Kim de Groote: „Entfalten statt liften!“ (Senioren in kulturellen Bildungsangeboten)
Rezensiert von Dr. Alexander Brandenburg, 12.11.2013

Kim de Groote: „Entfalten statt liften!“. Eine qualitative Untersuchung zu den Bedürfnissen von Senioren in kulturellen Bildungsangeboten.
kopaed verlagsgmbh
(München) 2013.
248 Seiten.
ISBN 978-3-86736-334-1.
D: 18,80 EUR,
A: 19,40 EUR,
CH: 27,50 sFr.
Reihe: Kulturelle Bildung - 34. Hrsg. vom Institut für Bildung und Kultur.
Thema
Das Buch fragt nach den kulturellen Bildungsbedürfnissen von Senioren im Alter von 65 bis 85 Jahren. Unter kultureller Bildung werden dabei u. a. musikalische, theatrale, tänzerische, literarische, auf Medien bezogene und bildend-künstlerische Arbeiten und Tätigkeiten verstanden. Die Kernfrage lautet: Welche Bedürfnisse haben diese Senioren im Hinblick auf kulturelle Bildungsangebote? Die Beantwortung dieser Frage soll als Basis für eine Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrenden in der kulturellen Bildung für Senioren dienen.
Entstehungshintergrund
Bei der Publikation handelt es sich um eine beim Fachbereich Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen vorgelegte, für die Veröffentlichung gekürzte und überarbeitete Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades. Sie ordnet sich der an der Fachhochschule Münster entwickelten Disziplin Kulturgeragogik zu, die Erkenntnisse aus Gerontologie, Geragogik und Kulturpädagogik verbindet und sich mit den Bedürfnissen Älterer in der kulturellen Bildung auseinandersetzt.
Aufbau und Inhalt
Der Teil A enthält im ersten Abschnitt grundlegende Aussagen zum Alter aus Blickwinkeln verschiedener Disziplinen; das biologische, das kognitive, das psychische und das soziale Altern werden beschrieben. Es folgt eine Definition dessen, was in dieser Arbeit unter„Senioren“ verstanden werden soll. Im zweiten Abschnitt werden Ausführungen zur Bildung im Alter, zum Bildungsverhalten, zum Lernen von Senioren, zu den Bildungsangeboten und zur Praxis der Lehre in der Altenbildung gemacht. Die kulturelle Bildung im Alter wird im dritten Abschnitt zum Thema. Der Begriff der kulturellen Bildung wird erörtert, das Verständnis von kulturellen Bildungsangeboten für Senioren wird umrissen, und es wird die Bildungsteilhabe von Senioren – Interesse, Zugänge, Motive, Barrieren – beschrieben. Zum Schluss dieses Abschnittes wird die zentrale Forschungsfrage nach den kulturellen Bildungsbedürfnissen von Senioren aus der Tatsache abgeleitet, dass zur Beantwortung dieser Frage auf keine systematischen Untersuchungen zurückgegriffen werden könne.
Der Teil B beschreibt das methodische Vorgehen der Untersuchung. Operationalisierung der Forschungsfrage, Vorgehensweise, Erhebung (Untersuchungsfeld der Befragung, Datenerhebung, Datenaufbereitung, Datenauswertung, Einschätzung der Aussagekraft der Daten) sind die Gegenstände. Es handelt sich dabei um einen qualitativen Forschungsansatz mit dem zentralen Instrument einer Expertenbefragung in Form von leitfadenorientierten, offenen Interviews. Aus der Frage nach den kulturellen Bildungsbedürfnissen der Senioren werden drei Untersuchungsfragen operationalisiert:
- Welche Bedürfnisse haben Senioren beim Lernen in kulturellen Bildungsangeboten?
- Welche Bedürfnisse haben sie bezüglich des Lehrens?
- Welche Kompetenzanforderungen stellen sie an Dozenten kultureller Bildungsangebote für Senioren?
Bleibt festzuhalten: Es wurden 12 Senioren und 6 Dozenten mit langjährigen Erfahrungen in der kulturellen Bildung für Senioren befragt. Die Ergebnisse der Befragung der Dozenten sind teils in die Konzeption der Arbeit eingeflossen, teils sind sie im Schlusskapitel „Resümee und Ausblick“ berücksichtigt worden.
Im Teil C werden die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt und interpretiert:
Im ersten Abschnitt steht der Weg im Mittelpunkt, der jemanden zur Teilnahme an einem Bildungsangebot führt. Welche Aspekte spielen für die Senioren bei diesem Schritt eine Rolle? Soziale Kontakte, Ruf des Anbieters, Erreichbarkeit, Tageszeit und Preis sind solche entscheidenden Gesichtspunkte.
Im zweiten Abschnitt geht es um den Lehr- und Lernprozess. Verschiedene Themen werden beleuchtet: Lernziele, Lernen als sozialer Prozess, Dozenten, Lerninhalte und Lernumgebung. Von den Dozenten – um ein Thema auszuwählen – wird erwartet, dass sie die Senioren im Lernprozess unterstützen, dass sie Raum für Mitgestaltung und eigene Entscheidungen geben.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse der besuchten Veranstaltungen für die Senioren? Diese Frage wird im dritten Abschnitt gestellt. Die Senioren erwarten vor allem, dass sie das Gelernte auch in ihrem Alltag anwenden können. Überdies werden sie darin geschult, Lernen (wieder) zu lernen. Durch die in der kulturellen Arbeit hergestellten Produkte und deren Präsentation stärken sie ihr Selbstbewusstsein und werden so zu weiterem Lernen animiert.
Diskussion
Auf der einen Seite werden viele Ergebnisse vorgestellt, die mehr oder weniger bekannt sein dürften oder doch wenigstens nicht überraschen. Auch wenn die Fallzahl der Befragten gering ist, bleibt jedoch das Verdienst, einen empirisch gesicherten Ausgangspunkt für künftige, vertiefende und weiterführende Untersuchungen gelegt zu haben. Ob die Arbeitsergebnisse schon Wesentliches für die Qualifizierung und Professionalisierung der Lehrenden hergeben, ist aber fraglich. Ich hätte mir bei einem qualitativen Forschungsansatz nur gewünscht, dass z. B. in der Bildungsfrage auch Literatur zu Rate gezogen worden wäre, die zwar älter, aber noch nicht veraltet ist. Warum sollen die Literatur und die Denkansätze der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts so wenig Aufmerksamkeit finden?
Fazit
Ohne fundierte Untersuchungen über die besonderen kulturellen Bedürfnisse von Senioren wird keine für das Älterwerden und das Altern gedachte Bildungseinrichtung auf Dauer auskommen können. Daher sind solche Untersuchungen wie die von Kim de Groote auch wichtig und weiterführend; sie ermutigen zu weiteren Forschungen. Anbieter von kulturellen Bildungsangeboten können darüber hinaus praktische Hinweise erhalten, wie sie ihre Angebote zum Beispiel auch durch Auswahl geeigneter Dozenten optimieren können.
Rezension von
Dr. Alexander Brandenburg
Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung und Gesundheitsplanung bei der Stadt Herne
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