süssmuth.
Emotionen
Rolf Arnold / Anita Pachner: Emotion – Konstruktion – Bildung: Auf dem Weg zu emotionaler Kompetenz. Es wird die Gestaltung von Lehren und Lernen aus Sicht des ‚emotionalen Konstruktivismus‘ beschrieben. Eine wichtige Annahme des emotionalen Konstruktivismus laute: „Wirklichkeit muss nicht nur verstanden, sondern auch gespürt werden.“(22) Emotionale Kompetenz werde gebildet durch Reflexion und durch Bewusstwerden eigener Deutungs- und Emotionsmuster sowie durch Irritationen (‚Perturbationen‘). Ziel emotionaler Bildung sei dementsprechend „die (re)konstellierend wirkenden ‚inneren Erfahrungen‘ durch Lernprozesse zugänglich zu machen und zu unterbrechen und so eine selbstreflexive emotionale Achtsamkeit auszubilden.“(27) Die Autoren plädieren für eine psychologisch informierte Teilnehmerorientierung in der Erwachsenenbildung.
Robin Malloy / Ingeborg Schüßler: Die emotive Wende in der Erwachsenenbildung -Zur Bedeutung >emotional-archetypischen Deutungslernens<: Verbindung des in den 1980er Jahren in der Erwachsenenbildung entwickelten Deutungsmusteransatzes mit Neurobiologie und verschiedenen Psychotherapiekonzepten (insbesondere dem auf C.G. Jung zurückgehenden). „In der Vielzahl der bisher … durchgeführten Führungskräfteseminare anhand des emotional-archetypischen Deutungslernens in großen bis kleinen Gruppen sowie Einzelcoachings konnte in den Evaluationen … festgestellt werden, dass ein größeres Verständnis sowie eine erhöhte Sensibilität gegenüber den eigenen Gefühlen … entstanden ist und einige kognitive Deutungsmuster differenziert bzw. transformiert werden konnten.“(37f) Und mit kritischen Unterton gegenüber Arnold stellen die Autoren fest, dass ein ‚Umfühlen‘ nicht festgestellt werden konnte.
Renata Góralska / Hanna Solarczyk: Emotionsforschung in Polen. Der Übersichtsartikel beschreibt eine durch gesellschaftlichen Wandel bedingte Veränderung in der wissenschaftlichen wie praktischen Beschäftigung mit Emotionen in Polen. Mit dem Konzept der emotionalen Kompetenz habe die polnische Pädagogik eine Verbindung zwischen Emotionsforschung und der eingeführten Theorie der vielseitigen Bildung geschaffen. Die Autoren kommen zu folgendem Fazit für die polnische Pädagogik: „In der Pädagogik unterschätzt man die Rolle von Emotionen in Bildungsprozessen, es dominiert eine traditionelle Sicht auf die Relevanz der Kognition für die menschliche Entwicklung. Unzählige qualitative Forschungen auf diesem Gebiet eröffnen nun neue Möglichkeiten, Prozesse des lebenslangen Lernens emotions- und beziehungstheoretisch zu interpretieren.“ (51)
Sylvana Dietel: Emotionen als ein Quell pädagogischer Reflexion unter Gestaltungsanspruch. Ausgehend von der Beobachtung: „Weiterbildner/innen in ihrer pädagogischen Rolle werden mit diversen emotionalen Projektionen von den Teilnehmer/innen versehen, welche mit jeweils konkreten Erwartungen an die andere Person, den präsentierten Inhalt und eigenen Lernerfolg verbunden sind“ (56) plädiert die Autorin für eine Integration der Bedeutung der Emotionalität in Konzepte der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Behandelt werden vor diesem Hintergrund die Bereiche: methodisch-didaktische Gestaltung, Beziehungsgestaltung sowie Hilfe bei Entscheidungsprozessen durch Bildungsberatung.
Ulrike Zimmermann: Emotionalität und der subjektive Sinn von Widerstand gegen Bildung
Widerstände gegen Bildungszumutungen werden in ihrer produktiven Bedeutung analysiert: „Die Verweigerung von Weiterbildung macht so durchaus Sinn und stärkt die Perspektive auf Lebenslanges Lernen weg von der Fokussierung auf Abschlüsse und Zertifikate, hin zu einer umfassenden Bedeutung humanistischer und demokratischer Lesart als Selbstbildung.“(68) das erfordere praktisch eine Lernbegleitung: „Durch die Beziehungsarbeit, das Einlassen und Sich-in-Beziehung-Setzen zu den Lernenden und ihren Themen entwickelt sich der Lehrende weiter und mit ihm die Institution, sofern deren Struktur dies zulässt.“(73)
Kultur
Max Fuchs: Kulturelle Bildung als Lebenskunst. Kulturelle Bildung wird in drei Kontexten betrachtet: in einem anthropologischen Kontext: „Es geht um den Menschen als kulturell verfasstem Wesen, das sein Leben in die eigenen Hände nehmen muss“(81), im gesellschaftlichen Kontext: „Über die spezifische Teilhabe an Kunst und Kultur entscheidet es sich, welchen Platz man in der Gesellschaft hat“ (82), im Kontext der Ontogenese: hier bezieht sich der Autor auf das Konzept der Entwicklungsaufgaben (82f).
Marion Fleige: Bildungskulturen – Kultur als Thema von Bildung – transkulturelle Bildung: Forschungsperspektiven zum Verhältnis von Erwachsenenbildung und Kultur. Der Beitrag will einen Überblick über Giesekes Arbeiten zum Thema geben und unterscheidet dabei drei Phasen der Beschäftigung Giesekes mit Kultur:
- Bildungs- bzw. Lernkulturen
- Kultur als Thema von Bildung
- Transkulturelle Bildung
Und schließt mit einem Ausblick auf offene Forschungsfragen bzw. -felder.
Inga Börjesson: Wird kulturelle Bildung zum Regierungsprogramm? Überlegungen zu Bedeutungswandlungen kultureller Bildung. Börjeson beschreibt Konjunkturen kultureller Bildung in der Politik von den 1950er Jahren bis heute in einer oszillierenden Bewegung der Erwartungen bezogen auf Kulturaneignung „zwischen der Unterstützung rezeptiver Aneignung von (Hoch)Kultur einerseits und der Stärkung kultureller Eigenaktivität und Kreativität andererseits“.(99) In einer kritischen Perspektive diskutiert sie Ansätze kultureller Bildung vor dem Hintergrund der Foucault-Rezeption von Bröckling als Investition in Humankapital und als Technologie der Selbstregierung.
Profession
Dieter Nittel / Julia Schütz: Zwischen Verberuflichung und Professionalität: Professionalisierungsdynamiken und Anerkennungskämpfe in der sozialen Welt der Erzieherinnen und Weiterbildner. Gegenstand ist eine empirische Studie mit zwei Gruppen von Pädagoginnen: in der Elementarbildung tätige einerseits und in der Weiterbildung/Erwachsenenbildung arbeitende andererseits. Ein Vergleich aus professionalisierungstheoretischer Perspektive hätte ergeben, dass angesichts des demografischen Wandels beide Gruppen sich stärker profilieren müssten: Das Kernproblem der Erzieherinnen sei die mangelnde berufliche Anerkennung, das der Weiterbildnerinnen ihre mangelnde öffentliche Sichtbarkeit und die berufskulturelle Heterogenität.
Aiga von Hippel: Programmplanung als professionelles Handeln – „Angleichungshandeln“ und „Aneignungsmodi“ im aktuellen Diskurs der Programm- und Professionsforschung. In diesem Beitrag wird Programmplanung in der Erwachsenenbildung mit Bezug auf das von Gieseke entwickelte Konzept beschrieben als Ausgleichshandeln. Aneignungsmodi in der beruflichen Sozialisation werden als Umgang mit Widerspruchskonstellationen analysiert.
Henning Pätzold: Erwachsenenbildung(-sprofession) als Akteur-Netzwerk - eine Theorieskizze. Pätzold beobachtet die Erwachsenenbildungsprofession aus zwei Perspektiven: zunächst aus einer systemtheoretischen Sicht um dann zur Akteurs-Netzwerk-Theorie als theoretischem Bezugspunkt zu wechseln. Aus letzterer Perspektive beschreibt er die Profession als Gatekeeper an Passagepunkten.
Beratung
Christiane Schiersmann: Ein Kompetenzprofil für Beratende – Resultat eines offenen Koordinierungsprozesses. Schiersmann entwickelt ein Kompetenzprofil für Beratung, das im wesentlichen aus vier übergreifenden Kompetenzen besteht (die allerdings weiter differenziert werden):die Gestaltung von Beratungsprozessen in Bezug auf Ratsuchende, professionelle Selbstreflexion, Mitgestaltung der Organisation und gesellschaftsbezogene Kompetenzen.
Ruth Siebers: Unternehmensberatung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU): Ein qualitativ-empirischer Zugang in Perspektivverschränkung. Die Autorin referiert die Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojekts, in dem anhand von Leitfadeninterviews der Wissenstransfer in Unternehmensberatungsprozessen untersucht wurde.
Cornelia Maier-Gutheil: Professionalität in der Beratung – erwachsenenbildnerische Analysen und Reflexionen. Ausgehend von der Annahme, dass die faktische Beratungssituation komplexer sei als das zu ihrer Bearbeitung zur Verfügung stehende Wissen, werden in diesem Beitrag Beratungstypologien unterschieden, Spannungsfelder und Kernprobleme identifiziert und der Zusammenhang von Reflexion und professionellem Beratungshandeln angesprochen.
Clinton Enoch: Beratung als Aufklärungsinstanz des Individuums – demokratietheoretische Aspekte einer kritischen Beratungstheorie. Der Autor versteht Beratung als Ort der individuellen Selbstaufklärung im Gespräch und entwirft sie in Anschluss an Kants Emanzipationsformel als gesellschaftspolitisches Konzept. Dementsprechend fordert er eine kritische Beratungsforschung als Grundlage einer kritischen Beratungstheorie: „Beratung wird dabei als Aufklärungsinstanz verstanden; weshalb Selbstentfaltung, Selbstentwicklung und Selbstbestimmung des Individuums zum innersten Kern einer kritischen Beratungstheorie gehört.“ (195)
Frauenbildung/Gender
Hildegard Maria Nickel: Gender Studies und Frauenbildung. Die Genderthematik wird aus einer arbeitssoziologischen Perspektive betrachtet: einen Automatismus von zunehmender weiblicher Beschäftigung und zunehmender Gleichstellung und Emanzipation der Frauen verneint sie, konstatiert aber eine Transformation von Arbeit und Geschlecht im Zuge sich verändernder Arbeitskulturen. Die damit verbunden Subjektivierung sieht sie auch als Chance: „Subjektivierung ist nicht einfach Funktion und Vollzug von marktradikalisierten Ansprüchen, sondern Subjektpotentiale entstehen …, indem Individuen eigensinnig ihren Arbeits- und Lebenszusammenhang organisieren.“(206)
Stefanie Rieger-Goertz: Zwischen Vielfalt und Vereinheitlichung. Verschiedenheit sei die Grunderfahrung in der Postmoderne mit der Schattenseite einer Hierarchisierung der Differenzen. Der Diversity-Ansatz frage dagegen nach den Potentialen der Unterschiede. Dieser Ansatz müsse um das Gerechtigkeitskriterium ergänzt werden. Diversity-Kompetenz wird als Ziel von Erwachsenenbildung postuliert: „Diese beinhaltet, mit Unterschieden und Irritationen umgehen zu lernen, ohne in das Spiel um Machtdemonstration und Unterwerfung einzusteigen.“(218)
Programm- und Institutionenforschung
Ortfried Schäffter: Die Kategorie des „Angleichungshandelns“ bei Wiltrud Gieseke. Eine relationale Sicht auf die empirische Rekonstruktion von „Programmplanungshandeln“. Das von Gieseke entwickelte Konzept des Ausgleichshandelns als Programmplanung in der Erwachsenenbildung wird in Zusammenhang gebracht mit Arbeiten der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes aus den 1980er Jahren. Giesekes methodisches Vorgehen in einem entsprechenden Forschungsprojekt wird verglichen mit Anselm Strauss´ ‚Social Trajectory‘ (Theorie geordneter sozialer Prozesse ohne Kontrolle durch eine zentrale Instanz).
Karin Opelt: Reflexionen zur Kontinuität institutionalisierter Weiterbildung. Der Beitrag liefert einen Durchgang durch Giesekes Arbeiten mit Bezug auf Institutionalisierungs- und De-Institutionalisierungsprozesse der Erwachsenenbildung, wobei insbesondere Giesekes Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus thematisiert wird: „Nachdem der Versuch gescheitert ist, die Institutionen der Erwachsenenbildung/Weiterbildung durch konstruktivistische Lerntheorien abzulösen – sich die aktiven Verfechter des Konstruktivismus zur Ruhe gesetzt haben und mehrheitlich aus den Institutionen ausgeschieden sind – ist die Aufregung um diese Theorie abgeflaut.“(244)
Claudia Pohlmann / Maria Stimm (unter Mitarbeit von Gudrun Lehmann): Erwachsenenpädagogische Realanalyse in Perspektivverschränkung: Möglichkeiten eines Forschungsansatzes für die Theorie-und Praxisentwicklung in der Institutionen- und Programmforschung. Giesekes Forschungsansatz der Perspektivverschränkung wird beschrieben, dann werden die Masterarbeiten der Autorinnen, die mit diesem Ansatz gearbeitet haben vorgestellt.
Zum Abschied
Im letzten Teilfinden sich Beiträge von Dietrich Benner, Helga Stock und Bernd O. Hölters.
Diskussion
Der Band spiegelt das umfangreiche Werk von Gieseke, das die hier behandelten sehr verschiedenen Themen umfasst. Beeindruckend ist auch die Menge von Beiträgen, die hier zusammen gekommen sind. Allerdings ist die Qualität der einzelnen Beiträge sehr verschieden. Leider geben sie auch nicht alle den jeweiligen aktuellen Diskussionstand wider, noch behandeln sie durchgehend aktuelle Fragen der Erwachsenenbildung. Sowohl in Hinblick auf eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Stand der Disziplin als auch in Hinblick auf eine kritische Reflexion des aktuellen institutionellen, organisatorischen wie politischen Stands der Erwachsenenbildungspraxis bleibt der Band viel schuldig. Die im Untertitel angekündigte Bezugnahme auf Ethik und demokratische Verantwortung habe ich in den Beiträgen gar nicht gefunden. Wie für eine Festschrift nicht unüblich, dient das Buch vor allem dazu, die Arbeit von Gieseke zu würdigen. Eine dazu durchaus passende kritische Diskussion ihrer Arbeiten findet sich allerdings in diesem Buch nicht.
Fazit
Die Überschriften der einzelnen Kapitel und die darin behandelten Themen versprechen eine interessante Lektüre, diese Erwartung wird allerdings enttäuscht.
Trotzdem erhält man einen guten Überblick über die Arbeiten von Gieseke, wenn auch aus zweiter Hand.
Rezension von
Prof. Dr. Jochen Schmerfeld
Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg
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